VwGH vom 24.06.2004, 2001/15/0051
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde der H in N, vertreten durch Dipl. Dolm. Dr. Johann Zivic, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Weihburggasse 20, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. RV/30-16/18/2001, betreffend Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.172,88 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Republik Bosnien und Herzegowina, beantragte mit Schriftsätzen vom 28. April und für ihre drei minderjährigen Kinder die Gewährung der Familienbeihilfe rückwirkend ab April 1994.
Diesen Antrag wies das Finanzamt mit der Begründung ab, dass Personen, die weder österreichische Staatsbürger noch im Bundesgebiet bei einem Dienstgeber beschäftigt seien, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe hätten, wenn der ständige Aufenthalt im Bundesgebiet über 60 Kalendermonate nachgewiesen werden könne. Für Zeiten, in denen die Beschwerdeführerin beschäftigt gewesen sei (Juni 1994, Mai bis Juli 1995, Mai bis Juli 1996 und Februar 1998 bis Juli 1999), sei Familienbeihilfe bereits gewährt worden . Da die Beschwerdeführerin am nach Österreich eingereist sei, werde ihr die Familienbeihilfe ab Februar 1998 "durchgehend gewährt".
In der dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie einerseits den Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für diejenigen Monate zurückziehe, für welche sie die Familienbeihilfe bereits erhalten habe. Im Übrigen verweise sie darauf, dass die Familienbeihilfe gemäß § 10 Abs. 3 FLAG fünf Jahre rückwirkend gewährt werden könne. Abgesehen davon sei die Beschwerdeführerin gemäß § 12 Aufenthaltsgesetz als bosnischer Flüchtling anerkannt, weshalb ihr die Familienbeihilfe nicht nur wegen des Aufenthaltes von fünf Jahren, sondern auch zufolge der Flüchtlingseigenschaft zustehe. Eine Ablichtung ihres Reisepasses mit Sichtvermerken der Bezirkshauptmannschaft M., womit das Aufenthaltsrecht in Österreich gemäß § 12 Aufenthaltsgesetz in mehreren Abschnitten vom bis bescheinigt wurde, legte sie ihrer Berufung bei.
Mit Vorhalt vom forderte das Finanzamt die Beschwerdeführerin auf, an Hand geeigneter Unterlagen die in der Berufung behauptete Flüchtlingseigenschaft nachzuweisen.
Darauf antwortete die Beschwerdeführerin, dass weitere Nachweise bezüglich einer Flüchtlingseigenschaft nicht vorlägen. Offenbar aus Zeitgründen habe das "Innenministerium" bei den bosnischen Flüchtlingen nicht gesonderte Bescheide über die Flüchtlingseigenschaft ausgestellt. "Einfachheitshalber" sei daher § 12 des Aufenthaltsgesetzes angewendet und bei zutreffenden Fällen "der Stempel in den bosnischen Reisepässen eingesetzt" worden.
Mit Berufungsvorentscheidung wies das Finanzamt die Berufung ab. Die Anspruchsvoraussetzung des § 3 Abs. 2 FLAG (ein mindestens 60-monatiger ständiger Aufenthalt im Bundesgebiet) sei erst ab Februar 1998 erfüllt. Ein Nachweis der Flüchtlingseigenschaft habe nicht erbracht werden können.
Im Vorlageantrag brachte die Beschwerdeführerin vor, unter Gleichstellung mit österreichischen Staatsbürgern sei auch nicht österreichischen Staatsbürgern, die sich zumindest fünf Jahre im Bundesgebiet ständig aufgehalten haben, die Familienbeihilfe rückwirkend (für diese fünf Jahre) zu gewähren. Flüchtlingen im Sinne des Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sei Familienbeihilfe "ohne Wartezeit" zu gewähren. Der der muslimischen Nationalität angehörige Ehemann der Beschwerdeführerin sei kurze Zeit nach Ausbruch der Kriegshandlungen in Bosnien-Herzegowina im Jahr 1992 von serbischen (para-)militärischen Einheiten verschleppt und umgebracht worden. Das bosnische Heimatdorf der Beschwerdeführerin sei von serbischen (para-)militärischen Einheiten besetzt worden. Die Beschwerdeführerin habe mit ihren drei minderjährigen Kindern fliehen müssen, weil sie sonst höchstwahrscheinlich ebenfalls umgebracht worden wäre. Zum Beweis des Vorliegens der Flüchtlingseigenschaft beantragte die Beschwerdeführerin die Einvernahme ihres Vaters und eines ehemaligen Bewohners ihres bosnischen Heimatdorfes, welche beide selbst vertrieben und in Österreich an von der Beschwerdeführerin angeführten Anschriften wohnhaft seien. Weiters sei der ehemalige Heimatort der Beschwerdeführerin im Abkommen von Dayton der serbischen Entität (Republika Srpska) zugesprochen worden. Da sie sämtliche Voraussetzungen für den Status als Flüchtling gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention erfülle, bestehe ihr Anspruch auf Gewährung von Familienbeihilfe bereits ab April 1994.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Die belangte Behörde ging davon aus, dass sich die Beschwerdeführerin erst ab Februar 1998 über 60 Kalendermonate ständig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Ein rückwirkender Beihilfenanspruch bestehe nicht. Dem "zweiten Argument" der Beschwerdeführerin, sie sei als Flüchtling im Sinne des Art. 1 des Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge und des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anzusehen, könne die belangte Behörde nicht folgen. Die Eintragungen im bosnischen Reisepass würden zeigen, dass die Beschwerdeführerin infolge des bewaffneten Konfliktes in ihrer Heimat gemäß § 12 und 13 des Aufenthaltsgesetzes in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 215/1997 nur zum vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen sei. Demnach könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie als Flüchtling im Sinn des Art. 1 des zitierten Abkommens anzusehen sei, zumal die Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid "des Innenressorts" zuerkannt werde und im vorliegenden Fall ein solcher Zuerkennungsbescheid über Aufforderung des Finanzamtes nicht habe erbracht werden können.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für ihre minderjährigen Kinder im Sinne des § 2 Abs. 3 leg. cit. unter den im FLAG näher ausgeführten Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe. Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben - abgesehen von der im Beschwerdefall nicht einschlägigen Bestimmung des § 53 FLAG - gemäß § 3 Abs. 1 FLAG nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn im Beschwerdefall unstrittig nicht vorliegende zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sind. Gemäß § 3 Abs. 2 FLAG gilt § 3 Abs. 1 nicht für Personen, die sich seit mindestens 60 Kalendermonaten ständig im Bundesgebiet aufhalten, sowie für Staatenlose und für Flüchtlinge im Sinne des Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom , BGBl. Nr. 55/1955, und des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974.
Die Familienbeihilfe wird gemäß § 10 Abs. 1 FLAG nur auf Antrag gewährt. Nach § 10 Abs. 2 leg. cit. wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Die Familienbeihilfe wird nach § 10 Abs. 3 FLAG höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.
Die Beschwerdeführerin vertritt die Ansicht, nach ständigem Aufenthalt im Bundesgebiet über 60 Kalendermonate habe eine Person, die nicht österreichischer Staatsbürger ist, den Anspruch, für fünf Jahre rückwirkend Familienbeihilfe auch für jene Monate gewährt zu erhalten, in denen ein 60-monatiger Aufenthalt im Bundesgebiet noch nicht gegeben gewesen ist. Diese Ansicht entspricht nicht der Rechtslage.
Die Gewährung von Familienbeihilfe ist von materiellen Voraussetzungen abhängig, zu denen die österreichische Staatsbürgerschaft des Anspruchsberechtigten oder bei deren Fehlen u. a. ein dauernder Aufenthalt über 60 Kalendermonate im Bundesgebiet gehören. Der Anspruch auf Familienbeihilfe ist für jeden Monat gesondert zu prüfen. Sind die Anspruchsvoraussetzungen für einen Monat nicht gegeben, so ist eine spätere rückwirkende Erfüllung der Voraussetzungen im Gesetz nicht vorgesehen (vgl. § 10 Abs. 2 FLAG).
Die Bestimmung des § 10 Abs. 3 FLAG, wonach die Familienbeihilfe höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt wird, betrifft ausschließlich das Recht zur Geltendmachung eines bereits entstandenen Anspruches, welches sonst nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe gegeben gewesen sein mussten, wieder erlischt. § 10 Abs. 3 FLAG legt sohin lediglich eine Frist zur Geltendmachung bereits entstandener Ansprüche auf Familienbeihilfe fest und ermöglicht nicht eine rückwirkende Erfüllung von Voraussetzungen zur Entstehung des Anspruches (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , 98/15/0025, womit der Verwaltungsgerichtshof den damals angefochtenen Bescheid betreffend eine im Juli 1995 beantragte rückwirkende Gewährung von Familienbeihilfe hinsichtlich des Zeitraumes Mai 1992 bis Dezember 1994 aufgehoben hatte; die belangte Behörde hatte davon auszugehen, dass sich der damalige Beschwerdeführer von Mai 1987 bis Dezember 1994 in Österreich aufgehalten habe, weshalb die Voraussetzung eines ständigen Aufenthaltes über 60 Kalendermonate ab Mai 1992 erfüllt war).
Die Beschwerdeführerin nimmt für sich weiters in Anspruch, die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 FLAG wären auch schon vor Ablauf der 60 Kalendermonate ständigen Aufenthaltes im Bundesgebiet vorgelegen, weil sie Flüchtling sei.
Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in Verbindung mit Art. I des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist als Flüchtling im Sinne des Abkommens anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Gemäß § 12 Abs. 1 des im Streitzeitraum bis zum anzuwendenden (vgl. § 111 Abs. 3 Fremdengesetz 1997) Aufenthaltsgesetzes konnte die Bundesregierung für Zeiten erhöhter internationaler Spannungen, eines bewaffneten Konfliktes oder sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände mit Verordnung davon unmittelbar betroffenen Gruppen von Fremden, die anderweitig keinen Schutz finden, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren.
So wurde etwa mit § 4 der Verordnung BGBl. Nr. 402/1993 für Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina, die auf Grund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mussten - bei Einreise nach dem unter zusätzlichen Voraussetzungen - ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet bis zum eingeräumt. Dieses wurde mit
Verordnung BGBl. Nr. 368/1994 bis zum , mit
Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994, bis zum , mit
Verordnung BGBl. Nr. 389/1995 bis zum , mit Einschränkungen mit der Verordnung BGBl. Nr. 299/1996 bis und unter weiteren Einschränkungen mit Verordnung BGBl. II Nr. 215/1997 bis verlängert.
Der belangten Behörde ist im Ergebnis zuzustimmen, dass das auf Grund des § 12 des Aufenthaltsgesetzes in Verbindung mit den erwähnten Verordnungen eingeräumte befristete Aufenthaltsrecht allein den Betroffenen die Stellung als Flüchtling im Sinne des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge noch nicht bescheinigt.
Gemäß § 2 Abs. 1 des im Streitzeitraum bis anzuwendenden Asylgesetzes 1991 gewährte Österreich Flüchtlingen Asyl. § 2 Abs. 2 bis 4 Asylgesetz 1991 enthielt Ausnahmen, unter denen einem Flüchtling kein Asyl gewährt wurde. Asyl wurde gemäß § 3 leg. cit. auf Antrag des Asylwerbers gewährt.
Gemäß § 2 des im Streitzeitraum für den Jänner 1998 geltenden Asylgesetzes 1997 erlangen bestimmte Fremde nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes Asyl und die Feststellung, dass sie damit kraft Gesetzes Flüchtlinge sind. Die Entscheidung, mit der Fremden auf Grund Asylantrages oder auf Grund Asylerstreckungsantrages Asyl gewährt wird, ist gemäß § 12 leg. cit. mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. §§ 4 und 5 Asylgesetz 1997 enthalten Bestimmungen, nach denen Flüchtlingen kein Asyl zu gewähren ist (Drittstaatsicherheit, vertragliche Unzuständigkeit Österreichs).
Indem § 3 Abs. 2 FLAG auf die Eigenschaft als Flüchtling im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge abstellt, verlangt es entgegen der Ansicht der belangten Behörde keine durch Bescheid des "Innenressorts" zuzuerkennende Flüchtlingseigenschaft. Das Fehlen eines solchen "Zuerkennungsbescheides" allein reicht nicht aus, einem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zu versagen. Ein eigener Bescheid über die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft war im Geltungsbereich des Asylgesetzes 1991 unzulässig (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 95/01/0071, und Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 1997, Praxiskommentar2, 243). Auch das Fehlen einer bescheidmäßigen Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 12 Asylgesetz 1997 hindert nicht die Prüfung dieser Frage im Verwaltungsverfahren betreffend dasjenige Recht, welches von der Flüchtlingseigenschaft abhängig ist (vgl. auch Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, Rz 119 zu § 1).
Zu Recht rügt die Beschwerdeführerin daher, dass die belangte Behörde aus dem Fehlen eines die Flüchtlingseigenschaft zuerkennenden Bescheides (offenbar gemeint: Asylbescheid) auf das Fehlen der Flüchtlingseigenschaft geschlossen hat, obwohl § 3 Abs. 2 FLAG nicht auf das Vorliegen eines Bescheides über die Zuerkennung von Asyl abstellt. Die belangte Behörde hätte das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 2 FLAG selbständig materiell prüfen müssen.
Da sich die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage mit dem die Flüchtlingseigenschaft betreffenden Sachvorbringen nicht auseinander gesetzt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am