VwGH vom 26.06.2003, 2002/16/0301
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde der H Speditionsgesellschaft mbH in Wien, vertreten durch Doralt Seist Csoklich, Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien IX, Währinger Straße 2-4, gegen den Bescheid des Berufungssenates II der Region Innsbruck bei der Finanzlandesdirektion für Salzburg vom , GZ. ZRV 199/1-I2/00, betreffend Zoll und Zinsen, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als er die Festsetzung von Zinsen betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.088 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die beschwerdeführende Speditionsgesellschaft meldete im Laufe des Jahres 1997 als indirekter Vertreter der Y. KG Waren (Obstlieferungen aus der Türkei) zum freien Verkehr an. Anlässlich einer abgabenbehördlichen Prüfung beim Empfänger wurde festgestellt, dass die tatsächlichen Einfuhrpreise in vielen Fällen von den angemeldeten Einfuhrpreisen abgewichen waren.
Mit gegenüber beiden Gesamtschuldnern erlassenem Bescheid des Hauptzollamtes Wien vom wurde der Differenzbetrag an Zoll von insgesamt S 560.860,-- nacherhoben. Die nachträgliche buchmäßige Erfassung der im Bescheid ziffernmäßig ausgewiesenen Einfuhrumsatzsteuer unterblieb gemäß § 72a ZollR-DG. Weiters wurden Säumniszinsen in Höhe von S 94.872,-- festgesetzt, wobei aus der im Bescheid enthaltenen Aufgliederung hervorgeht, dass die Zinsen sowohl von den Zoll- als auch den Einfuhrumsatzsteuerbeträgen berechnet wurden. In der Begründung des Bescheides wurde unter anderem ausgeführt, iS des Auswahlermessens erfolge die Vorschreibung an die Beschwerdeführerin, da diese das größte Naheverhältnis zum Entstehungsgrund der Zollschuld habe. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Gleichbehandlung werde die Abgabenschuld allen Gesamtschuldnern zur Entrichtung vorgeschrieben.
In der am eingebrachten Berufung gegen diesen Bescheid beantragte die Beschwerdeführerin, die Abgabenschuld nur der Firma Y. KG vorzuschreiben, da diese das größte Naheverhältnis zur Entstehung der Nachforderungen habe.
Mit Berufungsvorentscheidung vom wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Mit Schriftsatz vom wurde gegen die Berufungsvorentscheidung Beschwerde erhoben.
Mit Schriftsatz vom teilte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde mit, dass über das Vermögen der Y. KG am das Konkursverfahren eröffnet worden sei. Dem Schreiben war eine entsprechende Verständigung eines Kreditschutzverbandes angeschlossen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, dass sowohl die Y. KG als Empfängerin als auch die Beschwerdeführerin als indirekte Vertreterin Zollschuldner seien. Grundsätzlich habe der Empfänger das größere Naheverhältnis zur Zollschuld. Es sei daher auch der Empfänger zur Abgabenentrichtung herangezogen worden. Die Beschwerdeführerin habe aber im Aussetzungsverfahren selbst eingeräumt, es sei auf Grund der Vermögensverhältnisse der Y. KG nicht damit zu rechnen, dass diese die Abgaben entrichte. Der Mitteilung des Kreditschutzverbandes sei zu entnehmen, dass (der Gesellschafter) Dkfm Y.Ö. zwei Schlaganfälle erlitten habe und nicht mehr in der Lage sei, seine Geschäfte weiter zu führen. Unter Bedachtnahme auf das öffentliche Interesse an der Einbringung der Abgaben als auch auf die Interessen der Parteien seien die Abgaben auch der Beschwerdeführerin vorzuschreiben gewesen.
In der Beschwerde gegen diesen Bescheid erachtet sich die Beschwerdeführerin insbesondere in ihrem Recht auf Nichtvorschreibung von Zinsen, Nichtvorschreibung von Eingangsabgaben nach Ablauf der Verjährungsfrist und auf Nichtinanspruchnahme ihrer Haftung als indirekte Vertreterin für Eingangsabgaben verletzt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete aber keine Gegenschrift und stellte auch keinen Kostenantrag.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gibt es für eine Zollschuld mehrere Zollschuldner, so sind diese gemäß Artikel 213 ZK gesamtschuldnerisch zur Erfüllung dieser Zollschuld verpflichtet.
Hinsichtlich der Geltendmachung von Abgaben bei Vorliegen eines Gesamtschuldverhältnisses ist dabei grundsätzlich nationales Recht anzuwenden (vgl Witte, Zollkodex3, Art 213, Rz 3). Die Entscheidung über die Geltendmachung einer Abgabenschuld bei Vorliegen eines Gesamtschuldverhältnisses stellt eine Ermessensentscheidung dar. Eine solche Entscheidung ist gemäß § 20 BAO nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Bei Auslegung des § 20 BAO ist dabei dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" die Bedeutung von Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei und dem Begriff "Zweckmäßigkeit" das öffentliche Interesse insbesondere an der Einbringung der Abgaben beizumessen (vgl zB das hg Erkenntnis vom , Zl 95/16/0082).
Die Vorschreibung an einen der Gesamtschuldner ist jedenfalls dann begründet, wenn die Einhebung beim anderen Gesamtschuldner zumindest mit großen Schwierigkeiten verbunden ist (vgl schon das hg Erkenntnis vom , Zl 84/16/0117). Wenn die Abgabenforderung bei einem der Gesamtschuldner infolge der Eröffnung des Konkursverfahrens uneinbringlich geworden ist, liegt darüber hinaus ein Ermessensspielraum für die Behörde gar nicht mehr vor (vgl die hg Erkenntnisse vom , Zl 90/16/0011, und vom , Zl 89/16/0050).
Die Beschwerdeführerin bringt zunächst vor, dass die Gründe, die die belangte Behörde für ihre Ermessensübung angeführt habe, im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Verfahrens noch gar nicht vorgelegen seien. Das Hauptzollamt habe sich demgegenüber nur auf den Bestand des Gesamtschuldverhältnisses berufen. Damit verkennt die Beschwerdeführerin aber, dass der Berufungssenat gemäß § 85c Abs 3c ZollR DG in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 61/2001 in der Sache selbst zu entscheiden hatte. Er hatte sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung den Fall nach eigener Anschauung zu beurteilen. Daraus folgt, dass für die Entscheidung der belangten Behörde die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung ihrer Entscheidung maßgeblich ist (siehe zB zur insoweit vergleichbaren Bestimmung des § 161 Abs 1 FinStrG die hg Erkenntnisse vom , Zl 94/13/0059, und vom , Zl 2000/14/0109). Da die Rechtsbehelfsbehörde also verpflichtet ist, die im Zeitpunkt der Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides bestehende Sachlage zu würdigen, war im Beschwerdefall die Heranziehung der Beschwerdeführerin zur Abgabenleistung im Hinblick auf die während des Rechtsmittelverfahrens erfolgte Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des weiteren Gesamtschuldners zwingend geboten.
Die Beschwerdeführerin beruft sich weiters auf Artikel 221 ZK und meint, im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides sei die dort vorgesehene dreijährige Verjährungsfrist bereits abgelaufen gewesen. Nach dem damit gemeinten Absatz 3 des Artikels 221 ZK idF der seit , also auch für den Beschwerdefall geltenden Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates (EG) Nr. 2700/2000 darf die Mitteilung des Abgabenbetrages an den Zollschuldner nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld nicht mehr erfolgen. Nach dem zweiten Satz dieser Verordnungsstelle wird diese Frist ab dem Zeitpunkt ausgesetzt, in dem ein Rechtsbehelf gemäß Artikel 243 ZK eingelegt wird, und zwar für die Dauer des Rechtsbehelfs.
Im Beschwerdefall wurde der Beschwerdeführerin die Zollschuld hinsichtlich der 1997 vorgenommenen Einfuhren mit Bescheid des Hauptzollamtes vom , also innerhalb der dreijährigen Verjährungszeit, mitgeteilt. Gegen diesen Bescheid wurde am ein Rechtsbehelf eingebracht. Nach der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Rechtslage (vgl dazu das hg Erkenntnis vom , Zl 2002/16/0076) war damit die Verjährungsfrist bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides ausgesetzt. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin, wonach zwischenzeitig Verjährung eingetreten sei, sind daher ebenfalls unbegründet.
Das weitere, in keiner Weise begründete Vorbringen der Beschwerdeführerin, die angemeldeten Einfuhrpreise wären nicht von den tatsächlichen Einfuhrpreisen abgewichen, stellt ein im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässiges neues Vorbringen dar.
Hingegen ist vom Neuerungsverbot iS des § 41 VwGG im Hinblick auf die Amtswegigkeit des Abgabenverfahrens der erstmals vor dem Verwaltungsgerichtshof erhobene Einwand, es seien Zinsen auch für die Einfuhrumsatzsteuer vorgeschrieben worden, obwohl eine nachträgliche buchmäßige Erfassung der Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 72a ZollR-DG unterblieben ist, nicht umfasst. Mit diesem Einwand ist die Beschwerdeführerin auch inhaltlich im Recht: Wird eine Eingangsabgabenschuld nicht festgesetzt, so sind auch keine Zinsen iS des § 108 Abs 1 ZollR-DG festzusetzen (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 2001/16/0299).
Der angefochtene Bescheid - dessen Spruch im Hinblick auf die im erstinstanzlichen Bescheid vorgenommene Aufteilung in Zollbeträge einerseits und Zinsbeträge andererseits teilbar ist - erweist sich somit insoweit als rechtswidrig, als er die Vorschreibung der Zinsen betrifft. Der Bescheid war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde aber gemäß § 42 Abs 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am