VwGH vom 24.04.1990, 89/04/0195
Beachte
Besprechung in:
ZfV 1992/3, S 233-248;
Betreff
N-GesmbH gegen Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten vom , Zl. 300.272/1-III-3/88, betreffend Ansuchen um Genehmigung der Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage (mitbeteiligte Parteien: 1) A in Wien, und 2) B in Wien).
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom wurde über die Berufungen der mitbeteiligten Parteien dahin erkannt, daß der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom im Grunde des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 i. d.F. der Gewerberechtsnovelle 1988 behoben werde, und daß die Ansuchen der Beschwerdeführerin vom , vom und vom "im gleichen Grunde" abgewiesen würden. Zur Begründung wurde ausgeführt, mit Bescheid vom habe der Landeshauptmann von Wien der Beschwerdeführerin die Änderung ihrer Betriebsanlage (Tankstelle mit Servicestation im Standort Wien), unter Auflagen genehmigt. Diesem Bescheid seien die Ansuchen der Beschwerdeführerin vom 24. und vom sowie vom zugrunde gelegen. Gegen diesen Bescheid hätten die mitbeteiligten Parteien Berufung erhoben. Hiezu sei auszuführen, daß die beantragten Änderungen auf den Grundstücken Nr. 1197/1 und Nr. 1198/2, EZ 837 des Grundbuches der KG X, vorgenommen werden sollten. Dieses Grundstück sei im Bebauungsplan gemäß § 6 der Wiener Bauordnung als "Wohngebiet" ausgewiesen. Gemäß § 77 Abs. 1 GewO 1973 dürfe eine Betriebsanlage nicht für einen Standort genehmigt werden, in dem das Errichten oder Betreiben der Betriebsanlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag durch Rechtsvorschriften verboten sei. Gemäß § 81 Abs. 1 leg. cit. bedürfe auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung, wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich sei. Gemäß § 6 der Wiener Bauordnung dürften in Wohngebieten nur Wohngebäude und Bauten, die religiösen, kulturellen oder sozialen Zwecken oder der öffentlichen Verwaltung dienten, errichtet werden. Die Errichtung von Gast-, Beherbergungs-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, von Büro- und Geschäftshäusern sowie die Unterbringung von Lagerräumen und Werkstätten kleineren Umfanges und Büros und Geschäftsräumen in Wohngebäuden sei dann zulässig, wenn sichergestellt sei, daß sie nicht durch Rauch, Ruß, Staub, schädliche oder üble Dünste, Niederschläge aus Dämpfen oder Abgasen, Geräusche, Wärme, Erschütterung oder sonstige Einwirkungen, Gefahren oder den Wohnzweck beeinträchtigende Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen geeignet seien. Eine Tankstelle diene weder religiösen, kulturellen oder sozialen (sondern wirtschaftlichen) Zwecken und auch nicht der öffentlichen Verwaltung. Eine Tankstelle sei auch nicht als Gast-, Beherbergungs-, Versammlungs- oder Vergnügungsstätte anzusehen, ebensowenig als Büro- oder Geschäftshaus; nach den eingereichten Projektsunterlagen sei ferner nicht beabsichtigt, die beantragte Betriebsanlage in einem Wohngebäude unterzubringen. Aus § 6 der Wiener Bauordnung ergebe sich also, daß die Errichtung einer Tankstelle in einem Wohngebiet im Bereich des Landes Wien unzulässig sei. Die Wiener Bauordnung sei eine Rechtsvorschrift im Sinne des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988. Dies bedeute im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 81 Abs. 1 GewO 1973, daß auch die Änderung einer bereits genehmigten Betriebsanlage bei Zutreffen der Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 zweiter Satz leg. cit. zu versagen sei. Da nun im vorliegenden Fall der Standort der gegenständlichen Betriebsanlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag als "Wohngebiet" gewidmet sei, in einem Wohngebiet aber gemäß § 6 der Wiener Bauordnung die Errichtung einer Tankstelle verboten sei, sei das verfahrensgegenständliche Ansuchen aus diesem Grund abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - gleichwie die zweitmitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag, der Beschwerde keine Folge zu geben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Ihrem Vorbringen zufolge erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht auf behördliche Genehmigung der von ihren Ansuchen erfaßten Betriebsanlagenänderung verletzt. Sie bringt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, sie verfüge im Standort Wien. über eine mit rechtskräftigen Bescheiden vom , vom in der Fassung des Bescheides vom , vom und vom genehmigte Tankstelle mit Servicestation. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom seien ihr über ihren Antrag (vom 24. und sowie vom ) gemäß § 81 GewO 1973 - die in der Folge angeführten - Änderungen unter Erteilung verschiedener, hier nicht weiter relevanter Auflagen, bewilligt worden. Die erstinstanzliche Behörde habe insbesondere auch baurechtliche Einwendungen als nicht gegebenen erachtet. Der in der Folge über Berufungen der mitbeteiligten Parteien ergangene angefochtene Bescheid sei aus folgenden Gründen mit Rechtswidrigkeit belastet: Auszugehen sei zunächst davon, daß der durch die Novelle BGBl. Nr. 399/1988 neu gefaßte § 77 Abs. 1 GewO 1973, der auch auf Anträge betreffend Änderung einer genehmigten Betriebsanlage anzuwenden sei (§ 81 leg. cit.), in seinem zweiten Satz normiere, daß eine Betriebsanlage nicht für einen Standort bewilligt werden dürfe, in dem das Errichten oder Betreiben der Betriebsanlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag durch Rechtsvorschriften verboten sei. Der von der belangten Behörde in diesem Sinne herangezogene § 6 der Bauordnung für Wien sei zwar eine Rechtsvorschrift, ihm sei aber - anders als es die belangte Behörde sehe - keinesfalls ein Verbot der Errichtung von Tankstellen im Wohngebiet zu entnehmen. Der maßgebliche Abs. 6 der zitierten Vorschrift nenne nämlich einerseits Tankstellen überhaupt nicht und lasse andererseits u.a. expressis verbis "Geschäftshäuser", Lagerräume und Werkstätten kleineren Umfanges ausdrücklich auch im Wohngebiet (unter bestimmten weiteren dort genannten, hier aber nicht relevanten Voraussetzungen) zu. Da nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die genannten Begriffe, insbesondere der der "Werkstätte", ausdehnend zu interpretieren seien, könnten darunter auch Tankstellen verstanden werden, die ja einer Werkstätte aber auch einem Geschäftsraum durchaus ähnlich seien. Der Verwaltungsgerichtshof habe dies an Hand des Begriffes der Werkstätte im Sinne des § 6 Abs. 6 der Bauordnung für Wien ganz ausdrücklich für den Fall einer Waschanlage und einer Servicestation bejaht (Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 9235/A). Schon daraus werde klar, daß § 6 Abs. 6 der Bauordnung für Wien keine Verbotsnorm betreffend die Errichtung von Tankstellen im Sinne des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 sein könne. Dazu komme aber noch folgendes: Die Bauordnung für Wien sei gar nicht sedes materiae in Ansehung der Errichtung von Tankstellen, sondern es werde diese Frage vielmehr im Gesetz vom , LGBl. für Wien Nr. 22/57, i.d.F. LGBl. Nr. 40/1969 und Nr. 7/1975, über Anlagen zum Einstellen von Kraftfahrzeugen und über Tankstellen in Wien (sogenanntes Wiener Garagengesetz) geregelt, was von der belangten Behörde vollkommen übersehen worden sei. Diese Norm sei lex specialis zur Bauordnung für Wien. § 4 Abs. 1 des Wiener Garagengesetzes regle die Errichtung von Tankstellen näher und normiere in seinem zweiten Satz, zweiter Halbsatz, ausdrücklich auch die Zulässigkeit der Errichtung von Tankstellen "im übrigen Bauland" und damit auch im Wohngebiet (dies unter weiteren, hier nicht relevanten Voraussetzungen). In diesem Sinne habe der Verwaltungsgerichtshof auch schon wiederholt erkannt, daß Tankstellen auch im Wohngebiet zulässig seien (z.B. Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 7008/A). Von besonderer Bedeutung dabei sei aber, daß § 4 Abs. 1 des Wiener Garagengesetzes nach der - im weiteren bezeichneten - Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes sich nur auf Neubauten (arg.: Errichtung) beziehe, nicht aber auch auf die Änderung bereits bestehender Tankstellen. Daraus ergebe sich gemäß § 1 Abs. 1 und 2 des Wiener Garagengesetzes in Verbindung mit § 6 Abs. 6 der Bauordnung für Wien, daß die von der Beschwerdeführerin begehrte Änderung ihrer Betriebsanlage durch keinerlei gesetzliches Verbot von vornherein untersagt sei. Dies alles hätte die belangte Behörde ebenso beachten müssen, wie den Umstand, daß auch § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 nur von der "Errichtung" einer Betriebsanlage und in diesem Zusammenhang von einem durch Rechtsvorschriften angeordneten Verbot spricht, worum es aber hier überhaupt nicht gehe. Schließlich sei auch ein Verfahrensmangel darin gelegen, daß die belangte Behörde die Feststellung, bei dem in Rede stehenden Standort handle es sich um ein "Wohngebiet", ihr im Berufungsverfahren hätte vorhalten und ihr dadurch die Möglichkeit geben müssen, zu der damit in relevantem Zusammenhang stehenden Frage der baurechtlichen Zulässigkeit von Tankstellen im Wohngebiet im allgemeinen und der baurechtlichen Zulässigkeit der angestrebten Änderung einer bereits bestehenden Tankstelle im besonderen Stellung zu nehmen. Hätte die belangte Behörde dieser Pflicht entsprochen, so hätte sie die Möglichkeit gehabt, ihren Rechtsstandpunkt darzulegen und dabei darauf hinweisen können, daß sie für die jetzt verfahrensgegenständliche Änderung ihrer Betriebsanlage ohnehin bereits über eine rechtskräftige Baugenehmigung verfüge, nämlich in Gestalt des Bescheides der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. MDR-B X-25/85.
Die Beschwerde ist begründet:
Gemäß § 77 Abs. 1 erster Satz GewO 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399, ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71 a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, daß überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen, die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden. Nach dem zweiten Satz darf die Betriebsanlage nicht für einen Standort genehmigt werden, in dem das Errichten oder Betreiben der Betriebsanlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag durch Rechtsvorschriften verboten ist.
Nach § 81 Abs. 1 GewO 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988, bedarf, wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen.
Aus der sich so darstellenden Gesetzeslage folgt aber, daß auch im Falle einer einem Genehmigungsverfahren im Sinne des § 81 Abs. 1 GewO 1973 zu unterziehenden Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage seitens der erkennenden Behörde auf die Bestimmung des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 Bedacht zu nehmen ist.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , Zl. 89/04/0047, zur Anordnung des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 dargetan hat, hat die Gewerbebehörde in Ansehung der konkreten vom Antrag erfaßten Betriebsanlage, und zwar bezogen auf den in Betracht kommenden Standort, zu prüfen, ob sich aus einer Rechtsvorschrift ein Verbot des Errichtens oder Betreibens dieser Anlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag ergibt. Derartige "Rechtsvorschriften", die genereller oder individueller Art (Bescheide) sein können, sind aber von der Verwaltungsbehörde entsprechend den vorstehenden Darlegungen nicht zu vollziehen, sondern von ihr im Sachverhaltsbereich zu berücksichtigen.
Ausgehend davon kommt aber dem vordargestellten Beschwerdevorbringen der Beschwerdeführerin jedenfalls schon insofern Bedeutung zu, als sie sich darauf beruft, bereits in Gestalt des Bescheides der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. MDR- BX-25/85, im Besitz einer rechtskräftigen baubehördlichen Genehmigung gewesen zu sein. Das Zutreffen dieses Umstandes hätte aber die belangte Behörde, die ihren Abspruch ausschließlich auf ihrer Ansicht nach im Sinne des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 einer Änderungsgenehmigung entgegenstehende baurechtliche Normen stützte, bei ihrer diesbezüglichen, nach der vordargestellten Rechtslage im Sachverhaltsbereich vorzunehmenden Prüfung als für die rechtliche Beurteilung relevante individuelle Norm im Rahmen ihrer Erörterungen und Feststellungen berücksichtigen müssen.
Ausgehend davon hätte aber die belangte Behörde - sofern ihr eine entsprechende Ermittlung nicht im Hinblick auf § 39 Abs. 2 AVG 1950 schon von Amts wegen möglich gewesen wäre - der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG 1950 Parteiengehör zu gewähren gehabt. Entgegen der in der Gegenschrift in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gebrachten Meinung der belangten Behörde hat nämlich der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 6300/A, dargetan, daß, wenn auch Gegenstand des Parteiengehörs der durch die Behörde als erwiesen angenommene Sachverhalt, nicht aber dessen rechtliche Beurteilung sein kann, so doch im Falle einer während des Verfahrens eingetretenen Änderung der Rechtslage (im Beschwerdefall die Änderung der Bestimmung des § 77 Abs. 1 GewO 1973 durch die Gewerberechtsnovelle 1988), Sachverhaltselemente in den Vordergrund treten und rechtliche Bedeutung erlangen können, von denen die Behörde, will sie nicht das Parteiengehör verletzen, nicht von vornherein annehmen darf, daß die Parteien des Verfahrens nichts zu ihrer Klärung beitragen können.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie schon in Hinsicht darauf den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedurfte.
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich im Rahmen des geltend gemachten Kostenersatzanspruches auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.