VwGH vom 27.03.1996, 92/13/0291

VwGH vom 27.03.1996, 92/13/0291

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl un Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. DDr. Jahn, über die Beschwerde des Dr. J in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl GA 7-779/19/92, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Steuerberater, beantragte in einem Ansuchen vom eine teilweise Nachsicht seiner Steuerschulden i der Weise, daß davon 80 % nachgelassen werden und einem 20 %-igen außergerichtlichen Ausgleich zugestimmt werde. Dies mit folgender Begründung: Er habe gegenüber Finanzämtern einen Rückstand im Gesamtausmaß von rd S 3,6 Mio; gegenüber Bankinstituten habe er Schulden im Gesamtausmaß von rd S 5,3 Mio, insgesamt sohin rd S 9 Mio Seine Kanzlei werde durchaus gewinnbringend geführt (Gewinn vor Steuern rd S 880.000,--), es bedürfe aber schon wegen der Zinsenzuwächse keiner Ausführungen, daß er niemals in der Lage sei, aus eigenem seine Schulden abzudecken. Es drohe vielmehr ein Konkursverfahren und damit der Verlust seiner Steuerberatungsbefugnis und in weiterer Folge mangels Chance, in seinem Alter von 54 Jahren eine Arbeitsstelle zu finden, der Verlust überhaupt jeder Einkommensmöglichkeit. Er habe im Laufe der Jahre seine "Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit" bewiesen und bei den Finanzämtern umfangreiche Rückzahlungen (bei einem angeführten Finanzamt rd S 670.000,--) vorgenommen. Ein namentlich genannter persönlicher Freund sei in selbstloser Weise bereit, ihm zu helfen. Dies aber unter der Voraussetzung, daß ein außergerichtlicher Ausgleich zustande komme, weil nur damit die Chance bestehe, daß er seine Steuerberatungs-Befugnis erhalten könne und nur dann die zur Verfügung gestellten Mittel zurückgezahlt werden könnten. Diese Hilfe biete dem Beschwerdeführer die wohl letzte Chance, bis zu seiner Pensionierung schuldenfrei zu werden, und den Gläubigern die wohl letzte Chance, eine zumutbare Quote zu erhalten. Andernfalls drohe be unvermeidlich scheinendem Konkurs, daß der Beschwerdeführer auf staatliche Fürsorgehilfe angewiesen sei. Der Beschwerdeführer sei verheiratet, seine Frau sei kaum für sich allein sorgefähig, und habe ein dreijähriges Kind sowie aus erster Ehe zwei noch nicht voll ausgebildete, erwachsene Kinder. Die kurz erwähnten Ursachen der Überschuldung seien eine Häufung unglücklicher Ursachen: Einerseits der Bau eines Zweifamilienhauses im Jahre 1983 mit geplanter finanzieller Unterstützung des Schwiegervaters, wobei dieser unerwartet noch im gleichen Jahr im 59. Lebensjahr verstorben sei, danach eine schwere Erkrankung der Schwiegermutter, welche zweimal aufwendig operiert habe werden müssen, und der damit verbundene Wegfall der Arbeitskraft der in der Kanzlei mitarbeitenden Ehefrau de Beschwerdeführers, andererseits die geplante und nicht mehr aufschiebbare gleichzeitige Übersiedlung der Kanzlei, welche mit der Fusion von zwei Steuerberatungsgesellschaften mbH erfolgen sollte. Diese Fusion sei durch ein plötzliches, nicht klärbares Mißtrauen nicht zustande gekommen, wodurch größter wirtschaftlicher Schaden entstanden sei. Weiters habe der Beschwerdeführer um die Jahreswende 1982/83 in einem anderen Bundesland eine Steuerberatungs-GmbH gegründet, welche durch eine nicht vorhersehbare Erkrankung des bestellten Prokuristen einen wirtschaftlichen Kollaps erlitten habe, die zu wirtschaftlich katastrophalen Haftungen auch de Beschwerdeführers geführt habe. Überdies sei die Baufirma, die das Zweifamilienhaus errichtet habe, in Konkurs geraten, wodurch ein mit dem Baumeisterforderungen kompensierbares Steuerberatungsauftragsvolumen von insgesamt S 1,250.000,-- letzten Endes am Beschwerdeführer "hängengeblieben" sei. Die obige Situation habe dazu geführt, daß der Beschwerdeführer mit Frau, Kindern und Schwiegermutter das erwähnte Zweifamilienhaus innerhalb von drei Wochen räumen und im Sommer 1987 längere Zeit ein "Zimmer plus Frühstück-Quartier" beziehen habe müssen. Die Bankinstitute hätten seinem Ersuchen um den 20 %-igen Ausgleich bereits zugestimmt. Voraussetzung sei aber auch die Zustimmung der Finanzbehörde.

Das Finanzamt wies dieses Ansuchen ab.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde auch die dagegen eingebracht Berufung als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde ging im Rahmen ihrer Rechtsentscheidung zwar von einer Unbilligkeit der Einhebung im Sinne des § 236 Abs 1 BAO aus, in Ausübung des Ermessens lehnte sie die begehrte Nachsicht aber ab. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß der Beschwerdeführer entgegen seinem Vorbringen i Laufe der Jahre keineswegs seine Zahlungswilligkeit bewiesen habe. Vielmehr habe er seit dem Jahre 1982 seine Zahlungsverpflichtungen nu gelegentlich erfüllt, sodaß es trotz erklärungsgemäßer Veranlagungen zu einem Anwachsen des Rückstandes auf das "nachsichtsgegenständliche Ausmaß gekommen sei. Selbst mehrfach bewilligte Raten seien nur teilweise entrichtet worden. Überdies erscheine das Zustandekommen de seit 1987 angestrebten stillen Ausgleiches unabhängig von der Zustimmung der Finanzverwaltung zweifelhaft, da laut Schreiben des Vertreters des Beschwerdeführers an diesen lediglich eine grundsätzliche Bereitschaft der Banken und eine persönliche Überzeugung (des Vertreters) bezüglich einer positiven Stellungnahme der übrigen Gläubiger bestehe. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers anläßlich einer Vorsprache beim Finanzamt sei bereits infolge einer Verurteilung wegen fahrlässiger Krida eine Prüfung durch die Kammer der Wirtschaftstreuhänder anhängig, daher wäre selbst bei Erzielung eines stillen Ausgleiches auf Grund der drohenden Entziehung der Berufsbefugnis die Erhaltung der Existenzgrundlage noch nicht gewährleistet.

Da das Erreichen eines Gesamtschuldenstandes von rd S 9 Mio, ausgelöst sowohl durch private als auch durch berufliche Fehlentscheidungen, denen bei objektiver Betrachtung durchaus nicht der Charakter eines auch bei gebotener Vorsicht unvorhersehbaren Schadensfalles zukomme, bei einem Angehörigen der rechtsberatenden Berufe zweifellos mehr Gewicht als bei einem Steuerpflichtigen mit durchschnittlicher kaufmännischer Ausbildung zukommen müsse, bestehe an der Erhaltung der beruflichen Existenz des Beschwerdeführers überdies "kein übergeordnetes Interesse". Den mit den privaten Schwierigkeiten verbundenen Härten sei ohnedies schon durch Bewilligung von Zahlungserleichterungen und Aussetzung der Einbringun eines Großteiles des Rückstandes seit August 1989 Rechnung getragen worden.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Gewährung der beantragten Nachsicht verletzt und beantragt Bescheidaufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vo und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung de Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs 1 BAO können fällige Abgabenschulden auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Abgabenbehörde im Fall eines Ansuchens um Nachsicht zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspricht. Verneint sie diese Frage, so is für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, demnach ist der Antrag abzuweisen. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Nach übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung liegt eine Ermessensüberschreitung keineswegs darin, daß die Behörde den Erwägungen der Zweckmäßigkeit gegenüber denen der Billigkeit den Vorrang einräumt, doch müssen die Zweckmäßigkeitserwägungen mit dem Sinn des Gesetzes im Einklang stehen, dh die Behörde darf sich bei ihrer Entscheidung nicht von unsachlichen Erwägungen leiten lassen (vgl etwa das hg Erkenntnis vom , 89/13/0041, mwN).

Wie sich aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, hat die belangte Behörde die Rechtsfrage, ob die Einhebung der Abgabenschuldigkeiten i Beschwerdefall unbillig ist, bejaht, womit die Voraussetzung für eine von ihr zu treffende Ermessensentscheidung gegeben war. Bei Ermessensentscheidungen beschränkt sich die Überprüfung durch den Gerichtshof darauf, festzustellen, ob vom eingeräumten Ermessen innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Gebrauch gemacht wurde, oder ob dies - in Form einer Ermessensüberschreitung oder eine Ermessensmißbrauches - nicht der Fall war (vgl auch hiezu das oben zitierte Erkenntnis vom ).

Im Rahmen dieser Prüfung kann es jedoch nicht als unsachlich erkannt werden, wenn die Abgabenbehörde die Nachsicht von (80 % der) Abgabenschuldigkeiten, unter Berufung auf deren Entstehen durch jahrelange Verletzung von Zahlungspflichten verweigert hat (vgl auch das hg Erkenntnis vom , 87/13/0173). Das Beschwerdevorbringen, in den Jahren 1989 bis 1991 wären Zahlungen in der Gesamthöhe von rd S 2,1 Mio geleistet worden, kann an dieser Beurteilung nichts ändern. Abgesehen davon, daß mangels Angabe der Zahlungsverpflichtungen daraus nämlich nicht zu erkennen ist, ob der Beschwerdeführer in den Jahren 1989 bis 1991 seinen Zahlungsverpflichtungen hinsichtlich der laufenden Abgaben dieser Jahre vollständig nachkam, änderte selbst dieser Umstand nichts daran daß der Abgabenrückstand durch jahrelange Verletzung der Zahlungspflichten (in den Jahren 1982 bis 1988) entstanden ist. Daß der Abgabenrückstand durch die erwähnten Zahlungen in den Jahren 1989 bis 1991 (infolge deren die laufenden Zahlungsverpflichtungen beträchtlich übersteigenden Umfanges) erheblich abgebaut worden wäre, ist weder zu erkennen noch behauptet der Beschwerdeführer solches in der Beschwerde. Ob die erwähnten Zahlungen auf dem eigenen Zahlungswillen des Beschwerdeführers beruhen oder - wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift meint - auf verstärkte Einbringungsmaßnahmen der Vollstreckungsstelle des Finanzamtes zurückzuführen sind, kann daher dahingestellt bleiben.

Da somit bereits der Umstand der jahrelangen Verletzung von Zahlungspflichten gegenüber der Abgabenbehörde geeignet ist, die Verweigerung der Nachsicht als innerhalb der vom Gesetzgeber gezogene Grenzen zu beurteilen, erübrigt es sich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

Lediglich der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, daß die belangte Behörde die Erhaltung der Existenzgrundlage des Beschwerdeführers selbst bei Gewährung der Nachsicht wegen des anhängigen Verfahrens bei der Kammer der Wirtschaftstreuhänder noch nicht als gesichert erachtet hat. Der Beschwerdeführer tritt den diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid nicht entgegen

Damit gehen aber die Beschwerdeausführungen, soweit sie unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit - als für die Gewährung der Nachsich sprechend - von gesicherten weiteren Einkünften des Staates aus der zukünftigen Berufstätigkeit des Beschwerdeführers ausgehen, ins Leere

In diesem, wie auch im Zusammenhang mit der Rüge, die belangte Behörde habe ausreichende Prüfungen und Feststellungen hinsichtlich der im Verwaltungsverfahren dargelegten Forderungsausfälle unterlassen, ist darauf hinzuweisen, daß es nach herrschender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Nachsichtsverfahren Sache des Beschwerdeführers ist, einwandfrei und unter Ausschluß jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (vgl etwa das hg Erkenntnis vom , 91/13/0023, mwN). Wenn das Antragsvorbringen des Beschwerdeführers nicht die gebotene Deutlichkeit und Zweifelsfreihei aufwies, so kann daher nicht der belangten Behörde eine mangelnde Ermittlungstätigkeit als Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeworfen werden.

Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen, wobei von der Durchführun der beantragten Verhandlung aus dem Grunde des § 39 Abs 2 Z 6 VwGG abgesehen werden konnte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 416/1994.