VwGH vom 15.12.1993, 93/13/0055
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. D, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz, Berufungssenat I, vom , GZ. 10-53/6/93, BS I-1/93, betreffend Bestrafung wegen Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zu dem dem Streitfall zugrunde liegenden Sachverhalt wird auf das Vorerkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 92/13/0179, verwiesen. In diesem Erkenntnis hat der Gerichtshof unter Berufung auf die Entscheidung eines verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes vom , 14 Os 127/90-17, EvBl 1992/26, JBl 1992, 656, die Auffassung vertreten, daß das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG, wenn in der Folge mit Beziehung auf den gleichen Betrag und denselben Steuerzeitraum auch das Finanzvergehen nach § 33 Abs. 1 FinStrG versucht wird, von letzterem konsumiert werde. Dies gelte auch für solche Fälle, in denen sowohl die Abgabenverkürzung nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG als auch die nach § 33 Abs. 1 FinStrG durch Unterlassung der Einbringung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen bzw. der (Jahres-)Umsatzsteuererklärungen bewirkt bzw. zu bewirken versucht werden. Die Strafbarkeit im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG sei jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn der Strafbarkeit infolge der nachfolgenden Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG wegen des gleichen Umsatzsteuerbetrages für denselben Zeitraum kein Hindernis entgegensteht, sodaß die Tathandlung im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG als eine - durch die Ahndung nach § 33 Abs. 1 FinStrG - nachbestrafte Vortat zu betrachten ist.
Im fortgesetzten Verfahren gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Berufungsverhandlung als Beschuldigter an, ihm sei klar gewesen, daß das Finanzamt eine Schätzung durchführen werde. Die Schätzung des Finanzamtes sei zu hoch gewesen.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Ersatzbescheid wurde der Berufung teilweise Folge gegeben: Hinsichtlich der Tatzeiträume Jänner 1981 bis Dezember 1982 wurde das Finanzstrafverfahren eingestellt; hinsichtlich der Jahre 1983 bis 1987 wurde der Beschwerdeführer des Finanzvergehens im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG für schuldig erkannt; jedoch wurde der strafbestimmende Wertbetrag von zusammen S 521.500,-- "um je 40 %" auf S 312.900,-- herabgesetzt und über den Beschuldigten eine Geldstrafe von S 90.000,-- verhängt.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides wurde - abgesehen von einer Auseinandersetzung mit der dargestellten Auffassung der Höchstgerichte - ausgeführt, es habe für den Beschuldigten keinerlei Aussicht bestanden, durch Unterlassung der Einreichung von Steuererklärungen einer steuerlichen Erfassung und einer Festsetzung der Jahressteuer "im Schätzungswege zu entgehen", sodaß "sich selbst bei einem auf Hinterziehung gerichteten Vorsatz, für den neuerlich keinerlei Indizien vorhanden sind, ein solches Verhalten als absolut untauglicher Versuch darstellen müßte". Tatsächlich hätten auch die Abgabenbehörden "von ihrem Recht, die Abgaben im Schätzungswege festzusetzen, Gebrauch gemacht, worauf es der Beschuldigte, wie er bei der Berufungsverhandlung ausdrücklich einräumte, ankommen ließ."
Im übrigen sei, wie von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid fortgesetzt wurde, die Berufung nur insoweit berechtigt, als die "Schätzungsbescheide" einen "Sicherheitskoeffizienten" enthielten. Hingegen werde vom Beschwerdeführer zu Unrecht die Auffassung vertreten, daß die von ausländischen Auftraggebern bezogenen Provisionen nicht der Umsatzsteuer unterlegen seien. Es sei aber durchaus möglich, daß seine Betriebsausgaben zu gering berücksichtigt worden seien. Um eine Benachteiligung des Beschwerdeführers auf jeden Fall zu vermeiden, habe sich die belangte Behörde daher entschlossen, das Schätzungsergebnis um 40 % zu kürzen.
In der Beschwerde gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Beschwerde gemäß Art. 131 B-VG stattgegeben hat, so sind die Verwaltungsbehörden gemäß § 63 Abs. 1 VwGG verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Hat sich der Verwaltungsgerichtshof im ersten Rechtsgang zu einer Rechtsfrage geäußert und hat seit Erlassung des mit dem vorausgegangenen Erkenntnis aufgehobenen Bescheides die Sach- und Rechtslage keine Änderung erfahren, dann ist es der belangten Behörde im zweiten Rechtsgang verwehrt, ihre eigene - abweichende - Auslegung der Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 735, und die dort zitierte Rechtsprechung). Ist eine solche Bindung an eine bestimmte Rechtsanschauung durch ein aufhebendes Erkenntnis bereits eingetreten, könnte der Verwaltungsgerichtshof in dem betreffenden Fall auch durch einen verstärkten Senat von seiner Rechtsanschauung nicht abgehen (vgl. Dolp, a.a.O., S. 739, und die dort zitierte Rechtsprechung).
Die belangte Behörde hat dem im zweiten Rechtsgang erlassenen Bescheid nicht die vom Verwaltungsgerichtshof vertretene Auffassung, das Finanzvergehen nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG werde von jenem der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG konsumiert, zugrunde gelegt. Die gegen diese Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ebenso wie gegen die Anschauung des Obersten Gerichtshofes vorgebrachte Meinung der belangten Behörde stellt für den Verwaltungsgerichtshof - über die Bindungswirkung im Beschwerdefall hinaus - keinen Anlaß dar, seine Rechtsauffassung zu überdenken. Auch der Oberste Gerichtshof hat in der weiteren Entscheidung vom , 14 Os 14/92-6, seine Auffassung bestätigt, daß das die Umsatzsteuerverkürzung im Voranmeldungsstadium erfassende Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG, wenn in der Folge mit Beziehung auf denselben Betrag und denselben Steuerzeitraum die Umsatzsteuerverkürzung auch im Stadium ihrer bescheidmäßigen Festsetzung im Sinne des Tatbestandes des Finanzvergehens nach § 33 Abs. 1 FinStrG erfolgt oder zumindest versucht wird, als (straflose) "Vortat" von dem letzteren Finanzvergehen als "Haupttat", in deren Schaden die Folgen der Vortat zur Gänze aufgehen, konsumiert wird. Dabei erfolgte im Falle dieser Entscheidung die Abgabenverkürzung jeweils durch Unterlassung der Einbringung der Abgabenerklärungen sowie der Umsatzsteuer-Voranmeldungen.
Wie aus dem Vorerkenntnis 92/13/0179 ersichtlich ist, ist die Strafbarkeit einer Abgabenhinterziehung im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn der Strafbarkeit infolge der nachfolgenden - zumindest versuchten - Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG wegen des gleichen Umsatzsteuerbetrages für denselben Zeitraum kein Hindernis entgegensteht. Mit anderen Worten gesagt, ist das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG dann zu ahnden, wenn ihm eine Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG - und zwar zumindest im Versuchsstadium - nicht mehr nachfolgt. Damit sind aber klare und eindeutige Feststellungen erforderlich, ob der Täter - über die Erfüllung des Tatbildes nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG hinaus - auch den Tatbestand nach § 33 Abs. 1 FinStrG hinsichtlich der (Jahres-)Umsatzsteuer erfüllt hat oder nicht.
Zur Klarstellung wird im gegebenen Zusammenhang darauf verwiesen, daß Tathandlung einer Hinterziehung der (Jahres-)Umsatzsteuer auch die Unterlassung der Einbringung der Umsatzsteuererklärung sein kann. Unbeschadet der Bestimmung des § 33 Abs. 3 lit. a FinStrG in der Fassung der FinStrG-Novelle 1985, BGBl. Nr. 571 - § 33 Abs. 3 FinStrG enthält lediglich Legaldefinitionen des Bewirkens einer Abgabenverkürzung und des Zeitpunktes der technischen Vollendung des Vergehens, nicht aber die Tatbestände der Abgabenhinterziehung (vgl. die Entscheidung des , EvBl 1984/158) -, ist dabei für die Tathandlung nicht entscheidend, ob ein Steuerpflichtiger aktenmäßig - etwa durch Zuteilung einer sog. Steuernummer - beim zuständigen Finanzamt erfaßt ist. Bei einem solchen steuerlich erfaßten Steuerpflichtigen kann die Unterlassung der Abgabe der Umsatzsteuererklärung entgegen der Auffassung der belangten Behörde - im Hinblick auf die Möglichkeit der Ermittlung der Abgaben durch Schätzung nach § 184 BAO - auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines absolut untauglichen Versuches betrachtet werden. Zur absoluten Untauglichkeit des Versuchs einer strafbaren Handlung wird nämlich gefordert, daß die Vollendung der Tat objektiv unter keinen Umständen möglich war, es also auch bei einer generalisierenden, von den Besonderheiten des Einzelfalles losgelösten Betrachtungsweise geradezu denkunmöglich war, daß er zur Vollendung der Tat führen konnte (vgl. die Entscheidung des , EvBl 1976/265). Für die Annahme einer absoluten Versuchsuntauglichkeit, beruhend auf der Ansicht, daß bei einer Schätzung gemäß § 184 BAO eine zu niedrige Abgabenfestsetzung unter keinen Umständen möglich ist, ist daher kein Raum (vgl. die Entscheidung des , EvBl 1983/10).
Überdies ist zu bedenken, daß nach ständiger Rechtsprechung die Verkürzung einer Abgabe schon dann bewirkt ist, wenn die Abgabe dem anspruchsberechtigten Abgabengläubiger nicht zu dem Zeitpunkt zufließt, in dem er diese nach den Abgabenvorschriften zu erhalten hat (vgl. z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , 83/13/0055, und vom , 86/17/0253). Der Umstand allein, daß zu einem späteren Zeitpunkt eine Veranlagung auf Grund einer Schätzung durchgeführt wird, vermag an der durch die Nichteinbringung der Abgabenerklärung eingetretenen Verletzung der Offenlegungs- und Wahrheitspflicht, die eine Abgabenverkürzung bewirkte, nichts zu ändern (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 13/1256/80).
Daraus folgt aber, daß die belangte Behörde aus der Sachverhaltsfeststellung allein, der Beschwerdeführer habe mit einer Schätzung der Bemessungsgrundlagen für die Jahres-Umsatzsteuer gerechnet, nicht jedenfalls darauf schließen konnte, daß der Beschwerdeführer eine Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG hinsichtlich der Jahres-Umsatzsteuer nicht begangen habe. Die von der belangten Behörde festgestellte Sachlage hat damit seit der Erlassung des Vorerkenntnisses keine derartige Änderung erfahren, daß eine im § 63 Abs. 1 VwGG begründete Bindung an die in diesem Vorerkenntnis ausgesprochene Auffassung nicht mehr bestand. Damit ist aber der angefochtene Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit behaftet.
Für den Fall, daß nach weiteren erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen tatsächlich die Erfüllung des Tatbestandes nach § 33 Abs. 1 FinStrG auszuschließen und somit im Rahmen einer dementsprechenden Vorfragenbeurteilung nicht mit Aufhebung des erstbehördlichen Erkenntnisses vorzugehen ist, wird aus verfahrensökonomischen Gründen weiters bemerkt:
Der Beschwerdeführer hat in seiner umfangreichen Berufungsergänzung vom zahlreiche Einwendungen gegen die Annahme des Tatbestandes nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG sowohl aus objektiver als auch aus subjektiver Sicht erhoben. Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid nur mit einzelnen, keineswegs aber mit allen Einwendungen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. So hat der Beschwerdeführer die Höhe der von ihm erzielten Umsätze in den einzelnen Streitjahren (ab dem Jahre 1984 mit ziffernmäßig genau bezeichneten Umsatzzahlen) bekanntgegeben. Außerdem hat er Angaben über die Höhe und Art der Betriebsausgaben gemacht, woraus er einen ungefähren Betrag an Vorsteuern ermittelte. Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung, der Beschwerdeführer habe jedwede Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhaltes verweigert, widerspricht damit der Aktenlage. Die von der belangten Behörde vorgenommene pauschale Kürzung des als verkürzt angenommenen Abgabenbetrages um 40 % nimmt auf das Vorbringen des Beschwerdeführers in keiner Weise Bezug. Wenn es auch nach Lage des Falles zutreffend sein mag, auch die Höhe des Verkürzungsbetrages durch eine Schätzung nach der abgabenrechtlichen Bestimmung des § 184 BAO zu ermitteln, so hat dabei die Finanzstrafbehörde die Gründe für die Schätzung sowie die Schätzungsmethode darzustellen. Diese Erfordernisse erfüllt die im angefochtenen Bescheid vorgenommene griffweise Schätzung des Verkürzungsbetrages in keiner Weise, zumal in der Berufungsergänzung auch Einwendungen gegen die vom Prüfer vorgenommene Schätzung nach fiktiven Lebenshaltungskosten erhoben worden sind.
Keinerlei Ausführungen enthält der angefochtene Bescheid zur subjektiven Tatseite, obwohl in der bezeichneten Berufungsergänzung ausdrücklich ein Verschulden an einer Abgabenverkürzung bestritten worden ist. Gerade deswegen, weil der Beschwerdeführer hinsichtlich der Bewirkung einer Abgabenverkürzung die Meinung vertreten hat, die von ihm getätigten Umsätze seien nach § 9 Abs. 1 Z. 6 UStG 1972 befreit gewesen, hätte die belangte Behörde zu begründen gehabt, warum sie angenommen hat, daß die Abgabenverkürzung - entgegen dieser von ihm vertretenen Auffassung - vom Wissen und Wollen des Beschwerdeführers umfaßt gewesen ist.
Der angefochtene Bescheid weist damit zahlreiche Begründungsmängel auf, die eine Nachprüfung der Entscheidung nicht zulassen. Da jedoch eine Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes einer Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid nach den oben dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung war aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abzusehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.