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VwGH vom 21.05.1996, 95/11/0256

VwGH vom 21.05.1996, 95/11/0256

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 65-8/110/95, betreffend Feststellung gemäß § 64 Abs. 5 KFG 1967, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde fest, daß gemäß § 64 Abs. 5 KFG 1967 ein Recht des Beschwerdeführers, von seinem deutschen Führerschein auf dem Gebiet der Republik Österreich Gebrauch zu machen, nicht besteht.

In der Begründung ihres Bescheides verwies die belangte Behörde zunächst auf die im erstinstanzlichen Bescheid dargestellte Sach- und Rechtslage. Dieser Bescheid enthielt bloß die Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes des § 64 Abs. 5 KFG 1967 und die Feststellung, daß der "ständige Wohnsitz" des Beschwerdeführers "schon länger als ein Jahr in Österreich begründet" worden sei.

Die belangte Behörde führte weiters aus, der Beschwerdeführer habe behauptet, sein ordentlicher Wohnsitz befinde sich in Stuttgart. Sie habe ihn aufgefordert, Urkunden, insbesondere seine Meldezettel aus Österreich und der Bundesrepublik Deutschland vorzulegen. Dazu sei ihm eine ausreichende Frist gesetzt worden, die über sein Ersuchen bis erstreckt worden sei. Eine weitere Fristerstreckung sei nicht gewährt worden, da der Beschwerdeführer seit Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides in Kenntnis des von der Behörde als erwiesen angenommenen Sachverhaltes gewesen sei und genug Zeit gehabt habe, die für sein Vorbringen sprechenden Unterlagen vorzulegen. Er habe keine Unterlagen vorgelegt, aus denen hervorgehe, daß er seinen ordentlichen Wohnsitz in Stuttgart habe. Die Bestätigung seines Steuerberaters über seine unbeschränkte Steuerpflicht stelle keinen eindeutigen Nachweis für seinen ordentlichen Wohnsitz in Deutschland dar, zumal sich eine Steuerpflicht nicht ausschließlich auf einen Wohnsitz in einem bestimmten Staat gründen müsse. Da der Beschwerdeführer seit in Österreich gemeldet sei, sei schlüssig anzunehmen, daß er sich seither überwiegend in Österreich aufhalte. Auch der Umstand, daß seine Kinder in Wien-Hietzing die Schule besuchten, spreche dafür, daß der "Lebensmittelpunkt" des Beschwerdeführers sich am Ausbildungsort seiner Kinder in Wien befinde, möge er sich auch beruflich viel im Ausland aufhalten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 64 Abs. 5 KFG 1967 (in der bis geltenden Fassung) ist das Lenken eines Kraftfahrzeuges aufgrund einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung durch Personen mit dem ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet zulässig, wenn seit der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Bundesgebiet nicht mehr als ein Jahr verstrichen ist. § 79 Abs. 3 bleibt unberührt.

Gemäß Art. VIII Z. 1 und 5 des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994, wurde mit Wirkung vom der Begriff "ordentlicher Wohnsitz" in Bundesgesetzen - somit auch im KFG 1967 - durch den Begriff "Hauptwohnsitz" ersetzt.

Als ordentlicher Wohnsitz ist jener Ort anzusehen, an dem sich die betreffende Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, ihn bis auf weiteres zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu wählen (siehe das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/11/0271, mwN). In gleichem Sinne definiert § 1 Abs. 7 des Meldegesetzes 1991 in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes den Hauptwohnsitz. Nach dieser Bestimmung ist der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat.

Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Hauptwohnsitzgesetzes (1334 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des NR. XVIII. GP, S. 12) bedarf es für die Annahme eines Hauptwohnsitzes einer solchen Verdichtung der Lebensbeziehungen, daß bei Einbeziehung sämtlicher (also der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und beruflichen) Lebensumstände des Betroffenen in die Betrachtung von einem "Mittelpunkt der Lebensbeziehungen" gesprochen werden kann. Hat jemand, der über mehrere Wohnsitze verfügt, nur einen Wohnsitz, der diesen Mittelpunkt bildet, so ist dies sein Hauptwohnsitz. Bloß in jenen - seltenen - Fällen, in denen der Mensch sowohl über mehrere Wohnsitze als auch an mehreren dieser Wohnsitze über "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" verfügt, hat er jenen "Mittelpunkt" zu bezeichnen, der sein Hauptwohnsitz sein soll. Das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, gibt in diesen Fällen letztlich den Ausschlag. Bei Vorliegen mehrerer Wohnsitze werden für den "Mittelpunkt der Lebensbeziehungen" vor allem folgende Bestimmungskriterien maßgeblich sein:

Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften. Es kommt somit auf eine Gesamtschau an: Am Wohnsitz muß nicht der Schwerpunkt der beruflichen, der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen bestehen, sondern es muß sich bei Betrachtung des beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeldes eines Menschen ergeben, daß er dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Hiebei ist es etwa durchaus möglich, daß am Hauptwohnsitz wenige oder gar keine beruflichen Lebensbeziehungen bestehen.

Dem erstinstanzlichen Bescheid lag zugrunde, daß der Beschwerdeführer bei einer Amtshandlung der Verkehrsabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Niederösterreich am je eine Wohnadresse in Wien und in Stuttgart genannt hat und daß er laut einer Meldebestätigung der Bundespolizeidirektion Wien seit an einer näher bezeichneten Anschrift in Wien XIII gemeldet ist. Weitere Ermittlungen wurden nicht durchgeführt. Parteiengehör wurde nicht gewährt.

Der Beschwerdeführer legte in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid ausführlich dar, daß sich der Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen und damit sein ordentlicher Wohnsitz an einer näher bezeichneten Adresse in Stuttgart befinde und er in Österreich hauptsächlich seine Freizeit verbringe. Sein Einkommen werde in der Bundesrepublik Deutschland besteuert, da sich dort sein "ordentlicher Hauptwohnsitz" befinde. Er habe in den USA einen weiteren Wohnsitz. Seine Kinder besuchten in Wien XIII die Schule und würden von einem Kindermädchen und einer Wirtschafterin betreut. Die Entscheidung, die Kinder in Österreich die Schule besuchen zu lassen, beruhe darauf, daß er seine Freizeit größtenteils in Österreich verbringe.

Nach Einlangen der Berufung forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer auf, "genaue Unterlagen der Auslandsaufenthalte vorzulegen, ebenso wie den Meldezettel in Österreich und weitere allfällige Unterlagen, aus denen hervor geht, von wann bis wann sich Herr H. seit dem Jahr 1992 aufgehalten hat".

Der Beschwerdeführer legte mit Schriftsatz vom eine Bestätigung einer Stuttgarter Steuerberatungsgesellschaft vor, nach deren Inhalt sich sein Hauptwohnsitz an einer näher bezeichneten Anschrift in Stuttgart befinde und unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland bestehe. Mit Schriftsatz vom legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung eines näher bezeichneten Reisebüros in Stuttgart vor, nach deren Inhalt er in den letzten Jahren regelmäßig Flüge von Wien nach Stuttgart und zurück gebucht habe. In diesem Schriftsatz teilte er mit, daß die Fluglisten erst nach Auswertung von Mikrofilmen erstellt werden könnten und sein schwerkranker Vater in nächster Zeit eine eidesstättige Erklärung über den Aufenthalt des Beschwerdeführers abgeben werde. Mit Schriftsatz vom ersuchte er wegen geschäftsbedingter Auslandsaufenthalte um Erstreckung der Frist zur Vorlage der deutschen Meldebestätigung bis . Mit dem am bei der belangten Behörde eingelangten Schriftsatz vom legte er eine Bestätigung des Amtes für öffentliche Ordnung der Landeshauptstadt Stuttgart vor, nach deren Inhalt er in Stuttgart gemeldet ist. Am , sohin nach der am erfolgten Zustellung des angefochtenen Bescheides, langte bei der belangten Behörde ein Schriftsatz des Beschwerdeführers vom ein, mit der der Meldezettel des Beschwerdeführers vom vorgelegt wurde. Nach dem Inhalt dieses Meldezettels handelt es sich bei der Adresse in Wien XIII nicht um den ordentlichen Wohnsitz und wird als weiterer Wohnsitz die Adresse des Beschwerdeführers in Stuttgart angegeben.

Die Ergebnisse des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens reichen nicht aus, um eine abschließende Beurteilung vornehmen zu können, ob es sich bei der Wiener Anschrift des Beschwerdeführers um seinen Hauptwohnsitz im Sinne der oben gegebenen Begriffsbestimmung handelt. Den Beschwerdeführer traf zwar in Ansehung seiner persönlichen Verhältnisse die verfahrensrechtliche Obliegenheit, konkretes, durch Beweisanbote untermauertes Vorbringen zu erstatten - diese Obliegenheit hat er jedenfalls teilweise erfüllt -, doch enthob dies die belangte Behörde nicht der aus § 39 Abs. 2 AVG sich ergebenen amtswegigen Ermittlungspflicht (siehe auch dazu das oben zitierte hg. Erkenntnis vom ). Für die belangte Behörde wäre es insbesondere leicht möglich gewesen, den Meldezettel des Beschwerdeführers vom von Amts wegen beizuschaffen, dessen Inhalt indiziert, daß es sich bei der Wiener Anschrift des Beschwerdeführers nicht um seinen Hauptwohnsitz handelt. Die Bestätigung über die unbeschränkte Steuerpflicht des Beschwerdeführers in Deutschland stellt zwar keinen "eindeutigen Nachweis" dafür dar, daß der Beschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz in Deutschland hat, sie legt jedoch im Hinblick darauf, daß § 1 Abs. 1 dEStG (ebenso wie § 1 Abs. 2 ÖEStG) die unbeschränkte Steuerpflicht natürlicher Personen an den Wohnsitz (oder gewöhnlichen Aufenthalt) im Inland knüpft, den Schluß nahe, daß der Beschwerdeführer einen Wohnsitz in Stuttgart hat. Einen urkundlichen Nachweis über seinen Aufenthalt seit 1992 hat der Beschwerdeführer zwar nicht erbracht, doch ist ein derartiger Nachweis für eine Partei im Regelfall nicht oder nicht mit zumutbarem Aufwand zu führen, sodaß die belangte Behörde nicht ohne weiteres davon ausgehen durfte, der Beschwerdeführer habe sich durchwegs oder zumindest überwiegend in Österreich aufgehalten. Wenn die belangte Behörde der mit dem Inhalt der Meldebestätigung übereinstimmenden Behauptung des Beschwerdeführers, er habe seinen Hauptwohnsitz in Stuttgart, keinen Glauben schenken wollte, wäre sie verpflichtet gewesen, Ermittlungen betreffend die Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers durchzuführen, um aufgrund einer Gesamtschau die Frage beurteilen zu können, wo der Beschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz hat. Als diesbezüglich geeigneter Ermittlungsschritt wäre eine niederschriftliche Vernehmung des Beschwerdeführers in Betracht gekommen, in deren Rahmen er konkret seine gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und beruflichen Lebensumstände schildern und die belangte Behörde gezielte Fragen dazu hätte stellen können.

Da sohin der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.