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VwGH vom 30.03.1998, 97/16/0227

VwGH vom 30.03.1998, 97/16/0227

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Fellner und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des KP in W, vertreten durch Dr. Reinhard Schöll, Rechtsanwalt in Wien XX, Wallensteinplatz 6, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat IV, als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz vom , Zl. GA 13-1/P-293/2/97, betreffend Verhängung der Untersuchungshaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Wie in der Beschwerdeschrift selbst ausgeführt wird, wurde der Beschwerdeführer in den Jahren 1991 bis 1996 insgesamt fünfmal wegen Finanzvergehen des Schmuggels bestraft. Zuletzt sei über ihn am eine Geldstrafe von S 50.000,-- sowie eine (primäre) Freiheitsstrafe von einer Woche verhängt worden.

Nach einer am aufgenommenen "Tatbeschreibung" stellte sich der Beschwerdeführer am um ca. 23.30 Uhr beim Zollamt Nickelsdorf mit seinem eigenen Kraftfahrzeug (einem VW-Transporter) zur Eingangsabfertigung. Der Beschwerdeführer habe auf Befragen angegeben, daß er keinerlei Waren mit sich führe. Bei der anschließenden Revision wurden in einer Abdeckung der Seitenwand des Fahrzeuges 20.900 Stück Zigaretten verschiedener Marken vorgefunden. Nach einer fernmündlichen Verständigung der Zollfahndung Wien stellten die Organwalter des Zollamtes fest, daß sich der Beschwerdeführer - der sich während des Ferngespräches unbeaufsichtigt in einem Warteraum des Zollamtes aufgehalten hatte - aus diesem entfernt hatte. Eine sofort durchgeführte Fahndung am Zollamtsplatz blieb erfolglos.

Am erließ der Vorsitzende des Spruchsenates beim Hauptzollamt Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz die Anordnung, den Beschwerdeführer wegen Flucht- und Begehungsgefahr zum Zwecke der Vorführung und vorläufigen Verwahrung festzunehmen.

Nach dem Inhalt der Akten konnte der Beschwerdeführer bei einer von der Finanzstrafbehörde am durchgeführten Erhebung an seiner Wohnadresse nicht angetroffen werden. In der Folge führten Organe der Finanzstrafbehörde Anfragen beim Paßamt, beim Kfz-Zentralregister und beim Meldeamt durch. Bei einer neuerlichen Durchsuchung des beschlagnahmten Kraftfahrzeuges wurde eine Reisebestätigung des Reisebüros P. über eine vom 13. April bis gebuchte Reise nach Istanbul vorgefunden. Am wurde von einem Vertreter dieses Reisebüros mitgeteilt, daß der Beschwerdeführer schon des öfteren sog. "Billigreisen" bei dem Reisebüro gebucht hatte. Am wurde vom Vertreter des Reisebüros fernmündlich mitgeteilt, daß Michael E. eine Umschreibung des Flugtickets (des Beschwerdeführers) auf seinen Namen verlangt habe. Michael E. habe eine Einverständniserklärung des Beschwerdeführers vorgewiesen.

Am wurde der Beschwerdeführer beim Verlassen seiner Wohnung in Wien festgenommen. Bei der anschließenden Vernehmung als Verdächtiger gab er an, er habe die am mitgeführten Zigaretten bereits Ende des Jahres 1996 in der Slowakei erworben. Am habe er die bei einer Freundin in Bratislava gelagerten Zigaretten nach Österreich verbringen wollen. Die im Kraftfahrzeug vorhandenen Bleche seien nicht vom Beschwerdeführer eingebaut worden. Die Bleche müßten vom Vorbesitzer angebracht worden sein. Er habe die angebrachten Nieten aufgebohrt, die Zigaretten versteckt und die Bleche wieder angenietet.

Mit Bescheid des Vorsitzenden des Spruchsenates vom wurde über die Beschwerdeführer wegen des Tatverdachtes der Finanzvergehen des Schmuggels und des vorsätzlichen Eingriffes in die Rechte des Tabakmonopols aus den Haftgründen der Flucht- und der Begehungsgefahr die Untersuchungshaft verhängt. In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, auf Grund der wiederholt demonstrierten grenzüberschreitenden Mobilität sei einerseits zu besorgen, daß sich der Verdächtige bei Belassung auf freiem Fuße wegen der Höhe der nunmehr mutmaßlichen zu gewärtigenden Strafen flüchten oder sich verborgen halten werde; andererseits zeige die neuerliche Betretung, daß rechtskräftige Bestrafungen - letztlich auch die Verhängung einer Freiheitsstrafe - nicht geeignet gewesen seien, den Beschwerdeführer von weiteren auf der gleichen schädlichen Neigung basierenden Finanzstraftaten abzuhalten.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid machte der Beschwerdeführer geltend, er sei seit Jahren an derselben, den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen bildenden Adresse wohnhaft und dort auch polizeilich gemeldet. Da seine Reisedokumente eingezogen worden seien, könne sich der Beschwerdeführer nicht ins Ausland begeben, um neuerliche Schmuggelfahrten durchzuführen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Weiters wurde in diesem Bescheid ausgesprochen, daß die Untersuchungshaft aus den Gründen des § 86 Abs. 1 lit. a und c FinStrG fortzusetzen sei.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wurde unter anderem wörtlich ausgeführt:

"Die Fluchtgefahr ist deswegen als dringend anzunehmen, weil der Beschuldigte unmittelbar nach seiner Entdeckung unter Zurücklassung des Fahrzeuges und der Schmuggelware geflüchtet ist und sich mehr als einen Monat lang trotz intensiver Fahndung, teilweise über ein Reisebüro anläßlich der Umschreibung eines auf ihn lautenden Flugtickets, verborgen halten konnte."

Nach den weiteren Ausführungen im angefochtenen Bescheid sei eine Tatbegehungsgefahr gegeben, weil der mehrfach einschlägig vorbestrafte Beschwerdeführer schon bei wiederholten Schmuggelfahrten betreten worden sei und auf Grund der Paßeintragungen seit Jahren nahezu ununterbrochen Fahrten nach Ungarn und zurück unternommen habe. Es bestehe im übrigen der Verdacht, daß die Schmuggelfahrten zuletzt gewerbsmäßig durchgeführt worden seien. Der in der Beschwerde angeführte Umstand, die Behörde hätte ihm seine Reisepapiere entzogen, hindere angesichts der Möglichkeiten der Grenzüberschreitung auch ohne Reisepapiere keineswegs die neuerliche Begehung derartiger Finanzvergehen durch den Beschuldigten.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Freiheitsrechten, wegen Verhängung und überlanger Dauer der Untersuchungshaft verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Finanzstrafgesetzes lauten:

"§ 86. (1) Die Untersuchungshaft ist vom Vorsitzenden des Spruchsenates zu verhängen, dem gemäß § 58 Abs. 2 unter den dort vorgesehenen Voraussetzungen die Durchführung der mündlichen Verhandlung und die Fällung des Erkenntnisses obliegen würde. Sie darf nur verhängt werden, wenn der Verwahrte auch nach seiner Vernehmung dringend eines vorsätzlichen Finanzvergehens, mit Ausnahme einer Finanzordnungswidrigkeit, verdächtig bleibt und auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, er werde auf freiem Fuße


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a)
wegen der Größe der ihm mutmaßlich bevorstehenden Strafe oder aus anderen Gründen flüchten oder sich verborgen halten (Fluchtgefahr),
b)
andere an der Tat Beteiligte, Hehler, Zeugen oder Sachverständige zu beeinflussen, die Spuren der Tat zu beseitigen oder sonst die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren versuchen (Verdunkelungsgefahr) oder
c)
das ihm angelastete versuchte Finanzvergehen ausführen (Ausführungsgefahr) oder in unmittelbarer Folge ein weiteres gleichartiges Finanzvergehen begehen (Begehungsgefahr).

(2) Fluchtgefahr ist jedenfalls nicht anzunehmen, wenn der Beschuldigte sich in geordneten Lebensverhältnissen befindet und einen festen Wohnsitz im Inland hat, es sei denn, daß er bereits Anstalten zur Flucht getroffen hat.

§ 88. (1) Die Untersuchungshaft darf nicht verhängt oder aufrechterhalten werden, wenn die Haftzwecke auch durch Anwendung eines oder mehrerer gelinderer Mittel erreicht werden können. Als gelindere Mittel sind anwendbar:


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a)
das Gelöbnis des Beschuldigten, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Finanzstrafverfahrens weder zu flüchten noch sich verborgen zu halten noch sich ohne Genehmigung der Finanzstrafbehörde erster Instanz von seinem Aufenthaltsort zu entfernen;
b)
das Gelöbnis, keinen Versuch zu unternehmen, die Untersuchung zu vereiteln;
c)
die Weisung, jeden Wechsel des Aufenthaltsortes anzuzeigen oder sich in bestimmten Zeitabständen bei der Finanzstrafbehörde erster Instanz oder bei einer anderen Stelle zu melden;
d)
die vorübergehende Abnahme der Reisepapiere;
e)
die vorübergehende Abnahme der zur Führung eines Fahrzeuges nötigen Papiere.

Die Anwendung gelinderer Mittel ist aufzuheben, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen."

Die Begründung eines Bescheides muß erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangt ist, daß gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , Zl. 94/16/0290).

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid aus dem Umstand auf das Vorliegen einer Fluchtgefahr geschlossen, daß der Beschwerdeführer nach seiner Entdeckung unter Zurücklassung seines Kraftfahrzeuges und der Konterbande geflüchtet sei und sich einen Monat lang trotz intensiver Fahndung verborgen gehalten hatte. Auf Grund welcher Umstände die belangte Behörde die Feststellung getroffen hat, der Beschwerdeführer habe sich "trotz intensiver Fahndung" einen Monat lang verborgen gehalten, wird im angefochtenen Bescheid nicht dargestellt. Nach dem Inhalt der dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten wurden zwischen und keine Maßnahmen zur Festnehmung des Beschwerdeführers getroffen. Es ist somit davon auszugehen, daß sich der Beschwerdeführer in diesem Zeitraum unbehelligt an seiner Wohnanschrift aufgehalten hat, wie dies von ihm auch in der Beschwerdeschrift behauptet wird. Das Verlassen des Amtsplatzes am rechtfertigte zwar die mit Bescheid vom angeordnete Festnahme, ließ aber am (dem Tag der Erlassung des Bescheides über die Verhängung der Untersuchungshaft) nicht zwingend auf eine Fluchtgefahr im Sinne des § 86 Abs. 1 lit. a FinStrG schließen.

Was dabei der im angefochtenen Bescheid enthaltene Hinweis auf die Umschreibung eines Flugtickets begründen soll, ist nicht deutlich erkennbar. Daraus, daß eine dritte Person ein auf den Namen des Beschwerdeführers ausgestelltes Flugticket übernommen hat, kann keinesfalls auf eine Fluchtgefahr des Beschwerdeführers - dessen Reisepapiere diesem abgenommen worden waren - geschlossen werden.

Die Annahme einer Fluchtgefahr ist damit aber nicht in dem von der Behörde festgestellten Sachverhalt begründet. Aus dem angefochtenen Bescheid ist auch nicht erkennbar, von welcher Größe der dem Beschwerdeführer mutmaßlich bevorstehenden Strafe die Behörde ausging.

Überdies hat die belangte Behörde übersehen, daß nach § 86 Abs. 2 FinStrG Fluchtgefahr jedenfalls nicht anzunehmen ist, wenn der Beschuldigte sich in geordneten Lebensverhältnissen befindet und einen festen Wohnsitz im Inland hat, es sei denn, daß er bereits Anstalten zur Flucht getroffen hat. Gerade solche Umstände, die die Annahme einer Fluchtgefahr nach der letztgenannten Gesetzesstelle ausschließen, hat der Beschwerdeführer aber in seiner Administrativbeschwerde geltend gemacht. Auch dadurch, daß sich die belangte Behörde mit diesem Vorbringen im angefochtenen Bescheid in keiner Weise auseinandergesetzt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem Begründungsmangel belastet.

Schließlich hat die belangte Behörde auch die Vorschriften des § 88 Abs. 1 FinStrG über die Substitution der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel außer acht gelassen, zumal der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren auf den Umstand hingewiesen hat, daß ihm die Reisepapiere abgenommen worden sind. Dabei trifft es nicht zu, daß im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid dargelegten Möglichkeiten einer Grenzüberschreitung auch ohne Reisepaß § 88 Abs. 1 lit. d FinStrG grundsätzlich unanwendbar ist.

Die Tatbegehungsgefahr im Sinne des § 86 Abs. 1 lit. c FinStrG - auf welchen Haftgrund sich die belangte Behörde weiters stützte - wurde mit den zahlreichen, vom Beschwerdeführer unbestrittenermaßen durchgeführten Schmuggelfahrten begründet. Damit hat die belangte Behörde aber übersehen, daß Voraussetzung für die Annahme dieses Haftgrundes ist, daß die Gefahr besteht, der Beschuldigte werde eine gleichartige Tat "in unmittelbarer Folge" begehen. Schon deswegen aber, weil zwischen der Begehung der Tat und der erst einen Monat danach verhängten Untersuchungshaft eine zeitliche Distanz von mehr als einem Monat bestand, kann von einer "unmittelbaren Folge" keine Rede sein. Die Behörde hätte begründen müssen, warum sie trotz der Abnahme der Reisepapiere und trotz Beschlagnahme des Fahrzeuges noch immer eine derartige Gefahr als gegeben erachtete. Im übrigen reicht eine bloß abstrakte Rückfallgefahr, die aus Vorstrafen des Beschuldigten vermutet wird, zur Annahme des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr nicht aus.

Schließlich wurde im angefochtenen Bescheid der weitere Ausspruch, die Untersuchungshaft sei aus den Gründen des § 86 Abs. 1 lit. a und c FinStrG fortzusetzen, in keiner Weise begründet. Es ist somit nicht erkennbar, aus welchen Gründen die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides zweiwöchige Untersuchungshaft weiterhin fortzusetzen war.

Da eine inhaltliche Rechtswidrigkeit gegenüber einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften prävaliert, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.