VwGH vom 10.05.2000, 95/18/0972
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des am geborenen E P in Wien, vertreten durch Dr. Alois Eichinger, Rechtsanwalt in 1140 Wien, Hütteldorferstraße 90, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 838/94, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen einen Ausweisungsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den am erlassenen Ausweisungsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen.
Der Beschwerdeführer übersehe, dass der Ausweisungsbescheid vom nach erfolgter Vernehmung nicht mündlich (verkündet), sondern (ausschließlich) schriftlich erlassen worden sei, wobei die Zustellung des Bescheides durch Ausfolgung im Sinn der §§ 4 und 24 des Zustellgesetzes erfolgt sei. Ein Anspruch, behördliche Schriftstücke in einer fremden Sprache ausgefertigt oder in deutsch abgefasste Schriftstücke übersetzt zu erhalten, bestehe nicht und könne aus der Manuduktionspflicht nicht abgeleitet werden. Der Beschwerdeführer, dem der schriftliche Bescheid ausgefolgt worden sei, hätte sich diesen jederzeit von einer geeigneten Person übersetzen lassen können. Ein Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist wegen angeblicher Unkenntnis der Berufungsmöglichkeit sei damit nicht gegeben.
Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer bei der vorausgegangenen Vernehmung einen 13-jährigen Verwandten als Vertrauensperson mitgehabt habe, der seine Angaben bei der Vernehmung übersetzt habe - und der im Übrigen auch angegeben habe, dass er seit fünf Jahren in Österreich wäre, der Einvernahme folgen und richtig übersetzen hätte können und dass er auch den Ausweisungsbescheid verstanden und richtig übersetzt hätte -, könne ein Grund für eine Wiedereinsetzung ebenfalls nicht abgeleitet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Vorweg ist festzuhalten, dass - insoweit stimmen die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens überein - die Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Ausweisungsbescheid vom versäumt wurde, somit die wesentliche Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages erfüllt ist (§ 71 Abs. 1 AVG).
2. Nach der vorliegend in Betracht kommenden Bestimmung des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen (vgl. aus der hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom , Zlen. 96/18/0211, 0235).
3.1. Unstrittig ist, dass dem Beschwerdeführer der in Rede stehende Ausweisungsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom an diesem Tag durch Übergabe einer Ausfertigung bei der den Bescheid erlassenden Behörde zugestellt wurde (die Datumsangabe bei der Zustellbestätigung mit "" beruht offensichtlich auf einem Schreibfehler).
Die im Akt erliegende Urschrift dieses Ausweisungsbescheides enthält eine ausführliche Rechtsmittelbelehrung über die Möglichkeit der Erhebung einer Berufung gegen diesen Bescheid.
Mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die dem Beschwerdeführer übergebene Ausfertigung dieses Bescheides ebenfalls diese Rechtsmittelbelehrung enthielt.
3.2. Der Beschwerdeführer hat in seinem Wiedereinsetzungsantrag ins Treffen geführt, gegen den Ausweisungsbescheid keine Berufung erhoben zu haben, "da mir nicht bekannt gegeben worden ist, dass ein Rechtsmittel möglich ist. Die Behörde hat dabei ihre Manuduktionspflicht verletzt."
Der Beschwerdeführer hat damit nicht behauptet, dass er die ihm zugestellte behördliche Erledigung nicht als Bescheid erkannt hätte. Erkennt aber ein sich auf mangelnde Sprachkenntnisse berufender Fremder die ihm zugestellte behördliche Erledigung als Bescheid, ist er - so auch die zutreffende Ansicht der belangten Behörde - verpflichtet, sich (allenfalls unter Beiziehung eines Übersetzers) mit dessen Inhalt einschließlich der Rechtsmittelbelehrung vertraut zu machen. Unterlässt er dies, so ist ihm ein den minderen Grad des Versehens übersteigender Sorgfaltsverstoß anzulasten. Die Unkenntnis von der Möglichkeit, gegen den Bescheid Berufung zu erheben, ist eine Folge dieses Sorgfaltsverstoßes, weil der Beschwerdeführer bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt auch Kenntnis von der Rechtsmittelbelehrung, wonach eine binnen zwei Wochen einzubringende Berufung gegen den Bescheid zulässig ist, erlangt hätte.
Sollte das Vorbringen in der Beschwerde, der Beschwerdeführer habe gar nicht verstanden, welches Schriftstück ihm ausgefolgt worden sei, so zu verstehen sein, dass er die ihm zugestellte behördliche Erledigung nicht als Bescheid erkannt hätte, handelte es sich um ein erstmals in der Beschwerde erstattetes und damit unzulässiges Vorbringen (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG).
3.3. Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen war von der belangten Behörde nur in dem durch die Behauptungen des Beschwerdeführers gesteckten Rahmen zu untersuchen. Der Beschwerdeführer hat seinen Wiedereinsetzungsantrag - wie oben dargestellt - damit begründet, es sei ihm in Verletzung der Manuduktionspflicht durch die Behörde die Rechtsmittelmöglichkeit nicht bekannt gegeben worden. Die Beschwerde bringt in diesem Zusammenhang vor, dem Beschwerdeführer hätte unabhängig von der ihm übergebenen Ausfertigung "eine verständliche Rechtsbelehrung im Sinne des § 13a AVG" gegeben werden müssen.
Die Anleitungspflicht gemäß § 13a AVG betrifft die Vorgänge im Verfahren und ist von der "Rechtsmittelbelehrung" im Sinne des § 58 Abs. 1 und § 61 AVG zu unterscheiden. Eine mündliche Belehrung der Parteien über die Rechtsmittel oder außerordentlichen Rechtsbehelfe, die der Partei bei Zustellung eines Bescheides zustehen, sieht das Gesetz nicht vor (vgl. Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren I2, zu § 61 AVG E 39).
3.4. Von daher gesehen kann es nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer behauptete Unkenntnis von der Berufungsmöglichkeit nicht als tauglichen Wiedereinsetzungsgrund angesehen hat. Ob die Beiziehung eines Minderjährigen als Übersetzer im Verfahren zur Erlassung der Ausweisung zulässig war oder diesbezüglich der Behörde ein Verfahrensfehler anzulasten wäre, ist für die Frage der Rechtmäßigkeit des vorliegend angefochtenen Bescheides nicht von Bedeutung.
4. Auf dem Boden des Gesagten entspricht die von der belangten Behörde ausgesprochene Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages dem Gesetz. Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am