VwGH vom 28.06.2001, 2000/16/0561
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde der R GmbH i.L. in W, vertreten durch Dr. Franz Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien I, Habsburgergasse 6-8/16, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission Wien vom , Zl. MD-VfR-R 2/2000, betreffend Haftung für Getränkesteuer (Juni 1995 bis September 1996), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Stadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Haftungsbescheid der Abgabenbehörde erster Instanz vom wurde gegen die Beschwerdeführerin folgender Spruch gefällt:
"Die R GmbH wird auf Grund des § 4 des Wiener Getränkesteuergesetzes 1992 - GStG, LGBl. für Wien Nr. 3, und der §§ 2 und 5 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LGBl. für Wien Nr. 21/1962, in der geltenden Fassung zur Zahlung der für die in der Zeit von Juni 1995 bis September 1996 im Betrieb der ehemaligen Pächterin, der MS-Gaststätten-Betriebs GesmbH., in W, entstandenen Getränkesteuerschuld im Betrage von
474.317,76 S, (Zur Serviceinformation: Dies entspricht 34.470,02 EURO),
herangezogen und gleichzeitig gemäß § 171 WAO aufgefordert, diesen Betrag binnen einem Monat nach Zustellung dieses Bescheides zu entrichten."
In der Begründung wurde dazu unter anderem folgendes ausgeführt:
"Gegenständlicher Abgabenanspruch resultiert aus der anerkannten Revision vom (siehe Beilage)."
Die zitierte Beilage ist aus den von der belangten Behörde dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten nicht ersichtlich.
Die Beschwerdeführerin berief gegen den erstinstanzlichen Haftungsbescheid mit dem Argument, ihre Heranziehung zur Haftung sei unbillig und unzweckmäßig und brachte in einer Ergänzung zur Berufung unter anderem ausdrücklich vor, sie hätte keine Möglichkeit gehabt, den Getränkesteuerbescheid des Pächters zu bekämpfen. Überdies wurde die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Abgabenvorschreibung geltend gemacht.
Die belangte Behörde wies die Berufung als unbegründet ab, wobei sie unter Hinweis auf § 193 Abs. 3 WAO davon ausging, die Beschwerdeführerin sei darauf hingewiesen worden, dass der Abgabenanspruch "aus der anerkannten Revision vom resultiere; sohin durch Selbstbemessung festgesetzt wurde" und dass der Beschwerdeführerin in der Beilage auch eine Ablichtung der Revisionsniederschrift übermittelt worden sei. Dennoch habe die Beschwerdeführerin keine Berichtigung vorgenommen und damit keinen Rechtsbehelf eingelegt.
Auch die von der belangten Behörde erwähnte Revisionsniederschrift findet sich in den Verwaltungsakten ebensowenig wie ein Anhaltspunkt dafür, dass diese Revisionsniederschrift der Beschwerdeführerin übermittelt wurde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Nichtheranziehung zur Haftung verletzt und bringt unter anderem ausdrücklich vor, sie habe keine Gelegenheit gehabt, die Abgabenfestsetzung selbst zu bekämpfen. Die Grundlagen der Abgabenfestsetzung seien ihr nicht erläutert worden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 4 des Wiener Getränkesteuergesetzes 1992 haftet der Verpächter für bestimmte Steuerbeträge aus der Zeit der Betriebsführung durch den Pächter unter bestimmten, in der zitierten Norm näher geregelten Voraussetzungen.
§ 149 WAO lautet:
"(1) Wenn die Abgabenvorschriften die Selbstbemessung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen ohne abgabenbehördliche Festsetzung der Abgabe zulassen, gilt die Abgabe durch die Einreichung der Erklärung über die Selbstbemessung festgesetzt.
(2) Die Abgabenbehörde hat die Abgabe mit Bescheid festzusetzen, wenn der Abgabepflichtige die Einreichung der Erklärung unterlässt, oder wenn sich die Erklärung als unvollständig oder die Selbstbemessung als unrichtig erweist. Von der bescheidmäßigen Festsetzung ist abzusehen, wenn der Abgabepflichtige nachträglich die Mängel behebt."
§ 193 WAO bestimmt (auszugsweise) folgendes:
"(1) Wer zur Berufung gegen einen Haftungsbescheid (§ 171) befugt ist, kann innerhalb der für die Einbringung der Berufung gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Abgabenbescheid (§ 146) berufen, wenn ein solcher bereits ergangen ist oder die Abgabe erstmals durch den Haftungsbescheid festgesetzt wurde.
(2) Einem gemäß Abs. 1 zur Berufung Befugten ist ein vorangegangener Abgabenbescheid zur Kenntnis zu bringen. § 191 Abs. 2 und 4 gilt sinngemäß.
(3) Wurde die Abgabe durch Selbstbemessung (§§ 149 und 150) festgesetzt, so steht auch dann, wenn die Verjährungsfrist bereits abgelaufen ist, dem zur Berufung gegen den Haftungsbescheid Befugten noch innerhalb der Berufungsfrist das Recht zur Berichtigung zur Abgabenerklärung zu. Durch eine solche Berichtigungserklärung wird die Verjährung neu in Lauf gesetzt.
§ 191 Abs. 2 und 4 gilt sinngemäß.
..."
Nach der zur zuletzt zitierten Bestimmung ergangenen hg. Judikatur (Erkenntnis vom , Zl. 2000/16/0199) ist u. a. folgendes zu beachten:
Ist ein Abgabenbescheid dem Abgabenschuldner gegenüber nicht ergangen, dann muss aber sichergestellt sein, dass dem in Anspruch genommenen Haftungspflichtigen, wenn schon nicht vom "Bescheid über den Abgabenanspruch", so doch von den Voraussetzungen, Inhalten und Gründen, die ein Bescheid über den Abgabenanspruch hätte, Kenntnis verschafft wird. Mitteilungen über den Haftungsgegenstand (Anspruch, Art, Höhe, Grund) müssen in dem Maß gemacht werden, dass der Haftende zumindest den Kenntnisstand gewinnen kann, den er einnehmen könnte, wäre ihm der Abgabenbescheid zugeleitet worden.
Um den Rechtsschutzgedanken des § 193 Abs. 3 WAO voll wirksam Rechnung zu tragen, muss dem Haftungspflichtigen von der Behörde über den haftungsgegenständlichen Abgabenanspruch Kenntnis in einer Weise verschafft werden, dass die Prüfung der Richtigkeit der Abgabenfestsetzung möglich ist und die Positionen der Rechtsverteidigung des herangezogenen Haftenden gegen den Anspruch nicht schwächer sind als diejenigen, die der Abgabepflichtige gegen den Abgabenbescheid einzunehmen in der Lage ist (vgl. Stoll, BAO Kommentar zu § 248 BAO, 2553 und 2554).
Wenn der Gesetzgeber normiert, der Haftungspflichtige habe im Fall der Selbstbemessungsabgabe das Recht zur Berichtigung der Abgabenerklärung, dann ist ihm auch in der Weise Kenntnis von den Abgabenerklärungen, den Revisionsberichten und den erforderlichen Unterlagen zu verschaffen, um ihn in die Position des damaligen Steuerschuldners zu versetzen und ihm die Möglichkeit der Vornahme einer Berichtigung der vom damaligen Steuerschuldner abgegebenen Abgabenerklärung zu geben. Ist er auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht in der Lage, eine solche Berichtigung vorzunehmen, dann kann ihm nicht mit Recht der Vorwurf der Unterlassung einer solchen Berichtigung gemacht werden (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 99/16/0284).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung stellt sich im folgenden Fall zunächst die Frage, ob die Abgabenfestsetzung gegenüber dem Primärschuldner überhaupt im Wege der Einreichung der Erklärung über die Selbstbemessung gemäß § 149 Abs. 1 WAO erfolgte (wovon die belangte Behörde auszugehen scheint) oder ob eine Abgabenfestsetzung mit Bescheid gemäß § 149 Abs. 2 leg. cit. vorgenommen wurde (worauf die Beschwerdeführerin hinweist).
Da sich in den vorgelegten Verwaltungsakten weder Unterlagen betreffend die Festsetzung der Abgabe im Wege der Selbstbemessung (insbesondere auch nicht betreffend die im erstinstanzlichen Haftungsbescheid und im angefochtenen Bescheid erwähnte "Beilage") noch ein Abgabenfestsetzungsbescheid finden und weil die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift auf die Beschwerdeausführungen, insoweit dort von einem Abgabenfestsetzungsbescheid (den zu bekämpfen die Beschwerdeführerin ihren Behauptungen nach keine Gelegenheit hatte) die Rede ist, überhaupt nicht eingegangen ist, ist völlig ungeklärt, ob im Beschwerdefall der Beschwerdeführerin ein gegen den Primärschuldner erlassener Abgabenbescheid gemäß § 193 Abs. 2 WAO zur Kenntnis gebracht wurde oder ob sie iS der oben zitierten hg. Rechtsprechung auf geeignete Art und Weise informiert und dadurch in die Lage versetzt wurde, eine Berichtigung gemäß § 193 Abs. 3 WAO vorzunehmen.
Da sohin im Beschwerdefall essentielle Tatsachengrundlagen vollkommen ungeklärt sind, ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, wobei die Entscheidung wegen der einfachen Sach- und Rechtslage in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden kann.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. 416/1994.
Wien, am