zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 15.07.1998, 93/13/0269

VwGH vom 15.07.1998, 93/13/0269

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

93/13/0270

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und Senatspräsident Dr. Pokorny sowie die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde der T-Gesellschaft m.b.H. in Wien, vertreten durch Dr. Alfred Mohr, Rechtsanwalt in Wien XIII, Hietzinger Hauptstraße 3, gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland

1. (Berufungssenat III) vom , Zl. 6/2-2279/92-10, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer für das Jahr 1976) und

2. vom , Zl. 6/2-2279/1/92-10, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (Haftung für Kapitalertragsteuer für das Jahr 1976), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführende GmbH vermittelte im Jahr 1976 ein Geschäft zwischen einem saudi-arabischen Auftraggeber und einer österreichischen OHG. Die Beschwerdeführerin erhielt für diese Vermittlungsleistung eine Provision von S 500.000,--. Die Bezahlung des Entgeltes für die vermittelte Leistung selbst (rund 2,800.000 Saudi Rials) erfolgte Ende 1976 mittels Schecks. Bei der Einlösung des Schecks durch die OHG kam es zu Schwierigkeiten, die dazu führten, daß die OHG den Scheck an die Beschwerdeführerin weiterleitete. Der Gesellschafter-Geschäftsführer der Beschwerdeführerin H.R. (an der Beschwerdeführerin zu 100 % beteiligt) ersuchte seinen Sohn E.R., der über gute Bankverbindungen verfügte, die Einlösung des Schecks zu betreiben. Der schließlich tatsächlich eingelöste Betrag von ca. S 13 Mio wurde auf einem von H.R. bezeichneten Sparbuch "garagiert" und Anfang 1977 zum überwiegenden Teil an die OHG weitergeleitet.

Im Gefolge umfangreicher abgabenbehördlicher und finanzstrafrechtlicher Erhebungen kam es zu einer Selbstanzeige des E.R. Darin erklärte dieser, den nicht an die OHG weitergeleiteten Teilbetrag aus dem von der Beschwerdeführerin vermittelten Geschäft (ca. S 3 Mio) für sich behalten zu haben.

Die Abgabenbehörde erfaßte daraufhin den genannten Teilbetrag als zusätzliches Einkommen bei der Einkommensteuerveranlagung des E.R.; der betreffende Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Dessen ungeachtet wurde der strittige Betrag in der Folge (auch) der Beschwerdeführerin und - als verdeckte Gewinnausschüttung - dem H.R. zugerechnet, dessen Eigentum an dem oben genannten zwischenzeitig aufgelösten Sparbuch als erwiesen angenommen wurde. Gegen H.R. wurde auch ein gerichtliches Finanzstrafverfahren wegen des Verdachtes der Abgabenhinterziehung eingeleitet.

Schließlich erging im Instanzenzug ein Bescheid vom an die Beschwerdeführerin, in dem dieser u.a. der strittige Betrag zugerechnet wurde. Eine dagegen erhobene Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde führte zur (teilweisen) Aufhebung des Bescheides mit Erkenntnis vom , 89/13/0262 u.a. Bezüglich des näheren Sachverhaltes wird auf dieses Erkenntnis verwiesen. Die Aufhebung erfolgte im wesentlichen deswegen, weil die damalige belangte Behörde die als Zeugen beantragten Personen E.R. und L.P. nicht als solche einvernommen und damit Verfahrensvorschriften verletzt hatte (L.P. war in einer späteren Phase des Verfahrens als jene Person namhaft gemacht worden, der laut Vorbringen der Beschwerdeführerin das oben erwähnte Sparbuch zuzurechnen gewesen sei).

Im fortgesetzten Verfahren ging die Abgabenbehörde abermals davon aus, daß das Sparbuch dem H.R. zuzurechnen war, und daß der auf diesem Konto verbliebene Teilbetrag des vom saudi-arabischen Vertragspartner per Scheck bezahlten Entgeltes zunächst der Beschwerdeführerin und in weiterer Folge als verdeckte Gewinnausschüttung dem H.R. zugeflossen sei. Zur Einvernahme der Zeugen E.R. und L.P. kam es (wiederum) nicht, weil diese vom Vertreter der Beschwerdeführerin nicht stellig gemacht worden waren.

Gegen die neuerlich erlassene Berufungsentscheidung vom erhob die Beschwerdeführerin abermals Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, die jedoch mit Erkenntnis vom , 91/13/0043, 0044, als unbegründet abgewiesen wurde. Der Gerichtshof brachte dabei zum Ausdruck, daß der Beschwerdeführerin Verschleppungsabsicht anzulasten sei. Sie habe keine stichhaltigen Gründe dafür vorgebracht, die sie daran gehindert hätten, ihre Zeugen E.R. und L.P. stellig zu machen.

Mit zwei Anträgen vom 6. Mai und vom begehrte die Beschwerdeführerin die Wiederaufnahme des Verfahrens. In diesen Anträgen wird zwar das wiederaufzunehmende Verfahren nicht bezeichnet; aus dem Inhalt der beiden Anträge ist jedoch zu erschließen, daß es sich um die Berufungsverfahren betreffend Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer sowie Haftung für Kapitalertragsteuer für das Jahr 1976 handelt. Im ersten Antrag wurde als Wiederaufnahmsgrund geltend gemacht, daß das Finanzstrafverfahren gegen H.R. mit einem Freispruch geendet habe (Freispruch im Zweifel gemäß § 259 Z. 3 StPO). Daraus sei zu folgern, daß die in der Selbstanzeige des E.R. gemachten Angaben der Wahrheit entsprächen und die strittigen Einkünfte diesem und nicht der Beschwerdeführerin bzw. H.R. zuzurechnen seien.

Im zweiten Antrag wurde darauf hingewiesen, daß zwischenzeitig der Berufungssenat VII einer Berufung des H.R. stattgegeben und ihm die strittigen Einkünfte mit der Begründung nicht zugerechnet habe, daß diese dem E.R. zugeflossen seien.

Mit dem erstangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die beiden Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 1976 ab. Mit dem zweitangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die beiden Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Haftung für Kapitalertragsteuer 1976 ab.

Die Beschwerdeführerin hat gegen beide Bescheide zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der deren Behandlung jedoch abgelehnt und die Beschwerden mit Beschluß vom , B 356, 357/93, an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetreten hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin macht als Wiederaufnahmsgründe jene des § 303 Abs. 1 lit. b und c BAO geltend. Danach ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten (lit. b), oder der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Die Beschwerdeführerin vertritt zunächst die Auffassung, daß es rechtswidrig sei, ein und denselben abgabenrechtlich relevanten Sachverhalt zwei verschiedenen Abgabepflichtigen zuzurechnen. Da dem E.R. bereits rechtskräftig Einkommensteuer für die strittigen Einkünfte vorgeschrieben worden sei, könnten dieselben Einkünfte nicht auch der Beschwerdeführerin (und weiters im Wege einer verdeckten Gewinnausschüttung dem H.R.) zugerechnet werden.

Diesem Vorbringen der Beschwerdeführerin kann nicht gefolgt werden. Ein rechtskräftiger Abgabenbescheid, mit dem gegen ein Steuersubjekt ein bestimmter Abgabenanspruch geltend gemacht wurde, steht einer Geltendmachung eines auf derselben Tatbestandsverwirklichung beruhenden Abgabenanspruches gegen ein anderes Steuersubjekt nicht entgegen. Dies gilt unabhängig davon, ob die beiden, einander widersprechenden Bescheide von derselben Abgabenbehörde oder von verschiedenen Abgabenbehörden erlassen werden. Andernfalls hätten es die Abgabepflichtigen in der Hand, durch bewußt unrichtige Abgabenerklärungen den jeweils verwirklichten abgabenrechtlich relevanten Sachverhalt jener Person zuzurechnen, bei der mit der geringsten Abgabenbelastung zu rechnen wäre (z.B. infolge ausgleichsfähiger Verluste, oder einer auf andere Gründe zurückzuführenden geringeren Steuerprogression). Insbesondere könnte auch unter nahen Angehörigen ein sogenannter Splittingeffekt erzielt werden, in dem das richtigerweise von einer Person erzielte Einkommen willkürlich auf mehrere Personen verteilt würde. Die Erlassung eines Abgabenbescheides an ein zu Unrecht herangezogenes Steuersubjekt hindert daher nicht die Geltendmachung des durch eine andere Einkünftezurechnung verwirklichten Abgabenanspruches gegen ein anderes Steuersubjekt in einem anderen Abgabenverfahren. Im übrigen verweist der Gerichtshof diesbezüglich auf die Ausführungen im bereits zitierten Vorerkenntnis vom (Seite 9).

Das Vorliegen zweier einander sachverhaltsbezogen widersprechender Bescheide könnte nur dann zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens führen, wenn im Zusammenhang mit der Erlassung des späteren Bescheides neue Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen wären, deren Kenntnis dazu geführt hätte, daß der früher erlassene Bescheid im Spruch anders gelautet hätte. Eine unterschiedliche Beweiswürdigung, die zu einer vom früher erlassenen Bescheid abweichenden Sachverhaltsfeststellung führt oder eine andere rechtliche Beurteilung stellen hingegen keine Wiederaufnahmsgründe betreffend das vorangegangene Verfahren dar.

Im Beschwerdefall war von Beginn an strittig, ob der Selbstanzeige des E.R. Glauben zu schenken und ihm der "Mehrertrag" aus dem Saudiarabien-Geschäft zuzurechnen war oder ob die Aktivitäten der Beschwerdeführerin bzw. ihres Gesellschafter-Geschäftsführers H.R. in Verbindung mit der Geldtransaktion über das Sparbuch die (gegenteilige) Beweiswürdigung zuließen, daß der "Mehrertrag" der Beschwerdeführerin und in der Folge als verdeckte Gewinnausschüttung dem H.R. zugekommen war. Die von der Beschwerdeführerin für ihre Darstellung des Geschehens angebotenen Zeugen und das zu klärende Beweisthema waren in den beschwerdegegenständlichen Verfahren, deren Wiederaufnahme begehrt wird, sowohl der Beschwerdeführerin als auch den Abgabenbehörden bekannt. Daß E.R. erst im Berufungsverfahren betreffend Einkommensteuer des H.R. als Zeuge vernommen wurde und daß dieses Beweismittel letztlich zu einer anderen Sachverhaltsfeststellung führte als jene, die dem Abgabenverfahren betreffend die Beschwerdeführerin zugrunde gelegt worden war, stellt keinen Wiederaufnahmsgrund dar, weil es sich dabei um kein neu hervorgekommenes Beweismittel handelt. Daß dieses im vorangegangenen Verfahren nicht erhoben wurde, könnte lediglich einen Mangel des damaligen Verfahrens darstellen; im übrigen hat aber der Gerichtshof in dem oben zitierten Erkenntnis vom ausgesprochen, daß ein derartiger Mangel nicht vorlag.

Auch das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, mit dem H.R. von der gegen ihn erhobenen Anklage, eine Abgabenhinterziehung begangen zu haben, freigesprochen wurde, stellt keine neue Tatsache oder ein neu hervorgekommenes Beweismittel dar. Dieser Freispruch basierte nämlich nicht auf Tatsachen oder Beweismitteln, die aus der Sicht des Abgabenverfahrens neu hervorgekommen wären, sondern auf einer zu einem anderen Ergebnis gelangenden Beweiswürdigung. Verdeutlicht wird dies durch die Entscheidungsgründe des Urteils, in denen es wörtlich heißt:

"Es konnte daher nicht mit der für ein Strafverfahren nötigen Sicherheit festgestellt werden, daß tatsächlich dem Angeklagten dieser Mehrerlös zugekommen ist und er dadurch unrichtige (zu niedrige) Steuererklärungen für das Jahr 1976 einreichte. Der Angeklagte war daher im Zweifel gegen den wider ihn erhobenen Vorwurf gemäß § 259 Z. 3 StPO freizusprechen."

Schließlich erblickt die Beschwerdeführerin im vorgenannten Urteil einen Wiederaufnahmsgrund gemäß § 303 Abs. 1 lit. c BAO, weil mit diesem Urteil das hiefür zuständige Gericht die Vorfrage, wem der strittige "Mehrertrag" zugekommen sei, anders entschieden habe.

Damit verkennt die Beschwerdeführerin den Begriff der "Vorfrage". Die Frage, welchem Steuersubjekt ein bestimmter verwirklichter Abgabentatbestand zuzurechnen ist, stellt im Abgabenverfahren stets eine Hauptfrage und keine Vorfrage dar. Schon aus diesem Grund und nicht nur etwa deswegen, weil die Verurteilung wegen erwiesener Abgabenhinterziehung höhere Anforderungen an die Beweislage stellt als ein bloßes Abgabenverfahren und die zusätzliche Klärung der Verschuldensfrage erforderlich macht, geht das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerin ins Leere.

Die Beschwerde erweist sich sohin zur Gänze als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen, wobei von der Durchführung der beantragten Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden konnte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.