VwGH vom 26.01.1996, 95/17/0206
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Höfinger, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde der Gemeinde St. Marienkirchen an der Polsenz, vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom , Zl. Gem-7523/8-1995-Si, betreffend Wasserleitungsanschlußgebühr (mitbeteiligte Parteien: 1. E G und 2. K H, beide in X), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom wurde den mitbeteiligten Parteien für den Ausbau des Dachbodens ihres Wohnhauses im Gebiet der beschwerdeführenden Gemeinde eine Wasserleitungsanschlußgebühr von S 18.788,-- vorgeschrieben.
Begründet wurde diese Vorschreibung unter Hinweis auf die Wassergebührenordnung der Gemeinde vom durch nähere Darstellung, wie sich der Betrag errechne. Da es sich um die Änderung eines angeschlossenen Grundstückes durch Neu-, Auf-, Zu- oder Umbau handle, sei eine ergänzende Wasserleitungsanschlußgebühr in dem Umfang zu entrichten, als gegenüber dem bisherigen Zustand eine Vergrößerung der Berechnungsgrundlage gegeben sei. Die mitbeteiligten Parteien erhoben gegen diesen Bescheid Berufung, in der sie insbesondere die Verjährung des Abgabenanspruches einwendeten. Mit Berufungsvorentscheidung des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom wurde die Berufung abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Die mitbeteiligten Parteien stellten den Antrag auf Entscheidung über die Berufung; mit Bescheid vom wies der Gemeinderat der beschwerdeführenden Gemeinde die Berufung ab. Auf Grund der dagegen erhobenen Vorstellung erging der nunmehr angefochtene Bescheid der belangten Behörde, mit welchem diese den Bescheid des Gemeinderats der beschwerdeführenden Gemeinde aufhob und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwies. Begründend führte die belangte Behörde insbesondere aus, daß nicht die Wassergebührenordnung der beschwerdeführenden Gemeinde vom heranzuziehen sei, da dies voraussetze, daß der Ausbau des Dachgeschoßes nach dem vorgenommen worden sei. Gemäß der - demgegenüber anzuwendenden - Verordnung des Gemeinderates vom (Punkt I lit. g) sei die ergänzende Wasserleitungsanschlußgebühr mit dem Tage der ersten Benützung der Zu- und Aufbauten fällig. Wie sich aus den von der Gemeinde vorgelegten Unterlagen ergebe, sei die nachträgliche Baubewilligung für die gegenständliche Wohnung im Dachgeschoß auf Grund von Einreichplänen des Planungsbüros Firma H vom erteilt worden (die nachträgliche Baubewilligung wurde mit Bescheid vom erteilt). Die mitbeteiligten Parteien seien im Hinblick auf ihren Einwand, die Anschlußgebühr sei verjährt, aufgefordert worden, Beweise für dieses Vorbringen vorzulegen. Aus den in Kopie vorgelegten Rechnungen ergebe sich, daß in den Jahren 1978 bis 1981 Professionistenarbeiten für den Ausbau der Wohnung geleistet wurden. Die im Dachgeschoß neu ausgebauten Räumlichkeiten seien somit "frühestens zum letztgenannten Zeitpunkt also ab dem Jahre 1981 benützbar" gewesen. Der Gebührenvorschreibung stehe somit § 152 Abs. 1 OÖ LAO entgegen, wonach das Recht, eine Abgabe festzusetzen, binnen fünf Jahren, bei hinterzogenen Abgaben binnen zehn Jahren mit dem Ablauf des Jahres verjährt, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist.
Gemäß § 3 Abs. 1 OÖ LAO entstehe der Abgabenanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht sei, an den die Abgabenvorschrift die Abgabepflicht knüpfe. Im vorliegenden Fall bedeute dies, daß der Abgabenanspruch mit der Benützung der fertiggestellten Dachgeschoßräume im Jahre 1981 entstanden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung im subjektiven Recht auf Selbstverwaltung mit der Behauptung, die Entscheidung der belangten Behörde sei objektiv rechtswidrig und verstoße gegen das der Beschwerdeführerinin nach dem oberösterreichischen Interessentenbeiträgegesetz 1958 eingeräumte Recht, infolge von Zu-, Auf- bzw. Umbauten von bereits an das örtliche Wasserleitungsnetz angebundenen Gebäuden eine zusätzliche Wasserleitungsanschlußgebühr einzuheben, geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten der beschwerdeführenden Gemeinde vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der beantragt wird, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Auch die mitbeteiligten Parteien haben eine Stellungnahme abgegeben, in der sie neuerlich feststellen, daß Verjährung eingetreten sei. Ein Kostenersatzbegehren haben sie nicht gestellt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Soweit in der Gegenschrift darauf verwiesen wird, daß für die vorliegende Beschwerde kein Beschluß des Gemeinderats der beschwerdeführenden Gemeinde vorliege, obwohl gemäß § 42 Abs. 1 der Oö Gemeindeordnung 1990, LGBl. Nr. 91, (nur) der Gemeinderat berechtigt sei, Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben, ist darauf hinzuweisen, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die gemäß § 58 Abs. 1 Oö Gemeindeordnung dem Bürgermeister zukommende Vertretungsmacht dazu führt, daß Vertretungshandlungen des Bürgermeisters nach außen wirksam sind, auch wenn hiefür allenfalls erforderliche Beschlüsse des Gemeinderats im Innenverhältnis nicht vorliegen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/05/0082, mit Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates Slg. 10.147 A/1980). Die unter Berufung auf die Vollmachterteilung durch den Bürgermeister der beschwerdeführenden Gemeinde erhobene Beschwerde ist daher wirksam eingebracht, auch wenn der nach der Gemeindeordnung erforderliche Beschluß des Gemeinderats fehlen sollte.
2. § 7 der im angefochtenen Bescheid genannten "Wassergebührenordnung der Gemeinde St. Marienkirchen an der Polsenz", Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde St. Marienkirchen an der Polsenz vom lautet:
"§ 7
Inkrafttreten
Die Rechtswirksamkeit dieser Wassergebührenordnung beginnt mit . Gleichzeitig treten alle bisherigen diesen Gegenstand regelnden Verordnungen außer Kraft."
Die belangte Behörde ist daher grundsätzlich im Recht, wenn sie davon ausgeht, daß die Verordnung vom nicht auf den Beschwerdefall anzuwenden ist, da der Tatbestand, durch welchen der Abgabenanspruch entstanden ist, vor dem Inkrafttreten der Verordnung verwirklicht wurde. Im Hinblick auf den Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgabenvorschriften (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 86/17/0178, , Zl. 86/17/0149, und vom , Zl. 95/17/0067), bedeutet eine Inkrafttretensbestimmung wie die oben wörtlich wiedergegebene Bestimmung der Verordnung der beschwerdeführenden Gemeinde, daß zwar der Bedingungsbereich früherer Vorschriften aufgehoben ist, nicht jedoch deren Rechtsfolgenbereich. Die belangte Behörde ist daher zutreffend davon ausgegangen, daß im Beschwerdefall die Verordnung der beschwerdeführenden Gemeinde vom anzuwenden ist.
Im Hinblick auf die Bindungswirkung der tragenden Gründe einer Vorstellungsentscheidung (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates Slg. 8091 A/1971) zur Frage der Verjährung ist die beschwerdeführende Gemeinde auch berechtigt, den angefochtenen Bescheid mit dieser Behauptung zu bekämpfen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/17/0019). Es ist daher im Beschwerdefall zu prüfen, ob die genannte Annahme der belangten Behörde zutrifft, bzw. ob diese in einem mängelfreien Verfahren getroffen wurde, ohne daß auf mögliche alternative Aufhebungsgründe, die die Vorstellungsbehörde berechtigt hätten, den Gemeindebescheid aus anderen Gründen zu beheben, einzugehen wäre.
2. Tragender Grund für die Aufhebung des letztinstanzlichen Gemeindebescheides war es, daß die Gemeindebehörden die gemäß § 152 Abs. 1 OÖ LAO eingetretene Verjährung des Abgabenanspruches nicht beachtet hätten. Die belangte Behörde kommt zu dieser Beurteilung auf Grund des von ihr durchgeführten Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der Errichtung der in Rede stehenden Wohnung im Dachgeschoß des Wohngebäudes der mitbeteiligten Parteien. In diesem Zusammenhang leidet der angefochtene Bescheid jedoch an einem wesentlichen Verfahrensmangel.
Ausgehend von dem von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt, auf dessen Grundlage gemäß § 41 Abs. 1 VwGG der Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden hat, ergibt sich nämlich, daß Feststellungen zum Vorbringen des Tatbestandes, an welchen die Verordnung des Gemeinderates der beschwerdeführenden Gemeinde vom den Abgabenanspruch knüpft, nicht getroffen wurden. Wie die belangte Behörde in ihrem Bescheid selbst feststellt, wird nach der genannten Verordnung die Abgabe "mit dem Tage der ersten BENÜTZUNG der Zu- und Aufbauten fällig". Die Feststellungen der belangten Behörde beziehen sich jedoch auf die BENÜTZBARKEIT der in Rede stehenden Wohnung. Feststellungen dahingehend, daß die nach Auffassung der belangten Behörde ab dem Jahre 1981 BENÜTZBARE Wohnung auch tatsächlich BENÜTZT wurde, wurden nicht getroffen (die diesbezüglichen Ausführungen in der Gegenschrift stehen mit dem angefochtenen Bescheid im Widerspruch). Es kann daher im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob der Schluß der belangten Behörde aus den vorgelegten Professionistenrechnungen auf die Benützbarkeit der Wohnung zu dem von ihr angenommenen Zeitpunkt den in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes herausgearbeiteten Grundsätzen hinsichtlich der Schlüssigkeit der Beweiswürdigung und der Anforderungen an die Begründung von behördlichen Entscheidungen entspricht (vgl. z.B. die bei Dolp,
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 601 ff, wiedergegebene Rechtsprechung).
Da der Abgabenanspruch nach der Verordnung vom an die BENÜTZUNG einer Wohnung geknüpft ist, diesbezügliche Feststellungen der belangten Behörde jedoch fehlen, ist der von der belangten Behörde ihrem Bescheid zugrundegelegte Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig.
3. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben, ohne daß auf die in der Gegenschrift erstmals vertretene Auffassung der belangten Behörde einzugehen war, daß die Frage der Verjährung des gegenständlichen Abgabenanspruches an Hand der Oö LAO 1955 zu beurteilen gewesen sei.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die angesprochenen Stempelgebühren, von deren Entrichtung die beschwerdeführende Gemeinde gemäß § 2 Abs. 2 Gebührengesetz 1957 im Rahmen ihres öffentlich-rechtlichen Wirkungsbereiches (wozu die Vorschreibung von Abgaben auf Grund von Landesgesetzen und die damit im Zusammenhang stehende Beschwerdeführung vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 119a Abs. 9 B-VG zählt) befreit ist.