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VwGH vom 20.09.1999, 98/10/0357

VwGH vom 20.09.1999, 98/10/0357

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Neumair, über die Beschwerde der Marktgemeinde Zirl, vertreten durch Dr. Ludwig Hoffmann, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Fallmerayerstraße 5, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. U-13.139/4, betreffend naturschutzbehördliche Bewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am beantragte der forsttechnische Dienst für Wildbach- und Lawinenverbauung, Gebietsbauleitung Mittleres Inntal namens der beschwerdeführenden Marktgemeinde bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck die Erteilung der wasser- und naturschutzrechtlichen Bewilligung für ein Hochwasserschutzvorhaben am Kreuzbach im Gebiet der beschwerdeführenden Gemeinde. Beschrieben wurde das Projekt unter anderem wie folgt: Der Kreuzbach als Wildbach der nördlichen Kalkalpen mit einem Einzugsgebiet von 13,7 km2 durchfließe die Ortschaft Zirl im östlichen Gemeindebereich. Große Geschiebezubringer im Ober- und Mittellauf führten bei entsprechenden Witterungsverhältnissen, insbesondere heftigen Sommergewittern, zu Gefahrensituationen für die Besiedlung und die Infrastruktur durch Überschotterungen bzw. Überflutungen am Schwemmkegel, die mit Seiten- und Tiefenerosionen verbunden seien. Der Abschnitt zwischen dem Schwemmkegelhals und der Bundesstraße weise abgesehen von privaten Sicherungsmaßnahmen in Form von steingeschlichteten Leitwerken zwischen hm 8,95 bis hm 9,46 keinerlei Schutzmaßnahmen auf. Der Abschnitt unterhalb der Bundesstraße bis zur Mündung in den Inn (hm 0,0 bis hm 8,3), sei durch Maßnahmen der Wildbach- und Lawinenverbauung mittels Querwerken und Leitwerken gegen Tiefen- und Seitenerosion gesichert. Es sei ein Höchsthochwasser von 46 m3/Sekunde und ein im Katastrophenfall zu erwartendes Geschiebepotential von 30.000 m3 ermittelt worden. Letzteres könne bei konsequenter Freihaltung des vorhandenen Retentionsraumes hinter der Gspansperre schadlos zurückgehalten werden. Derzeit stünden im Verlandungsraum der Sperre in hm 19,0 jedoch nur noch ca. 25.000 m3 Rückhalteraum zur Verfügung. Um den ausreichenden Hochwasserschutz auf Dauer gewährleisten zu können, sei eine Sanierung der Unterlaufstaffelung durch Pflege und Verjüngung der Uferbepflanzung und Ausbesserungen bei den Leitwerken mittels Grobsteinschlichtungen, im Unterlauf zwischen hm 8,3 bis hm 12,0 die Herstellung einer Grobsteinschlichtung sowie eines Grünholzstreifens, die Errichtung eines Wildholzrechens und von Sohlrampen erforderlich. Die in hm 19.0 vorhandene 25 m hohe Gspansperre sei beinahe voll verlandet; eine Räumungsmöglichkeit bestehe derzeit nicht. Durch die Errichtung eines ca. 300 m langen Räumweges, der vom bestehenden Forstweg abzweigend über den linksufrigen Einhang des Kreuzbaches geführt werden solle, solle die Möglichkeit der Räumung geschaffen werden. Aus dem bestehenden Geschiebeablagerungsraum hinter der Bogensperre bei hm 19,0 sollten 25.000 m3 Schottermaterial abtransportiert werden. Nach Absenkung des Retentionsraumes bis 9 m unter die Abflusssektion sollten drei vertikal angeordnete Stahlgitterkörbe den vorhandenen Dolen wasserseitig vorgesetzt werden, um die Verklausung der ca. 70 x 70 cm großen Öffnungen hintanzuhalten. An der Stelle einer Betonsperre solle ein Wildholzfang in Form einer Seilsperre errichtet werden.

Der Amtssachverständige für Naturschutz führte aus, im Bereich der Zufahrtsstraße zur Gspansperre seien starke Beeinträchtigungen der Schutzgüter zu erwarten, weil das Gebiet einen hohen Erholungswert aufweise (Klettergarten, ebene Schotterbänke zum Spielen und Grillen, Auckenthaler Turm) sowie landschaftlich sehr reizvoll sei (Schotterbänke mit mäandrierenden Bachbereichen, Geräuschkulisse werde rein von der Natur beherrscht). Der Bereich sei mit Wanderwegen gut erschlossen und befinde sich im Nahbereich der Marktgemeinde Zirl. Der Weg führe zur Erschließung bisher nur schwer zugänglicher Schluchtwälder, in denen zahlreiche geschützte Pflanzenarten, wie z.B. das gefleckte Knabenkraut, Zweiblatt, Nestwurz, Türkenbund, Akelei sowie Maiglöckchen und Alpenrose vorkämen. Auch befänden sich in diesem Waldabschnitt sämtliche Verwitterungsstadien von Totholz, was für viele Pilz- und Käferarten einen äußerst wertvollen Lebensraum darstelle. Auf Grund der sehr steilen Hanglage sei mit sehr hohen Böschungsanrissen zu rechnen. Auch scheine das Material sehr instabil zu sein. Eine Erschließung dieser Hangbereiche werde somit zu einer Beunruhigung des Lebensraumes für Tiere und durch die Erleichterung der Forstwirtschaft zu einer Veränderung des Lebensraumes für Pflanzen und Tiere (Entfernen von alten Bäumen und Totholz) führen. Es sollte daher - wie in der Stellungnahme des Naturschutzbeauftragten vorgeschlagen - eine Alternativenprüfung stattfinden. In der bezogenen Äußerung des Naturschutzbeauftragten hatte dieser "verlangt, dass zuerst die Alternative überprüft wird, eine zusätzliche Sperre im Bereich des Farnleitenweges zu bauen".

Im Akt findet sich weiters eine schriftliche Stellungnahme des "Koordinators für den Alpenpark Karwendel" vom . Dieser legte unter anderem dar, den Aufschließungsweg zur Gspansperre bei hm 19,0 betreffend werde auf die Äußerungen des Naturschutzbeauftragten, des Amtssachverständigen für Naturkunde und des forsttechnischen Amtssachverständigen verwiesen. Es werde nochmals betont, dass der Aufschließungsweg eine schwere Beeinträchtigung der Schutzgüter des Tiroler Naturschutzgesetzes bewirken werde. Die Schluchtwälder Ehnbachklamm seien im Naturinventar für das Landschaftsschutzgebiet Martinswand-Solstein-Reither Spitze als schützenswertes Großbiotop ausgewiesen. Die landschaftliche Eigenart und Schönheit dieses Gebietes werde gerade durch die Ursprünglichkeit und Naturbelassenheit der dortigen Waldbestände bewirkt. Das aufgelandete Bachbett hinter der Gspansperre habe große Bedeutung als Erholungsraum für die einheimische Bevölkerung. Es befänden sich dort Klettergärten, ebene Schotterbänke und das natürlich mäandrierende Bachbett. Alle diese Faktoren bewirkten eine hohe Naturnähe, ein besonderes Landschaftsbild und einen hohen Erholungswert, weshalb dieses Gebiet auch im Landschaftsschutzgebiet gemäß LGBl. Nr. 29/1989 integriert sei. Die geplanten Maßnahmen der Errichtung des Zufahrtsweges und der Räumung der Sperre würden teils nachhaltige, teils absolut irreversible Beeinträchtigungen dieser Schutzgüter verursachen. Es werde vorgeschlagen, die obersten zwei Dolen der Sperrmauer so zu gestalten, dass ein Durchtrieb des Feingeschiebes dauerhaft ermöglicht und eine Verklausung der Durchflussöffnungen wirkungsvoll verhindert werde. Dies könne verhältnismäßig leicht durch händische Arbeiten geschehen. Allenfalls könnte noch versucht werden, die beiden darunter liegenden Dolen, die ca. drei bis vier Meter eingeschottert seien, mittels eines einzufliegenden Schreitbaggers freizulegen und hier ebenfalls Maßnahmen gegen Verklausung zu setzen. Weiters werde als Alternative zur Erschließung der Gspansperre mittels Zufahrtsweg bzw. Räumung des Ausschotterungsraumes vorgeschlagen, an anderer Stelle (bei hm 43,31) an Stelle des Wildholzfanges eine massive Balkensperre zu errichten und einen ca. 100 m langen Schluchtteil für die Ablagerung von Grobgeschiebe bereitzustellen. Räumungen könnten sodann über einen bestehenden Weg erfolgen. Der Eingriff in Schutzgüter des Tiroler Naturschutzgesetzes wie insbesondere in das Landschaftsbild sei hier als geringfügig zu bezeichnen.

In einer Stellungnahme führte der forsttechnische Dienst für Wildbach- und Lawinenverbauung, Gebietsbauleitung Mittleres Inntal unter anderem aus, die Herstellung des Aufschließungsweges bei der Gspansperre (hm 19,0) stelle gemäß dem bei der wasserrechtlichen Verhandlung vorgelegten Projekt eines der wichtigsten Vorhaben zur Sicherung des Lebensraumes in der Marktgemeinde Zirl dar. Der projektierte Erschließungsweg in der Länge von ca. 300 m sei unentbehrlich. Die so genannte Gspansperre sei in den Jahren 1954 bis 1962 stufenweise von 6,0 m auf 25,0 m erhöht worden, um dem Problem der Bachauflandungen und der Bachaustritte bei Murereignissen zu begegnen. Nunmehr sei der Stauraum der Bogensperre weitgehend erschöpft. Bei einem so genannten Bemessungsereignis werde der überwiegende Teil des Geschiebes in den Unterlauf gelangen; dies bedinge auch die großen gelben Gefahrenzonen. Für das Bemessungsereignis müsse ein verfügbarer Stauraum von rund 30.000 m3 vorhanden sein, der auch kurzfristig räumbar sein müsse. Die im Projekt vorgesehene Absenkung des Stauraumes bis auf 9,0 m unter die Abflusssektion bzw. ca. 6,5 m unter die derzeitige Verlandungslinie schaffe jenen Stauraum, der für ein 150-jährliches Bemessungsereignis erforderlich sei. Andernfalls würde auch bei der Wiederherstellung der Durchflussprofile im Unterlauf auf Grund des geringen Sohlengefälles das Material liegen bleiben und der Bach im gesamten Bereich seines Unterlaufes austreten. Eine Räumung des Stauraumes bis auf das vorgesehene Niveau durch händisches Öffnen der Dolen und natürliches Abtriften des Materials sei unmöglich. Im Falle eines Murereignisses müsse der Stauraum rasch räumbar sein, um die Sicherheit für den Siedlungsraum zu erhalten. Die Errichtung einer Geschiebestausperre bei hm 42,6, also im talinnersten Bereich, würde die Projektkosten von S 11 Mio auf ca. S 22 Mio verdoppeln. Zum Vorschlag, einen Schreitbagger einzufliegen, sei zu bemerken, dass eine Absenkung der Verlandung ohne Materialabfuhr nicht möglich sei. Anzuführen sei weiters, dass bei projektgemäßer Errichtung des Weges die Entfernung zur Bundesstraße (Hin- und Rückfahrt) 4,2 km, im Fall der Errichtung der vorgeschlagenen Sperre bei hm 42,6 hingegen 9,2 km betragen würde.

Mit Bescheid vom wies die BH den Antrag gemäß § 4 Abs. 1 lit. a und c der Verordnung der Tiroler Landesregierung vom über das Landschaftsschutzgebiet Martinswand-Solstein-Reither Spitze, LGBl. Nr. 29/1989 iVm § 27 Abs. 6 sowie § 26 Abs. 2 lit. b Z. 2 und Abs. 4 des Tiroler Naturschutzgesetzes 1997, LGBl. Nr. 33/1997 (NSchG) ab. Begründend wurde zunächst dargelegt, es werde "in dieser Entscheidung lediglich über den naturschutzrechtlichen Antrag abgesprochen, zumal nur im Naturschutzverfahren ein negatives Ermittlungsergebnis zu Stande gekommen ist". Alle Maßnahmen, die bachaufwärts (nördlich) der Seefelder Bundesstraße/Umfahrung Zirl geplant seien, lägen im Landschaftsschutzgebiet. Nach weitgehend wörtlicher Wiedergabe der Verfahrensergebnisse führte die Behörde begründend weiters aus, es liege auf Grund der naturkundefachlichen Gutachten auf der Hand, dass insbesondere durch den Erschließungsweg die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 NSchG beeinträchtigt würden. Wohl liege in der Erhöhung der Sicherheit für den Siedlungsraum in Zirl ein langfristiges öffentliches Interesse. Allerdings würde durch den geplanten Aufschließungsweg in die Schluchtwälder der Ehnbachklamm derart eingegriffen, dass das laut Naturinventar für das Landschaftsschutzgebiet als schützenswert ausgewiesene Großbiotop teilweise zerstört würde. Durch die Steilböschungen oberhalb und unterhalb des Weges würden besonders der Erholungswert und das Landschaftsbild gestört werden. Auflagen zur Minderung dieser Beeinträchtigungen seien nicht möglich. Seitens der Behörde würden die langfristigen öffentlichen Interessen am Schutz des Siedlungsraumes "in diesem speziellen Fall nicht so schwer gewertet", dass die Beeinträchtigungen durch diesen Aufschließungsweg im Landschaftsschutzgebiet in Kauf genommen werden könnten. Überdies wäre die Bewilligung auch nach § 27 Abs. 4 NSchG zu versagen, weil die Behörde die Errichtung einer Geschiebestausperre bei hm 42,6 trotz der fast doppelten Projektkosten als Alternative ansehe, die die Interessen des Naturschutzes weniger beeinträchtigen würde.

Die beschwerdeführende Marktgemeinde erhob Berufung. Sie legte unter anderem dar, derzeit würden 119 Gebäude, die Bundesstraße und Gemeindestraßen vom Hochwasser des Kreuzbaches bedroht. Die bestehenden Schutzmaßnahmen seien nicht ausreichend. Dies zeige insbesondere die Verlandungsgeschichte; das Auflandungsniveau sei von 6 m im Jahre 1952 auf nunmehr 22,5 m angestiegen. Das in Rede stehende Sperrbauwerk sei im Jahre 1954 mit 6 m Höhe errichtet worden und habe in der Folge wegen der fortschreitenden Verlandung immer wieder, zuletzt auf insgesamt 25 m Höhe, aufgestockt werden müssen. Eine Erschließung des Stauraumes für eine Räumung sei seinerzeit nicht für notwendig gehalten worden. Nun stünden nur noch 2,5 m Stauhöhe zur Verfügung. Aus der Verlandungsgeschichte sei abzuleiten, dass selbst bei gewöhnlichem Geschiebebetrieb - ohne Berücksichtigung eines Katastrophenhochwassers - in sechs Jahren der Stauraum völlig verlandet sein werde. Bei einem Katastrophenereignis werde der Kreuzbach im Unterlauf sofort über die Ufer treten. Hingegen würde eine im Hochwasserfall erhöhte Geschiebeführung auf das bereits teilverlandete Gerinne im Siedlungsbereich stoßen, was zur Gefahr von Bachausbrüchen im Siedlungsraum führe. Das gegenständliche Projekt sei daher für die Sicherheit des Großteils der Bevölkerung der Marktgemeinde von zentraler Bedeutung. Aus im Einzelnen dargelegten Gründen wurde weiters bestritten, dass Schadensereignissen durch händische Räumung bzw. mit dem Einfliegen eines Schreitbaggers vorgekehrt werden könne. Die Errichtung einer Geschiebestausperre weiter bachaufwärts würde die Kosten verdoppeln und die notwendige Transportstrecke im Landschaftsschutzgebiet von 4,2 auf 9,2 km verlängern. Weiters sei zu prüfen, ob die vorgesehenen Maßnahmen als Katastrophenschutzmaßnahmen überhaupt dem NSchG unterlägen.

Die belangte Behörde führte eine mündliche Verhandlung durch. Der als "sonst mitwirkendes amtliches Organ" bezeichnete Koordinator des Alpenparkes Karwendel führte dabei aus, eine "gewisse" Räumung des Stauraumes hinter der Gspansperre könne auch auf natürliche Weise durchgeführt werden, weil durch die natürliche Schleppkraft des Baches ein Teil des eingebrachten Materials wieder abtransportiert werde. Derzeit seien nahezu die geforderten 30.000 m3 Fassungsvermögen des Rückhalteraumes vorhanden. Eine weitere Verbesserung der Situation könne durch händische bzw. mit einem einzufliegenden Kleingerät herzustellende Freilegung der Dolen erreicht werden. Unter diesen Gesichtspunkten könne auch die Errichtung einer Sperre am Bachoberlauf überdacht werden. Hier könnte mit einem geringeren Rückhaltevolumen das Auslangen gefunden werden.

Der Vertreter des forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung legte dar, die natürliche Geschiebeentlastung durch den Bach könne im Normalfall durchaus ihre Funktion erfüllen. Für den Fall von Großereignissen (100-jährigen bzw. 150-jährigen Ereignissen, wie sie dem Gefahrenzonenplan zu Grunde lägen) sei jedoch nicht vorgesorgt. Für solche Ereignisse müsse ein Stauraum von 30.000 m3 vorgesehen werden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Begründend wurde nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens und der angewendeten Gesetzesbestimmungen dargelegt, bei Ausführung des Aufschließungsweges würde der Erholungswert der Landschaft sowie das Landschaftsbild empfindlich gestört. Bei Abwägung der langfristigen öffentlichen Interessen am Schutz des Siedlungsraumes mit dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung der Natur im Landschaftsschutzgebiet müsse auf Grund des vorliegenden Ermittlungsergebnisses dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung der Natur, insbesondere des Erholungswertes und des Landschaftsbildes, der Vorzug gegeben werden. Dies gründe sich im Wesentlichen darauf, dass sich "durch das Verfahren eine Variante herausgebildet hat", die den angestrebten Zweck, nämlich den Schutz bzw. die Sicherheit der im betroffenen Gebiet der Gemeinde Zirl lebenden Bevölkerung zur Gänze gewährleisten könne, die Interessen des Naturschutzes jedoch weit weniger beeinträchtige, als die Ausführung des beantragten Projektes. Durch diese Alternativvariante, nämlich die Errichtung einer neuen Geschiebesperre im Ausmaß von 30.000 m3 Stauraumkapazität bei hm 43,3 könne das bestehende Wegenetz genützt werden. Somit wäre auch die ständige Räumung des Auffangbeckens für die Zukunft problemlos gewährleistet. Es sei zutreffend, dass sowohl für die Errichtung dieser Geschiebesperre als auch für deren Räumung LKW-Fahrten ins Innere des Landschaftsschutzgebietes auf einer wesentlich längeren Strecke erforderlich würden. Die Errichtung einer Anlage im Randbereich eines Schutzgebietes sei aber nicht weniger problematisch als in dessen Kernzone. Daher sei nach Ansicht der Naturschutzbehörde den längeren Fahrtstrecken der lediglich periodisch notwendigen LKW-Fahrten gegenüber einer zum Teil unwiederbringlichen Zerstörung eines Schluchtwaldes durch die Errichtung eines Aufschließungsweges und der damit zusammenhängenden immer wiederkehrenden Beunruhigung des Schluchtbereiches durch Räumungen der Vorzug zu geben. Weiters habe der Lokalaugenschein gezeigt, dass die Selbsträumung des Stauraumes hinter der Gspansperre auf Grund der natürlichen Abflussgegebenheiten und der damit verbundenen natürlichen Geschieberegulierung durch den Ehnbach gewährleistet sei. Die Kosten der Ausführung der gegenständlichen Alternativvariante seien unbestrittenermaßen wesentlich höher als die Kosten für die Ausführung des eingereichten Projektes. Ein konkreter Kostenvergleich sei aber nicht erforderlich, weil auf der Grundlage des angestrebten Zweckes der Verbauung, des Schutzes des Siedlungsraumes eines Teiles der Bevölkerung von Zirl, durch die Errichtung einer neuen Geschiebesperre bei hm 43,3 sowie die entsprechende Dolenräumung zur Unterstützung der natürlichen Geschieberegulierung im Bereich der alten Gspansperre derselbe Erfolg erzielt werden könne wie durch das verfahrensgegenständliche Projekt. Zudem sei der Bereich, der für die Alternativvariante vorgesehen sei, durch das bestehende Wegenetz bereits landschaftsbildlich beeinträchtigt und müsse nicht ein naturkundefachlich wertvoller Schluchtwaldbereich mit einem Aufschließungsweg neu erschlossen werden. Die im Verfahren herausgebildete Variante sei somit trotz wesentlich höherer Projektkosten als realistische Alternative zum eingereichten Projekt anzusehen, die die Interessen des Naturschutzes weit weniger beeinträchtige.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

In einem Dringlichkeitsantrag vom führte die beschwerdeführende Marktgemeinde unter anderem aus, nach der Schneeschmelze und einem Unwetter sei die Gspansperre nahezu gänzlich mit Geschiebe angefüllt. Es stehe nur noch Retentionsraum von etwa 300 bis 400 m3 zur Verfügung. Bei einem Sommergewitter mit Hagel im Einzugsbereich des Kreuzbaches sei mit Geschiebemengen von ca. 20.000 bis 30.000 m3 zu rechnen, die der Bach wegen des fehlenden Retentionsraumes in die südlichen Siedlungsräume im Gebiet des Sportplatzweges und des Innweges verbringen werde, sodass Gefahr für Leib, Leben und Eigentum der dort angesiedelten Bevölkerung gegeben sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde macht unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 lit. b des Tiroler Naturschutzgesetzes 1997, LGBl. Nr. 33/1997 (NSchG), und das zu § 3 lit. a des Kärntner Nationalparkgesetzes, LGBl. Nr. 55/1983, ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 93/10/0166, geltend, das gegenständliche Vorhaben unterliege nicht dem NSchG, weil es eine Maßnahme zur Abwehr von Katastrophen darstelle.

Nach § 2 Abs. 1 lit. b NSchG gilt dieses Gesetz nicht für sicherheitsbehördliche Maßnahmen der ersten allgemeinen Hilfeleistung und sonstige Maßnahmen zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen und zur Abwehr oder Bekämpfung von Katastrophen nach § 1 Abs. 3 des Katastrophenhilfsdienstgesetzes, LGBl. Nr. 5/1974, die die Sicherheit von Sachen gefährden, sowie die notwendigen Maßnahmen im Zusammenhang mit Aufräumungsarbeiten nach Katastrophen.

Vom Geltungsbereich des NSchG ausgenommen sind nach § 2 Abs. 1 lit. b somit u.a. "Maßnahmen zur Abwehr von Katastrophen nach § 1 Abs. 3 des Katastrophenhilfsdienstgesetzes, LGBl. Nr. 5/1974, die die Sicherheit von Sachen gefährden".

Bei der Ermittlung des Inhaltes dieses Begriffes ist im Hinblick auf die ausdrückliche Verweisung zunächst das Katastrophenhilfsdienstgesetz in den Blick zu nehmen.

Nach dessen § 1 Abs. 1 erster Satz ist zur Vorbereitung und Durchführung der Abwehr und Bekämpfung von Katastrophen ein Katastrophenhilfsdienst einzurichten.

Nach der im NSchG verwiesenen Begriffsbestimmung des § 1 Abs. 3 leg. cit. sind Katastrophen im Sinne dieses Gesetzes durch elementare oder technische Vorgänge ausgelöste Ereignisse, die in großem Umfang das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder Eigentum gefährden.

Das Katastrophenhilfsdienstgesetz enthält weiters Vorschriften, die die Begriffe "Abwehr von Katastrophen" (§ 1 Abs. 4) und "Bekämpfung von Katastrophen" (§ 1 Abs. 5) umschreiben.

Nach § 1 Abs. 4 leg. cit. umfasst die Abwehr von Katastrophen alle Maßnahmen, die geeignet sind, den Eintritt unmittelbar drohender Katastrophen zu verhindern.

Im vorliegenden Zusammenhang stellt sich somit die Frage nach dem Inhalt des Begriffes "Maßnahmen zur Abwehr von Katastrophen". Das NSchG verweist auf die Definition des Begriffes "Katastrophe" im § 1 Abs. 3 Katastrophenhilfsdienstgesetz. Unter Bedachtnahme auf diese Verweisung wäre der Begriff "Maßnahmen zur Abwehr von Katastrophen" im § 2 Abs. 1 lit. b NSchG somit zu lesen als "Maßnahmen zur Abwehr von ... Ereignissen, die im großen Umfang das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder Eigentum gefährden". Wäre hingegen - wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift unter Berufung auf die "Einheitlichkeit der Rechtsordnung" meint - der Begriff "Maßnahmen zur Abwehr von Katastrophen" in § 2 Abs. 1 lit. b NSchG anhand der Definition des § 1 Abs. 4 Katastrophenhilfsdienstgesetz zu ermitteln, wäre er zu lesen als "Maßnahmen, die geeignet sind, den Eintritt unmittelbar drohender

....Ereignisse, die im großen Umfang das Leben oder die Gesundhe it

von Menschen oder Eigentum gefährden, zu verhindern".

Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 lit. b NSchG legt es nicht nahe, die Verweisung auf das Katastrophenhilfsdienstgesetz als die Legaldefinition des § 1 Abs. 4 umfassend zu begreifen. Das NSchG verweist im unmittelbaren Zusammenhang mit den Begriffen "Abwehr von Katastrophen" und "Bekämpfung von Katastrophen" ausschließlich auf die den Begriff "Katastrophe" bestimmende Vorschrift des § 1 Abs. 3 Katastrophenhilfsdienstgesetz. Hingegen enthält das NSchG keinen allgemeinen Verweis auf das Katastrophenhilfsdienstgesetz, dessen gesamten § 1 oder auf § 1 Abs. 4 und 5. Angesichts des Umstandes, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der in § 1 Abs. 4 und 5 Katastrophenhilfsdienstgesetz enthaltenen Definitionen der Begriffe "Abwehr von Katastrophen" und "Bekämpfung von Katastrophen" war, deutet dies darauf hin, dass nach dem Willen des Gesetzgebers zwar der Inhalt des Begriffes "Katastrophen" in § 2 Abs. 1 lit. b NSchG anhand von § 1 Abs. 3 Katastrophenhilfsdienstgesetz zu ermitteln ist, bei der Auslegung des Begriffes "Abwehr von Katastrophen" hingegen nicht zwingend an § 1 Abs. 4 Katastrophenhilfsdienstgesetz anzuknüpfen ist.

Ohne eine solche zwingende Anknüpfung ist aber nicht davon auszugehen, dass der Begriff "Abwehr von Katastrophen" in § 2 Abs. 1 lit. b NSchG nur Maßnahmen umfasste, die geeignet wären, den Eintritt unmittelbar drohender Katastrophen zu verhindern. Diese Einschränkung des Begriffsinhaltes entspricht wohl den aus den Regelungen des Katastrophenhilfsdienstgesetzes ersichtlichen Zielsetzungen der Einrichtung eines Katastrophenhilfsdienstes, nämlich der Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen in außerordentlichen Notsituationen; die langfristig vorbeugende Katastrophenabwehr - etwa im Sinne der Errichtung von Anlagen zur Abwehr von Hochwasser, Vermurungen und Lawinen - zählt nach den Regelungen des Gesetzes hingegen zweifelsfrei nicht zu den Aufgaben des Katastrophenhilfsdienstes.

Sinn und Zweck der Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 1 lit. b NSchG ist es hingegen, Maßnahmen vom Geltungsbereich des NSchG auszunehmen, die zur Rettung höherwertiger Rechtsgüter als der im NSchG geschützten unabdingbar sind (siehe hiezu das zur vergleichbaren Vorschrift des § 2 Abs. 1 Z. 2 NÖ NSchG, LGBl. 5500-5, ergangene Erkenntnis vom , Zl. 98/10/0351). Angesichts dieser Zielsetzung liegt es näher, Maßnahmen des vorbeugenden Katastrophenschutzes in die Regelung des § 2 Abs. 1 lit. b NSchG einzubeziehen, weil es im Zusammenhang mit dem Gewicht des geschützten Rechtsgutes keinen Unterschied macht, ob Maßnahmen zu dessen Schutz vorbeugend oder in einer akuten Bedrohungssituation getroffen werden.

Zur im Wesentlichen dem § 2 Abs. 1 lit. b NSchG gleich lautenden Vorschrift des § 3 lit. b Kärntner Nationalparkgesetz hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 93/10/0166, dargelegt, es sei im Falle der Abwehr von Katastrophen nicht Tatbestandsmerkmal, dass eine Katastrophe "unmittelbar" droht; vielmehr seien in einem solchen Fall auch unbedingt erforderliche Vorbereitungs- und Begleitmaßnahmen als mitumfasst anzusehen. Eine Maßnahme sei somit insoweit von den Beschränkungen des Nationalparkgesetzes ausgenommen, als sie eine unerlässliche Voraussetzung für die Durchführung einer Maßnahme der Katastrophenabwehr oder selbst eine solche Maßnahme darstelle.

Im bereits erwähnten Erkenntnis vom , Zl. 98/10/0351, hat der Verwaltungsgerichtshof zur ebenfalls vergleichbaren Vorschrift des § 2 Abs. 1 Z. 2 NÖ NSchG dargelegt, die Ausnahmen vom Geltungsbereich könnten nicht so verstanden werden, dass damit jegliche Maßnahme, die einen wie immer gearteten Zusammenhang mit dem Schutz des betreffenden Rechtsgutes (dort: der Verhütung von Bränden) habe, von vornherein nicht dem Geltungsbereich des NÖ NSchG zu subsumieren sei; Voraussetzung für die Ausnahme vom Geltungsbereich sei vielmehr, dass die Maßnahme zur Rettung des geschützten Rechtsgutes unabdingbar wäre.

Die soeben dargelegten Grundsätze sind angesichts des nahezu identen Wortlautes und der übereinstimmenden Zielsetzung der in Rede stehenden Vorschriften auf § 2 Abs. 1 lit. b NSchG zu übertragen. Vom Geltungsbereich des NSchG ausgenommen sind somit Maßnahmen, die zur Abwehr von durch elementare oder technische Vorgänge ausgelösten Ereignissen, die in großem Umfang das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder Eigentum gefährden könnten, unbedingt erforderlich sind, einschließlich der unbedingt erforderlichen Vorbereitungs- und Begleitmaßnahmen. Ob es sich beim in Rede stehenden Vorhaben um solche Maßnahmen handelt, was die Beschwerdeführerin unter Berufung auf sachverständige Äußerungen behauptet hat, hat die belangte Behörde (offenbar ausgehend von ihrer verfehlten Rechtsauffassung, wonach Abwehrmaßnahmen nur im Fall "unmittelbar drohender Katastrophen" vom Geltungsbereich des NSchG ausgenommen wären) festzustellen unterlassen. Gegebenenfalls wäre der Bewilligungsantrag mangels Bewilligungsbedürftigkeit des Vorhabens zurückzuweisen gewesen (vgl. auch hiezu das Erkenntnis vom , Zl. 93/10/0166).

Schon aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am