VwGH vom 19.12.1990, 86/13/0100
Beachte
Besprechung in:
ÖStZB 1991, 379;
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat I) vom , Zl. 6/1-1189/85, betreffend Einkommensteuer und Umsatzsteuer für das Jahr 1983 des Mitbeteiligten M, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, der seine Tätigkeit als "psychologische Beratung Dipl. Sozialarbeiter" bezeichnet, erklärte aus dieser Tätigkeit für das Jahr 1983 Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die das Finanzamt als Einkünfte aus Gewerbebetrieb beurteilte. Außerdem erfaßte das Finanzamt die entsprechenden Entgelte umsatzsteuerlich nicht, wie vom Mitbeteiligten erklärt, mit dem begünstigten Steuersatz gemäß § 10 Abs. 2 Z. 7 lit. b UStG, sondern mit dem Normalsteuersatz.
Der Mitbeteiligte erhob Berufung. Seine Einnahmen seien die eines Therapeuten. Er übe seine Tätigkeit auf Grund seines Diploms als Sozialarbeiter vor allem aber auf Grund seiner psychoanalytischen Ausbildung aus. Diese habe er im Rahmen des "Wiener Arbeitskreises für Tiefenpsychologie" sowie "durch langjährige Lehranalyse Gruppen, Seminare etc." erworben. Die Ausbildung habe 10 Jahre gedauert und sei einer Hochschulausbildung gleichzusetzen. Er verwende keine Werkzeuge, keine Maschinen und keine Waren. Sein "Arbeitsmittel" sei das Gespräch.
Über Aufforderung des Finanzamtes beschrieb der Mitbeteiligte seine Tätigkeit wie folgt:
"1. 14-tägige Supervision für das Sozialarbeiterteam im
Bezirksjugendamt ... bezahlt von der MA 11,
2. 14-tägige Supervision für das Projekt 'Arbeitstraining
für arbeitslose Jugendliche' ... bezahlt von der MA 11,
3. einmal im Monat Supervision für das gesamte Team (Psychiater, Psychologen, Pfleger, Schwestern etc.) am Psychiatrischen Krankenhaus ...
4. einmal in der Woche Supervision für Sekundarärzte aus verschiedenen Pavillions des Psychiatrischen Krankenhauses ... (von den Ärzten als Teil ihrer Fortbildung gerechnet) ...
5. einmal in der Woche Supervision für ein Team von Psychagogen (Lehrer mit Zusatzausbildung in Spieltherapie für Kinder) bezahlt vom Stadtschulrat ...
dazu kommen Einzelsupervisionen für Angehörige
verschiedener Berufsgruppen, die damit ihre Aus- oder
Fortbildung vervollständigen, z.B. ... Sozialarbeiter ...
Bewährungshelfer ... eine Psychologin ...
Abgesehen davon leite ich gelegentlich Fortbildungsseminare
für soziale Einrichtungen ... am Wochenende oder über fünf
Wochentage, die als Teil ... (des) offiziellen
Fortbildungsprogrammes gelten.
Ab und zu gibt es auch Therapien oder Beratungen in der
Privatpraxis ...
Ferner gibt es eine immer ausgedehntere publizistische
Tätigkeit ... und gelegentlich Vorträge und Referate auf
Kongressen und Tagungen ..."
Einer vorgelegten Aufstellung der Einnahmen des Jahres 1983 war zu entnehmen, daß mehr als S 40.000,-- (von insgesamt S 74.983,--) auf Seminar- und Vortragstätigkeit entfielen. Honorare für fachschriftstellerische Tätigkeit waren der Aufstellung nicht zu entnehmen.
Die belangte Behörde gab der Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 1983 vollinhaltlich und jener gegen den Umsatzsteuerbescheid 1983 teilweise Folge. Sie bejahte zwar, daß sämtliche Entgelte des Mitbeteiligten solche aus der Tätigkeit als Wissenschafter seien; da jedoch der Mitbeteiligte für einen Teil der Entgelte die Umsatzsteuer mit dem Normalsteuersatz in Rechnung gestellt habe, sei insoweit die Umsatzsteuer gemäß § 11 Abs. 12 UStG mit diesem höheren Betrag festzusetzen gewesen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde des Präsidenten, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der beschwerdeführende Präsident bestreitet das Vorliegen einer wissenschaftlichen Tätigkeit des Mitbeteiligten im wesentlichen mit folgenden Argumenten:
Der Mitbeteiligte habe keine einschlägige Hochschulausbildung aufzuweisen. Auch sei nicht erkennbar, warum seine Ausbildung als Sozialarbeiter und im Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie einer Hochschulausbildung gleichzustellen wäre. Eine Indiz dafür, daß die vom Mitbeteiligten ausgeübte psychologisch-beratende Tätigkeit als gewerbliche zu qualifizieren sei, könne in dem Umstand erblickt werden, daß ihm dafür eine gewerberechtliche Bewilligung (Gewerbeschein) erteilt worden sei. Abgesehen davon, liege noch keine wissenschaftliche Tätigkeit vor, wenn ein Wissenschafter auf seinem Wissensgebiet beratend tätig werde, ohne dabei vorrangig wissenschaftliche Erkenntnisse zu erweitern. Anderenfalls wäre die Aufzählung einer Reihe von Berufen in § 22 Abs. 1 EStG, wie z.B. der Ärzte oder der Rechtsanwälte, nicht erforderlich, weil kein Zweifel daran bestehen könne, daß diese Berufe eine wissenschaftliche Ausbildung voraussetzten, ohne daß aber deswegen die Ausübung des Berufes bereits als wissenschaftliche Tätigkeit anzusehen wäre.
Die Supervisionen des Mitbeteiligten bestünden in einer beratenden und beaufsichtigenden Tätigkeit, die im Zuge der Ausbildung von Psychotherapeuten an Hand konkreter Behandlungsfälle ausgeübt werde. Es sei nicht erkennbar, worin der wissenschaftliche Gehalt einer solchen Tätigkeit liege. Selbst wenn aber der Mitbeteiligte bei Supervisionen zu neuen Erkenntnissen gelangt wäre und diese in der Folge für wissenschaftliche Arbeiten verwerte, könnte in den Supervisionen selbst noch keine wissenschaftliche Tätigkeit erblickt werden.
Dem beschwerdeführenden Präsidenten ist zum Teil zuzustimmen. Eine wissenschaftliche Tätigkeit zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, daß sie der Gewinnung und/oder Erweiterung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse dient (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 86/15/0125, und die dort zitierte Vorjudikatur). Auch die Verbreitung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse durch Vorträge vor wissenschaftlich interessiertem Zuhörerkreis ist wissenschaftliche Tätigkeit. Anders verhält es sich mit der bloßen Anwendung von Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung in der Praxis. Es trifft zwar zur, daß der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, daß eine wissenschaftliche Tätigkeit ihren Charakter als solche nicht deswegen verliert, weil ihr Ergebnis zu wirtschaftlichen Zwecken ausgewertet wird (vgl. die oben zitierte Rechtsprechung). Eine solche Beurteilung setzt jedoch voraus, daß die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und nicht deren wirtschaftliche Verwertung den Schwerpunkt der betreffenden Tätigkeit darstellt. Weiters müssen die aus der Tätigkeit erzielten Einnahmen vorrangig als Entgelt für den wissenschaftlichen Gehalt der Tätigkeit anzusehen sein.
Die selbständig ausgeübte Tätigkeit des Mitbeteiligten, wie er sie im Verwaltungsverfahren beschrieben hat, ist von diesen Kriterien nicht ausreichend gekennzeichnet. Es mag zwar zutreffen, daß die Vermutung berechtigt war, der Mitbeteiligte sei ungeachtet einer fehlenden einschlägigen Hochschulausbildung wissenschaftlich qualifiziert. Auch die weitere Vermutung, daß diese Qualifikation in seiner Tätigkeit zum Ausdruck gekommen ist, kann nicht von vornherein als haltlos bezeichnet werden. Als ERWIESEN konnte es die belangte Behörde jedoch nicht annehmen, daß die gesamte Tätigkeit des Mitbeteiligten eine wissenschaftliche Tätigkeit dargestellt hat. Von bloß vermuteten Tatsachen kann aber bei Erlassung von Abgabenbescheiden nicht ausgegangen werden. Vielmehr ist es Aufgabe des Ermittlungsverfahrens, Vermutungen so lange durch Fakten zu erhärten, bis der zunächst nur vermutete Sachverhalt infolge schlüssiger Wertung dieser Fakten in freier Beweiswürdigung als erwiesen angesehen werden kann. Dies trifft im Beschwerdefall nicht zu. Insbesondere die therapeutische Tätigkeit, von der der Mitbeteiligte zwar behauptet hat, sie trete zunehmend in den Hintergrund, für die er aber immerhin Honorare im Ausmaß von S 26.603,-- erklärt hat, bietet keinen erkennbaren Anhaltspunkt dafür, daß der Mitbeteiligte in seiner Eigenschaft als Wissenschafter honoriert worden wäre. Ebenso erscheint es fraglich, ob jene regelmäßig abgehaltenen, seminarartigen Veranstaltungen, die der Ausbildung oder Fortbildung von Sozialarbeitern (Bewährungshelfern) und ähnlichen Personen gedient haben, als wissenschaftliche Tätigkeit gewertet werden können. Der Gerichtshof neigt auf Grund der bisherigen Verfahrensergebnisse der Auffassung zu, daß Art und Zweck dieser Veranstaltungen eher für eine (bloß) unterrichtende und nicht für eine wissenschaftliche Tätigkeit sprechen. Auch der Mitbeteiligte geht in seiner Gegenschrift davon aus, daß seine Tätigkeit "teils ... unterrichtender Natur ist".
Allerdings hätte eine derartige rechtliche Beurteilung nur umsatzsteuerlich (kein begünstigter Steuersatz), nicht jedoch auf dem Gebiet der Einkommensteuer Auswirkungen, weil auch Einkünfte aus einer unterrichtenden Tätigkeit als Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit zu werten sind.
Als wissenschaftliche Tätigkeit wird am ehesten noch die Vortragstätigkeit im Rahmen von Kongressen und Fachtagungen zu werten sein, weil dabei unterstellt werden kann, daß ein wissenschaftlich interessiertes Publikum vom Vortragenden die Vermittlung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse erwartet.
Um alle diese rechtlichen Beurteilungen mit genügender Sicherheit treffen zu können und zwar differenziert nach den verschiedenen Tätigkeitsbereichen des Mitbeteiligten, wurde der Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Daran vermögen auch die Ausführungen des Mitbeteiligten in seiner Gegenschrift nichts zu ändern, weil der Verfahrensmangel einer unvollständigen Sachverhaltsermittlung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht durch neues Vorbringen im Tatsachenbereich geheilt werden kann.
Der angefochtene Bescheid erweist sich sohin als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.
Der Präsident weist in seiner Beschwerde weiters darauf hin, daß bei Berechnung des Kürzungsbetrages nach § 23 UStG zu Unrecht auch die nach § 11 Abs. 12 UStG geschuldete Umsatzsteuer miteinbezogen wurde. Diese Rüge besteht mit Rücksicht auf den klaren Wortlaut der zitierten Bestimmung zu Recht. Der Mitbeteiligte ist ihr nicht entgegengetreten. Im fortgesetzten Verfahren wird daher auch diese Rechtswidrigkeit zu beseitigen sein.