VwGH vom 13.08.2003, 2000/08/0089
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der H in W, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Favoritenstraße 108/3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/1999-2887, betreffend Höhe des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.185,96 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach dem zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht strittigen Sachverhalt wurde der Beschwerdeführerin auf Grund ihres Antrages vom Arbeitslosengeld gewährt, wobei für die Festsetzung der Lohnklasse gemäß § 21 Abs. 1 AlVG in der damals geltenden Fassung das Entgelt der letzten sechs vollen Monate herangezogen wurde. Die daraus resultierende durchschnittliche Monatsbeitragsgrundlage von S 49.187,-- wurde mit der für 1994 geltenden Höchstbeitragsgrundlage in der Höhe von S 31.800,-- begrenzt, woraus sich ein Grundbetrag des Arbeitslosengeldes in der Höhe von S 407,50 täglich ergab.
Am machte die Beschwerdeführerin erneut einen Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend. Da die Beschwerdeführerin bei Eintritt der Arbeitslosigkeit im Jahre 1994 bereits das 45. Lebensjahr vollendet hatte, hat die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice das Arbeitslosengeld der Beschwerdeführerin nunmehr gemäß § 21 Abs. 8 AlVG berechnet: Sie hat - ausgehend von jener Lohnklasse, auf Grund derer die Beschwerdeführerin im Jahre 1994 Arbeitslosengeld erhalten hatte - mit Bescheid vom unter anderem festgestellt, dass der Beschwerdeführerin vom bis Arbeitslosengeld im Ausmaß von täglich S 400,40 gebührte. Für die Festsetzung der Lohnklasse seien die beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger gespeicherten (und gemäß § 21 Abs. 1 AlVG in der nunmehr anzuwendenden Fassung relevanten) Jahresbeitragsgrundlagen für 1997 in der Höhe von S 27.041,-- heranzuziehen gewesen.
Der von der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid keine Folge gegeben. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung damit, dass der Grundbetrag des seinerzeit gewährten Arbeitslosengeldes in der Lohnklasse 113 S 704,50 betragen habe. Der Beschwerdeführerin bleibe nur jenes Entgelt gewahrt, das der seinerzeitigen Bemessung (und zwar einschließlich der Begrenzung durch die damalige Höchstbeitragsgrundlage) zu Grunde gelegt worden sei, wobei eine Valorisierung dieses Entgeltes nicht zu erfolgen habe. Die Lohnklasse 113 im Jahre 1998 führe zu einem Grundbetrag des Arbeitslosengeldes von S 400,40 täglich.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 21 Abs. 1 AlVG in der im hier maßgeblichen Zeitraum vom bis insoweit im Wesentlichen unverändert in Geltung gestandenen Fassung des Art. 23 des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201/1996, lautete:
"(1) Der Grundbetrag des Arbeitslosengeldes wird nach Lohnklassen bemessen. Für die Festsetzung der Lohnklasse ist bei Geltendmachung bis 30. Juni das Entgelt des vorletzten Kalenderjahres aus den beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt, mangels solcher aus anderen für Zwecke der Sozialversicherung gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen heranzuziehen. Bei Geltendmachung nach dem 30. Juni ist das Entgelt des letzten Kalenderjahres heranzuziehen. Liegen die nach den vorstehenden Sätzen heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen nicht vor, so sind jeweils die letzten vorliegenden Jahresbeitragsgrundlagen eines vorhergehenden Jahres heranzuziehen. Zeiten, in denen der Arbeitslose infolge Erkrankung (Schwangerschaft) nicht das volle Entgelt oder wegen Beschäftigungslosigkeit kein Entgelt bezogen hat, sowie Zeiten des Bezuges einer Lehrlingsentschädigung, wenn es für den Arbeitslosen günstiger ist, bleiben bei der Heranziehung der Beitragsgrundlagen außer Betracht. In diesem Fall ist das Entgelt durch die Zahl der Versicherungstage zu teilen und mit 30 zu vervielfachen. Jahresbeitragsgrundlagen, in denen eine Herabsetzung der Arbeitszeit im Sinne des § 27 Abs. 1 oder der Bezug von Karenz(urlaubs)geld bei Teilzeitbeschäftigung oder eine Beschäftigung neben einer Gleitpension (§ 253c ASVG) vorliegt, bleiben außer Betracht. Sind die heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes älter als ein Jahr, so sind diese mit dem/den Aufwertungsfaktor/en gemäß § 108 Abs. 4 ASVG des betreffenden Jahres/der betreffenden Jahre aufzuwerten."
Gemäß § 21 Abs. 8 AlVG 1977 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 364/1989, ist ein für den Anspruch auf Arbeitslosengeld herangezogenes Entgelt auch bei weiteren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld so lange heranzuziehen, bis entweder arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungszeiten mit einer Gesamtdauer von 26 Wochen vorliegen oder sich ein höheres maßgebliches Entgelt ergibt. War im Zeitpunkt des Eintrittes der Arbeitslosigkeit bei Männern das 50., bei Frauen das 45. Lebensjahr vollendet, so ist das hiebei für den Anspruch auf Arbeitslosengeld herangezogene Entgelt auch bei weiteren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld so lange heranzuziehen, bis sich ein höheres maßgebliches Entgelt ergibt.
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist unbestritten, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des § 21 Abs. 8 AlVG im Falle der Beschwerdeführerin vorliegen, da diese das 45. Lebensjahr vollendet hat und die gemäß § 21 Abs. 1 dritter Satz AlVG heranzuziehende Jahresbeitragsgrundlage des Jahres 1997 geringer ist als das gemäß § 21 Abs. 8 AlVG heranzuziehende Entgelt.
Die Beschwerdeführerin vertritt in ihrer Beschwerde die Auffassung, dass § 21 Abs. 8 AlVG die Heranziehung des seinerzeitigen Entgelts (und nicht der Lohnklasse) anordne und dieses Entgelt gemäß § 21 Abs. 1 sechster Satz AlVG mit den Aufwertungsfaktoren gemäß § 108 Abs. 4 ASVG aufzuwerten sei. Daraus ergebe sich eine höhere Lohnklasse als Lohnklasse 113.
Dies bestreitet die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift nicht, sie hält dem aber die Auffassung entgegen, dass der Zweck der Einführung des § 21 Abs. 8 AlVG nur darin liege, "dem älteren Arbeitslosen eine bereits erreichte Lohnklasse zu sichern und nicht darin, bei Verstreichen entsprechender Zeiträume nach einer neuerlichen Geltendmachung mehrere Lohnklassen zu 'überspringen', weil mittlerweile die Höchstbeitragsgrundlagen jährlich erhöht wurden. Dem würde auch das im AlVG vorherrschende Versicherungsprinzip widersprechen". Im Jahre 1994 seien Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nur nach der "damals gültigen Höchstbemessungsbeitragsgrundlage einzuheben". Es würde also - so die belangte Behörde weiter - zu einer übermäßigen Begünstigung kommen, wenn die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung im Jahre 1998 nach dem seinerzeitigen tatsächlich erhaltenen Bruttoentgelt berechnet und an Hand der aktuellen Lohnklasse in einer Höhe auszuzahlen wäre, für die jedoch keine Beiträge entrichtet worden seien.
Diese - weder an Hand des Gesetzestextes, noch durch Zitierung von Materialien untermauerte - Argumentation der belangten Behörde vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht nachzuvollziehen:
Zunächst ordnet § 21 Abs. 1 sechster Satz AlVG immer dann, wenn Jahresbeitragsgrundlagen länger als ein Jahr zurückliegen, eine Aufwertung dieser Beitragsgrundlagen gemäß § 108 Abs. 4 ASVG ungeachtet dessen an, dass - naturgemäß - die Beiträge nur vom tatsächlichen Arbeitsentgelt und nicht von der aufgewerteten Beitragsgrundlage entrichtet worden sind. Wie die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde zu Recht geltend macht, dient diese Aufwertungsbestimmung der Werterhaltung des Anspruches.
Wenn daher die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift meint, Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung dürften nur auf der Basis jener Beitragsgrundlagen gewährt werden, auf Grund derer die Beiträge entrichtet worden sind, so findet diese Behauptung, wie die Aufwertungsbestimmung zeigt, nicht einmal für den Regelfall der Bemessung des Arbeitslosengeldes nach § 21 Abs. 1 AlVG eine Grundlage im Gesetz. Insoweit argumentiert die belangte Behörde rechtspolitisch, jedoch nicht auf dem Boden der von ihr anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen. Die Auslegung des § 21 Abs. 8 AlVG, wie sie die belangte Behörde vorgenommen hat, kann daher auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des behaupteten Inhaltes nicht gestützt werden.
Es ist aber dem Wortlaut des § 21 Abs. 8 AlVG entgegen der Auffassung der belangten Behörde auch nicht zu entnehmen, dass diese Bestimmung nur der Erhaltung einer bestimmten Lohnklasse diente: § 21 Abs. 8 AlVG ordnet unter den dort näher genannten Voraussetzungen unmissverständlich an, dass für den Anspruch auf Arbeitslosengeld das für den früheren Anspruch "herangezogene Entgelt" so lange heranzuziehen ist, bis sich ein höheres maßgebliches Entgelt ergibt. Dafür, dass bloß die Höhe des früheren Arbeitslosengeldes gewahrt bliebe oder dass eine frühere Lohnklasse heranzuziehen sei, findet sich in dieser Bestimmung kein Hinweis.
Dies bedeutet im Fall der Beschwerdeführerin, dass auch dem Anspruch, der der Beschwerdeführerin ab zustand, das Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen gewesen wäre, von dem ausgehend das Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom bis bemessen worden war. Da diese Beitragsgrundlage zum Zeitpunkt der Geltendmachung des nunmehrigen Anspruches älter als ein Jahr gewesen ist, wäre sie mit dem Faktor gemäß § 108 Abs. 4 ASVG aufzuwerten gewesen.
Es war in diesem Zusammenhang noch zu erwägen, ob nicht aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 1 7. Satz AlVG geschlossen werden könnte, dass nur heranzuziehende "Jahresbeitragsgrundlagen" im Sinne des § 21 Abs. 1 AlVG aufzuwerten sind, während es sich im Falle der Beschwerdeführerin bei dem nach § 21 Abs. 8 AlVG heranzuziehenden Arbeitsverdienst nicht um eine solche "Jahresbeitragsgrundlage" im Sinne der durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201/1996, erfolgten Neufassung des § 21 Abs. 1 AlVG handelt, sondern noch um ein "Arbeitsentgelt der letzten sechs Kalendermonate" im Sinne der früheren Fassung dieser Bestimmung, welche bis zum in Geltung gestanden ist. Eine solche Wortinterpretation erweist sich jedoch mit Blick auf die dem Strukturanpassungsgesetz 1996 hinsichtlich der Regelungen über die Aufwertung von Bemessungsgrundlagen unmittelbar vorangegangene Rechtslage als unzutreffend:
§ 21 Abs. 8 AlVG stand am nämlich bereits in Geltung, während § 21 Abs. 2 AlVG in der Fassung vor dem Strukturanpassungsgesetz 1996 Folgendes anordnete:
"(2) Werden bei der Ermittlung des maßgeblichen Entgeltes im Sinne des Abs. 1 bzw. 8 Verdienste herangezogen, die weiter als drei Jahre vor dem Tag der Geltendmachung zurückliegen, so ist das Entgelt mit dem seiner zeitlichen Lagerung entsprechenden, am Tag der Geltendmachung in Geltung stehenden Aufwertungsfaktor gemäß § 108c ASVG zu vervielfachen."
Diese Aufwertungsanordnung des § 21 Abs. 2 AlVG bezog sich somit auch auf die Berechnung nach § 21 Abs. 8 AlVG.
Die seit geltende Neufassung des § 21 Abs. 1 und 2 AlVG brachte es mit sich, dass die Aufwertungsanordnung in den Absatz 1 des § 21 AlVG übernommen und wie folgt (allgemeiner) formuliert wurde:
"Sind die heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes älter als ein Jahr, so sind diese mit dem/den Aufwertungsfaktor/en gemäß § 108 Abs. 4 ASVG des betreffenden Jahres/der betreffenden Jahre aufzuwerten."
Auf Grund dieses Satzes sind somit "die heranzuziehenden Jahresbeitragsgrundlagen" (ohne Bedachtnahme darauf, nach welcher gesetzlichen Bestimmung sie heranzuziehen waren), wenn sie älter als ein Jahr sind, aufzuwerten. Eine Beschränkung dieser Aufwertungsregel auf die Berechung nach § 21 Abs. 1 AlVG kann daraus nicht entnommen werden.
Da somit hinsichtlich der gemäß § 21 Abs. 8 AlVG heranzuziehenden Berechnungsgrundlagen sowohl in der früheren Fassung des § 21 Abs. 2 AlVG als auch in der Neufassung des § 21 Abs. 1 letzter Satz AlVG (wegen der darin enthaltenen allgemeinen Formulierung) eine Aufwertung angeordnet gewesen ist, kann auch für einen Fall, in welchem in einem Übergangszeitraum ein nach der früheren Rechtslage berechneter Durchschnittsverdienst einer Jahresbeitragsgrundlage im Sinne der Neuregelung des § 21 Abs. 1 AlVG bei Anwendung des § 21 Abs. 8 AlVG vorzuziehen ist, keine andere Auslegung des Gesetzes Platz greifen. Auch die Erläuterungen zum Strukturanpassungsgesetz 1996 (72 BlgNR XX. GP, 235f) enthalten keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Gleichbehandlung in der Heranziehung länger zurückliegender Arbeitsverdienste, insbesondere im Hinblick auf § 21 Abs. 8 AlVG, eine Änderung beabsichtigt hätte.
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Die Umrechnung der Stempelgebühren beruht auf § 3 Abs. 2 Z. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.
Wien, am