VwGH vom 26.09.1990, 89/13/0130
Beachte
Besprechung in:
ÖStZB 1991, 215;
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde der Verlassenschaft nach W gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , GZ. GA 7 - 808/8/89, betreffend Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom beantragte die am verstorbene Beschwerdeführerin W die Nachsicht der bestehenden Einkommensteuerrestschuld für 1982 in der Höhe von
S 801.800,--. Gegen den Bescheid des Finanzamtes vom , mit welchem dieses Begehren abgewiesen wurde, erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Berufung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde dieses Rechtsmittel abgewiesen und begründend im wesentlichen ausgeführt:
Bei den in Rede stehenden Abgabenschuldigkeiten handle es sich "um die rechtskräftige Einkommensteuerrestschuld für 1982". Die Beschwerdeführerin sei bis zu ihrem Ausscheiden im Jahre 1982 an der M-GesmbH & Co KG beteiligt gewesen und laufend zur Einkommensteuer veranlagt worden. Bedingt durch ihr Ausscheiden aus der genannten Gesellschaft und die damit verbundene Veräußerung ihres Anteils sei es bei der Veranlagung 1982 zu einer Nachforderung an Einkommensteuer für dieses Jahr in Höhe von S 1,701.800,-- gekommen. Dieser Betrag habe sich durch Bezahlung von S 900.000,-- durch die Beschwerdeführerin auf S 801.800,-- verringert, für welche Abgaben nunmehr die Nachsicht begehrt werde.
Zur Frage der Unbilligkeit der Erhebung dieses Steuerbetrages bringe die Beschwerdeführerin vor, daß sie nicht mehr selbsterhaltungsfähig sei und daher der ständigen Hilfe und Betreuung bedürfe. Beides erhalte sie in dem Altersheim, in welchem sie sich zur Zeit befinde. Wenn seitens der Finanzverwaltung auf die Einbringung der fraglichen Abgabenschuld bestanden würde, wären ihre Existenz und ihr Nahrungsstand gefährdet, weil kein Privatvermögen außer ihrer Pension zur Abdeckung der notwendigen Kosten vorhanden sei.
Da das abgabenbehördliche Ermittlungsverfahren ergeben habe, daß tatsächlich eine Einbringung der Abgabenschulden, hinsichtlich welcher eine Nachsicht begehrt werde, in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für die Beschwerdeführerin ergeben würden, sei vorliegendenfalls "von einer Unbilligkeit auszugehen und die Abgabenbehörde verpflichtet, gemäß den Bestimmungen des § 20 BAO eine Ermessensentscheidung zu treffen".
Im Zuge derselben seien sowohl die Momente der subjektiven Billigkeit als auch das bisherige Verhalten der Beschwerdeführerin als Abgabenpflichtige zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang sei davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin verpflichtet gewesen wäre, rechtzeitig und ausreichend Vorsorge zu treffen, daß die durch die Veräußerung ihres Gesellschaftsanteiles sich ergebende Einkommensteuernachforderung für 1982 fristgerecht und vollständig entrichtet werden könne. Dieser Verpflichtung sei die Beschwerdeführerin nicht nachgekommen, obwohl sie steuerlich vertreten gewesen sei und daher sehr wohl über die abgabenrechtlichen Folgen der Veräußerung Kenntnis hätte haben müssen. Weiters spreche gegen eine Billigkeitsmaßnahme der Umstand, daß es sich bei den in Rede stehenden Abgabenschuldigkeiten "lediglich um die Auswirkung der allgemeinen Rechtslage handelt, die alle von dem betroffenen Gesetz erfaßten Abgabepflichtigen in gleicher Weise trifft". Wenn auch die Beschwerdeführerin einen Teil der Einkommensteuernachforderung 1982 entrichtet habe, würde doch die Genehmigung der begehrten Billigkeitsmaßnahme auf eine unzulässige Begünstigung der Beschwerdeführerin hinauslaufen.
Weiters sei ins Kalkül zu ziehen, daß die Beschwerdeführerin, welche steuerlich vertreten gewesen sei und daher hätte wissen müssen, daß es infolge des erzielten Veräußerungserlöses 1982 zu einer beachtlichen Steuernachforderung kommen werde, einen erheblichen Teil dieses Erlöses zur Erhaltung des Einfamilienhauses in B aufgewendet habe. Dieses Haus habe sie jedoch ihrem Sohn geschenkt, was bedeute, daß sich die Beschwerdeführerin "all ihrer Vermögenswerte entledigt hat, welche ihr als Sicherstellung hinsichtlich der zu erwartenden Abgabenschuldigkeiten hätten dienen können".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschulden auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Abgabenbehörde im Falle eines Ansuchens um Nachsicht zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspricht. Verneint sie diese Frage, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, demnach ist der Antrag abzuweisen. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Nach übereinstimmender Ansicht von Lehre und Rechtsprechung liegt eine Ermessensüberschreitung keinesfalls darin, daß die Behörde den Erwägungen der Zweckmäßigkeit gegenüber denen der Billigkeit den Vorrang einräumt, doch müssen die Zweckmäßigkeitserwägungen mit dem Sinn des Gesetzes im Einklang stehen, d.h. die Behörde darf sich bei ihrer Entscheidung nicht von unsachlichen Erwägungen leiten lassen (vgl. Stoll, Bundesabgabenordnung, Wien 1980, Seite 583 f).
Wie sich nun aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, hat die belangte Behörde die Rechtsfrage, ob die Einhebung der Abgabenschuldigkeiten im Beschwerdefall unbillig ist, bejaht, womit die Voraussetzung für eine von ihr zu treffende Ermessensentscheidung gegeben erscheint. Bei Ermessensentscheidungen beschränkt sich die Überprüfung durch den Gerichtshof darauf, ob vom eingeräumten Ermessen innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Gebrauch gemacht wurde oder ob dies - in Form einer Ermessensüberschreitung oder eines Ermessensmißbrauches - nicht der Fall gewesen ist (vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 83/13/0086, und die dort angeführte hg. Judikatur).
Als Begründung dafür, warum die belangte Behörde das ihr durch § 236 BAO eingeräumte Ermessen nicht im für die Beschwerdeführerin positiven Sinn gehandhabt hat, führt sie aus, daß die Beschwerdeführerin ihre abgabenrechtlichen Verpflichtungen insofern verletzt habe, als von ihr - ungeachtet des Umstandes, daß ihr solches im Hinblick auf die Höhe des vereinnahmten Veräußerungsgewinnes möglich gewesen wäre - nicht für die fristgerechte und vollständige Entrichtung der Einkommensteuernachforderung 1982 vorgesorgt worden sei. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die unbestrittene Tatsache, daß die Beschwerdeführerin den von ihr erzielten Veräußerungsgewinn - hinsichtlich dessen in der Beschwerde ausgeführt wird, daß "tatsächlich eine Zahlung von 2 Mio S einging" - zum erheblichen Teil zur Erhaltung des Einfamilienhauses, welches sie ihrem Sohn lastenfrei schenkte, verwendete. Außer Streit steht auch die Feststellung der belangten Behörde, daß die Beschwerdeführerin infolge der erwähnten Schenkung praktisch vermögenslos wurde.
Diese von der belangten Behörde angestellten, sich auf das im gegebenen Zusammenhang geübte Verhalten der Beschwerdeführerin beziehenden Erwägungen, auf welche sie die Versagung der beantragten Nachsicht stützt, stellen sich nach Ansicht des Gerichtshofes als durchaus sachlicher Art dar und lassen nicht erkennen, daß die belangte Behörde ihr Ermessen willkürlich handhabte. Der immer wieder vorgebrachte Hinweis der Beschwerdeführerin, sie sei laufend steuerlich vertreten worden, erweist sich in diesem Zusammenhang als irrelevant. Mit Recht führt die belangte Behörde hiezu aus, gerade aus diesem Umstand müsse der Schluß gezogen werden, daß die Beschwerdeführerin von der auf Grund ihres Veräußerungsgeschäftes zu erwartenden Abgabennachforderung rechtzeitig in Kenntnis gesetzt und damit in die Lage versetzt wurde, aus den vorhandenen Mitteln die entsprechende Vorsorge zu treffen. Durch die aktenmäßig nicht erweisbare Behauptung der Beschwerdeführerin, alle ihre steuerlichen Belange seien bis zu dessen Tod von ihrem Ehegatten wahrgenommen worden, vermag sie für ihren Standpunkt im Beschwerdefall ebenfalls nichts zu gewinnen.
Was schließlich den Hinweis in der Beschwerde auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/15/0014, anlangt, so geht dieser, wie in der Gegenschrift richtig erkannt wird, schon deshalb ins Leere, weil in dem genannten Fall die Frage des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Unbilligkeit der Einhebung der betreffenden Abgabe zur Debatte stand, im Streitfall jedoch das Vorliegen der Unbilligkeit im angefochtenen Bescheid ohnehin bejaht wurde.
Da die Beschwerdeführerin demnach die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht darzutun vermochte, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.