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VwGH vom 10.11.1993, 92/13/0176

VwGH vom 10.11.1993, 92/13/0176

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des L in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat V, vom , GZ. 6/3-3233/90-06, betreffend Einkommensteuer 1985 - 1987, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer erzielt aus der Vermietung eines Hauses in Wien IV Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Die Hoffassade dieses Hauses wurde im Jahre 1985 neu verputzt (Kosten: S 439.660,--). Der Beschwerdeführer beantragte in den Steuererklärungen für 1985 - 1987, diesen Aufwand in Teilbeträgen zu S 43.966,-- als Werbungskosten gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 zu berücksichtigen.

Das Finanzamt erließ erklärungsgemäß die entsprechenden Einkommensteuerbescheide.

Im Zuge einer die Streitjahre betreffenden Betriebsprüfung stellte der Beschwerdeführer den Antrag, die Kosten der Großreparatur zur Gänze im Jahr 1985 als Werbungskosten anzusetzen. Der Betriebsprüfer führte dazu aus, daß mit der Antragstellung anläßlich der Veranlagung zur Einkommensteuer 1985 das Wahlrecht zwischen sofortiger Absetzung und "Zehntelabschreibung" verbraucht wäre; eine Rücknahme des Antrages auf Zehntelabsetzung im Zuge eines Wiederaufnahmeverfahrens wäre nicht möglich.

Das Finanzamt folgte im wiederaufgenommenen Verfahren den Feststellungen des Betriebsprüfers und erließ die Bescheide betreffend die Einkommensteuer 1985 - 1987, in denen die Zehntelabsetzung zugrunde gelegt wurde.

In der Berufung gegen diese Bescheide führte der Beschwerdeführer aus, für die Rücknahme seines Antrages auf Zehntelabsetzung seien nicht steuersparende, sondern wirtschaftliche Gründe (z.B. weiterer Instandhaltungsaufwand sowie Rückzahlung eines Darlehens in den Folgejahren) ausschlaggebend gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid versagte die belangte Behörde die Zurücknahme des Antrages auf Zehntelabsetzung. Als Begründung führte sie an, die zeitliche Fernwirkung eines Antrages gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 auf zehn Jahre schließe die Zurücknahme desselben aus, sobald ein stattgebender Einkommensteuerbescheid rechtskräftig geworden sei. Die Zurücknahme dieses Antrages im Zuge des wiederaufgenommenen Verfahrens würde gleichzeitig einen Antrag auf Berichtigung aller Einkommensteuerbescheide der Folgejahre inkludieren, in denen bereits Zehntelabsetzungen berücksichtigt wurden. Eine solche Berichtigung sei aber oftmals aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr zulässig.

Das Wahlrecht des Steuerpflichtigen gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 sei mit der Bestimmung des § 16 Abs. 1 Z. 8 EStG 1972 (§ 9 Abs. 1 Z. 6 EStG 1953) vergleichbar. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom , 1554/71, ausgesprochen, daß der Steuerpflichtige mit der einmal getroffenen Wahl, die AfA vom Einheitswert zu berechnen, sein Wahlrecht (AfA von den fiktiven Anschaffungskosten) in einem nicht rechtskräftigen Verfahren konsumiert habe und von dieser Wahl ohne stichhaltigen Grund nicht mehr abgehen könne. Diese Grundsätze seien auch auf die Ausübung des Wahlrechtes gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 anzuwenden. Die vom Beschwerdeführer aufgezeigten Gründe für die Änderung seines Wahlrechtes hingen nicht mit dem Großreparaturaufwand zusammen. Die Gründe seien einerseits in der Nichtberücksichtigung eines Spekulationsgewinnes für die Veräußerung eines anderen Mietobjektes in der Einkommensteuererklärung 1985 und andererseits in der Fehleinschätzung, in den Folgejahren würde kein weiterer Instandsetzungsaufwand erwachsen, gelegen. Derartige Fehleinschätzungen rechtfertigen aber nicht, einen rechtmäßig gestellten Antrag auf Zehntelabsetzung, über den vom Finanzamt rechtskräftig entschieden wurde, rückgängig zu machen.

Darüberhinaus habe der Beschwerdeführer in den Einkommensteuererklärungen 1988 und 1989 weiterhin Anträge auf Zehntelabsetzung gestellt, die das Finanzamt erklärungsgemäß berücksichtigt habe. Der Beschwerdeführer habe demnach immer wieder sein Begehren gewechselt und Anträge gestellt, die miteinander unvereinbart seien.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid wird dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 sind bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung Aufwendungen, die für die Erhaltung von Gebäuden aufgewendet werden und die nicht regelmäßig jährlich erwachsen (Großreparaturen), auf Antrag gleichmäßig auf zehn Jahre zu verteilen.

Die belangte Behörde versagt die Zurücknahme des Antrages auf Zehntelabsetzung einerseits mit dem Hinweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 9 Abs. 1 Z. 6 EStG 1953 und andererseits mit der Begründung, aus der zeitlichen Fernwirkung eines Antrages gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 sei abzuleiten, daß die Zurücknahme dieses Antrages im wiederaufgenommenen Verfahren nicht zulässig sei, weil die Berichtigung der Folgebescheide aus verfahrensrechtlichen Gründen oftmals nicht möglich sei. Die Zurückziehung sei nur solange möglich, bis der Einkommensteuerbescheid - erstmals - rechtskräftig geworden sei.

Beide Begründungen überzeugen nicht. Hinsichtlich des ersten Argumentes ist darauf hinzuweisen, daß der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 1690/79, ausgesprochen hat, er halte die im Erkenntnis vom , 1554/71, zum seinerzeitigen § 9 Abs. 1 Z. 6 lit. a EStG 1953 vertretene Auffassung für § 16 Abs. 1 Z. 8 lit. b EStG nicht mehr aufrecht. In diesem Erkenntnis hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, daß der Antrag, die Absetzung von den fiktiven Anschaffungskosten vorzunehmen, auch noch im Rechsmittelverfahren gestellt werden kann.

Auch das zweitgenannte Argument findet im Gesetz keine Deckung. Der Zweck der Wiederaufnahme besteht nämlich darin, ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren aus den im Gesetz erschöpfend aufgezählten Gründen aus der Welt zu schaffen und die Rechtskraft des Bescheides zu beseitigen. Sie soll ein bereits abgeschlossenes Verfahren wieder eröffnen, einen Prozeß, der durch einen rechtskräftigen Bescheid bereits einen Schlußpunkt erreicht hat, erneut in Gang bringen (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , 90/16/0155, 0165). Die Wiederaufnahme führte zur gänzlichen Beseitigung der Einkommensteuerbescheide 1985 - 1987, die das nunmehr wiederaufgenommene Verfahren zum Abschluß brachten (siehe Stoll, Bundesabgabenordnung - Handbuch (1980), 729 und die dort angeführte hg. Judikatur). Da der ursprünglich rechtskräftige Einkommensteuerbescheid 1985 durch die Wiederaufnahme nicht mehr dem Rechtsbestand angehört, ist die Ansicht der belangten Behörde, die Zurücknahme des Antrages gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 sei nur bis zur Rechtskraft dieses Bescheides möglich, verfehlt.

§ 28 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 eröffnet dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, auf Antrag den Großreparaturaufwand auf zehn Jahre zu verteilen. Unterläßt der Steuerpflichtige diesen Antrag, macht aber den diesbezüglichen Aufwand geltend, so hat die Behörde den gesamten Aufwand von Amts wegen als Werbungskosten im Jahr des Anfalles zu berücksichtigen. Im Beschwerdefall stellte der Beschwerdeführer in den Steuererklärungen 1985 - 1987 jeweils den Antrag auf Zehntelabsetzung. Im Zuge des wiederaufgenommenen Verfahrens nahm er diesen Antrag zurück. Eine Zurücknahme eines Antrages ist dann nicht möglich, wenn das Gesetz eine diesbezügliche Regelung enthält (siehe das Erkenntnis vom , 13/3666/80). Weder aus § 28 Abs. 2 EStG 1972 noch aus einer vergleichbaren Bestimmung im EStG 1972 ist aber ableitbar, daß die Zurückziehung eines Antrages auf Zehntelabsetzung verboten ist.

Der Antrag gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 ist für sich gesehen nichts anderes als ein Anbringen im Sinn des § 85 Abs. 1 BAO. Hier gilt jedoch der Grundsatz, daß Einschränkungen des Gegenstandes eines Anbringens zulässig sind (zum vergleichbaren § 13 AVG: Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen I (1953), 145; Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens 4. Auflage (1990), 160; Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts 5. Auflage (1991), 58). Um eine solche Einschränkung handelt es sich, wenn auf die Geltendmachung der Zehntelabsetzung im Zuge des wiederaufgenommenen Verfahrens verzichtet wird. Denn die Zurücknahme bedeutet lediglich, daß die Behörde von Amts wegen - ohne darauf abzielenden Antrag - den geltend gemachten Aufwand im Jahr des Anfalles berücksichtigen muß. Die Zurückziehung beinhaltet somit keinen weiteren Antrag; die Berücksichtigung des gesamten Aufwandes ergibt sich vielmehr kraft Gesetzes.

Soweit die belangte Behörde darauf hinweist, daß aus verfahrensrechtlichen Gründen die Berichtigung der Einkommensteuerbescheide 1988 und 1989 nicht mehr zulässig ist, ist ihr entgegenzuhalten, daß § 295 Abs. 3 BAO die Möglichkeit eröffnet, Abgabenbescheide ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, auch zu ändern oder aufzuheben, wenn der Spruch dieser Bescheide anders hätte lauten müssen, wäre bei Erlassung eines der vorgenannten Bescheide ein anderer Bescheid bereits abgeändert, aufgehoben oder erlassen gewesen. Bei diesem "anderen" Bescheid handelt es sich um einen Bescheid, der in seinen Wirkungen materiell andere Bescheide beeinflußt (vgl. das Erkenntnis vom , 90/14/0149; Stoll aaO. 704 f). Dies trifft auf den aufgrund dieses Erkenntnisses abzuändernden Einkommensteuerbescheid 1985 zu, weil dadurch die Zehntelabsetzung in den Folgejahren nicht mehr zulässig ist. Da die steuerlichen Auswirkungen denselben Steuerpflichtigen treffen (vgl. dazu die Erkenntnisse vom , 92/14/0026, und vom , 90/14/0149), können die Einkommensteuerbescheide 1988 und 1989 von Amts wegen abgeändert werden.

Der angefochtene Bescheid war aus den vorhin genannten Gründen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Da die Vorlage einer Ablichtung des Betriebsprüfungsberichtes weder im Gesetz vorgesehen ist noch der zweckmäßigen Rechtsverfolgung dient, konnte der diesbezüglich geltend gemachte Aufwand nicht zuerkannt werden.