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VwGH vom 19.10.2005, 2002/08/0273

VwGH vom 19.10.2005, 2002/08/0273

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 27, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 15-II-Q 1/2002, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Beschwerdeführer als Dienstgeber im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG, für "unbekannte Aushilfen" in den Kalenderjahren 1995 bis 1997 Beiträge und Umlagen in Gesamthöhe von EUR 8.480,49 zu entrichten. In der Begründung wurde dazu ausgeführt, das Finanzamt habe mit Schreiben vom mitgeteilt, dass auf Grund einer Lohnsteuerprüfung festgestellt worden sei, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1995 bis 1997 Lohnzahlungen an Dienstnehmer nicht in der Buchhaltung erfasst habe. Es seien Bezüge für Dienstnehmer, für die keine Lohnsteuer einbehalten, keine Lohnzettel ausgestellt und die nicht zur Sozialversicherung gemeldet worden seien, in der Höhe von S 280.700,-- festgestellt worden. Auf Grund einer Beitragsprüfung sei die Beitragsgrundlage für das Jahr 1995 mit S 78.462,--, für das Jahr 1996 mit S 109.801,-- und für 1997 mit S 92.440,-- festzustellen gewesen.

Der Beschwerdeführer habe es unterlassen, eine erhebliche Anzahl von Dienstnehmern zur Pflichtversicherung zu melden. Obwohl er dazu verpflichtet gewesen sei, habe er es verabsäumt, die für die Durchführung der Versicherung erforderlichen Personaldaten festzuhalten. Dessen ungeachtet seien diese Dienstnehmer während der Zeit ihrer Beschäftigung beim Beschwerdeführer der Pflichtversicherung unterlegen. Die Versicherung trete unabhängig vom Willen der Beteiligten ein. Ebenso verhalte es sich mit der Verpflichtung zur Entrichtung der Beiträge. Im Sinne des § 42 Abs. 3 ASVG sei der Versicherungsträger berechtigt, wenn die zur Verfügung stehenden Unterlagen für die Beurteilung der maßgeblichen Umstände nicht ausreichen, diese Umstände auf Grund anderer Ermittlungen festzustellen. Deshalb habe die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die Höhe der allgemeinen Beitragsgrundlagen sowie die daraus nachzuverrechnenden Beiträge an Hand des vom Finanzamt übersandten Schreibens ermittelt.

Der Beschwerdeführer erhob Einspruch. Darin führte er aus, anlässlich einer Lohnsteuerprüfung sei ihm zur Last gelegt worden, dass er in den Jahren 1995 bis 1997 angeblich Lohnzahlungen an Dienstnehmer nicht in der Buchhaltung erfasst habe. Dieser Vorwurf treffe nicht zu. Er habe es damals auf Grund mangelhafter Beratung durch seine damalige Steuerberatungskanzlei unterlassen, die Lohnsteuervorschreibung rechtlich zu bekämpfen.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe ihrer Beitragsnachforderung Beitragsgrundlagen zu Grunde gelegt, die sie auf Grund einer nicht nachvollziehbaren Schätzung ermittelt habe. Hätte sie ihrem Bescheid ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren - etwa durch Vernehmung des Beschwerdeführers - zu Grunde gelegt, wäre sie zu einem anderen Ergebnis gekommen. Er habe im genannten Zeitraum drei zur Sozialversicherung gemeldete Taxilenker beschäftigt; auch er sei als Taxilenker tätig gewesen. Während des Streitzeitraumes hätten sich zwei Personen um eine Beschäftigung als Taxilenker bei ihm beworben. Jede dieser Personen habe bereits nach kurzer Tätigkeit einen Unfall verschuldet; es sei daher mit diesen Personen zu keinem Beschäftigungsverhältnis gekommen. Auf Grund dieser schlechten Erfahrungen habe der Beschwerdeführer auf weitere Aushilfen verzichtet. Da nicht bekannt sei, ob bzw. welche Personen von ihm beschäftigt worden seien, könne von keinem Versicherungsverhältnis ausgegangen werden. Liege kein Versicherungsverhältnis vor, bestehe auch keine Beitragspflicht.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch als unbegründet ab. In der Begründung stellte sie zunächst das Verwaltungsgeschehen dar. Im Erwägungsteil führte sie aus, dass der Prüfer des Finanzamtes als Zeuge vernommen worden sei. Dieser habe Folgendes angegeben:

"Auf Grund der von der Firma vorgelegten Unterlagen (Buchhaltungsunterlagen, Losungsaufzeichnungen, Ein- und Ausgabebuch für das Beförderungsgewerbe und Bankkonto) ist mir zur Kenntnis gelangt, dass offensichtlich bei den Tachoständen der Fahrzeuge Manipulationen vorgenommen worden sind, weil z.B. der Kilometerstand am höher als am war; außerdem war auffällig, dass der Tagesumsatz eines Fahrzeuges öfter als üblich den selben Betrag aufwies. Außerdem hat (der Beschwerdeführer) über die Abrechnungsmodalitäten bei den Fahrern verschiedene Angaben gemacht.

Aus all diesen Gründen gelangte ich zu der Auffassung, dass die vorliegenden Unterlagen nicht ordnungsgemäß im Sinne der BAO waren und daher eine Schätzungsbefugnis gemäß § 184 BAO gegeben war. Ich habe daraufhin mitgeteilt, dass ich die Schätzung anhand der durchschnittlichen jährlichen Kilometerleistung der Fahrzeuge vornehmen werde. Um eine Vergleichszahl zu haben, hat der Steuerberater bei jemanden angefragt, der mitgeteilt hat, dass die durchschnittliche Kilometerleistung eines Fahrzeuges im Taxigewerbe ca. 35.000 km pro Jahr beträgt. Da zwei Autos nur teilweise zum Einsatz gekommen sind, wurde von einer durchschnittlichen Kilometerleistung für den gesamten Fuhrpark im Jahr 1995 von 80.000 km und im Jahr 1996 bzw. 1997 von 100.000 km ausgegangen. Auf Grund dieser Kilometerleistung habe ich einen geschätzten Umsatz ermittelt. Diesen Umsatz habe ich den (vom Beschwerdeführer) erklärten Umsatz gegenübergestellt. Ich bin davon ausgegangen, dass der erhöhte Umsatz auch einen erhöhten Sach- und Personalaufwand zur Folge hat. Im Zuge der Besprechungen mit der Firma bzw. deren Steuerberater ist angegeben worden, dass 50 % des zugeschätzten Umsatzes (vom Beschwerdeführer) getätigt wurde. Der Rest musste anderen Personen zugerechnet werden. Ich habe auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen einen zusätzlichen Aufwand für Treibstoff und Personal ermittelt. Auf Grund meines Berichtes ist eine Lohnsteuerprüfung erfolgt, die meine Feststellungen übernommen hat. Die Wiener Gebietskrankenkasse wurde vom Ergebnis der Lohnsteuerprüfung in Kenntnis gesetzt und hat auf Grund dieser Feststellungen Sozialversicherungsbeiträge für unbekannte Aushilfen vorgeschrieben."

Anschließend führte die belangte Behörde aus, auf Grund der durchaus glaubwürdigen Angaben des Steuerprüfers sowie der Ergebnisse der Betriebsprüfung des Finanzamtes, insbesondere der Feststellungen über Mängel bei den Aufzeichnungen des Dienstgebers über Manipulationen bei den Tachoständen, dem Vorhandensein von "Mehrfachlosungen" etc., gelange sie zur Auffassung, dass die Schätzung des Umsatzes bzw. des erhöhten Sach- und Personalaufwandes durch die Steuerbehörden gesetzeskonform gewesen sei und daher als Basis für die Vorschreibung von Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen werden könne. Zu den Ausführungen des Beschwerdeführers, der angefochtene Bescheid sei mangelhaft, weil die Kasse ihre Beitragsnachforderung für den Streitzeitraum nicht genau spezifiziert und insbesondere nicht angegeben habe, für welche Dienstnehmer und für welche Zeiten die Nachverrechnung erfolgt sei, sei zu bemerken, dass gemäß § 42 Abs. 3 ASVG der Versicherungsträger, wenn die zur Verfügung stehenden Unterlagen für die Beurteilung der für das Versicherungsverhältnis maßgeblichen Umstände nicht ausreichen, berechtigt sei, diese Umstände auf Grund anderer Ermittlungen oder unter Heranziehung von Daten anderer Versicherungsverhältnisse bei demselben Dienstgeber sowie von Daten gleichartiger oder ähnlicher Betriebe festzustellen. Im vorliegenden Fall seien durchaus die Voraussetzungen des § 42 Abs. 3 ASVG gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 44 Abs. 1 ASVG ist Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge für Pflichtversicherte der im Beitragszeitraum gebührende Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2 ASVG. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinne gilt bei pflichtversicherten Dienstnehmern (und Lehrlingen) das Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1, 3, 4 und 6. Gemäß § 49 Abs. 1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienst(lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.

Schon auf Grund dieser dargestellten Rechtslage ergibt sich, dass die Frage der Versicherungspflicht im Verfahren betreffend die Beitragspflicht Vorfrage ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 9.689, und das Erkenntnis vom , Slg. Nr. 13.399/A). Gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG sind in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung auf Grund dieses Bundesgesetzes die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet. Nach § 4 Abs. 2 leg. cit. (in der hier noch anzuwendenden Fassung vor Änderung durch die 54. ASVG-Novelle, BGBl. I Nr. 139/1997) ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.

Unter einem "Beschäftigungsverhältnis" ist das dienstliche "Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit" des "Dienstnehmers" im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG zu dem "Dienstgeber" im Sinne des § 35 Abs. 1 erster Satz ASVG zu verstehen. Feststellungen über die Versicherungspflicht sind daher immer in Bezug auf bestimmte Dienstgeber und bestimmte Dienstnehmer zu treffen ( vgl. das hg. Erkenntnis vom , 99/08/0081).

Das ASVG kennt Sanktionen für den Fall, dass ein Dienstgeber Auskünfte über die bei ihm beschäftigten Dienstnehmer nicht erteilt oder Meldepflichten verletzt hat (vgl. § 111 ASVG). Die Anwendung dieser Sanktionen setzt nicht voraus, dass die Versicherungspflicht bestimmter Personen festgestellt wurde, sofern in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festgestellt wurde, dass meldepflichtige Tatbestände vorlagen.

§ 42 Abs. 3 ASVG setzt für eine Schätzung hingegen voraus, dass feststeht, dass eine konkrete Person als Dienstnehmer (oder in einer anderen, die Versicherungspflicht begründenden Weise) für den Dienstgeber (Auftraggeber) tätig gewesen ist und in Bezug auf diese Person die zur Beurteilung des Versicherungsverhältnisses erforderlichen Daten unvollständig sind oder fehlen. Das Gesetz ermächtigt nach seinem Wortlaut die Behörde aber nicht, nicht näher feststellbare Beschäftigungsverhältnisse unbekannter Personen durch die Schätzung von deren Zahl und einer Lohnsumme zu substituieren und auf Grund dieser Lohnsumme eine Beitragsnachverrechnung unter der Annahme eines durchgehenden Beschäftigungsverhältnisses vorzunehmen. Es wäre im Übrigen verfassungsrechtlich bedenklich, auf diese Weise zu virtuellen "Pflichtversicherungen" zu gelangen, die keiner versicherten Person zugeordnet werden können und daher auch nicht die Leistungsberechtigung dieser (unbekannten) Personen zu begründen vermöchten (vgl. zur Verfassungswidrigkeit einer Regelung, die eine Beitragspflicht unabhängig von einem Beschäftigungsverhältnis ermöglicht, und zu den Unterschieden zu einer abgabenrechtlichen Regelung die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 16.474/2002 und vom , B 514/04). Soweit der Versicherungsträger nicht in der Lage ist, Beitragsverpflichtungen einem konkreten Beschäftigungsverhältnis zuzuordnen, kann dieses auch im Schätzungswege nicht substituiert werden. Soweit daher die belangte Behörde auf der Grundlage der Ergebnisse der steuerlichen Prüfung ohne eine solche Zuordnung auf Grund einer angenommenen Lohnsumme fiktive Beiträge im Schätzungswege vorgeschrieben hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am