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VwGH vom 22.11.2001, 2000/20/0350

VwGH vom 22.11.2001, 2000/20/0350

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des S in W, geboren am , nunmehr vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 217.133/0- IV/11/00, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und Zurückweisung einer Berufung als verspätet (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- (EUR 908,41) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Indien, stellte am einen Asylantrag und bevollmächtigte am M.P., Mitarbeiter des Flughafensozialdienstes, mit seiner Vertretung. Mit Schreiben vom erteilte der Beschwerdeführer überdies dem ebenfalls im Flughafensozialdienst tätigen Dr. D Zustellvollmacht.

Nach niederschriftlicher Einvernahme des Beschwerdeführers am wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom gemäß § 7 AsylG ab. Dieser Bescheid war an den Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters M.P. adressiert und wurde am von einem Dritten (nach der Unterschrift erkennbar: Dr. D), dem laut Rückschein Postvollmacht für RSa-Briefe zukam, übernommen.

Mit Schriftsatz vom zog der Beschwerdeführer die dem M.P. erteilte Vollmacht ausdrücklich zurück und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen den genannten Bescheid. Er brachte vor, von der Zustellung dieses Bescheides erst am erfahren zu haben. Er habe nämlich erwartet, dass ihm der Bescheid an seine Wohnadresse zugestellt werde, da er dies, als er nach seiner Entlassung aus der Schubhaft zum Bundesasylamt gefahren sei und dort seine neue Meldeadresse bekannt gegeben habe, beantragt habe. Dass er für eine solche Zustellung zuerst die von ihm erteilte Vollmacht zurückziehen müsse, habe ihm die Behörde nicht mitgeteilt, sodass er auf Grund der unterlassenen Rechtsaufklärung durch die Behörde durch ein von ihm nicht verschuldetes Ereignis gehindert gewesen sei, fristgerecht Berufung zu erheben. In Erwartung der Zustellung des Bescheides an seine Wohnadresse habe er beim Flughafensozialdienst auch nicht mehr regelmäßig nachgefragt, ob Post für ihn angekommen sei. Mit seinem Antrag holte der Beschwerdeführer gleichzeitig die versäumte Berufung nach.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde dieser Antrag des Beschwerdeführers nach § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen und im wesentlichen begründend ausgeführt, der Beschwerdeführer habe zwar am im Rahmen der Ersteinvernahme, "bei der immer nach der aktuellen Anschrift des Asylwerbers gefragt werde", einen Meldezettel vorgelegt. Es entspreche aber nicht den Tatsachen, dass der Beschwerdeführer dabei das von ihm genannte Zustellbegehren gestellt habe, da sich darüber eine Protokollierung im Akt und in der Niederschrift vom , deren Vollständigkeit der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift bestätigt habe, nicht fände.

In seiner dagegen erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer abermals darauf, nicht nur den Meldezettel vorgelegt, sondern auch den Wunsch geäußert zu haben, ihm die behördlichen Schriftstücke an die im Meldezettel angegebene Adresse zuzustellen. Er beantrage daher aufgrund der offensichtlichen Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergänzende Ermittlungen der Berufungsbehörde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen den Bescheid vom gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab und die Berufung gegen den Bescheid vom gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück. Aus dem "Akteninhalt lasse sich bloß entnehmen", dass der Beschwerdeführer erst mit der Einbringung seines Wiedereinsetzungsantrages die an M.P. erteilte Vollmacht zurückgezogen habe. Er sei zwar auf Grund einer Ladung am vor dem Bundesasylamt erschienen und habe dabei auch einen Meldezettel vorgelegt, es sei aber "keineswegs ersichtlich", dass er mit der Vorlage des Meldezettels das in Rede stehende Zustellersuchen eingebracht habe, wozu die belangte Behörde auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid verwies. Da es sich bei diesem Vorbringen des Beschwerdeführers somit um eine Schutzbehauptung handle, "die keine Deckung im Akteninhalt finde", sei die Annahme, der Beschwerdeführer habe Vollmachten auflösen wollen, keineswegs naheliegend. Im übrigen habe der Beschwerdeführer eine aus Anlass seines Wiedereinsetzungsbegehrens an ihn gerichtete Anfrage des Bundesasylamtes, ob er auch die Zustellvollmacht des Dr. D kündige, nicht beantwortet, woraus ersichtlich sei, dass er an einer persönlichen Zustellung von Schriftstücken gar nicht interessiert gewesen sei.

Die am erfolgte Zustellung des Bescheides sei daher mit der Übernahme dieses Bescheides durch Dr. D einerseits in seiner Eigenschaft als Postbevollmächtigter des M.P. und andererseits als Zustellbevollmächtigter des Beschwerdeführers rechtswirksam geworden. Da sich der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben nicht mehr regelmäßig in der Beratungsstelle seiner Vertreter nach eingelangter Post erkundigt habe und auch nicht ersichtlich sei, dass sein Vertreter durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der Wahrnehmung seiner Verpflichtung, den Beschwerdeführer von der Zustellung des Bescheides zu verständigen, gehindert gewesen wäre, liege kein Wiedereinsetzungsgrund vor, sodass die erst am zur Post gegebene Berufung als verspätet zurückzuweisen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung der Berufung des Beschwerdeführers "als verspätet" setzt voraus, dass die am (ein anderer Zeitpunkt kommt sachverhaltsmäßig nicht in Betracht) vorgenommene Zustellung des Bescheides vom an den in der Zustellverfügung genannten M.P. als Vertreter des Beschwerdeführers rechtswirksam erfolgt ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn dieser Zustellung an den Vertreter im Zustellzeitpunkt eine - aufrechte - Vollmacht zugrunde lag. Erfolgt nämlich die Zustellung entsprechend der Zustellverfügung an eine Person, die zu Unrecht als Bevollmächtigter der Partei angesehen wird, so vermag diese Zustellung der Partei gegenüber keine Rechtswirkungen zu entfalten (dies selbst - wofür sich gegenständlich aber keine Anhaltspunkte finden - im Falle des tatsächlichen Zukommens an die Partei; vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E. 22 zu § 7 ZustG referierte hg. Judikatur).

Was die somit entscheidungsrelevante Frage des Bestehens eines Vollmachtsverhältnisses betrifft, so hat der Beschwerdeführer schon im Wiedereinsetzungsantrag vorgebracht, er habe nach seiner Entlassung aus der Schubhaft gegenüber dem Bundesasylamt bekannt gegeben, dass er die Zustellung behördlicher Schriftstücke an seine im Meldezettel genannte Meldeadresse begehre, und dieses Vorbringen in seiner Berufung erneuert. Im angefochtenen Bescheid stellt die belangte Behörde dazu - ohne weitere Ermittlungen - fest, der Beschwerdeführer habe eine solche Zustellung an seine eigene Meldeadresse nicht beantragt, und begründet dies im Wesentlichen damit, dass ein solches Begehren "aus dem vorliegenden Akteninhalt....keineswegs ersichtlich sei".

Soweit sie sich dazu durch Übernahme der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides auf die Beweiskraft der Niederschrift vom stützt, ist davon auszugehen, dass eine gemäß § 14 AVG aufgenommene, somit den wesentlichen Inhalt der Amtshandlung wiedergebende Niederschrift vollen Beweis über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung liefert. Der Gegenbeweis des bezeugten Vorganges bleibt gemäß § 15 AVG zulässig.

Im Bescheid vom hat das Bundesasylamt in seiner Begründung ausgeführt, Asylwerber würden vor ihrer Einvernahme über die Fluchtgründe "immer nach der aktuellen Anschrift" befragt, woraufhin der Beschwerdeführer einen Meldezettel vorgelegt habe. In der besagten Niederschrift vom ist jedoch weder protokolliert, dass der Beschwerdeführer nach seiner Anschrift befragt worden wäre, noch dass er an diesem Tag den Meldezettel vorgelegt hätte. Von einer vollständigen Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes der Amtshandlung in dieser Niederschrift kann in Bezug auf die hier maßgeblichen Vorgänge somit nicht ausgegangen werden. Lediglich der Meldezettel als solcher findet sich (ohne behördlichen Eingangsstempel) im Akt eingebunden, sodass offen bleibt, wann und in welchem Zusammenhang und mit allfällig welchen begleitenden Erklärungen der Beschwerdeführer seine Meldeadresse gegenüber der Behörde bekannt gegeben hat.

Wenn der Beschwerdeführer nun in seiner Beschwerde geltend macht, die belangte Behörde hätte sich auch mit seinen "entlastenden Argumenten" auseinandersetzen müssen, nach denen er schon am im Rahmen seiner Vernehmung die erteilten Vollmachten widerrufen habe, so führt ihn dieser Beschwerdeeinwand zum Erfolg: Schon in der Berufung gegen den Bescheid vom hat der Beschwerdeführer nämlich erkennbar die Erbringung des Gegenbeweises zur Vollständigkeit der Niederschrift vom beantragt, indem er eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens (die im gegebenen Zusammenhang nur in der Einvernahme seiner Person und des die erwähnte Niederschrift protokollierenden Behördenorgans gelegen sein konnte) zum behaupteten Zustellbegehren verlangte. Ein solches Ermittlungsverfahren hat die belangte Behörde jedoch nicht durchgeführt und damit ihren Bescheid mit einem Verfahrensmangel belastet (vgl. etwa die in Walter/Thienel, aaO, unter E. 20 zu § 15 AVG wiedergegebene hg. Judikatur). Der Verfahrensmangel erweist sich als wesentlich, da nicht von vornherein auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Durchführung der genannten Einvernahmen zum Ergebnis gelangt wäre, der Beschwerdeführer habe die in Rede stehenden Vollmachten gegenüber der Behörde bereits vor der Zustellung des Bescheides vom widerrufen. In diesem Fall wäre der letztgenannte Bescheid nicht rechtswirksam zugestellt und eine Zurückweisung der dagegen erhobenen Berufung "als verspätet" nicht zulässig.

Da je nach Inhalt der - im fortgesetzten Verfahren zu ermittelnden - Erklärungen des Beschwerdeführers und des betreffenden Organs des Bundesasylamtes in Bezug auf das behauptete Zustellersuchen auch nicht auszuschließen ist, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AVG hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist gegen den Bescheid vom erfüllt sind, weil die irrtümliche Erwartung einer Zustellung zu seinen Handen dem Beschwerdeführer den Umständen nach nicht als grobes Verschulden vorwerfbar ist, war der angefochtene Bescheid in seiner Gesamtheit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil der Beschwerdeführer aufgrund der Gewährung von Verfahrenshilfe die verzeichnete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG nicht entrichtet hat und die Umsatzsteuer im Pauschalbetrag nach der genannten Verordnung bereits enthalten ist.

Wien, am

Fundstelle(n):
GAAAE-34396