VwGH vom 18.11.2003, 2001/14/0050
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde der L GesmbH in L, vertreten durch KPMG Alpen-Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 4020 Linz, Kudlichstraße 41-43, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich (Berufungssenat I) vom , GZ. RV271/1-7/98, betreffend Körperschaftsteuer 1996, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Einbringungsvertrag vom brachte die S OHG ihren Teilbetrieb, der u.a. die Errichtung von Kabelfernsehanlagen umfasste, unter Anwendung der Bestimmungen des Art. III UmgrStG zum in die neu errichtete T GmbH zu Buchwerten ein. In mehreren weiteren Umgründungsschritten wurde die beschwerdeführende GmbH Rechtsnachfolgerin der T GmbH.
Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen übereinstimmend davon aus, dass die S OHG für die Herstellung von Kabelanschlüssen seit 1971 einmalige Anschlussgebühren vereinnahmt und nicht sofort als Ertrag verbucht, sondern einer Rückstellung zugeführt und auf zehn Jahre verteilt gewinnerhöhend aufgelöst hat.
Im Rahmen einer bei der S OHG durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung wurden die diesbezüglichen Rückstellungen unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 94/15/0148, insofern berichtigt, als die im Prüfungszeitraum 1993 bis 1996 vereinnahmten Anschlussgebühren jeweils zur Gänze im Jahr der Errichtung der Anschlüsse als Betriebseinnahmen erfasst wurden. Dadurch verringerte sich die entsprechende Rückstellung zum von 11,046.643 S auf 5,793.081 S. Soweit die Rückstellung bereits vor dem Prüfungszeitraum gebildet worden war, beließ es der Prüfer bei der auf zehn Jahre verteilten gewinnerhöhenden Auflösung.
In der Folge nahm der Prüfer auch eine korrespondierende Berichtigung des Einbringungswertes bei der T GmbH vor, wodurch sich der im Rumpfwirtschaftsjahr 1996 aufzulösende Rückstellungsbetrag von 1,671.449 S auf 894.313 S verringerte. Zugleich vertrat der Prüfer die Ansicht, die das Rumpfwirtschaftsjahr 1996 betreffenden Anschlussgebühren in Höhe von 993.681 S seien in diesem Jahr zur Gänze als Betriebseinnahmen zu erfassen.
Gegen den im Sinne der Prüferfeststellungen ergangenen Körperschaftsteuerbescheid 1996 vom erhob die T GmbH Berufung, in der sie sich gegen die steuerwirksame Auflösung der in den Vorjahren gebildeten Rückstellungen wandte. Die Rückstellungen beträfen Einnahmen, die nach dem genannten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes bereits in den Vorjahren zu Gewinnrealisierungen hätten führen müssen. Die Fehlerbereinigung erfordere über den Prüfungszeitraum hinausgehende Bilanzberichtigungen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung zwar als unbegründet ab, änderte die Körperschaftsteuerfestsetzung aber zu Gunsten der Beschwerdeführerin insoweit ab, als die vom Prüfer vorgenommenen Änderungen der Rückstellungsbildung wieder rückgängig gemachten wurden. Steuerliche Konsequenzen aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom seien insgesamt erst ab der Veranlagung für das Wirtschaftsjahr 1997 zu ziehen. Die von der Beschwerdeführerin bzw. deren Vorgängerin eingeschlagene Vorgangsweise der Passivierung der vereinnahmten Anschlussgebühren habe wie näher dargestellt der ständigen Verwaltungspraxis entsprochen. Eine "eindeutige" Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes habe es zu einem gleich gelagerten Sachverhalt bis zum Ergehen des angeführten Erkenntnisses nicht gegeben. Wenngleich der Verwaltungsgerichtshof schon im Erkenntnis vom , 89/15/0054, ausgesprochen habe, dass Baukostenzuschüsse eines Energieversorgungsunternehmens nicht als Schulden im Sinne des § 64 BewG angesehen werden könnten, und im Erkenntnis vom , 90/14/0124, bezüglich der steuerlichen Behandlung von Getränkebelieferungsrechten ausgeführt worden sei, dass Zuschüsse nicht durch Bildung einer Passivpost der Besteuerung entzogen werden dürften, hätten sich "nicht einmal Vertreter der überwiegenden Verwaltungspraxis genötigt (gesehen), ihre Meinung entsprechend zu ändern, zumal sie sich auf wesentliche Literaturmeinungen und die Judikatur des deutschen Bundesfinanzhofes stützten konnten". Da einem ordentlichen Kaufmann keine bessere Einsicht zugemutet werden könne als maßgeblichen Vertretern von Lehre und Verwaltungspraxis, sei davon auszugehen, dass die Passivierung der Anschlusskosten subjektiv zu Recht erfolgt sei. Solange die Beschwerdeführerin das zur konkreten Rechtsproblematik richtungsweisende Erkenntnis nicht habe kennen können, sei ein "Bedarf nach Berichtigung" der Bilanz zu verneinen, "zumal sich in diesem Zusammenhang überdies die Frage stellt, ob man im gegenständlichen Fall nicht insoweit sogar von einer objektiven Richtigkeit zum Bilanzstichtag sprechen kann, als die herrschende Rechtsmeinung zu jenem Tag den Bilanzansatz geprägt hatte und es fraglich ist, ob ein späteres Judikat eine entsprechende Rechtswirkung entfalten kann".
Dass die Erklärungen für das Rumpfwirtschaftsjahr 1996 samt Bilanz erst rund neun Monate nach Ergehen des angeführten Erkenntnisses am abgegeben worden seien, stehe der subjektiven Richtigkeit der zum erstellten Bilanz nicht entgegen. Es müsse nämlich berücksichtigt werden, dass Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes in der Regel erst einige Monate nach deren Ergehen in der fachkundigen Öffentlichkeit bekannt werden. Das gegenständliche Erkenntnis sei als Kurzfassung im August 1997 und als Langtext im November 1997 in der Österreichischen Steuerzeitung veröffentlicht worden. In "objektiver Betrachtungsweise" müsse "einem ordentlichen Bilanzierenden ein gewisser Zeitraum ab Kenntnis der zu ändernden Vorgangsweise zur Verifizierung und Umsetzung des Erkenntnisses zugestanden werden". Im gegenständlichen Fall sei es gerechtfertigt, "das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom erstmals ab der Veranlagung des Wirtschaftsjahres 1997 anzuwenden".
Eine Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 EStG 1988 habe daher nicht stattzufinden. Konsequenterweise müsse dies aber nicht nur für die Frage der Auflösung der Vorjahresrückstellungen gelten, sondern auch für die im Jahr 1996 erfolgte Zuführung, sodass der Körperschaftsteuerbescheid 1996 insoweit zu Gunsten der Beschwerdeführerin abzuändern sei.
Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Im Beschwerdefall stimmen die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens darin überein, dass sich der vorliegende Sachverhalt nicht von jenem unterscheidet, der dem Erkenntnis vom , 94/15/0148, zu Grunde lag. Solcherart entsprach die Bildung einer Passivpost und deren Auflösung nach Maßgabe der voraussichtlichen Nutzungsdauer der Kabelanschlüsse nicht den steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften, denen nach § 5 Abs. 1 EStG 1988 Vorrang vor den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zukommt. Der Ansatz von "Rückstellungen" im Zusammenhang mit vereinnahmten Anschlussgebühren ist demnach zu Unrecht erfolgt.
Gemäß § 4 Abs. 2 EStG 1988 muss der Steuerpflichtige die Vermögensübersicht (Jahresabschluss, Bilanz) nach den allgemeinen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung erstellen. Ist die Vermögensübersicht nicht nach diesen Grundsätzen erstellt oder verstößt sie gegen zwingende Vorschriften dieses Bundesgesetzes, so muss er sie auch nach dem Einreichen beim Finanzamt berichtigen. Die Berichtigungspflicht trifft grundsätzlich alle Bilanzen, die sich als unrichtig erweisen. Selbst wenn Feststellungs- oder Abgabenbescheide, die auf einer unrichtigen Bilanz beruhen, in Rechtskraft erwachsen sind und eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO nicht (mehr) in Betracht kommt (etwa wegen bereits eingetretener Verjährung des Abgabenanspruches), sind unrichtige Bilanzen zu berichtigen. Dies deshalb, weil das Gesetz keine zeitliche Begrenzung der Pflicht zur Bilanzberichtigung vorsieht und jene Beschränkungen, die sich aus der Rechtskraft eines Bescheides ergeben, deswegen nicht zum Tragen kommen, weil Bilanzen weder Gegenstand bescheidmäßiger Feststellung sind noch der Verjährung unterliegende Ansprüche darstellen. Eine Bilanzberichtigung ist daher auch dann vorzunehmen, wenn sie sich auf die Abgabenfestsetzung selbst nicht mehr auszuwirken vermag (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 88/14/0097, VwSlg 6.751 F).
Die belangte Behörde hat eine Bilanzberichtigung mit der Begründung abgelehnt, bis zur Veröffentlichung des Erkenntnisses vom und dem Verstreichen einer angemessenen Zeit zu dessen "Verifizierung" sei von einer subjektiven Richtigkeit jener Bilanzen auszugehen, in welchen entsprechend der früheren Verwaltungspraxis Passivierungen im Zusammenhang mit dem Erhalt einmaliger Anschlussgebühren vorgenommen worden seien.
Ein Bilanzansatz, der unter Verwertung der bis zur Bilanzerstellung gewonnenen Erkenntnisse mit entsprechender Sorgfalt gebildet wurde, ist so lange als den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes entsprechend anzusehen, als nichts Gegenteiliges hervorkommt. Ein solcher Ansatz hat gewissermaßen die Vermutung ordnungsmäßiger Bilanzierung für sich. Stellt sich nachträglich dennoch heraus, dass der Bilanzansatz nach den Verhältnissen des Bilanzstichtages objektiv unrichtig ist, und dem Steuerpflichtigen die Umstände bei der Bilanzerstellung bekannt waren, ist die Bilanz zwingend zu berichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 99/15/0075).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 2000/13/0090, ausgesprochen hat, kann die Frage der subjektiven Richtigkeit der Bilanz in jenen Fällen Bedeutung haben, in denen es um "Umstände" oder "Verhältnisse" geht, welche am Bilanzstichtag bereits vorlagen, dem Steuerpflichtigen aber bis zur Bilanzerstellung noch nicht bekannt waren, und welche ein gewissenhafter Abgabepflichtiger bei Anwendung der nötigen Sorgfalt auch nicht kennen musste. Angesprochen sind in diesem Zusammenhang ausschließlich Sachverhaltselemente. Eine unzutreffende, wenn auch durch (Teile der) Fachliteratur und Verwaltungspraxis gestützte Rechtsansicht des Abgabepflichtigen steht einer Berichtigung der in Verkennung der Rechtslage erstellten (Steuer-)Bilanz jedenfalls nicht entgegen. Auf die im genannten Erkenntnis näher ausgeführten Erwägungen wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.
Für den Beschwerdefall folgt daraus, dass die belangte Behörde die in den Vorjahren (bei der Vorgängerin der beschwerdeführenden Partei) unterlassene Besteuerung zu Unrecht im Streitjahr nachgeholt und insofern die Beschwerdeführerin in ihren Rechten verletzt hat. Bemerkt wird, dass aus den im Erkenntnis 94/15/0148 angeführten Gründen auch die im Streitjahr vorgenommene Passivierung der Anschlussgebühren des Jahres 1996 zu Unrecht erfolgt ist.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Die Umrechnung der entrichteten Stempelgebühren beruht auf § 3 Abs. 2 Z. 2 EuroG, BGBl. I Nr. 72/2000.
Wien, am