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VwGH vom 23.03.1999, 98/05/0235

VwGH vom 23.03.1999, 98/05/0235

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Vera Dornhackl in Wien, vertreten durch Dr. Andreas Weiler, Rechtsanwalt in Wien I, Franziskanerplatz 3, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-V-98102/00, betreffend Parteistellung in einem Bauverfahren (mitbeteiligte Partei: 1. Gemeinde Hollenthon, vertreten durch den Bürgermeister, 2. Leopold und Johanna Wagner in Hollenthon, Untereck 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die zweitmitbeteiligten Bauwerber sind Miteigentümer des Grundstückes Nr. 670 der Liegenschaft EZ 73, KG Hollenthon, welches in einem Gebiet mit der Widmung Grünland-Landwirtschaft liegt und unmittelbar an den bestehenden Hofverband anschließt. Mit Ansuchen vom beantragten sie die Erteilung einer baubehördlichen Bewilligung zum Neubau einer Maschinenhalle mit Schweinestall laut Einreichplan und Baubeschreibung.

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des im selben Widmungsgebiet liegenden Grundstückes Nr. 656/3, welches in Dreiecksform ausgebildet ist und in seinem nördlichen Eckpunkt an den westlichen Eckpunkt des zu bebauenden Grundstückes der zweitmitbeteiligten Parteien grenzt. Zwischen beiden Grundstücken liegen südlich dieses Grenzpunktes die Grundstücke Nr. 656/1 und Nr. 665 und im nördlichen Bereich das Grundstück Nr. 607/2. Auch diese Grundstücke berühren diesen Grenzpunkt.

Zur mündlichen Bauverhandlung am wurde die Beschwerdeführerin persönlich nicht geladen.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom wurde die beantragte baubehördliche Bewilligung erteilt. Mit Eingabe vom erhob die Beschwerdeführerin "Einspruch" gegen die erteilte Baubewilligung wegen "drohender Immissionen" durch ortsunübliche Geruchsbelästigung. Gleichzeitig beantragte sie die "Zuerkennung der Parteistellung im Bauverfahren" und "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand".

Nach Einholung eines agrartechnischen und medizinischen Gutachtens wies der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde als Baubehörde zweiter Instanz die "Berufung" der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG mit der Begründung ab, das bewilligte Bauvorhaben stehe im Einklang mit der NÖ Bauordnung. Besondere Auflagen betreffend eine Immissionsminderung würden für nicht notwendig erachtet.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. In der Begründung wurde hiezu in rechtlicher Hinsicht ausgeführt, das Grundstück der Beschwerdeführerin grenze lediglich in einem Punkt an das zu bebauende Grundstück an. Entlang des übrigen Verlaufes der Grenze des Grundstückes der Beschwerdeführerin zum Grundstück der Bauwerber lägen weitere Grundstücke, welche ebenfalls im Eigentum der Bauwerber stünden. Die Grundgrenzen liefen keilförmig auf den schon vorhin erwähnten Punkt zusammen. Das Grundstück der Beschwerdeführerin sei vom Grundstück der Bauwerber weder durch eine öffentliche Verkehrsfläche noch durch ein Gewässer oder einen Grüngürtel getrennt. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch könne man unter einer gemeinsamen Grenze nur eine Linie, nicht aber einen Punkt verstehen. Bei einer Grenze handle es sich um eine Linie, ein Grenzverlauf werde durch Grenzzeichen markiert. Daraus ergebe sich, dass eine punktuelle Anbindung keine gemeinsame Grenze sein könne, was bedeute, dass eine punktuelle Anbindung des Grundstückes eines Bauwerbers an ein Nachbargrundstück keine Parteistellung des Nachbarn begründe. Daraus folge, dass der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde die Berufung der Beschwerdeführerin zu Recht abgewiesen habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Parteistellung gemäß § 6 der NÖ Bauordnung 1996 verletzt. Sie macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Auch die mitbeteiligte Gemeinde erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im § 6 der am in Kraft getretenen NÖ Bauordnung 1996 (BO) wurde gegenüber der bisherigen Regelung des § 118 Abs. 8 der NÖ Bauordnung 1976 die Parteistellung der Nachbarn (Anrainer) im Baubewilligungsverfahren neu geregelt.

Die im Beschwerdeverfahren maßgeblichen gesetzlichen Regelungen haben folgenden Wortlaut:

"§ 6

Parteien, Nachbarn und Beteiligte

(1) In Baubewilligungsverfahren ... haben Parteistellung bzw. können erlangen:

...

3. die Eigentümer der Grundstücke, die mit dem Baugrundstück eine gemeinsame Grenze haben oder von diesen durch eine öffentliche Verkehrsfläche, ein Gewässer oder einen Grüngürtel mit einer Breite bis zu 14 m getrennt sind (Nachbarn), und

...

Nachbarn werden nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten berührt werden. Im Baubewilligungsverfahren werden sie nur dann Parteien, wenn sie diese Rechte spätestens in der Bauverhandlung geltend machen. Beteiligte sind alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden.

(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

...

2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§ 63) ergeben,

gewährleisten und über

3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 9) der Gebäude der Nachbarn dienen.

..."

"§ 21

Bauverhandlung

...

(6) Weist ein Nachbar der Baubehörde nach, daß er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach § 6 Abs. 1, zweiter Satz, spätestens in der Bauverhandlung geltend zu machen, darf er seine Einwendungen nach § 6 Abs. 2 gegen die Bauführung bis längstens 3 Monate nach dem angezeigten Baubeginn vorbringen. Solche Einwendungen sind binnen 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses bei der Baubehörde einzubringen. Nach diesem Zeitpunkt ist für die Nachbarn die Erlangung der Parteistellung ausgeschlossen.

..."

Die Berufungsbehörde hat - ohne dies näher zu begründen - die Nachbarstellung der Beschwerdeführerin im vorliegenden Baubewilligungsverfahren gemäß § 6 Abs. 1 Z. 3 und aufgrund des zweiten Satzes dieses Absatzes der BO bejaht. Sie ging auch davon aus, dass die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 leg. cit. vorliegen, die Beschwerdeführerin sohin übergangene Nachbarin ist und ihre Einwendungen - im Beschwerdefall im Rahmen der von ihr erhobenen Berufung gegen den erstinstanzlichen Baubewilligungsbescheid - zulässigerweise erheben durfte, weil mit dem Bau des bewilligten Projektes noch nicht begonnen worden ist und die Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihr Vorbringen in ihrem "Einspruch" vom auch die Einwendungen binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses im Sinne des § 21 Abs. 6 BO erhoben hat.

Die belangte Behörde hat nunmehr der Vorstellung der Beschwerdeführerin deshalb keine Folge gegeben, weil sie keine Nachbarin gemäß § 6 Abs. 1 Z. 3 BO sei. Die Beschwerdeführerin sei keine Eigentümerin eines Grundstückes, das mit dem Baugrundstück eine gemeinsame Grenze hat. Die Berührung eines Grundstückes mit dem Baugrundstück in einem (Grenz-)Punkt sei keine gemeinsame Grenze im Sinne des § 6 Abs. 1 Z. 3 BO.

Dieser von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht kann sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anschließen.

§ 6 Abs. 1 Z. 3 BO geht von einer (gemeinsamen) Grenze zweier Grundstücke aus. Der Begriff des Grundstückes wird in der BO mehrfach verwendet, jedoch nicht näher definiert (vgl. hiezu insbesonders auch die Regelung des § 10 BO über die Änderung von Grundstücksgrenzen im Bauland). Mangels dagegenstehender Anhaltspunkte ist daher auch in der NÖ Bauordnung davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber an den grundbuchsrechtlichen Begriff des Grundstückes anknüpft (vgl. hiezu das zur O.ö. Bauordnung 1994 ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/05/0008). Gemäß § 5 Allgemeines Grundbuchsanlegungsgesetz, BGBl. Nr. 2/1930 in der Fassung des § 56 des Vermessungsgesetzes, BGBl. Nr. 306/1968, kann ein Grundbuchskörper (siehe § 3 Grundbuchsgesetz) aus einem oder mehreren Grundstücken bestehen. Grundstücke im Sinne dieses Gesetzes sind jene Teile einer Katastralgemeinde, die in einem bestimmten Zeitpunkt als solche im Grundsteuerkataster mit einer eigenen Nummer bezeichnet sind oder durch Grundbuchsbeschluss neu gebildet wurden (gleichartige Definitionen des Begriffes "Grundstück" enthalten § 30 Liegenschaftsteilungsgesetz, BGBl. Nr. 3/1930 in der Fassung des BG BGBl. Nr. 238/1975, und § 7a Vermessungsgesetz, BGBl. Nr. 306/1968 in der Fassung des BG BGBl. Nr. 238/1975, wobei letztere Bestimmungen auch auf jene Teile einer Katastralgemeinde Bezug nehmen, die im Grenzkataster mit einer eigenen Nummer bezeichnet sind). Grundstücke der so beschriebenen Art sind demnach durch Grenzpunkte festgesetzte Flächen, anhand deren der Grenzverlauf (allenfalls durch entsprechende Grenzzeichen gemäß § 845 ABGB) ermittelt werden kann (vgl. hiezu auch § 36 Abs. 2 Vermessungsgesetz). Durch die einzelnen Grenzpunkte wird die Lage eines Grundstückes zu einem anderen, insbesondere dem anrainenden Grundstück festgelegt. Der Begriff der "Grenze" setzt damit begriffsnotwendig die einzelnen Grenzpunkte voraus. Schon aufgrund dieses Befundes ergibt sich, dass zwei Grundstücke auch dann eine gemeinsame Grenze haben, wenn sie sich nur in einem einzigen Grenzpunkt berühren.

Aber auch eine unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgebotes vorzunehmende verfassungskonforme Interpretation der Regelung des § 6 Abs. 1 Z. 3 BO gebietet die Annahme einer Rechtswidrigkeit der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht. Sie führt nämlich dazu, dass zwar Eigentümer von bestimmten Grundstücken, die keine gemeinsame Grenze mit dem zu bebauenden Grundstück haben, in den Genuss der Parteistellung kommen könnten, ein Grundeigentümer aber, der mit einer Fläche seines Grundstückes weniger weit entfernt ist als der durch eine öffentliche Verkehrsfläche, ein Gewässer oder einen Grüngürtel mit seinem Grundstück hievon getrennte Eigentümer ohne sachlich erkennbaren Grund nicht in den Genuss der Nachbarstellung käme. § 6 Abs. 1 Z. 3 BO ist daher dahingehend auszulegen, dass Eigentümern von Grundstücken Nachbarstellung im Baubewilligungsverfahren selbst dann zukommt, wenn ihr Grundstück vom zu bebauenden Grundstück durch eine öffentliche Verkehrsfläche, ein Gewässer oder einen Grüngürtel mit bis zu 14 m getrennt ist.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Die belangte Behörde wird daher unter Bedachtnahme auf die vorstehende Rechtsansicht des Gerichtshofes über die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom zu entscheiden haben.

Der Verwaltungsgerichtshof weist aus verfahrensökonomischen Gründen jedoch darauf hin, dass einem Parteistellung genießenden übergangenen Nachbarn grundsätzlich kein subjektiv-öffentliches Recht auf Neudurchführung einer mündlichen Bauverhandlung zukommt und die Berufungsbehörde zulässigerweise in der Sache selbst entschieden hat.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am