VwGH vom 23.02.1998, 97/17/0216
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Höfinger und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde der R D in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom (schriftlich ausgefertigt mit ), Zlen. UVS-05/K/03/231/97 und UVS-05/V/03/41/97, betreffend Übertretungen des Wiener Parkometergesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1.1. Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe das näher bezeichnete mehrspurige Fahrzeug erstens am zu einer näher umschriebenen Zeit in W, an einer näher bezeichneten Stelle und zweitens am zu einer näher umschriebenen Zeit in W, an einer näher bezeichneten Stelle, jeweils in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt, ohne für dessen Kennzeichnung mit einem für den Beanstandungszeitpunkt gültig entwerteten Parkschein gesorgt zu haben, da der Parkschein gefehlt habe.
Die Beschwerdeführerin habe demnach in beiden Fällen die Parkometerabgabe fahrlässig verkürzt. Sie habe dadurch § 1 Abs. 3 des Parkometergesetzes, Landesgesetzblatt für Wien Nr. 47/1974 in der geltenden Fassung verletzt. Über die Beschwerdeführerin wurde eine Geldstrafe in der Höhe von je S 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Die Beschwerdeführerin habe die angelasteten Übertretungen unbestritten gelassen. Sie habe weiters erklärt, daß sie von der Entwertung eines Parkscheines Abstand genommen hätte, da sie keinen "Gratis-Parkschein" im Fahrzeug mitgeführt habe; es habe sich auch um eine Dienstfahrt gehandelt. Dies spreche nicht gegen die Verpflichtung zur Entrichtung der Parkometerabgabe; die Beschwerdeführerin hätte sich in Kenntnis der Tatsache, daß sie keinen Parkschein besaß, entweder Parkscheine besorgen müssen bevor sie das Kraftfahrzeug in der Kurzparkzone abgestellt habe oder auf die Abstellung des Kraftfahrzeuges innerhalb der Kurzparkzone überhaupt verzichten müssen. Als erschwerend seien zum Tatzeitpunkt zehn rechtskräftige Vorstrafen zu werten gewesen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin seien gemäß ihren Angaben berücksichtigt worden.
1.2. Gegen dieses ihr unter der Adresse "Bundesministerium, H.-Gasse, W", am zugestellte Straferkenntnis erhob die Beschwerdeführerin eine Berufung, die am bei der Behörde erster Instanz einlangte. In dieser verwies sie darauf, daß sie zwischen zwei "berufsmäßigen behördlichen Verhandlungen" dienstliche Unterlagen zu holen gehabt habe. Da diese dienstlichen Erfordernisse überraschend eingetreten seien, habe sie für entsprechende Kurzparkscheine nicht Vorsorge treffen können, überdies habe sie ihr Fahrzeug nur kurz (unter zehn Minuten) abgestellt. Weiters machte die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid geltend, daß es die Erstbehörde unterlassen habe, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Es sei überdies nicht klar, welche Vorstrafen als rechtskräftig angesehen worden seien; zehn rechtskräftige Vorstrafen bedeuteten, daß sie in jedem Jahr zwei rechtskräftige einschlägige Übertretungen begangen habe, was die Annahme einer schädlichen Neigung keinesfalls begründe.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gemäß § 55e VStG.
1.3. Mit dem in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom verkündeten und am schriftlich ausgefertigten vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte das angefochtene Straferkenntnis. Die Beschwerdeführerin sei trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne Angabe von Gründen nicht zu der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom erschienen, in deren Anschluß der Berufungsbescheid verkündet wurde. Aufgrund des als erwiesen angenommenen Sachverhaltes stehe fest, daß die Berufungswerberin (Beschwerdeführerin) ihr Fahrzeug in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt habe ohne die Abgabe nach dem (Wiener) Parkometergesetz zu entrichten; sie habe dadurch diese Abgabe verkürzt. Es wäre der Beschwerdeführerin bei Beachtung der zumutbaren Sorgfalt möglich gewesen, ausreichend Parkscheine mitzuführen. Soweit die Beschwerdeführerin die Strafbemessung bekämpfe, bleibe der objektive Unrechtsgehalt der Tat nicht hinter jenem zurück, der mit der Begehung gleichartiger Straftaten verbunden sei und auf den die Strafdrohung auch Bedacht nehme. In subjektiver Hinsicht habe die Berufungswerberin trotz gebotener Gelegenheit in der öffentlichen mündlichen Verhandlung keine Angaben zu ihren Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnissen gemacht, weshalb die Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Hinblick auf ihre berufliche Stellung als Beamtin als zumindest durchschnittlich geschätzt worden seien. Die erstinstanzliche Behörde habe die zahlreichen einschlägigen Verwaltungsstraftaten zutreffend als erschwerend gewertet; die bisher verhängten Strafen seien offenkundig nicht geeignet gewesen, die Beschwerdeführerin von der Begehung weiterer einschlägiger Verwaltungsstraftaten abzuhalten.
Die Beschwerdeführerin bekämpft diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragt aus diesen Gründen "die ersatzlose Behebung des bekämpften Bescheides".
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.
2.0 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Das Beschwerdevorbringen läßt sich dahin zusammenfassen, daß die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Parteiengehörs in der unterlassenen ordnungsgemäßen Ladung zur öffentlichen mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde erblickt. Dadurch sei sie an entsprechenden Sachvorbringen gehindert worden bzw. habe die belangte Behörde weitere, aufgrund des bisherigen, insbesondere des (Berufungs)Vorbringens der Beschwerdeführerin indizierte Sachverhaltsermittlungen unterlassen. Ohne den ungesetzlichen Zustellvorgang - sie habe die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde nie erhalten - hätte die Beschwerdeführerin insbesondere nähere Ausführungen zum Vorliegen einer Notstandssituation und zu ihren persönlichen Verhältnissen machen können. Die Notstandssituation erblickt die Beschwerdeführerin in der - in beiden Fällen gegebenen - Notwendigkeit der Befolgung einer dringenden Weisung in Wahrung der Interessen der Republik Österreich; zu ihren privaten Verhältnissen hätte sie vor allem über ihre Vermögenslage näheres Vorbringen erstatten können.
2.2. § 51e VStG lautet auszugweise:
"(1) Wenn die Berufung nicht zurückzuweisen ist oder wenn nicht bereits aus der Aktenlage oder aufgrund ergänzender Erhebungen ersichtlich ist, daß der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, dann ist eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen. Zu dieser sind die Parteien und die zu hörenden Personen, insbesondere Zeugen und Sachverständige, zu laden.
(2) Wenn in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder wenn sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid oder nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder wenn im bekämpften Bescheid eine S 3.000,-- nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, dann kann eine Verhandlung unterbleiben, es sei denn, daß eine Partei die Durchführung einer Verhandlung ausdrücklich verlangt. Den Parteien ist eine von einer anderen Partei erhobene Berufung unter Hinweis auf diese Rechtsfolge mitzuteilen. Vor Erlassung des Bescheides ist den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zu geben. ...
(4) Die Parteien sind so rechtzeitig zur Verhandlung zu laden, daß ihnen von der Zustellung der Ladung an mindestens zwei Wochen zur Vorbereitung zur Verfügung stehen. ..."
Da im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat, der gemäß § 51 Abs. 1 VStG über Berufungen in Verwaltungsstrafsachen zu entscheiden hat, kein Neuerungsverbot besteht, muß ein neues Vorbringen und Beweisanbot des Beschuldigten vom Unabhängigen Verwaltungssenat berücksichtigt werden (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens3, 1086 unter 2 wiedergegebene hg. Rechtsprechung zu § 51g VStG). Erweist sich im Beschwerdefall die Behauptung der Beschwerdeführerin als zutreffend, ihr sei durch einen ungesetzlichen Zustellvorgang das Recht auf Parteiengehör genommen worden, bedeutet dies, daß der bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet ist, sofern nur das Vorbringen, das zu erstatten die Partei gehindert war, entscheidungsrelevant ist. Diese Relevanz kann im vorliegenden Fall hinsichtlich der behaupteten Notstandssituation sowie der Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Es ist daher zu prüfen, ob die Partei (die Beschwerdeführerin) tatsächlich durch einen ungesetzlichen (Zustell)Vorgang in ihrem Recht auf Parteiengehör verletzt wurde. Sollte dies der Fall gewesen sein, erübrigt sich im Beschwerdefall die Klärung der Frage, ob weitere Ermittlungen der belangten Behörde durch das bisherige Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren indiziert gewesen wären.
2.3. Die Beschwerdeführerin ist Beamtin im Bundesministerium. Mit Bescheid vom (expediert am ) wurde sie zu der am anberaumten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde unter ihrer Privatadresse in W geladen. Aus dem im Akt erliegenden Rückschein ist ersichtlich, daß die Privatadresse durchgestrichen und durch die Anschrift des Bundesministeriums in der H.-Gasse ersetzt wurde. Der Rückschein weist weiters bei der Übernahmsbestätigung eine Stampiglie des Bundesministeriums für Inneres vom und eine Unterschrift (nicht die der Beschwerdeführerin) auf. In dem dafür auf dem Rückschein vorgesehenen Vordruck ist "Postbevollmächtigter für RSb-Briefe" oder (dies läßt sich nicht eindeutig feststellen) "Mitbewohner der Abgabestelle" angekreuzt. Nach dem Beschwerdevorbringen hat die Beschwerdeführerin die erwähnte Ladung nicht erhalten.
2.4. Gemäß § 4 des Zustellgesetzes darf eine Sendung dem Emfpänger (nur) an der Abgabestelle zugestellt werden. (Die Fälle des § 13 Abs. 5 oder des § 24 Zustellgesetz liegen nicht vor). Als Abgabestellen kommen nach der zitierten Gesetzesbestimmung die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anläßlich einer Amtshandlung auch deren Ort in Betracht. Im Beschwerdefall sollte die Zustellung (ursprünglich?) an der Wohnanschrift der Beschwerdeführerin erfolgen. Nach der Aktenlage ist dies jedoch nicht geschehen. Es wurde offenbar - von wem auch immer - eine Anschrift als Abgabestelle gewählt, an der sich der Arbeitsplatz der Beschwerdeführerin befinden sollte. Nach den Angaben der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung ist sie jedoch nicht in der H.-Gasse sondern in der B.-Straße beschäftigt.
Bei dem Arbeitsplatz, der als Abgabestelle im Sinne des Gesetzes in Betracht kommt, muß es sich aber auch in örtlicher Hinsicht um die Stelle handeln, an der der Zustelladressat tatsächlich arbeitet. Bei einer großen Behörde, wie dem Bundesministerium, reicht also die Zustellung an irgendeine, räumlich getrennte Dienststelle nicht aus, um als Zustellung "am Arbeitsplatz" in Betracht zu kommen. Dies folgt schon aus der Verknüpfung des regelmäßigen Aufenthaltes des Empfängers einer Sendung an der "Abgabestelle", wie sie etwa § 17 Abs. 1 Zustellgesetz vornimmt. Anders als etwa bei einer Betriebsstätte (vgl. dazu Hauer-Leukauf, aaO, 1210 E 13 zu § 4 Zustellgesetz) kann nämlich beim "Arbeitsplatz" nicht davon ausgegangen werden, daß der Zustellempfänger es in der Macht hat, organisatorische Maßnahmen zu setzen, damit er im Postweg zugestellte Schriftstücke zuverlässig erhält. Der Begriff "Arbeitsplatz" kann daher im Sinne des Gesetzes nur dahin verstanden werden, daß damit auch örtlich der Platz, an dem er Zustellempfänger arbeitet, gemeint ist.
Im Beschwerdefall erfolgte die Zustellung nicht am "Arbeitsplatz", somit nicht an einer vom Gesetz vorgesehenen Abgabestelle. Auf den Umstand, daß die Zustellung an einer anderen "Abgabestelle" erfolgt wäre, als die Behörde offenbar bestimmt hat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/06/0075) war daher ebensowenig einzugehen, wie auf die Frage, ob an der Abgabestelle einem Ersatzempfänger zugestellt werden durfte (vgl. § 16 Abs. 1 Zustellgesetz). Die Annahme einer Postvollmacht (vgl. § 13 Abs. 1 Zustellgesetz) durch die belangte Behörde hätte aber bei der gegebenen Aktenlage noch weiterer Erhebungen bedurft.
Da die belangte Behörde sohin zu Unrecht in einem wesentlichen Punkt von einer rechtswirksamen Zustellung ausgegangen ist und dadurch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a und c VwGG aufzuheben.
2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das den Schriftsatzaufwand betreffende Mehrbegehren war abzuweisen (§ 49 Abs. 1 VwGG idF BGBl. I Nr. 88/1997).
2.6. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
3.0 Es wird weiters darauf hingewiesen, daß die Beendigung des Beschwerdeverfahrens, für dessen Dauer die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wurde, einen Abspruch über diesen Antrag entbehrlich macht.