VwGH vom 31.07.2002, 98/13/0010

VwGH vom 31.07.2002, 98/13/0010

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Sellner, über die Beschwerde des W in W, vertreten durch Dr. Peter Balogh, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Strohgasse 10/7, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat V, vom , Zl. RV/288-16/06/97, betreffend Einkommen- und Gewerbesteuer für das Jahr 1991, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer unterhielt im Streitjahr als Einzelunternehmen einen Installationsbetrieb, dessen Gewinn nach § 5 EStG 1988 und davor nach § 5 EStG 1972 ermittelt wurde. In den Jahren 1986 bis 1988 hatte er nach § 11 Abs. 1 EStG 1972 steuerfreie Rücklagen vom nicht entnommenen Gewinn gebildet.

Im Zuge einer die Jahre 1991 bis 1994 erfassenden abgabenbehördlichen Prüfung wurde von der Prüferin festgestellt, dass die Entnahmen des Beschwerdeführers im Jahre 1991 den Gewinn des Jahres 1990 um einen Betrag von S 1,703.749,82 überstiegen hätten, was die Prüferin zum Anlass dafür nahm, den diesem Mehrentnahmebetrag entsprechenden Teil der Rücklage des Jahres 1986 vom nicht entnommenen Gewinn gemäß § 11 Abs. 6 und 7 EStG 1972 in Verbindung mit § 112 Z. 3 EStG 1988, erhöht um einen außerbilanziell zugerechneten Zuschlag von 25 %, gewinnerhöhend für das Jahr 1991 aufzulösen.

Das Finanzamt folgte der Auffassung der Prüferin und erließ gemäß § 200 Abs. 2 BAO dementsprechend endgültige Bescheide über die Festsetzung der Einkommen- und Gewerbesteuer für das Streitjahr.

In seiner gegen diese Bescheide erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer auf "nicht verbrauchte Entnahmen" der Vorjahre in einem Ausmaß, welches die Annahme ausschließe, dass er mit der Mehrentnahme im Jahre 1991 die steuerfrei gebildete Rücklage angegriffen haben könnte. Zu einer "Kapitalrückzahlung", mit welcher die steuerfrei gebildeten Rücklagen nicht berührt würden, müsse der Unternehmer berechtigt bleiben, weil ihm freiwillig thesaurierte Beträge aus Vorperioden für zukünftige Entnahmen jederzeit ohne Sanktion zur Verfügung stünden. Im Jahre 1991 sei es zu einer kumulierten Veranlagung des Beschwerdeführers zur Einkommensteuer für die Jahre 1987 bis 1990 und weiterer Abgaben gekommen, die ihren Grund darin gehabt habe, dass die Verwaltungsakten zufolge einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof diesem vorgelegt worden seien, sodass es in dieser Zeit zu keinen Veranlagungen gekommen sei. Es sei im Jahr 1991 dadurch eine Steuerbelastung des Beschwerdeführers im Ausmaß von S 32,477.433,-- angewachsen, auf welcher der von der Prüferin festgestellte Mehrentnahmebetrag beruhe. Bei fiktiver Verteilung der Einkommensteuerzahlungen 1987 bis 1991 auf mehrere Jahre verbiete sich die Auflösung der Rücklage für nicht entnommenen Gewinn. Vor allem aber sei zu bedenken, dass Gewinnen des Beschwerdeführers in den Jahren 1986 bis 1989 in Höhe von S 98,140.768,25 nur Entnahmen in den Jahren 1987 bis 1990 im Betrag von S 61,308.511,16 gegenüber stünden, woraus ein für den Beschwerdeführer "frei disponibles Kapital" von S 36,832.257,09 resultiere, welches das Vorliegen einer Mehrentnahme im Jahre 1991 von vornherein ausschließe. Angesichts der betriebswirtschaftlich exorbitant hohen Eigenkapitalausstattung des Unternehmens des Beschwerdeführers entspreche die von der Prüferin vorgenommene Auflösung der Rücklage für den nicht entnommenen Gewinn des Jahres 1986 im Jahr 1991 weder dem Sinn noch dem Wortlaut des § 11 EStG 1972.

Nachdem vom Vertreter der Prüfungsabteilung eine Stellungnahme zur Berufung des Beschwerdeführers erstattet und vom Beschwerdeführer seine Rechtsansicht in einer Eingabe an die belangte Behörde wiederholt worden war, führte die belangte Behörde die beantragte mündliche Verhandlung über die Berufung des Beschwerdeführers durch, in welcher es vom Beschwerdeführer als "absurd" bezeichnet wurde, dass bei einer Eigenkapitalausstattung von rund S 50,000.000,-- die Entnahmen nicht mit dieser Eigenkapitaldecke, sondern mit den noch offenen steuerfreien Rücklagen der letzten Jahre zu kompensieren wären. Das Belassen über den Stichtag hinweg hätte in diesem Zusammenhang diesfalls eine andere Wirkung als die kurzfristige Entnahme vor dem Bilanzstichtag mit nachfolgender Einlage knapp nach dem Bilanzstichtag zur Deckung allfälliger folgender Entnahmen. Im Übrigen sei es zu einer Entrichtung der im Jahre 1991 geballt anfallenden Einkommensteuerschuldigkeiten nicht vom Privatkonto, sondern vom Betriebskonto des Beschwerdeführers ohnehin nur auf Grund eines Irrtums einer Angestellten des steuerlichen Vertreters gekommen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers mit der Begründung ab, dass der Wortlaut des § 11 Abs. 6 EStG 1972, welcher durch § 112 Z. 3 EStG 1988 unverändert übernommen worden sei, einen Vergleich der Entnahmen eines bestimmten Wirtschaftsjahres mit dem Gewinn eines anderen, nämlich des unmittelbar vorangegangenen Wirtschaftsjahres gebiete und im Falle des Vorliegens eines Mehrbetrages der Entnahmen zwingend die Rechtsfolge der gewinnerhöhenden Auflösung anordne. Der Beschwerdeführer setze sich mit seinem Berufungsvorbringen über den klaren Wortlaut des § 11 Abs. 6 EStG 1972 hinweg, der eben nur auf den Vergleich von Gewinn und Entnahmen zweier bestimmter Wirtschaftsjahre und nicht auf das Verhältnis von Gewinn und Entnahmen im gesamten fünfjährigen Zeitraum des § 11 Abs. 4 EStG 1972 abstelle. Dass eine gesetzliche Regelung im Sinne der Rechtsausführungen des Beschwerdeführers sinnvoller als die in § 11 Abs. 6 EStG 1972 getroffene Regelung erscheinen könnte, erlaube der belangten Behörde nicht die Entfernung vom Regelungsinhalt des von ihr anzuwendenden Gesetzes. Das Vorliegen eines "ganz außergewöhnlichen Ausnahmefalles" mit einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Auswirkung könne daran nichts ändern.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 11 EStG 1972 konnten natürliche Personen zu Lasten der Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft oder aus Gewerbebetrieb steuerfreie Rücklagen vom nicht entnommenen Gewinn bis zu einem bestimmten Höchstausmaß bilden.

Abs. 4 zweiter Satz des zitierten Paragraphen sah vor, dass die Rücklage mit Ablauf des fünften auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahres über Kapitalkonto aufzulösen war. Gemäß Abs. 6 waren die Rücklagen nachzuversteuern, wenn in einem der auf das Jahr der Rücklagenbildung folgenden fünf Wirtschaftsjahre die Entnahmen höher waren als der Gewinn des unmittelbar vorangegangenen Wirtschaftsjahres. Abs. 7 sah darüber hinaus Zuschläge vor, um welche die nachzuversteuernden Rücklagen zu erhöhen waren. Die Bestimmungen über die Nachversteuerung der Rücklagen, die gemäß § 112 Z. 3 EStG 1988 auch für Zeiträume nach dem anzuwenden waren, lauten wie folgt:

"(6) Wenn in einem der auf das Jahr der Bildung der Rücklage folgenden fünf Wirtschaftsjahre die Entnahmen höher sind als der jeweilige Gewinn des unmittelbar vorangegangenen Wirtschaftsjahres, so sind die steuerfrei gebildeten Rücklagen im Wirtschaftsjahr der Mehrentnahmen entsprechend dem Betrag der Mehrentnahmen gewinnerhöhend aufzulösen. Hiebei sind die Mehrentnahmen zunächst auf die für das zeitlich am weitesten zurückliegende Wirtschaftsjahr gebildete Rücklage anzurechnen. Wird ein Betrieb unentgeltlich übertragen, so hat der Rechtsnachfolger die Rücklage in seine Eröffnungsbilanz zu übernehmen (§ 6 Z. 9); in diesem Fall sind die vorstehenden Bestimmungen auf den Rechtsnachfolger anzuwenden. Wird ein Betrieb veräußert oder aufgegeben, so sind die steuerfrei gebildeten Rücklagen für diesen Zeitpunkt gewinnerhöhend aufzulösen.

(7) Der gemäß Abs. 6 gewinnerhöhend aufzulösende Betrag erhöht sich um je 5 v.H. für jedes Wirtschaftsjahr, um das die Rücklage (der Rücklagenteil) gegenüber dem Jahr der Bildung später aufgelöst wird. Die Erhöhung des aufgelösten Betrages hat in den Fällen des § 9 Abs. 2 letzter Satz zu entfallen. Außerdem ist von einer solchen Erhöhung ganz oder teilweise Abstand zu nehmen, wenn die Mehrentnahmen ganz oder teilweise zur Deckung außergewöhnlicher Belastungen im Sinne des § 34 oder zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes des Steuerpflichtigen, seines Ehegatten und der Kinder im Sinne des § 119 erfolgt sind."

Die zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens strittige Rechtsfrage, ob nur solche Mehrentnahmen begünstigungsschädlich sein sollten, die auf innerhalb der letzten fünf Wirtschaftsjahre gebildete Gewinnrücklagen zurückzuführen waren, wurde vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 94/13/0038, im Sinne des von der belangten Behörde vertretenen Standpunktes verneinend beantwortet. Wie den Gründen des genannten Erkenntnisses, auf welche gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 VwGG verwiesen wird, entnommen werden kann, vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsanschauung, dass dem in § 11 Abs. 6 EStG 1972 verwendeten Begriff der "Entnahmen" kein anderer Inhalt als in den übrigen Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes beigemessen werden kann (siehe hiezu aus jüngster Zeit auch das hg. Erkenntnis vom , 98/15/0190), weshalb es für das Vorliegen einer Entnahme bedeutungslos ist, zu welchem Zeitpunkt die entnommenen Wirtschaftsgüter dem Betriebsvermögen zugeführt wurden und ob ihr Vorhandensein auf betriebliche Aktivitäten oder frühere Einlagen zurückzuführen ist. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, hat der Gerichtshof in den Gründen des Erkenntnisses vom , 94/13/0038, weiter ausgeführt, auf die Besteuerung eines Teiles des Gewinnes - nämlich des der Gewinnrücklage zugeführten - zu verzichten, die zulässigen Entnahmen der nächsten Wirtschaftsjahre aber nur insofern zu begrenzen, als diese aus Gewinnrücklagen der letzten fünf Wirtschaftsjahre stammten. Ein Regelungsinhalt mit dem Ergebnis, dass dem Betrieb theoretisch das gesamte vor Inanspruchnahme der Begünstigung erwirtschaftete oder durch Einlagen geschaffene Vermögen sanktionslos entnommen werden könne, dürfe einer Steuerbegünstigung, die ausschließlich eine nachhaltige Stärkung des betrieblichen Eigenkapitals zum Ziele habe, nicht unterstellt werden.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich auch durch die Sachverhaltskonstellation des vorliegenden Beschwerdefalles nicht dazu veranlasst, von der im hg. Erkenntnis vom , 94/13/0038, zum Ausdruck gebrachten Rechtsanschauung abzurücken. Der Beschwerdehinweis auf das hg. Erkenntnis vom , 82/14/0010, 0025, 0026, stützt den Beschwerdestandpunkt nicht, weil die dort geforderte Saldierung von Entnahmen und Einlagen ausdrücklich auf Entnahmen und Einlagen desselben Wirtschaftsjahres abstellt. Diese Beschränkung auf jeweils ein zu betrachtendes Wirtschaftsjahr gebietet schon der Wortlaut der Bestimmung des § 11 Abs. 6 Satz 1 EStG 1972, welcher die Entnahmen in einem der auf das Jahr der Bildung der Rücklage folgenden fünf Wirtschaftsjahre dem jeweiligen Gewinn des unmittelbar vorangegangenen Wirtschaftsjahres gegenüberstellt.

Dass der Gerichtshof in dem vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Erkenntnis vom , 94/13/0243, der im Schrifttum geäußerten Ansicht beigetreten ist, es werde durch die Regelung der Nachversteuerung bei Mehrentnahmen vom Gesetzgeber unterstellt, dass der Steuerpflichtige durch die Mehrentnahmen auf die steuerfrei gebildete Rücklage gegriffen und auf diese Weise dem Betrieb das durch die Rücklagenbildung zugeführte Betriebskapital entzogen habe, trifft zu. Aus den in den Gründen des hg. Erkenntnisses vom , 94/13/0038, angestellten Erwägungen aber ist die Rechtsfolge der Bestimmung des § 11 Abs. 6 EStG 1972 an die tatsächliche Inanspruchnahme der steuerfrei gebildeten Rücklage durch Mehrentnahmen eben nicht geknüpft. Dass der im Schrifttum und im hg. Erkenntnis vom , 94/13/0243, gesehene Gesetzeszweck einer Verhinderung des Zugriffs auf steuerfrei gebildete Rücklagen durch Mehrentnahmen mit der Auflösung der Rücklage im Beschwerdefall nicht verwirklicht wurde, weil angesichts der Eigenkapitalausstattung des Betriebes des Beschwerdeführers und des Ausmaßes seines Verzichtes auf Entnahmen in den Vorjahren die Mehrentnahme des Jahres 1991 im Sinne des § 11 Abs. 6 EStG 1972 die steuerfrei gebildeten Rücklagen der betroffenen Jahre nicht berühren konnte, ist offensichtlich und wird auch von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid nicht in Abrede gestellt. Es hat der Verwaltungsgerichtshof im mehrfach genannten Erkenntnis vom , 94/13/0038, als Gesetzeszweck der Bestimmung des § 11 Abs. 6 EStG 1972 aber noch mehr als die bloße Verhinderung eines Zugriffs auf die steuerfrei gebildete Rücklage durch Mehrentnahmen, nämlich die nachhaltige Vermehrung und Stärkung des betrieblichen Eigenkapitals erkannt, welches Ziel dem Gesetzgeber den Verzicht auf die Besteuerung des der Gewinnrücklage zugeführten Teiles des Gewinnes wert war. Dass es einer nachhaltigen Stärkung und Vermehrung des betrieblichen Eigenkapitals im Falle des Unternehmens des Beschwerdeführers betriebswirtschaftlich gar nicht bedurft hatte, mag durchaus zutreffen, kann aber nichts daran ändern, dass es der Beschwerdeführer selbst war, der sich dazu entschlossen hatte, die Steuerbegünstigung des § 11 EStG 1972 in Anspruch zu nehmen. Hatte sich der Beschwerdeführer dazu entschlossen, dann musste er die rechtlichen Konsequenzen der Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung des § 11 EStG 1972 auch tragen. Eine mit dem Gewinn des unmittelbar vorangegangenen Wirtschaftsjahres limitierte Entnahmesperre hatte der Beschwerdeführer für den durch § 11 Abs. 4 EStG 1972 festgelegten Zeitraum dann auch hinsichtlich solcher Beträge in Kauf genommen, die in Vorjahren freiwillig am Eigenkapitalkonto angehäuft worden waren.

Wenn der Beschwerdeführer schließlich vorträgt, hätte er vor Jahreswechsel eine Entnahme getätigt und diese nach Jahreswechsel wieder eingelegt, um damit die laufenden Entnahmen dieses Jahres zu neutralisieren, dann hätte er sanktionslos den gleichen Effekt erzielt wie mit der freiwilligen Belassung verfügbarer Beträge auf dem Kapitalkonto, muss ihm erwidert werden, dass der Besteuerung nicht alternativ mögliche fiktive, sondern die real vorgelegenen Sachverhalte zu unterziehen sind.

Das Vorliegen eines der Rechtsfolge des § 11 Abs. 7 EStG 1972 entgegen stehenden Tatbestandes im Sinne des § 11 Abs. 7 Satz 2 und 3 leg. cit. hat der Beschwerdeführer nicht geltend gemacht und war auch nicht zu erkennen.

Die Beschwerde erwies sich damit als unbegründet und war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am