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VwGH vom 02.07.2002, 96/14/0074

VwGH vom 02.07.2002, 96/14/0074

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und den Senatspräsidenten Dr. Karger sowie die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde des HS in O, vertreten durch Dr. Thomas Brückl und Mag. Christian Breit, Rechtsanwälte in 4910 Ried im Innkreis, Parkgasse 11, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom , Zl 137/12-10/Zi-1996, betreffend Nachsicht einer Abgabenschuld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von 843 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsatz vom Nachsicht von der vorgeschriebenen und teilweise bereits bezahlten Umsatzsteuer für die Jahre 1984 bis 1987 von 490.000 S, wobei er zur Begründung im Wesentlichen ausführte, er habe in den Jahren 1984 bis 1987 ein Haus mit sechs Wohnungen in der Absicht errichtet, Einkünfte aus dessen Vermietung zu erzielen, weswegen er die mit den Errichtungskosten im Zusammenhang stehenden Vorsteuerbeträge abgezogen habe. Auf Grund einer abgabenbehördlichen Prüfung sei dem Haus letztlich mit rechtskräftiger Berufungsentscheidung die Eigenschaft als Einkunftsquelle versagt worden, weswegen es zu einer Nachforderung an Umsatzsteuer von rund 490.000 S gekommen sei. Mit der ab dem Jahr 1993 geltenden Liebhabereiverordnung unterliege die Vermietung des Hauses nunmehr der Umsatzsteuer. Die Verweigerung des Vorsteuerabzuges in den Jahren 1984 bis 1987 sowie die Umsatzsteuervorschreibung aus der Vermietung des Hauses ab dem Jahr 1993 stellten insbesondere unter Berücksichtigung seiner finanziellen Verhältnisse eine besondere Härte dar. Er habe das Haus ausschließlich mit Fremdkapital finanziert, wobei er bei Erstellung des Finanzierungsplanes mit Umsatzsteuergutschriften gerechnet habe. Die zusätzliche Belastung durch die Verweigerung des Vorsteuerabzuges sowie die unerwartet hohen Zinsen in den Jahren 1990 bis 1992 hätten ihn in einen finanziellen Engpass getrieben, der in der Androhung des Konkurses über sein Vermögen durch das Finanzamt gemündet habe. Zur Abwendung dieses Konkurses habe er Forderungen einer ihm gehörenden GmbH (idF nur: GmbH) dem Finanzamt abgetreten. Derzeit beziehe er als Geschäftsführer der GmbH ein monatliches Gehalt von 10.000 S, wobei die GmbH nur Verluste erwirtschafte. Sonstige Einkünfte oder Vermögen habe er nicht. Die besondere Härte sei somit einerseits in der Rechtssituation anderseits in seiner persönlichen finanziellen Situation gelegen.

Das Finanzamt wies den Antrag auf Nachsicht ab, wobei es zur Begründung im Wesentlichen ausführte, die Verweigerung des Vorsteuerabzuges in den Jahren 1984 bis 1987 sowie die Umsatzsteuervorschreibung aus der Vermietung des Hauses ab dem Jahr 1993 seien Auswirkungen der allgemeinen Rechtslage, die zu keiner sachlichen Unbilligkeit der Einhebung der Abgabenschuld führten. Angesichts der finanziellen Situation des Beschwerdeführers sei bei Gewährung der beantragten Nachsicht auch keine wesentliche Verbesserung seiner wirtschaftlichen Gesamtsituation zu erkennen, weswegen in der Einhebung der Abgabenschuld auch keine persönliche Unbilligkeit erblickt werden könne.

Mit Berufung wandte der Beschwerdeführer im Wesentlichen ein, er sei weder überschuldet noch zahlungsunfähig, weswegen er grundsätzlich keine finanziellen Probleme habe. Andere Gläubiger seien mit ihren Forderungen grundbücherlich abgesichert, weswegen diese bisher keine Eintreibungsmaßnahmen gesetzt hätten. Durch die Eintreibungsmaßnahmen des Finanzamtes sei jedoch seine wirtschaftliche Existenz gefährdet worden. Die angedrohte Einleitung des Konkurses über sein Vermögen hätte zwangsläufig eine "kridamäßige" Versteigerung des Hauses, somit eine Vermögensverschleuderung zur Folge.

In teilweiser Beantwortung eines Vorhaltes der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer an, er beziehe monatliche Nettoeinkünfte als Geschäftsführer der GmbH von 12.000 S. Die Einnahmen aus der Vermietung des Hauses deckten sich ungefähr mit den laufenden Ausgaben einschließlich Zinsen. Er verfüge über keine Sparbücher, Wertpapiere oder Forderungen. Seine Beteiligung an der GmbH sei mit Null anzusetzen, weil diese in den letzten Jahren nur Verluste erwirtschaftet habe. Das Haus habe einen Verkehrswert von 8 Mio S bis maximal 10 Mio S, wobei ein Käufer schwierig zu finden sein dürfte. Die Schulden gegenüber Banken und dem Land Oberösterreich betrügen insgesamt rund 5,6 Mio S. Gegenüber der GmbH habe er Schulden von rund 1,5 Mio S. Weiters sei das Haus mit einem Pfandrecht von 780.000 S zu Gunsten der Volkskreditbank sowie einem weiteren Pfandrecht von 1 Mio S (aushaftend rund 800.000 S) zu Gunsten Herrn S belastet. Der Beschwerdeführer gab nicht bekannt, ob und inwieweit andere Gläubiger Forderungen nachgelassen hätten.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführer ab, wobei sie zur Begründung im Wesentlichen ausführte, die Verweigerung des Vorsteuerabzuges in den Jahren 1984 bis 1987 sowie die Umsatzsteuervorschreibung aus der Vermietung des Hauses ab dem Jahr 1993 seien Auswirkungen der allgemeinen Rechtslage, die zu keiner sachlichen Unbilligkeit der Einhebung der Abgabenschuld führten. Für die Annahme einer persönlichen Unbilligkeit der Einhebung der Abgabenschuld reiche es nicht aus, dass deren Entrichtung nur durch Veräußerung von Vermögenswerten möglich sei. Nur wenn die Verwertung von Vermögenswerten einer Vermögensverschleuderung gleich käme, sei eine persönliche Unbilligkeit der Einhebung der Abgabenschuld gegeben. Der Beschwerdeführer habe lediglich behauptet, eine "kridamäßige" Versteigerung des Hauses käme einer Vermögensverschleuderung gleich. Das Vorliegen einer Vermögensverschleuderung bei Veräußerung des Hauses habe der Beschwerdeführer jedoch nicht behauptet, geschweige denn begründet. Außerdem liege eine persönliche Unbilligkeit der Einhebung der Abgabenschuld nicht vor, wenn die finanzielle Situation eines Abgabenschuldners so schlecht sei, dass auch die Gewährung einer Nachsicht nicht den geringsten Sanierungseffekt hätte. Bei einer Gesamtsumme der Verbindlichkeiten einschließlich Bürgschaften und Pfandrechte von rund 8,7 Mio S könne die Gewährung der Nachsicht einer Abgabenschuld von 490.000 S nicht den geringsten Sanierungseffekt bewirken bzw zu keiner wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Situation des Beschwerdeführers führen. Weiters sei zu berücksichtigen, dass der Abgabenrückstand derzeit nur mehr 315.159 S betrage. Eine Abgabennachsicht von 490.000 S ergäbe folglich ein Guthaben von 174.841 S, das im Hinblick auf die Überschuldung des Beschwerdeführers nur seinen anderen Gläubigern zu Gute käme. Eine Nachsicht komme somit wegen der damit verbundenen einseitigen Begünstigung anderer Gläubiger zu Lasten des Bundes als Abgabengläubiger nicht in Betracht. Auch eine Teilnachsicht von 315.159 S würde ebenfalls zu keiner wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Situation des Beschwerdeführers führen. Eine solche Teilnachsicht wäre allenfalls bei einem allgemeinen, quotenmäßigen Forderungsverzicht möglich. Da sich der Beschwerdeführer zur Frage, ob und inwieweit andere Gläubiger Forderungen nachgelassen hätten, nicht geäußert habe, werde davon ausgegangen, dass andere Gläubiger keine Forderungen nachgelassen hätten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs 1 BAO können fällige Abgabenschulden auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Diese Unbilligkeit kann persönlich oder sachlich bedingt sein.

Nach dieser Bestimmung hat die Abgabenbehörde zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff der Unbilligkeit der Einhebung nach Lage des Falles entspricht. Verneint sie diese Frage, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, sondern der Antrag schon aus rechtlichen Gründen abzuweisen. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden (vgl beispielsweise das hg Erkenntnis vom , 94/13/0047, mwN).

Die belangte Behörde hat sowohl die sachliche als auch die persönliche Unbilligkeit der Einhebung der Abgabenschuld verneint, somit die Berufung bereits aus rechtlichen Gründen abgewiesen.

Bei der vom Beschwerdeführer ausgeübten Tätigkeit handelt es sich um keine solche iSd § 1 Abs 2 LVO 1993, die nach § 6 leg cit zu einer Liebhaberei im umsatzsteuerlichen Sinn führt. Die eben erwähnte LVO 1993 ist bei der Umsatzsteuer erstmals ab dem Jahr 1993 anzuwenden. In den Vorjahren deckt sich die ertragsteuerliche mit der umsatzsteuerlichen Liebhaberei. Dem Beschwerdeführer wurde daher auf Grund der bis zum Jahr 1992 geltenden Rechtslage für das Haus einerseits der Vorsteuerabzug verweigert, anderseits keine Umsatzsteuer vorgeschrieben. Ab dem Jahr 1993 unterliegt die Vermietung des Hauses der Umsatzsteuer. Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde ist die Verweigerung des Vorsteuerabzuges in den Jahren 1984 bis 1987 sowie die Umsatzsteuervorschreibung ab dem Jahr 1993 keineswegs durch eine Gesetzesänderung bedingt. Vielmehr sind die Verwaltungspraxis und der Verwaltungsgerichtshof bis einschließlich des Jahres 1992 von umsatzsteuerlicher Liebhaberei ausgegangen, falls aus einer Vermietung nicht innerhalb eines absehbaren Zeitraumes positive Einkünfte erwirtschaftet werden. Erst die LVO 1993 normiert, dass bei einer "großen Vermietung" keine umsatzsteuerliche Liebhaberei vorliegt. Im Erkenntnis vom , 97/15/0156, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass § 2 Abs 5 Z 2 UStG in Zusammenschau mit dem auf die bloße Einnahmeerzielung ausgerichteten § 2 Abs 1 leg cit auch einer solchen Auslegung zugänglich ist, wie sie mit § 6 LVO 1993 vorgenommen worden ist. Hätte es - wie der Beschwerdeführer meint - mit Wirkung ab dem Jahr 1993 eine Gesetzesänderung gegeben, wäre diese mangels Übergangsbestimmungen verfassungsrechtlich bedenklich. Es könnte unsachlich sein, den Vorsteuerabzug aus einer Vermietung zu verweigern und in der Folge Umsatzsteuer aus derselben Vermietung vorzuschreiben. Die Verweigerung des Vorsteuerabzuges in den Jahren 1984 bis 1987 führt im Zusammenhang mit der Umsatzsteuervorschreibung aus der Vermietung des Hauses ab dem Jahr 1993 zu einer sachlichen Unbilligkeit, weil es dem System der Umsatzsteuer entspricht, die vom Vorunternehmer dem Nachunternehmer in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abzuziehen. Dies gilt (mit hier nicht vorliegenden Ausnahmen) nur dann nicht, wenn der Nachunternehmer von der Umsatzsteuer befreit ist. Der Beschwerdeführer war bis zum Jahr 1992 iSd eben gemachten Ausführungen von der Umsatzsteuer befreit, weswegen die in den Jahren 1984 bis 1987 mit den Errichtungskosten des Hauses im Zusammenhang stehenden Vorsteuerbeträge nicht abgezogen werden konnten. Es verstößt gegen das System der Umsatzsteuer, den Vorsteuerabzug zur Gänze zu verweigern, in der Folge jedoch Umsatzsteuer vorzuschreiben. Die Einhebung der Abgabenschuld ist daher dem Grunde nach sachlich unbillig. Nach Ausweis der Verwaltungsakten hat der Beschwerdeführer ab dem Jahr 1986 Einnahmen aus der Vermietung des Hauses erzielt, für die ihm keine Umsatzsteuer vorgeschrieben wurde. Die sachliche Unbilligkeit ist allerdings nur in dem Ausmaß gegeben, als sich für die Jahre 1984 bis 1992 insgesamt - betrachtet man die Vermietung als umsatzsteuerpflichtige Betätigung - ein Überhang der Vorsteuer über die Umsatzsteuer ergibt.

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage die sachliche Unbilligkeit der Einhebung der Abgabenschuld dem Grunde nach verneint hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde wird im fortzusetzenden Verfahren noch Ermessen auszuüben haben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl II Nr 501/2001. Wien, am