VwGH 21.09.1990, 87/17/0180
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | LStG Tir 1951; LStG Tir 1989; VwGG §41 Abs1; VwGG §42 Abs2 Z1; VwGG §42 Abs2 Z2; VwGG §42 Abs2 Z3; VwGG §63 Abs1; |
RS 1 | Die Bindung der Behörde an die Rechtsanschauung des VwGH erstreckt sich auch auf solche Fragen, die der VwGH zwar nicht ausdrücklich behandelt hat, die aber eine notwendige Voraussetzung für den Inhalt seines aufhebenden Erkenntnisses darstellen. Da die Aufhebung eines Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften die Bejahung der Zuständigkeit der belangten Behörde voraussetzt, kann der VwGH nach einem solchen aufhebenden Erkenntnis die Unzuständigkeit der Verwaltungsbehörde nicht mehr wahrnehmen (Hinweis E VS , 1386/78, VwSlg 10128 A/1980). |
Normen | VwGG §41 Abs1; VwGG §42 Abs2; VwGG §63 Abs1; |
RS 2 | Liegt dem an den Zweitbeschwerdeführer gerichteten aufhebenden Erkenntnis des VwGH kein dem Rechtsbestand angehörender Bescheid mehr zugrunde, weil der angefochtene Bescheid bereits mit einem an den Erstbeschwerdeführer ergangenen früheren Erkenntnis aufgehoben worden ist, so geht die an den Zweitbeschwerdeführer gerichtete Entscheidung des VwGH ins Leere. Im konkreten Fall handelt es sich bei dieser Entscheidung somit nicht um ein aufhebendes Erkenntnis, weil eine aufzuhebende individuelle Norm nicht mehr vorhanden war. Daher mangelt diesem Erkenntnis die nach § 63 Abs 1 VwGG für aufhebende Erkenntnisse spezifische Bindungswirkung an die Rechtsanschauung des VwGH (vgl die stRSp des VwGH, so ua E , 85/16/0099). |
Normen | |
RS 3 | Hat in der Unterinstanz eine unzuständige Behörde entschieden, so hat die für diese Unterbehörde zuständige Berufungsbehörde diesen Bescheid wegen Unzuständigkeit aufzuheben, nicht aber materiell zu entscheiden. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 1333/72 E RS 1 |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
87/17/0181
Betreff
A und B gegen Tiroler Landesregierung vom , Zl. IIb1-L-1067a/18-1985, betreffend Enteignung für Zwecke einer Gemeindestraße (mitbeteiligte Partei: Gemeinde C)
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 10.470,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
An den Zweitbeschwerdeführer erging der Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , dessen Spruch u.a. wie folgt lautet:
"NOTWENDIGKEIT, GEGENSTAND UND UMFANG DER ENTEIGNUNG:
Es wird entschieden, daß für die Ausführung des bewilligten Straßenbauvorhabens die Notwendigkeit der Enteignung der im Teilungsplan dargestellten Grundflächen im Ausmaß von 50 m2 und 65 m2 gegeben ist. Dem Antrag des B auf Einlösung der Restfläche wird stattgegeben.
Diese Grundflächen werden zugunsten der Gemeinde C für dauernd lastenfrei enteignet erklärt."
Auf Grund eines Antrages des Erstbeschwerdeführers vom , in welchem er ausführte, ihm stehe an dem beschwerdegegenständlichen Haus die Dienstbarkeit des Fruchtgenusses zu, er sei daher Partei des Straßenbaubewilligungs- und des Enteignungsverfahrens, wurde ihm der oben angeführte Enteignungsbescheid zugestellt.
In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof behauptete der Erstbeschwerdeführer, er sei als Fruchtgenußberechtigter und somit als dinglich Berechtigter zu Unrecht dem Enteignungsverfahren nicht beigezogen worden, weshalb der angefochtene Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet sei.
Über diese Beschwerde des Erstbeschwerdeführers wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. JUNI 1984, Zlen. 84/06/0033, 84/06/0043, u.a. zu Recht erkannt: "I) Der angefochtene Bescheid der Tiroler Landesregierung vom wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben." In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt, daß auch dinglich Berechtigte Parteien des Enteignungsverfahrens sind. Weder der Spruch dieses verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses noch dessen Entscheidungsgründe enthielten eine Aussage über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde.
Über Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers gegen denselben Bescheid hat sodann der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 6. NOVEMBER 1984, Zl. 84/06/0064, zu Recht erkannt, daß der Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , "soweit er den Beschwerdeführer betrifft, wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben" wird. In den Entscheidungsgründen wurde dargelegt, daß im Beschwerdefall die Enteignung vom Bürgermeister im übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde (und nicht von der Landesregierung) auszusprechen sei.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erging an die beiden Beschwerdeführer der Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde C vom , in dem gemäß § 18 Abs. 2 der Tiroler Bauordnung entschieden wurde, daß für die Ausführung des bezeichneten Straßenbauvorhabens die Notwendigkeit der Enteignung der näher angeführten Grundflächen im bezeichneten Ausmaß gegeben sei; diese Grundflächen wurden zugunsten des öffentlichen Gutes der Gemeinde C für dauernd lastenfrei enteignet erklärt. Gleichzeitig wurde u.a. über die zu leistende Entschädigung entschieden.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Berufung, in der sie u.a. unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, Slg. 8475/1978, die Zuständigkeit des Bürgermeisters im übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde bestritten.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung insofern statt, als die Auszahlung der festgesetzten Entschädigung mit 100 % zu erfolgen habe. Im übrigen wurde die Berufung der Beschwerdeführer abgewiesen. Neben Ausführungen zur Festsetzung der Entschädigung bzw. der Zahlungsverpflichtung wurde zur Begründung ausgeführt, daß die belangte Behörde hinsichtlich der Zuständigkeit des Bürgermeisters an die im weiter oben angeführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom geäußerte Rechtsansicht gebunden sei.
Gegen diesen Bescheid richten sich die vorliegenden - mit gleichlautenden Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofes vom , B 693/85-5 und B 694/85-6, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof abgetretenen - Beschwerden.
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich
der Erstbeschwerdeführer in seinem Recht als
Fruchtgenußberechtigter und der Zweitbeschwerdeführer in seinem
Recht als Liegenschaftseigentümer an "der Bp. 181 KG C,
Wohnhaus C Nr. 111, auf Berücksichtigung ..... (ihrer)
Einwendungen gegen die Verbreiterung der Klosterstraße in C im
Sinne des Tiroler Straßengesetzes, insbesondere nach § 50
Abs. 3 und 5 dieses Gesetzes verletzt; weiters .... dadurch
....., daß das Enteignungs- und Entschädigungsverfahren hinsichtlich des oben erwähnten Grundstückes nicht nach dem zweiten Abschnitt des Tiroler Straßengesetzes, sondern nach § 18 der Tiroler Bauordnung durchgeführt wurde". Die Beschwerdeführer beantragen, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete jeweils eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerden wegen ihres sachlichen Zusammenhanges verbunden und hierüber erwogen:
Wie im Sachverhalt bereits dargestellt, wurde durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom der Bescheid der Tiroler Landesregierung vom (als Ganzes) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Wegen der Untrennbarkeit des Gegenstandes des Abspruches in diesem Bescheid bezüglich des Grundstückes Nr. 181, nämlich der Stattgebung des Antrages der Gemeinde auf Enteignung von Teilflächen dieses Grundstückes und des Ausspruches, daß diese Grundflächen zugunsten der Gemeinde C für dauernd lastenfrei enteignet erklärt werde, ist dieser Bescheid zur Gänze, also auch mit Wirkung für den Zweitbeschwerdeführer und nicht nur für den als übergangene Partei beschwerdeführenden Erstbeschwerdeführer, aus dem Rechtsbestand ausgeschieden.
Diesem Erkenntnis ist die Rechtsauffassung zugrundegelegt, daß die Zuständigkeit der damals belangten Behörde gegeben war.
Die Bindung der Behörde an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes erstreckt sich auch auf solche Fragen, die der Verwaltungsgerichtshof zwar nicht ausdrücklich behandelt hat, die aber eine notwendige Voraussetzung für den Inhalt seines aufhebenden Erkenntnisses darstellen. Da die Aufhebung eines Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften die Bejahung der Zuständigkeit der belangten Behörde voraussetzt, kann der Verwaltungsgerichtshof nach einem solchen aufhebenden Erkenntnis die Unzuständigkeit der Verwaltungsbehörde nicht mehr wahrnehmen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg. N. F. Nr. 10.128/A sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. 8536/1979).
Ein solcher Fall liegt im Hinblick auf das aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom vor. Eine Änderung der Rechtslage, durch welche die Bindung der Behörde gelöst worden wäre, ist nicht eingetreten. Dies auch nicht durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom .
Für eine nochmalige "Aufhebung" des Bescheides der Tiroler Landesregierung vom fehlte dem Verwaltungsgerichtshof bei seiner Entscheidung vom ein existenter Beschwerdegegenstand. Diesem Erkenntnis ist kein dem Rechtsbestand angehörender Bescheid zugrundegelegen. Das wegen Unzuständigkeit der Landesregierung aufhebende Erkenntnis ist daher ins Leere gegangen. Es handelt sich nicht um ein "aufhebendes" Erkenntnis, weil eine aufzuhebende (individuelle) Norm nicht mehr vorhanden war. Da es sich somit nicht um eine Aufhebung im Rechtssinn handelt, mangelt dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom die nach § 63 Abs. 1 VwGG (vgl. die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - so u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 85/16/0099, und die dort zitierte Judikatur) für aufhebende Erkenntnisse spezifische Bindungswirkung an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes; das gilt auch für die Frage des Vorliegens eines Bescheides.
Hatte in der Unterinstanz eine unzuständige Behörde entschieden, so hat die für diese Unterbehörde zuständige Berufungsbehörde den Bescheid wegen Unzuständigkeit aufzuheben (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zlen. 85/04/0123, 0125).
Die belangte Behörde unterließ es, diese Unzuständigkeit des Bürgermeisters der Gemeinde C (als Organ im übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde) wahrzunehmen. Dies belastet den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 53 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989 sowie insbesondere auch deren Art. III Abs. 2.
Zusatzinformationen
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Normen | AVG §66 Abs4; LStG Tir 1951; LStG Tir 1989; VwGG §41 Abs1; VwGG §42 Abs2 lita; VwGG §42 Abs2 litb; VwGG §42 Abs2 Z1; VwGG §42 Abs2 Z2; VwGG §42 Abs2 Z3; VwGG §42 Abs2; VwGG §63 Abs1; |
Sammlungsnummer | VwSlg 13259 A/1990 |
Schlagworte | Inhalt der Berufungsentscheidung Kassation Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Allgemein Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Erklärung und Umfang der Anfechtung Anfechtungserklärung Verfahrensbestimmungen Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Heilung von Verfahrensmängeln der Vorinstanz im Berufungsverfahren |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1990:1987170180.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAE-35704