VwGH vom 26.07.2002, 99/02/0067
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll sowie Senatspräsident Dr. Kremla und Hofrat Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde der Bundesministerin für Arbeit und Soziales (nunmehr Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom , Zl. KUVS-996- 999/3/98, betreffend Übertretung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (mitbeteiligte Partei: KJ in K, vertreten durch Dr. Klaus Messiner und Dr. Ute Messiner, Rechtsanwälte in Klagenfurt, Burggasse 25/I), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom wurde dem Mitbeteiligten vorgeworfen, er habe als Inhaber einer Gewerbeberechtigung in der Betriebsart "Spengler" nicht für den arbeitstechnischen Schutz der auf einer näher bezeichneten Baustelle beschäftigten Arbeitnehmer gesorgt. Anlässlich einer Überprüfung durch Organe des Arbeitsinspektorates Klagenfurt am seien vier Arbeitnehmer des Mitbeteiligten auf einer örtlich näher bestimmten Baustelle ohne Sicherheitsgeschirr und nicht angeseilt im Traufenbereich bei einer Absturzhöhe von 5 m und einer Dachneigung von 30 Grad angetroffen worden, obwohl bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3 m geeignete Schutzvorrichtungen vorhanden sein müssen, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhindern.
Der Mitbeteiligte habe dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
"1. - 4.) § 130 Abs. 1 Ziffer 26 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, BGBl. Nr. 4450/1991 in Verbindung mit § 87 Abs. 5 Ziffer 2 und letzter Satz der Bauarbeiterschutzverordnung, BGB. Nr. 345/1994." Wegen dieser Verwaltungsübertretungen sei über den Mitbeteiligte gemäß "§ 130 Abs. 1 leg. cit." eine "Geldstrafe von Schilling 1. - 4. je 7.000,-- = 28.000,--" (Ersatzfreiheitsstrafe "je ein Tag = 4 Tage") zu verhängen gewesen.
Der gegen diesen Bescheid vom Mitbeteiligten erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom Folge, behob das angeführte Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 Arbeitsinspektionsgesetz gestützte Beschwerde. Der Mitbeteiligte und die belangte Behörde haben Gegenschriften erstattet. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde ging nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am davon aus, dass am Arbeitnehmer des Mitbeteiligten auf einer näher angeführten Baustelle mit Arbeiten am Dach beschäftigt gewesen seien. Die Arbeitnehmer seien nicht mittels eines Sicherheitsgeschirres gegen Absturz gesichert gewesen. Am Vorfallstag habe sich das Sicherheitsgeschirr in einem Pkw auf der Baustelle befunden. Dachschutzblenden seien auf der Baustelle nicht vorhanden gewesen. Der Mitbeteiligte habe stichprobenartig die Baustellen kontrolliert und seinen auf der Baustelle tätigen Sohn A.J. auch darauf aufmerksam gemacht, dass sämtliche Sicherheitsvorschriften eingehalten werden müssten und am Dach ausschließlich mit den jeweils notwendigen Sicherheitsvorkehrungen gearbeitet werden dürfe. Von den Parteien sei einvernehmlich angegeben worden, dass die richtige Schutzmaßnahme für die gegenständlichen Arbeiten Sicherheitsgeschirr und Sicherheitsseil gewesen wären. Ein Sicherheitsgeschirr sei als persönliche Schutzausrüstung im Sinne des § 69 Abs. 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), BGBl. Nr. 450/1994, zu klassifizieren. Die Arbeitnehmer seien verpflichtet gewesen, das Sicherheitsgeschirr zu benutzen. Der Mitbeteiligte hätte als Arbeitgeber ein dem widersprechendes Verhalten der Arbeitnehmer nicht dulden dürfen. Der Begriff "dulden" setze gemäß dem "Duden, Begriffswörterbuch" voraus, dass jemand von einem bestimmten Zustand Kenntnis habe. Der Mitbeteiligte habe sich jedoch zum Zeitpunkt der Kontrolle des Arbeitsinspektorates nicht auf der Baustelle befunden. Schon aus diesem Grund könne ihm daher nicht zur Last gelegt werden, dass seine Arbeitnehmer die ihnen zur Verfügung gestellte persönliche Schutzausrüstung gemäß § 69 Abs. 3 ASchG nicht verwendet hätten. Auch § 22 Abs. 1 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV), BGBl. Nr. 345/1994 normiere keine weiter gehende Verpflichtung als die in § 69 Abs. 3 ASchG normierte. Daher sei der Berufung Folge zu geben gewesen.
§ 69 ASchG samt Überschrift lautet:
"Persönliche Schutzausrüstung
§ 69. (1) Als persönliche Schutzausrüstung gilt jede Ausrüstung, die dazu bestimmt ist, von den Arbeitnehmern benutzt oder getragen zu werden, um sich gegen eine Gefahr für ihre Sicherheit oder Gesundheit bei der Arbeit zu schützen, sowie jede mit demselben Ziel verwendete Zusatzausrüstung.
(2) Persönliche Schutzausrüstungen sind von den Arbeitgebern auf ihre Kosten zur Verfügung zu stellen, wenn Gefahren nicht durch kollektive technische Schutzmaßnahmen oder durch arbeitsorganisatorische Maßnahmen vermieden oder ausreichend begrenzt werden können.
(3) Arbeitnehmer sind verpflichtet, die persönlichen Schutzausrüstungen zu benutzen. Arbeitgeber dürfen ein dem widersprechendes Verhalten der Arbeitnehmer nicht dulden.
. . . . . . . ."
§ 130 ASchG samt Überschrift lautet:
"Strafbestimmungen
§ 130. (1) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe
von 2 000 S bis 100 000 S, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von
4 000 S bis 200 000 S zu bestrafen ist, begeht, wer als
Arbeitgeber entgegen diesem Bundesgesetz oder den dazu erlassenen
Verordnungen
. . . . . .
26. die Verpflichtungen betreffend persönliche
Schutzausrüstungen oder Arbeitskleidung verletzt,
. . . . . . "
§ 22 BauV samt Überschrift lautet:
"Persönliche Schutzausrüstung
Allgemeines
§ 22. (1) Wenn der Schutz der Arbeitnehmer während der Arbeit nicht durch entsprechende technische und organisatorische Maßnahmen, Methoden oder Verfahren erreicht wird, müssen persönliche Schutzausrüstungen kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Die zweckentsprechende Verwendung der Schutzausrüstung ist zu überwachen.
§ 87 BauV lautet:
"Arbeiten auf Dächern
Allgemeines
§ 87. . . . . . .
(3) Bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 müssen geeignete Schutzeinrichtungen vorhanden sein, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhindern. Bei besonderen Gegebenheiten, wie auf glatter, nasser oder vereister Dachhaut, die ein Ausgleiten begünstigen, müssen auch bei geringerer Neigung solche Schutzeinrichtungen vorhanden sein. Geeignete Schutzeinrichtungen sind Dachschutzblenden und Dachfanggerüste (§ 88).
. . . . . . . .
(5)Das Anbringen von Schutzeinrichtungen nach Abs. 3 darf nur
entfallen bei
1. geringfügigen Arbeiten, wie Reparatur- oder
Anstricharbeiten, die nicht länger als einen Tag dauern,
2. Arbeiten am Dachsaum oder im Giebelbereich. In diesen
Fällen müssen die Arbeitnehmer mittels Sicherheitsgeschirr
angeseilt sein.
. . . . . . . "
Wie der beschwerdeführende Bundesminister zutreffend
ausführt, war mit dem erstinstanzlichen Straferkenntnis dem
Mitbeteiligten eine Übertretung nach § 69 Abs. 3 ASchG sowie nach
§ 22 BauV nicht vorgeworfen worden. Gegenstand des Tatvorwurfes
war nicht, dass der Beschwerdeführer etwa die Unterlassung der
Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften geduldet
hätte, sondern der Umstand, dass er die Nichteinhaltung der
Verpflichtung zum Anseilen seiner Arbeitnehmer mittels
Sicherheitsgeschirr bzw. das Versagen des diesbezüglich
einzurichtenden Kontrollsystems zu verantworten habe. So stützt
sich das erstinstanzlich Straferkenntnis ausdrücklich auf § 87
Abs. 5 BauV. Demgemäß wäre es Aufgabe der belangten Behörde
gewesen, das Vorliegen und Funktionieren des vom Mitbeteiligten
behaupteten Kontrollsystems zu prüfen bzw. Feststellungen über die
Verantwortlichkeit des Mitbeteiligten für das durch die
Wahrnehmungen des Arbeitsinspektorates dargetane Versagen des
Kontrollsystems zu treffen.
Ausgehend von der angeführten Rechtslage konnte es beim gegebenen Sachverhalt entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht darauf ankommen, ob sich der Mitbeteiligte zum Zeitpunkt der Kontrolle des Arbeitsinspektorates auf der Baustelle befunden hatte.
Da die belangte Behörde somit in Verkennung der Rechtslage das erstinstanzliche Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt hat, musste der angefochtenen Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.
Wien, am