VwGH vom 24.10.1995, 93/14/0051
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie die Hofräte Dr. Karger und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Traudtner, über die Beschwerde der W in K, vertreten durch die bestellte Sachwalterin I, diese vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Kärnten vom , 177/2-3/90, betreffend Gewährung von Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von 12.500 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die am geborene, geistig behinderte Beschwerdeführerin beantragte am die Familienbeihilfe rückwirkend ab .
Strittig ist, ob die Beschwerdeführerin einen Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs 2 lit d iVm Abs 5 FLAG hat.
Die belangte Behörde versagte der Beschwerdeführerin die Familienbeihilfe im wesentlichen mit der Begründung, nach dem Wortlaut des § 6 Abs 5 FLAG sei für die Gewährung der Familienbeihilfe das Bestehen einer von den Eltern nicht erfüllten Unterhaltspflicht Voraussetzung. Gemäß § 140 Abs 1 ABGB seien Eltern verpflichtet, zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Aus dieser Bestimmung sei abzuleiten, daß mittellose Eltern nicht verpflichtet seien, ihren Kindern Unterhalt zu leisten. Da der Vater der Beschwerdeführerin bereits verstorben sei, könne ihr lediglich ihre Mutter Unterhalt leisten. Diese habe jedoch kein eigenes Einkommen. Aus diesem Grund bestehe für die Mutter überhaupt keine Unterhaltspflicht iSd § 140 Abs 1 ABGB gegenüber der Beschwerdeführerin. Fraglich erscheine auch, ob die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen für die Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs 1 lit c (richtig wohl: § 6 Abs 2 lit d) FLAG vorlägen. Die Beschwerdeführerin sei nämlich nach dem Besuch der Volks- und Sonderschule bei Pflegeeltern untergebracht und zum Teil in der Landwirtschaft beschäftigt gewesen. Erst im Alter von 23 Jahren sei sie wegen Geistesschwäche beschränkt entmündigt worden und erstmals stationär in die Psychiatrische Abteilung eines Landeskrankenhauses aufgenommen worden. Für eine Eingliederung in das Erwerbsleben sprächen neben der Beschäftigung in der Landwirtschaft der Pflegeeltern auch gelegentliche Arbeiten in der Gärtnerei eines Landeskrankenhauses sowie Teilzeitbeschäftigungen als Küchengehilfin und als Hilfskraft im Rahmen eines Arbeitsversuches des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Daher erscheine es nicht ausgeschlossen, daß die Beschwerdeführerin bei entsprechender Anleitung und Ausbildung (zB geschützter Arbeitsplatz) einem Erwerb nachgehen könne bzw habe nachgehen können. Die Selbsterhaltungsfähigkeit der Beschwerdeführerin sei auch in dem von ihr vorgelegten ärztlichen Zeugnis nicht verneint worden. Abgesehen davon sei die Beschwerdeführerin im Streitzeitraum in der Lage gewesen, ihren notwendigen Lebensunterhalt entweder durch Leistungen des Amtes einer Landesregierung, der Gebietskrankenkasse und des Arbeitsamtes oder aus Mitteln der Sozialhilfe sowie durch eine Waisenpension mit Ausgleichszulage zu bestreiten.
Demgegenüber vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, die belangte Behörde habe den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weil es für die Anwendbarkeit des § 6 Abs 5 FLAG unerheblich sei, aus welchen Gründen ihre Mutter der Unterhaltspflicht iSd § 140 Abs 1 ABGB nicht nachkomme. Die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs 2 lit d FLAG seien erfüllt, weil sie seit ihrer Geburt geistig behindert und deshalb dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Sie befinde sich auch nicht in Anstaltspflege. Ihre bisherigen Aufenthalte in Anstalten seien bloß vorübergehend gewesen. Da sie erheblich behindert iSd § 8 Abs 5 FLAG sei, erhöhe sich der zulässige Höchstbetrag für eigene Einkünfte gemäß § 6 Abs 3 zweiter Satz FLAG. Die belangte Behörde habe überdies Verfahrensvorschriften verletzt, weil der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu entnehmen sei, ob sie die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs 2 lit d FLAG als gegeben ansehe. Nehme die belangte Behörde an, die Voraussetzungen lägen nicht vor, so habe sie ebenfalls Verfahrensvorschriften verletzt, weil sie diesbezüglich keine Ermittlungen vorgenommen habe. Im Verwaltungsverfahren seien die allgemeinen Anspruchsvorausetzungen nach § 6 Abs 2 lit d FLAG von der belangten Behörde nicht in Frage gestellt worden.
Gegen diesen im Spruch des Erkenntnisses genannten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 6 Abs 5 FLAG haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs 1 bis 3).
Gemäß § 6 Abs 2 lit d FLAG haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.
Mit ihren Ausführungen zum Vorliegen einer Unterhaltsverpflichtung nach § 140 Abs 1 ABGB als Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendbarkeit des § 6 Abs 5 FLAG hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt. § 6 Abs 5 FLAG bezweckt - bei Vorliegen der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des § 6 Abs 1 bzw Abs 2 FLAG - die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten, mit Vollwaisen, für die niemand unterhaltspflichtig ist und die deshalb einen eigenen Anspruch auf Familienbeihilfe haben.
Wie das Finanzamt in seiner Berufungsvorentscheidung zutreffend ausgeführt hat, will der Gesetzgeber mit der betreffenden Bestimmung in jenen Fällen Härten vermeiden, in denen Kinder sich weitgehend selbst erhalten müssen. Somit ist § 6 Abs 5 FLAG auch dann anwendbar, wenn Eltern ihrer Unterhaltspflicht aus welchen Gründen immer, nicht nachkommen.
Die Begründung der belangten Behörde ist somit in diesem Punkt inhaltlich rechtswidrig. Damit ist aber das Schicksal des angefochtenen Bescheides bereits entschieden.
Die weiteren Ausführungen der belangten Behörde können die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht tragen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muß die Begründung eines Bescheides erkennen lassen, welchen Sachverhalt die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat und aus welchen Erwägungen sie zur Ansicht gelangt ist, daß dieser Sachverhalt vorliegt und dem Tatbestand der angewendeten Norm entspricht (vgl die Erkenntnisse vom , 91/13/0222, 0203 und 92/13/0051). Da die belangte Behörde Behörde in ihrer Begründung von der Annahme ausgegangen ist, die Beschwerdeführerin habe keinen Anspruch auf Familienbeihilfe, weil sie den Tatbestand des § 6 Abs 5 FLAG nicht erfülle, hat sie es unterlassen, ausreichende Feststellungen hinsichtlich der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des § 6 Abs 2 lit d FLAG zu treffen. Damit entzieht sich jedoch die weitere Begründung des angefochtenen Bescheides der Schlüssigkeitsprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof. Dieser Begründungsmangel führt hinsichtlich der weiteren Ausführungen der belangten Behörde zu einer wesentlichen Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs 2 Z 2 lit b und c VwGG.
Wegen der dargestellten, den verwaltungsbehördlichen Abspruch bestimmenden Verkennung der nach § 6 Abs 5 FLAG gegebenen Rechtslage war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr 416/1994.