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VwGH vom 21.01.2004, 2002/13/0218

VwGH vom 21.01.2004, 2002/13/0218

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Seidl LL.M., über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. Michael Prager, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 9, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. RV/250 - 10/02, betreffend Haftung nach § 9 Abs. 1 und § 80 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der seinen Familiennamen tragenden Gesellschaft m.b.H. als Haftungspflichtiger gemäß § 9 BAO in Verbindung mit § 80 BAO für Abgabenschuldigkeiten der am in Konkurs verfallenen Gesellschaft im Gesamtausmaß von S 3,322.975,-- herangezogen, wobei die haftungsgegenständlichen Abgaben in einer Beilage zum Haftungsbescheid nach Abgabenart, Zeitraum und Abgabenbetrag aufgelistet wurden. Als jeweils zeitlich jüngster Zeitraum wurde dabei für die Abgabenarten "L", "DB" und "DZ" der Monat September 1995 und für die Abgabenart "U" der Kalendermonat August 1995 angeführt, wobei der für Umsatzsteuer des Kalendermonates August 1995 als haftungsgegenständlich genannte Teilbetrag S 1,958.067,-- ausmacht. Die in einer weiteren Beilage zum Haftungsbescheid gegebene Begründung enthält im Wesentlichen Rechtsausführungen allgemein gehaltener Art. In den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten findet sich ein Schreiben des Finanzamtes vom an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, mit welchem diesem bekannt gegeben wurde, welche Abgaben aus dem unter einem dem Rechtsvertreter übermittelten Haftungsbescheid vom per noch aushafteten. Die in diesem Schreiben gegebene Auflistung der aushaftenden Abgaben weist als jüngste Besteuerungszeiträume für "L", "DB" und "DZ" erneut jeweils September 1995 und für "U" den Kalendermonat August 1995, hier mit einem Abgabenteilbetrag von EUR 98.853,28 bei einem gesamten aushaftenden Abgabenbetrag von EUR 201.664,42 (S 2,774.921,64) auf.

In der gegen den Haftungsbescheid des Finanzamtes vom mit Schriftsatz vom vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für diesen erhobenen Berufung wurde nach Darlegungen zur Rechtzeitigkeit der Berufung und zum Unterbleiben der Gewährung von Parteiengehör vor Bescheiderlassung vorgebracht, dass die vom Beschwerdeführer geführte Gesellschaft bis Sommer 1995 in der Lage gewesen sei, ihre Verpflichtungen gegenüber all ihren Gläubigern ordnungsgemäß zu erfüllen, auch wenn es gelegentlich zu Zahlungsstockungen gekommen sei. Im September 1995 sei in der Befürchtung, dass die Zahlungsstockungen in eine Zahlungsunfähigkeit übergehen könnten, damit begonnen worden, alle eingehenden Gelder auf einem Konto zu sammeln und bis zur Abklärung der Situation vorläufig keinen Gläubiger zu befriedigen. Da im Oktober 1995 keine Besserung der Situation eingetreten sei, habe der Beschwerdeführer innerhalb der gesetzlich angeordneten Frist von 60 Tagen einen Antrag auf Konkurseröffnung gestellt. Nachdem am der Konkurs eröffnet worden sei, habe der Beschwerdeführer der Masseverwalterin der Gesellschaft das Konto, auf dem seit September alle Zahlungen an die Gesellschaft gesammelt worden seien, mit einem Guthabensstand von mehreren Mio. S übergeben. Den Gläubigern habe deshalb eine Konkursquote von 28,30 % ausgeschüttet werden können. Dem bekämpften Haftungsbescheid könne entnommen werden, dass die Haftung des Beschwerdeführers u.a. auch für die Umsatzsteuer für den Kalendermonat August 1995 im Ausmaß von rund 2 Mio. S geltend gemacht werde. Die Umsatzsteuer für den Monat August 1995 sei aber am und damit zu einem Zeitpunkt zur Zahlung fällig geworden, zu dem die Gesellschaft schon längst alle Zahlungen eingestellt gehabt habe, um keine unzulässige Gläubigerbevorzugung vorzunehmen. "Auch für die anderen im Haftungsbescheid angeführten Beträge und Zeiträume" liege keine Pflichtverletzung des Beschwerdeführers vor. Zum Beweis für dieses Vorbringen wurden "vorzulegende Buchhaltungsunterlagen" der Gesellschaft über das Jahr 1995 und der näher bezeichnete "beizuschaffende" Insolvenzakt angeboten.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt die Berufung, welcher es Rechtzeitigkeit ausdrücklich attestierte, mit der Begründung ab, dass dann, wenn Lohnsteuer nicht einbehalten und an das Finanzamt abgeführt werde, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ungeachtet der wirtschaftlichen Schwierigkeiten einer Gesellschaft von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Geschäftsführers auszugehen sei. Diesem falle es nämlich als Verschulden zur Last, wenn er Löhne auszahle, die darauf entfallende Lohnsteuer aber nicht dem Finanzamt entrichte.

In seinem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz führte der Beschwerdeführer aus, dass die Lohnsteuer einerseits "betragsmäßig einen nur ganz geringen Anteil des Haftungsbescheides" ausmache, andererseits aber selbst für diesen Teil eine Haftung wohl nur dort in Frage komme, wo zum Fälligkeitszeitpunkt Lohnsteuer nicht abgeführt worden sei, obwohl sonst noch Zahlungen getätigt worden seien. Eine Haftung für Lohnsteuer, die erst nach der generellen Zahlungseinstellung fällig geworden sei, könne aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgeleitet werden.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers insoweit statt, als die Haftung in Höhe von bisher S 3,322.975,-- (EUR 241.490,01) auf nunmehr S 1,989.618,82 (EUR 144.591,24) eingeschränkt wurde. Diese Reduzierung der haftungsgegenständlichen Abgabenschuld begründete die belangte Behörde mit der vorzunehmenden Berücksichtigung der Berechnung der Quotenzahlung des Masseverwalters. Im Übrigen erweise sich die Berufung des Beschwerdeführers deswegen nicht als begründet, weil ein Geschäftsführer für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann hafte, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung gestanden seien, hiezu nicht ausreichten, sofern er nicht nachweise, dass er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet und die Abgabenschulden daher im Verhältnis nicht schlechter behandelt habe als andere Verbindlichkeiten. Es müsse der Vertreter den Abgabengläubiger zwar nicht bevorzugen, er dürfe ihn aber auch nicht benachteiligen, indem er andere Forderungen voll oder in einem verhältnismäßig höheren Ausmaß befriedige, womit nicht die Höhe der jeweiligen Verbindlichkeit, sondern die verhältnismäßige Befriedigung der Schulden entscheidend sei. Zu den Verbindlichkeiten einer Gesellschaft zählten nicht bloß Bankschulden, Schulden aus Materiallieferungen oder Mietkosten, sondern auch die Lohnforderungen der Angestellten der Gesellschaft. Sowohl aus dem Akteninhalt als auch aus dem Haftungsverfahren ergebe sich zweifellos, dass der Beschwerdeführer in dem in Rede stehenden Zeitraum Löhne ausgezahlt habe. Dieser Umstand beweise aber die schuldhafte und vorsätzliche Verletzung der Verpflichtung, mit den bei Eintritt der Fälligkeit der Abgabenschuldigkeiten noch vorhandenen Mitteln diese zumindest anteilig gleich wie die anderen Schulden der Gesellschaft (hier: Lohnforderungen) zu begleichen. Da der Beschwerdeführer somit entgegen seiner Behauptung das Gleichbehandlungsgebot schuldhaft verletzt habe, hafte er für die betroffenen Abgaben.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich war, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung gemäß § 9 Abs. 1 BAO angenommen werden darf. Der Geschäftsführer haftet für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung gestanden sind, hiezu nicht ausreichten, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschulden im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten (siehe hiezu etwa die hg. Erkenntnisse vom , 97/14/0164, vom , 98/14/0189, vom , 2001/15/0187, und das zur gleich gestalteten Bestimmung des § 7 Abs. 1 WAO ergangene hg. Erkenntnis vom , 96/13/0079, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Wird Lohnsteuer nicht einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, so ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ungeachtet der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschaft von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Geschäftsführers auszugehen. Nach der durch das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , 91/13/0037, 0038, Slg. N.F. Nr. 7038/F, ausdrücklich aufrecht erhaltenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fällt es nämlich einem Vertreter im Sinne des § 80 BAO als Verschulden zur Last, wenn er Löhne auszahlt, aber die darauf entfallende Lohnsteuer nicht an das Finanzamt entrichtet (siehe neben den bereits zitierten hg. Erkenntnissen vom , 97/14/0164, vom , 98/14/0189, und vom , 2001/15/0187, etwa auch das hg. Erkenntnis vom , 2000/15/0227).

Ein Sachvorbringen, welches geeignet gewesen sein könnte, das Fehlen eines Verschuldens des Beschwerdeführers am Unterlassen einer Entrichtung der (auch) haftungsgegenständlichen lohnabhängigen Abgaben darzustellen, hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht erstattet, weshalb eine Rechtswidrigkeit des im Instanzenzug ergangenen Haftungsbescheides insoweit nicht zu erkennen ist. Der Beschwerdeführer hat sich im verwaltungsbehördlichen Berufungsverfahren jenseits einer substanzlos gebliebenen Bestreitung seines Verschuldens am Unterlassen der Entrichtung lohnabhängiger Abgaben der Sache nach auf die Bekämpfung seiner Heranziehung zur Haftung auch für die Umsatzsteuerschuld für den Kalendermonat August 1995 beschränkt und dazu vorgebracht, dass diese Schuld erst zu einem Zeitpunkt zu entrichten gewesen wäre, zu dem die Gesellschaft sämtliche Zahlungen eingestellt habe. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde nicht ausreichend auseinander gesetzt, was ihr der Beschwerdeführer im Ergebnis zu Recht vorwirft.

Soweit der Beschwerdeführer eine Feststellung der belangten Behörde zur Frage vermisst, von welchem Fälligkeitstermin der für den Kalendermonat August 1995 geschuldeten Umsatzsteuervorauszahlung die belangte Behörde ausgeht, war eine solche Feststellung zwar nicht erforderlich, weil sich der Fälligkeitstermin der aus den Umsätzen des Kalendermonates August 1995 geschuldeten Umsatzsteuer ohnehin mit dem vom Beschwerdeführer genannten Termin des unmittelbar aus dem Gesetz (§ 21 Abs. 1 UStG 1994) ergibt. Was die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aber verabsäumt hat, ist eine entsprechend deutliche Feststellung des Inhaltes, ob sie dem Vorbringen des Beschwerdeführers, die Gesellschaft habe im Oktober 1995, als die Umsatzsteuerschuld für den Kalendermonat August 1995 zu entrichten gewesen wäre, sämtliche Zahlungen an alle Gläubiger bereits eingestellt gehabt, Glauben geschenkt hat oder nicht. Die diesbezügliche Feststellung des angefochtenen Bescheides, dass der Beschwerdeführer in dem in Rede stehenden Zeitraum Löhne ausgezahlt habe, lässt es an der ausreichend deutlichen Festlegung der belangten Behörde dahin fehlen, von welchem "in Rede stehenden Zeitraum" sie ausgeht und ob der von ihr gemeinte Zeitraum auch den Monat Oktober 1995 erfassen soll, in welchem die Umsatzsteuerschuld der Gesellschaft für den Kalendermonat August 1995 zu entrichten gewesen wäre. Da die nicht entrichteten lohnabhängigen Abgaben, für welche der Beschwerdeführer zur Haftung herangezogen wurde, sich auf den Kalendermonat Oktober 1995 nicht erstreckten, was sowohl aus der Beilage zum Haftungsbescheid des Finanzamtes vom als auch aus der Mitteilung der noch aushaftenden Abgaben durch das Finanzamt an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers vom hervorgeht, lässt sich eine Widerlegung des Vorbringens des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, im Oktober 1995 habe die Gesellschaft keinerlei Zahlungen - und damit auch keine Zahlungen an Dienstnehmer - mehr geleistet, den Akten des Haftungsverfahrens nicht ohne weiteres entnehmen, sodass dieses Entlastungsvorbringen des Beschwerdeführers einer entsprechenden Widerlegung im angefochtenen Bescheid durch eine deutliche, auf entsprechende Ermittlungsergebnisse gestützte Feststellung bedurft hätte. Der von der belangten Behörde unternommene Versuch, derlei in der Gegenschrift nachzutragen, muss zufolge des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbotes erfolglos bleiben.

Hätte die vom Beschwerdeführer vertretene Gesellschaft, wie der Beschwerdeführer dies im Verwaltungsverfahren behauptet hat, zum Zeitpunkt des Fälligwerdens der Umsatzsteuervorauszahlung für den Kalendermonat August 1995 im Oktober 1995 keinerlei Zahlungen mehr an jedweden Gläubiger - und damit auch keine Gehaltszahlungen mehr - geleistet, dann könnte die Heranziehung des Beschwerdeführers zur Haftung auch für die Umsatzsteuerschuld der Gesellschaft aus ihren Umsätzen des Kalendermonates August 1995 auf den dem Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid gemachten Vorwurf einer Verletzung des Gebotes der Gleichbehandlung des Abgabengläubigers im Verhältnis zu anderen Gläubigern nicht erfolgreich gestützt werden.

Durch die unzureichende Auseinandersetzung mit dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers in Verbindung mit der unzulänglichen Gestaltung des im angefochtenen Bescheid festgestellten Sachverhaltes hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung die Erlassung eines im Spruche anders lautenden Bescheides nicht ausgeschlossen werden kann, sodass der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG abzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 333/2003.

Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung hat der Gerichtshof aus dem im § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG angeführten Grund Abstand genommen.

Wien, am