VfGH vom 05.10.2016, V77/2015
Leitsatz
Keine Gesetzwidrigkeit einer Vorschrift der - als Verordnung zu qualifizierenden - Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien betreffend Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch als „im Allgemeinen“ zur Krankenbehandlung nicht geeignet; Abgabe solcher Arzneimittel auf Kosten des Krankenversicherungsträgers bei Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung jedoch möglich
Spruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art 139 Abs 1 Z 1 B VG gestützten Antrag begehrt das Bundesverwaltungsgericht die Verordnungsbestimmung Arzneimittelkategorie 11 (Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch) in der Anlage gemäß § 1 Abs 2 der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG als gesetzwidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtene Verordnungsbestimmung ist hervorgehoben):
1. Art 7 Abs 1 Z 1 der Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (im Folgenden: Transparenzrichtlinie) lautet auszugsweise:
"Artikel 7
Sind die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats ermächtigt, Entscheidungen zu treffen, durch die bestimmte Arzneimittel oder Arzneimittelkategorien von ihrem staatlichen Krankenversicherungssystem ausgeschlossen werden (Negativlisten), so gilt folgendes:
1. Eine Entscheidung, eine Arzneimittelkategorie von dem staatlichen Krankenversicherungssystem auszuschließen, muß eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalten; sie ist in einer geeigneten amtlichen Bekanntmachung zu veröffentlichen.
2. 4. […]"
2. § 351h Abs 1 ASVG, BGBl I 140/2002 idF BGBl I 1/2013, lautet:
"Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit dem Erstattungskodex
§351h. (1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet
1. über Beschwerden des vertriebsberechtigten Unternehmens,
a) dessen Antrag auf Aufnahme einer Arzneispezialität in den gelben oder grünen Bereich des Erstattungskodex (teilweise) ab- oder zurückgewiesen wurde oder
b) über dessen Antrag nicht fristgerecht (§351d Abs 1) entschieden wurde;
2. über Beschwerden des vertriebsberechtigten Unternehmens, dessen Arzneispezialität aus dem Erstattungskodex gestrichen bzw. von Amts wegen aufgenommen wird.
(2) (5) […]"
3. § 351i Abs 1 ASVG, BGBl I 140/2002 idF BGBl I 2/2015, lautet:
"Bundesverwaltungsgericht, Mitwirkung fachkundiger Laienrichter/Laienrichterinnen
§351i. (1) In Angelegenheiten nach § 351h hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch einen Senat zu erfolgen, der aus dem/der Senatsvorsitzenden und vier fachkundigen Laienrichtern/Laienrichterinnen besteht, wobei zwei davon Fachärzte/Fachärztinnen für Pharmakologie und Toxikologie oder Fachärzte/Fachärztinnen mit dem Additivfach klinische Pharmakologie und zwei Ökonomen/Ökonominnen mit spezifischen Kenntnissen im Gesundheits- und Sozialversicherungsbereich (Gesundheitsökonomen/Gesundheitsökonominnen) sind. Die Zusammensetzung der Laienrichter/Laienrichterinnen im Senat hat das paritätische Nominierungsrecht nach Abs 2 abzubilden.
(2) (3) […]"
4. § 351c ASVG, BGBl I 140/2002 idF BGBl I 33/2009, lautet auszugsweise:
"Abschnitt V
Erstattungskodex
Aufnahme von Arzneispezialitäten in den Erstattungskodex
§351c. (1) Das vertriebsberechtigte Unternehmen beantragt beim Hauptverband die Aufnahme einer Arzneispezialität in den gelben oder den grünen Bereich des Erstattungskodex. Mit Einlangen des Antrages, mit dem zumindest die Zulassungsnummer und ein Preis bekannt gegeben wird und dem eine Bestätigung der Lieferfähigkeit und eine Bestätigung über die Dauer der Patentlaufzeit angeschlossen ist, wird die Arzneispezialität zeitlich befristet in den roten Bereich aufgenommen. Stellt der Hauptverband innerhalb von 90 Tagen (wird auch über den Preis entschieden, innerhalb von 180 Tagen) nach Einlangen des Antrages fest, dass die Arzneispezialität nicht in den gelben oder grünen Bereich des Erstattungskodex aufzunehmen ist, so ist sie aus dem roten Bereich des Erstattungskodex zu streichen. Der Hauptverband hat die Änderungen des Erstattungskodex monatlich im Internet kundzumachen.
(2) Der Hauptverband hat eine Liste jener Arzneimittelkategorien zu erstellen, die im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 geeignet sind, da sie zB überwiegend
– zur Behandlung in Krankenanstalten,
– unter ständiger Beobachtung oder
– zur Prophylaxe
verwendbar sind. Diese Liste samt einer Begründung für die Anführung der Arzneimittelkategorien ist im Internet zu veröffentlichen.
(3) (10) […]"
5. Die hier maßgebliche Vorschrift der vom Hauptverband erlassenen Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach § 351g ASVG (VO-EKO), Verlautbarung 47/2004 idF 159/2013, lautet:
"Aufnahme in den Roten Bereich
§20. (1) Der Hauptverband prüft unverzüglich nach Eingang den Antrag auf formale Vollständigkeit. Ist der Antrag unvollständig oder ist die Entrichtung des pauschalierten Kostenersatzes gemäß der Verfahrenskostenverordnung (VK VO) ausständig, fordert der Hauptverband das antragstellende Unternehmen auf, binnen 14 Tagen die ausständigen Informationen beizubringen oder den pauschalierten Kostenersatz zu entrichten; die Fristen gemäß §§20 Abs 3 und 27 Abs 1 werden gehemmt. Falls das antragstellende Unternehmen dieser Aufforderung nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt, ist der Antrag zurückzuweisen.
(2) Die beantragte Arzneispezialität wird mit dem Zeitpunkt des Vorliegens des vollständigen Antrags und der Entrichtung des pauschalierten Kostenersatzes gemäß der Verfahrenskostenverordnung (VK VO) in den Roten Bereich des Erstattungskodex aufgenommen.
(3) Der Hauptverband prüft nach Vorliegen eines vollständigen Antrags, ob die beantragte Arzneispezialität gemäß § 351c Abs 2 und 4 ASVG von der Erstattung ausgeschlossen ist. Kommt der Hauptverband zu dem vorläufigen Ergebnis, dass die Möglichkeit besteht, dass die beantragte Arzneispezialität von der Erstattung ausgeschlossen ist, ist dies dem antragstellenden Unternehmen schriftlich samt Begründung mitzuteilen. Das antragstellende Unternehmen kann innerhalb von 7 Tagen schriftlich Stellung nehmen. Die Stellungnahme hat sich auf die Begründung des vorläufigen Ergebnisses des Hauptverbandes zu beziehen. Alle Teile der Stellungnahme, die sich nicht auf die Begründung des vorläufigen Ergebnisses des Hauptverbandes beziehen, sind unbeachtlich. Das vorläufige Ergebnis und die allfällige Stellungnahme des antragstellenden Unternehmens sind der HEK vorzulegen. Die HEK empfiehlt unter Berücksichtigung der allfälligen Stellungnahme des antragstellenden Unternehmens, ob die beantragte Arzneispezialität von der Erstattung ausgeschlossen ist oder nicht. Ist die beantragte Arzneispezialität nicht erstattungsfähig, lehnt der Hauptverband auf Empfehlung der HEK den Antrag innerhalb von 90 Tagen ab Antragstellung ab; die Arzneispezialität ist aus dem Erstattungskodex zu streichen.
(4) Der Hauptverband kann für Arzneispezialitäten, die einer Kategorie gemäß § 351c Abs 2 angehören, die Erstattungsfähigkeit feststellen, wenn sich aus den Unterlagen ergibt, dass die Arzneispezialität zur Krankenbehandlung gemäß § 133 Abs 2 ASVG geeignet ist.
(5) Sind die Angaben zur Begründung des Antrages im Hinblick auf die Beurteilung der Erstattungsfähigkeit unzureichend, so werden die Fristen gemäß Abs 3 sowie gemäß § 27 Abs 1 gehemmt. Der Hauptverband teilt dem antragstellenden Unternehmen unverzüglich mit, welche zusätzlichen Einzelangaben erforderlich sind. Diese zusätzlichen Einzelangaben hat das antragstellende Unternehmen binnen 30 Tagen beizubringen.
(6) Der Hauptverband hat seine ablehnende Entscheidung zu begründen. Das antragstellende Unternehmen ist über die Möglichkeit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht sowie über die Rechtsmittelfrist nach § 351i Abs 3 ASVG und darüber, dass eine solche Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat, zu belehren."
6. § 120 ASVG, BGBl 189/1955 idF BGBl I 61/2010, lautete auszugsweise:
"Eintritt des Versicherungsfalles
§120. Der Versicherungsfall gilt als eingetreten:
1. im Versicherungsfall der Krankheit mit dem Beginn der Krankheit, das ist des regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes, der die Krankenbehandlung notwendig macht;
[…]"
7. § 133 ASVG, BGBl 189/1955 idF BGBl 61/2010, lautet auszugsweise:
"2. UNTERABSCHNITT
Krankenbehandlung
Umfang der Krankenbehandlung
§133. (1) Die Krankenbehandlung umfaßt:
1. ärztliche Hilfe;
2. Heilmittel;
3. Heilbehelfe.
(2) Die Krankenbehandlung muß ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Durch die Krankenbehandlung sollen die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden. Die Leistungen der Krankenbehandlung werden, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt wird, als Sachleistungen erbracht.
(3) (5) […]"
8. Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG, avsv Nr 34/2004:
"Amtliche Verlautbarung der österreichischen Sozialversicherung im Internet: www.avsv.at
Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger
Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger verlautbart gemäß § 351c Abs 2 ASVG, BGBl 189/1955, zuletzt geändert durch BGBl I 145/2003, folgende Liste jener Arzneimittelkategorien, die im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG geeignet sind:
Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien
gemäß § 351c Abs 2 ASVG
Zweck
§1. (1) Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (in der Folge Hauptverband) hat nach § 31 Abs 3 Z 12 ASVG einen Erstattungskodex der Sozialversicherung für die Abgabe von Arzneispezialitäten auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers im niedergelassenen Bereich herauszugeben; in dieses Verzeichnis sind jene für Österreich zugelassenen, erstattungsfähigen und gesichert lieferbaren Arzneispezialitäten aufzunehmen, die nach den Erfahrungen im In- und Ausland und nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine therapeutische Wirkung und einen Nutzen für Patienten und Patientinnen im Sinne der Ziele der Krankenbehandlung (§133 Abs 2 ASVG) annehmen lassen.
(2) Der Hauptverband hat gemäß § 351c Abs 2 ASVG eine Liste jener Arzneimittelkategorien (Arzneispezialitäten und Stoffe für magistrale Zubereitungen) zu erstellen, die nach objektiven und überprüfbaren Kriterien im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG geeignet und daher nicht erstattungsfähig sind. Die Anlage enthält die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien samt Begründung ihrer Anführung.
(3) Nicht-Erstattungsfähig bedeutet, dass Arzneispezialitäten und Stoffe für magistrale Zubereitungen, die unter eine in der Anlage angeführte Arzneimittelkategorie fallen,
nicht im Erstattungskodex gemäß § 31 Abs 3 Z 12 ASVG angeführt werden und
grundsätzlich nicht als Leistung der Krankenbehandlung auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers abgegeben werden dürfen.
Sonstige Mittel
§2. Die Kostenübernahme für sonstige Mittel im Sinne des § 136 Abs 1 litb ASVG durch die Sozialversicherungsträger wird in den Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen gemäß § 31 Abs 5 Z 13 ASVG in der letztgültigen Fassung geregelt.
Sprachliche Gleichbehandlung
§3. Soweit in der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien auf natürliche Personen bezogene Bezeichnungen nur in männlicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Frauen und Männer in gleicher Weise.
Inkrafttreten
§4. Die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien tritt mit in Kraft.
Kundmachung
§5. Die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien und ihre Änderungen werden vom Hauptverband im Internet unter www.avsv.at kundgemacht.
*
Die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien wurde von der Geschäftsführung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger am beschlossen.
[...]
Anlage gemäß § 1 Abs 2
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Arzneimittelkategorie | Spezifizierung | Begründung | |
1 10 […] | 1 10 […] | 1 10 […] | 1 10 […] |
11 | Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch | Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch werden nicht zur Therapie einer Krankheit im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG eingesetzt und dienen daher nicht der Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG. | |
12 13 […] | 12 13 […] | 12 13 […] | 12 13 […]" |
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit Bescheid des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger vom wurde der Antrag der vor dem Bundesverwaltungsgericht beschwerdeführenden Partei auf Aufnahme der Arzneispezialität "Champix FTBL, 0,5 mg" in den Erstattungskodex gemäß § 20 Abs 3 VO EKO abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass das zugelassene Anwendungsgebiet von "Champix FTBL, 0,5 mg" in die Kategorie 11 ("Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch") der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG falle. Die Stellungnahme des Unternehmens enthalte keine nachvollziehbare Begründung dafür, warum eine Arzneispezialität die zur "Raucherentwöhnung bei Erwachsenen" zugelassen sei, nicht "zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch" diene. Die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG stehe im Verordnungsrang und sei der Entscheidung zugrunde zu legen. Gegen diesen Bescheid wurde Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.
2. Das Bundesverwaltungsgericht legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:
"[…]
Inhaltliche Beurteilung:
I. Zunächst war zu prüfen, ob es sich bei der Liste nach § 351c Abs 2 ASVG um eine Verordnung iSd B VG handelt:
Unter Verordnungen sind generelle Rechtsvorschriften zu verstehen, die von Verwaltungsbehörden erlassen werden und die sich ihrem Inhalt nach an Rechtsunterworfene (nach außen) richten. Nach dem B VG dürfen nur Verwaltungsbehörden (im formellen Sinn) Verordnungen erlassen. Auch generelle Anordnungen der Selbstverwaltungskörper, die gelegentlich als 'Satzungen' bezeichnet werden, zählen zu den Verordnungen; auf die Bezeichnung soll es nicht ankommen. Durch Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, auf die ein Gesetz abstellt, kann eine erlassene Verordnung gesetzwidrig werden (Invalidation). Die Verfassung enthält keine ausdrückliche Vorschrift darüber, wie Verordnungen kundzumachen sind (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10 [2007] Rz 590 ff).
Fraglich ist, ob die Liste nach § 351c Abs 2 ASVG eine Verordnung iSd B VG ist; alternativ könnte sie wohl nur als (unverbindliche) Wissenserklärung des HV eingeordnet werden. Auch wenn eine Verschreibung, der in der Liste enthaltenen Mitteln nach § 31 Abs 3 Z 12 Satz 5 ASVG zulässig ist, dürfte die Liste doch den Leistungsanspruch für den 'Regelfall' konkretisieren und einschränken. Dies spricht für die Qualifikation als Verordnung. Jedenfalls als Verordnung einzustufen ist die Liste, wenn man sie als bindende Vorgabe für ein Aufnahmeverfahren nach § 351c ASVG ansieht. Für die Qualifikation als Verordnung würde es auch sprechen, falls man die Liste als Negativliste iSv Art 7 Transparenzrichtlinie ansieht. Danach Ist als Negativliste nur eine verbindliche Regelung zulässig, nicht eine nur 'ungefähre', die jederzeit und insbesondere für den Regelfall von Gerichten beiseitegeschoben werden kann (Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil Der SV Komm § 351 c ASVG Rz 31).
Fällt die beantragte Arzneispezialität unter einer der Kategorien der Liste der nicht erstattungsfähigen Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG, verhindere das die Aufnahme in den Erstattungskodex. Die Subsumtion unter einer dieser Kategorien allein bedeute jedoch nicht, dass der Patient im Einzelfall keinen leistungsrechtlichen Anspruch darauf hat. Bei der Liste der nicht erstattungsfähigen Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 handle es sich somit um keine 'Negativliste' iSd Art 7 Transparenzrichtlinie, sondern vielmehr um ein Hilfsmittel des Hauptverbandes bei seiner Entscheidung (Seyfried in Sonntag ASVG,§ 351c Rz 28 f).
Gemäß § 32 Abs 1 ASVG sind die Versicherungsträger und der Hauptverband Körperschaften des öffentlichen Rechtes und haben Rechtspersönlichkeit. Der belangten Behörde steht damit die Befugnis zu, Verordnungen zu erlassen. Die seitens der belangten Behörde im Internet unter www.avsv.at herausgegebene 'Amtliche Verlautbarung' Nr 34/2004 hat jedenfalls Außenwirksamkeit erlangt. Dass in der Kundmachung nicht explizit auf den Verordnungsrang hingewiesen wurde, spielt nach der Literatur keine Rolle. Das Bundesverwaltungsgericht qualifiziert daher mit Rebhahn (siehe oben) die Liste nach § 351c Abs 2 als Verordnung iSd B VG. Der nicht näher begründeten Ansicht von Seyfried, wonach es sich bei der Liste der nicht erstattungsfähigen Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG um keine 'Negativliste' iSd Art 7 Transparenzrichtlinie, sondern vielmehr um ein Hilfsmittel des Hauptverbandes bei seiner Entscheidung handeln solle, ist somit nicht zu folgen.
II. Nunmehr legt das Bundesverwaltungsgericht iSd § 57 Abs 1 VfGG seine Bedenken, die gegen die Gesetzmäßigkeit der Arzneimittelkategorie 11, 'Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch' (Begründung: 'Arzneimittel zur Entwöhnung von Nikotingebrauch werden nicht zur Therapie einer Krankheit im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG eingesetzt und dienen daher nicht der Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG') der Anlage gemäß § 1 Abs 2 der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG sprechen, im Einzelnen dar:
1. Nach § 120 Z 1 ASVG ist eine Krankheit iSd SV-Rechts ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht. Der Krankheitsbegriff besteht somit aus zwei Facetten: Zum einen aus der Regelwidrigkeit, zum anderen aus der Behandlungsbedürftigkeit (Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg.] Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 25).
Nach Ansicht des OGH ist ein Körper- oder Geisteszustand regelwidrig, wenn aus der Sicht des Versicherten auf Grund störender Symptome das Bedürfnis nach ärztlicher Behandlung besteht, aus der Sicht des Arztes ärztliches Tätigwerden in Form von Diagnose und Therapie erforderlich ist und der Versicherte nach allgemeiner Auffassung auf Kosten der Versichertengemeinschaft behandelt werden soll. Der OGH nimmt keine strikte Trennung der Parameter vor, sondern betont die Wechselbeziehung zwischen der Regelwidrigkeit und der Behandlungsbedürftigkeit sowie dem sozialen Konsens. Letztlich kommt damit dem Arzt eine wesentliche Rolle bei der Abgrenzung des Krankheitsbegriffs zu. Ihm obliegt es, festzustellen, wann eine Störung ein solches Ausmaß erreicht hat, dass Behandlungsbedürftigkeit 'medizinisch' gegeben ist (zitiert nach Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil Der SV Komm § 120 ASVG Rz 4).
Krankheit iSd § 120 Z 1 ASVG liegt immer dann vor, wenn äußere Krankheitserscheinungen in solcher Art aufscheinen, dass sie der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe und der Anwendung von Heilmittel bedürfen. Wenn daher ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand 'nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft' durch ärztliche Hilfe, Heilmittel oder Heilbehelfe gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann, so ist die Notwendigkeit der Krankenbehandlung indiziert. Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn liegt bereits dann vor, wenn eine Störung der psychophysischen Funktionen nach außen hin wahrnehmbar ist, und sei es nur durch entsprechende Äußerung des Versicherten, die die Notwendigkeit einer Diagnoseerstellung indizieren (Teschner-Widlar-Poeltner, ASVG,§ 120 Anm. 1 f).
In der Medizin wird die Krankheit als Störung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens, somit als eine Abweichung von der Norm von der 'Gesundheit' definiert. Nach einer anderen Definition ist unter Krankheit eine Störung der normalen Funktionen der Organe oder der Organsysteme mit der Folge von subjektiv empfundenen bzw. objektiv feststellbaren körperlichen, geistigen bzw. seelischen Veränderungen zu verstehen (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Auflage). Die WHO fasst den Begriff der Gesundheit noch weiter, weil sie unter Gesundheit einen Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens versteht (Schober in Sonntag [Hrsg.] ASVG [2014], § 120 Rz 4).
Soweit ersichtlich besteht bis heute keine Judikatur zur Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Leistung von Heilmitteln zur Raucherentwöhnung bei Nikotinsucht besteht. In der Literatur wird die Meinung vertreten, dass Nikotinsucht zwar als regelwidriger Zustand angesehen werden kann. Ob jedoch eine separate Behandlungsbedürftigkeit angenommen werden kann, erscheine doch sehr zweifelhaft. Im Zusammenhang mit der Vermeidung anderer, unmittelbar drohender Erkrankungen bzw. der Verhinderung ihrer Verschlimmerung könne jedoch eine Einordnung unter den Krankenbehandlungsanspruch vielleicht doch ausnahmsweise in Betracht kommen (Pfeil, Leistungen der so genannten Lifestyle-Medizin im österreichischen Krankenversicherungsrecht, 102, in Jabornegg/Resch/Seewald [Hrsg.] Grenzen der Leistungspflicht für die Krankenbehandlung [2007]). Nach Windisch-Graetz fällt Raucherentwöhnung unter dem gängig gewordenen – aber missverständlichen – Begriff 'Lifestyle-Medizin' (Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 6). Darunter werden medizinische Behandlungen bei (vorwiegend) bloß subjektiv empfundenen Beeinträchtigungen der Lebensqualität verstanden.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich dieser Auffassung nicht an. Die WHO erfasst in ihrem Diagnoseklassifikationssystem International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems — ICD (aktuelle Version ICD 10) unter 'psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (F 10 – F 19) neben psychischen und Verhaltensstörungen durch andere Substanzen wie etwa Alkohol auch solche, die durch den Konsum von Tabak hervorgerufen werden (F 17) als behandlungsbedürftige Krankheit. Zu diesen Störungen gehört u.a. Tabakabhängigkeit als solche – und somit ohne das Vorliegen von durch Tabakkonsum induzierten Folgeerkrankungen (z.B. COPD ['chronic obstructive pulmonary disease', chronisch obstruktive Lungenkrankheit]). 'Tabakabhängigkeit' ist durch ein eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit Tabak sowie durch einen starken Wunsch nach Tabakkonsum charakterisiert (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, S 3 Leitlinie 'Screening, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums', S. 11, abrufbar unter: http://www.dg-sucht.de/s3-leitlinien/).
Nach dieser Leitlinie ist 'Tabakabhängigkeit' dann zu diagnostizieren, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der folgenden Kriterien gleichzeitig vorhanden waren:
1. Ein starker Wunsch oder eine ArtZwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren.
2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums.
3. Ein körperliches Entzugssyndrom (siehe F 17.3 und F 17.4) bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, nachgewiesen durch die substanzspezifischen Entzugssymptome oder durch die Aufnahme der gleichen oder einer nahe verwandten Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden.
4. Nachweis einer Toleranz. Um die ursprünglich durch niedrigere Dosen erreichten Wirkungen der psychotropen Substanz hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich (eindeutige Beispiele hierfür sind die von manchen Rauchern konsumierten Tagesdosen von Nikotin, die bei Konsumenten ohne Toleranzentwicklung zu einer schweren körperlichen Beeinträchtigung oder sogar zum Tode führen würden).
5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen.
6. Anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen, wie z.B. Leberschädigung durch exzessives Trinken, depressive Verstimmungen infolge starken Substanzkonsums oder drogenbedingte Verschlechterung kognitiver Funktionen. Es sollte dabei festgestellt werden, dass der Konsument sich tatsächlich über Art und Ausmaß der schädlichen Folgen im Klaren war oder dass zumindest davon auszugehen ist.
Nachdem ein Antrag auf Aufnahme des Präparats 'Champix' in die Schweizer Spezialitätenliste vom Bundesamt für Gesundheit BAG abgelehnt wurde, hat das Schweizer Bundesgericht auf Grund einer Beschwerde gegen diese Ablehnung in einem Urteil vom (9C 69/2011) dargelegt, dass die Nikotinsucht eine Krankheit darstellen kann. Dabei geht das Bundesgericht von seiner Rechtsprechung zur Alkohol- und Drogensucht aus und hält fest, dass 'die anerkannten internationalen Klassifikationssysteme ICD 10 der WHO sowie DSM IV der American Psychiatric Association hinsichtlich der 'Krankheitseigenschaft' nicht zwischen Nikotinsucht und Drogen- und Alkoholsucht' differenzieren (unter 5.3.2 des erwähnten Urteils). Es sei '... kein Grund ersichtlich, mit Bezug auf den Krankheitswert zwischen der Nikotinsucht einerseits, Alkohol- und Drogensucht andererseits zu unterscheiden. Daraus ergibt sich indessen nicht, dass Nikotinabhängigkeit als solche eine Krankheit im Sinne der obligatorischen Krankenpflegeversicherung darstellt. Die Sucht muss aus medizinischer Sicht behandlungsbedürftig sein, damit ihr Krankheitswert zukommt. ...' (unter 5.3.3 des Urteils). Zum Krankheitswert einer Nikotinsucht führt das Bundesgericht aus: 'Es wird Aufgabe des Bundesamtes [für Gesundheit BAG] sein, ..., Bedingungen zu formulieren, unter denen die Behandlungsbedürftigkeit der Nikotinsucht und damit deren Krankheitswert zu bejahen ist. Dabei geht es vorab darum, einen Mindestgrad an Nikotinabhängigkeit festzulegen, beispielsweise nach Massgabe des international anerkannten Fagerström-Tests ... unter Berücksichtigung der Expositionsdauer (pack-years) und der Art des Konsums ..., welcher erreicht werden muss, um überhaupt von einer Krankheit sprechen zu können. Nicht jedes Rauchverhalten ist als behandlungsbedürftige Sucht zu betrachten ' (5.4.2 des Urteils).
In diesem Sinne hat das Schweizer Bundesamt für Gesundheit BAG das Präparat 'Champix' in verschiedenen Dosierungen und Packungsgrößen in die Spezialitätenliste mit folgender Einschränkung aufgenommen:
'Die Rauchentwöhnung mit Champix wird vergütet bei einem Rauchverhalten, das die Kriterien des Abhängigkeitssyndroms nach dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) Version IV oder der International Classification of Diseases (ICD) erfüllt und bei welchem zusätzlich ein Schweregrad vorliegt, der eines der folgenden Kriterien erfüllt:
- Bestehen einer Folgekrankheit des Rauchens oder
- Bestehen einer Abhängigkeit, bei welcher der Fagerström-Test einen Score von 6 oder mehr ergibt.
Für Patienten ab 18 Jahren, die zu einem Rauchstopp mit Champix motiviert sind und Beratung und Unterstützung durch eine medizinische Fachperson erhalten.
Pro 18 Monate wird eine einmalige Therapie von 12 Wochen vergütet.'
In diesem Zusammenhang ist auch festzustellen, dass in der amtlichen Fassung des ATC-Index bei den Mitteln zur Behandlung von Suchterkrankungen (N07B) folgende Untergruppen aufgelistet sind:
Mittel zur Behandlung der Nikotinabhängigkeit (N07BA)
Mittel zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit (N07BB)
Mittel zur Behandlung der Opiatabhängigkeit (N07BC)
Der Wirkstoff 'Vareniclin' des antragsgegenständlichen Produkts ist überdies in der Gruppe (N076A03) enthalten.
Abschließend ist auf den Umstand hinzuweisen, dass die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG aus dem Jahr 2004 (vgl. Verlautbarung Nr 34/2004) stammt und seit damals keiner Änderung mehr unterzogen wurde. Die Regelwidrigkeit eines Körper- oder Geisteszustandes ist nach rein medizinischen Kriterien zu beurteilen, während bei der Prüfung der Behandlungsbedürftigkeit desselben auch Wertvorstellungen der Gesellschaft eine Rolle spielen (Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil Der SV-Komm, § 133 ASVG Rz 26). Der Einwand der Beschwerdeführerin, wonach in der Öffentlichkeit zum Thema 'Rauchen' auch ein 'gesellschaftlicher Wandel' zu beobachten sei, ist gerechtfertigt. Dieser Wandel findet seinen Ausdruck insbesondere in der Richtlinie 2014/40/EU zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und der Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG (ABI. L 127 vom , S. 1), deren erklärtes Ziel es ist, die Verbreitung des Rauchens insbesondere unter jungen Menschen zu senken (Erwägungsgrund 8).
Angesichts dieser Fakten erscheint der seitens der belangten Behörde in der Anlage gemäß § 1 Abs 2 der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG vorgenommene kategorische Ausschluss von 'Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch', ohne eine Differenzierung zwischen dem noch nicht 'per se krankheitsschädigenden' Tabakkonsum einerseits (vgl. die oben angeführte S 3-Leitlinie, Seite 9) und der nikotinassoziierten Tabakabhängigkeit iSd diagnostischen Kriterien des ICD 10 andererseits vorzunehmen, mit den Anforderungen des § 351c Abs 2 ASVG an eine solche Liste nicht vereinbar. 'Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch' sind bei Vorliegen eines schweren Grades von Tabakabhängigkeit sehr wohl zur Behandlung dieser Krankheit geeignet.
2. Nach Art 7 Z 1 Transparenzrichtlinie muss eine Entscheidung, eine Arzneimittelkategorie von dem staatlichen Krankenversicherungssystem auszuschließen, eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalten; sie ist in einer geeigneten amtlichen Bekanntmachung zu veröffentlichen. Die Begründung der belangten Behörde zur Arzneimittelkategorie 11, wonach 'Arzneimittel zur Entwöhnung von Nikotingebrauch nicht zur Therapie einer Krankheit im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG eingesetzt werden und daher nicht der Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG dienen', vermag den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen ('eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung') nicht zu genügen. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes müsste daher aus der Begründung zur Arzneimittelkategorie 11 ('Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch') der Anlage gemäß § 1 Abs 2 der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG plausibel und nachvollziehbar hervorgehen, warum die nikotinassoziierte Tabakabhängigkeit keine Krankheit iSd § 120 Z 1 ASVG darstellt.
3. Jedes Gericht ist nur dann zur Anfechtung einer Verordnung befugt, wenn es die Verordnung anzuwenden hat. Für die Anfechtung genügen bereits 'Bedenken' gegen die Gesetzmäßigkeit, das heißt relevante Gründe, die für eine Gesetzwidrigkeit der Verordnung sprechen; relevant sind Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit in jeder Hinsicht. Das bereits Bedenken genügen, hat seinen Sinn darin, dass dem Verfassungsgericht alle Zweifelsfälle vorzulegen sind (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht Rz 1110 f).
Das Bundesverwaltungsgericht hat die gegenständliche Verordnung ('Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG') anzuwenden, da es gemäß § 351h Abs 1 Z 1 lita ASVG über Beschwerden des vertriebsberechtigten Unternehmens entscheidet, dessen Antrag auf Aufnahme einer Arzneispezialität in den gelben oder grünen Bereich des Erstattungskodex (teilweise) ab- oder zurückgewiesen wurde. Der Antrag der Beschwerdeführerin vom wurde mit Bescheid des Hauptverbandes vom mit Hinweis auf die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG, Kategorie 11, abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat nunmehr zu überprüfen, ob sich die belangte Behörde zu Recht auf die Verordnung hinsichtlich der Arzneimittelkategorie 11 ('Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch') berufen durfte. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die Verordnung 'anzuwenden'. Die diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Verordnung wurden aufgezeigt, womit das Bundesverwaltungsgericht zur Anfechtung gemäß Art 89 Abs 2 B VG verpflichtet ist.
[...]"
3. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger hat keine Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt, aber eine Äußerung erstattet, in der er den im Antrag dargelegten Bedenken wie folgt entgegentritt:
"[...]
2. Verordnungsqualität der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien
Gemäß Art 139 Abs 1 B VG erkennt der VfGH über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen. 'Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 3142/1957, 7585/1975, 9061/1981, 9416/1982) versteht man unter einer Verordnung die von einer Verwaltungsbehörde erlassene generelle Rechtsnorm; das bedeutet, daß sich der Akt an eine allgemein bestimmte Vielzahl von Personen richten und für diese unmittelbar rechtsverbindlich sein muß.' 4
Eine Verordnung ist in Anbetracht dieser Definition etwa der Erstattungskodex 5 , weil ein Heilmittel nur dann auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers bezogen werden kann, wenn es in den Erstattungskodex aufgenommen ist oder eine Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes vorliegt (§31 Abs 3 Z 12 ASVG). Entsprechend ist auch die Abgabe von Heilmitteln eingeschränkt (§350 ASVG). Gleiches gilt für die RöV 6 , in denen gemäß § 31 Abs 5 Z 13 ASVG bestimmt wird, inwieweit Arzneispezialitäten für Rechnung der Sozialversicherungsträger abgegeben werden. Nach den RöV richtet sich auch die Verschreibbarkeit der Heilmittel (§350 Abs 1 Z 3 ASVG). Erstattungskodex, RöV (und auch die RöK 7 ) sind daher Verordnungen, die die Rechtslage gestalten.
Eine vergleichbare Bindungswirkung hat die Liste nach § 351c Abs 2 ASVG nicht. Nach § 351c Abs 2 ASVG hat der Hauptverband eine Liste jener Arzneimittelkategorien zu erstellen, die ' im Allgemeinen ' nicht zur Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG geeignet sind, da sie zB überwiegend (ua) zur Prophylaxe verwendbar sind. Dass die Liste keinen unmittelbaren Ausschluss aus der Krankenbehandlung bewirken kann, ergibt sich schon aus der Formulierung der Bestimmung. Zunächst können nur Arzneimittelkategorien, nicht aber einzelne Arzneimittel oder Wirkstoffe angeführt werden. In einer 'Kategorie' werden Gruppen von Arzneimitteln nach bestimmten Kriterien zusammengefasst, was zwangsläufig einen gröberen Maßstab nach sich zieht. Durch den Ausdruck ' im Allgemeinen ' wird klargestellt, dass es Fallgestaltungen geben kann, in denen abweichend vom Normalfall ein grundsätzlich (zB) nur prophylaktisch verwendbares Arzneimittel auch zur Krankenbehandlung geeignet ist. Dies ist letztlich im Leistungsstreitverfahren von den Gerichten zu klären.
Durch die Aufnahme eines Arzneimittels der entsprechenden Arzneimittelkategorie in die Liste wird auch keine definitive Bindung im Hinblick auf die Aufnahme in den Erstattungskodex herbeigeführt. Auch wenn ein Arzneimittel unter eine in der Liste angeführte Arzneimittelkategorie fällt, kann und muss eine Aufnahme in den Erstattungskodex erfolgen, wenn das Mittel zur Krankenbehandlung geeignet ist und die anderen gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufnahme erfüllt sind. Es lässt sich auch aus § 20 Abs 4 VO EKO entnehmen, dass der Hauptverband für Arzneispezialitäten, die einer Kategorie des § 351c Abs 2 ASVG angehören, die Erstattungsfähigkeit feststellen kann, wenn der Nachweis darüber erbracht wird, dass das Arzneimittel zur Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG geeignet ist. 8
Der Zweck der Liste ist also, ein Hilfsmittel bei der Entscheidung über den Kran-kenbehandlungsanspruch und (va) für das Aufnahmeverfahren in den Erstattungskodex zur Verfügung zu stellen. Die Antragsteller können sich danach orientieren, welche Arzneimittelkategorien ' im Allgemeinen ' nicht zur Krankenbehandlung geeignet sind. Damit wird die Transparenz im Rahmen des Verfahrens der Antragstellung in den Erstattungskodex erhöht. Auch wenn die Aufnahme in die Liste einen faktischen Einfluss auf das Verfahren (und auch auf die Entscheidung über den Anspruch auf Krankenbehandlung) haben mag, wird eine definitive rechtliche Bindung nicht herbeigeführt. Die Liste ist daher nicht als Verordnung zu qualifizieren; es fehlt ihr jeglicher normativer Inhalt. 9
Somit ist die Liste der nicht erstattungsfähigen Arzneimittelkategorien vergleichbar mit den Beurteilungskriterien der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission. Hierbei wurde vom VfGH bereits festgestellt, dass keine Verordnungsqualität besteht. 10
Sollte der VfGH der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittel dennoch Verordnungsqualität zuerkennen, wie aus dem Aufforderungsschreiben hervorgehen könnte, erstattet der Hauptverband folgendes weiteres Vorbringen.
3. Krankheitsbegriff und Tabakkonsum
Das BVwG beantragt die Arzneimittelkategorie 11 (Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch) der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG aufzuheben, da seiner Meinung nach nicht plausibel und nachvollziehbar sei, warum die nikotinassoziierte Tabakabhängigkeit keine Krankheit iSd § 120 Z 1 ASVG darstellt. Gemäß § 351c Abs 2 ASVG hat der Hauptverband eine Liste jener Arzneimittelkategorien zu erstellen, die im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG geeignet sind, da sie z.B. überwiegend zur Behandlung in Krankenanstalten, unter ständiger Beobachtung oder zur Prophylaxe verwendbar sind. Diese Liste samt einer Begründung für die Anführung der Arzneimittelkategorien ist im Internet zu veröffentlichen.
Insoweit das BVwG den kategorischen Ausschluss von 'Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch' ohne Differenzierung zwischen dem noch nicht 'per se krankheitsschädigenden Tabakkonsum' einerseits und der nikotinassoziierten Tabakabhängigkeit iSd diagnostischen Kriterien des ICD 10 andererseits als gesetzwidrig rügt, wird in Wahrheit die gesetzliche Grundlage der Liste (§351c Abs 2 ASVG) bekämpft. Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass Mittel zur Nikotinentwöhnung ' im Allgemeinen ' nicht zur Krankenbehandlung geeignet sind (näher dazu gleich unten). Daran würde es auch nichts ändern, wenn ein solches Mittel in bestimmten Ausnahmefällen doch als Mittel der Krankenbehandlung in Betracht kommt. Eine Aufnahme in die Liste ist trotzdem möglich, weil § 351c Abs 2 ASVG dies vorsieht. Die Arzneimittelkategorie ist also durchaus gesetzeskonform. Soweit die Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem BVwG anführt, dass § 351c Abs 2 ASVG nicht ausreichend determiniert ist, kann dem die Rsp des VfGH 11 entgegen gehalten werden. Im Übrigen hat der VfGH in diesem Zusammenhang ausdrücklich das verfolgte Ziel der Stabilisierung der Medikamentenausgaben und den dafür gewählten Weg als verfassungskonform beurteilt. 12
Als Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn definiert § 120 Abs 1 Z 1 ASVG einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der eine Krankenbehandlung notwendig macht. Umfang und Ziele der Krankenbehandlung werden in § 133 ASVG näher umschrieben. Sie muss ausreichend und zweckmäßig sein, darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Durch die Krankenbehandlung sollen die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden. Der Krankenbehandlungsanspruch hängt daher nicht alleine von medizinischen Kriterien ab. Regelwidrigkeit reicht alleine nicht aus. Der sozialversicherungsrechtliche Krankheitsbegriff ist daher enger als der medizinische. 13 Die Kosten einer Krankenbehandlung sollen nur dann getragen werden, wenn medizinisch eine Krankheit vorliegt, eine Krankenbehandlung medizinisch erforderlich ist und die Ziele der Krankenbehandlung erreicht werden. Bei der Behandlungsbedürftigkeit spielen auch die Wertvorstellungen der Gesellschaft eine Rolle. Liegt medizinisch eine Krankheit vor, die grundsätzlich auch mit Mitteln der Krankenbehandlung beeinflusst werden kann, wird aber kein Ziel der Krankenbehandlung erreicht, besteht auch kein sozialversicherungsrechtlicher Anspruch. 14 Es ist etwa kein Zweck der sozialen Krankenversicherung, soziales Wohlbefinden zu finanzieren. 15 Das trifft ganz besonders auf Mittel der sog 'Life-Style-Medizin' wie Mittel zur Potenzsteigerung, zum Abnehmen, zur Hemmung des Altersprozesses und eben zur Raucherentwöhnung zu. 16
Es bleibt daher festzuhalten, dass anders als die Ausführungen des BVwG vermuten lassen, der Krankheitsbegriff des Sozialversicherungsrechts ein eigenständiger ist, der sich nicht mit dem medizinischen Krankheitsbegriff oder jenem der WHO deckt. Insofern kann aus der Tatsache, dass die WHO in ihrem Diagnoseklassifikationssystem International Classification of Diseases and Related Health Problems – ICD unter 'psychische und Verhaltensstörungen durch andere Substanzen (F 10 – F 19)' neben psychischen und Verhaltensstörungen durch andere Substanzen wie etwa Alkohol auch solche, die durch den Konsum von Tabak hervorgerufen werden (F 17), als Krankheit qualifiziert, nicht unmittelbar geschlossen werden, dass auch eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn vorliegt.
Rauchen an sich stellt mit Sicherheit nicht einmal einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand dar. Die Ausführungen des BVwG zum gesellschaftlichen Wandel beim Thema Rauchen, der sich ua in Aktionen zur Einschränkung des Rauchens zeige, gehen daher an der Sache vorbei. Wenn nicht einmal eine Krankheit vorliegt, kann dies nicht durch die gesellschaftliche Entwicklung quasi 'kompensiert' werden. Es handelt sich um gesundheitspolitische Maßnahmen, die im Rahmen der Prävention durchaus sinnvoll sind, aber nichts mit Krankenbehandlung im Sinne des Sozialversicherungsrechts zu tun haben.
Selbst wenn man bei regelmäßigem Nikotinkonsum unterstellt, dass eine gewisse psychische Abhängigkeit von Tabak insofern entstehen kann, als die Entscheidung über den weiteren Tabakkonsum nur mehr schwer willentlich beeinflussbar ist, könnte dies allenfalls als regelwidriger Geisteszustand angesehen werden. Entscheidend für die Beurteilung ist dann jedoch die Behandlungsbedürftigkeit. Diese besteht nur, wenn ein gesellschaftliches Grundverständnis besteht, dass der regelwidrige Zustand auf Kosten der Solidargemeinschaft behandelt werden soll. So zieht zB eine Alkoholabhängigkeit eine Veränderung der Persönlichkeit mit sich, die in schweren Fällen zu Verlust des Arbeitsplatzes oder auch zu Gewalt in der Familie führen kann. Anders als Alkohol- oder Drogenkonsum beeinträchtigt der Nikotinkonsum unmittelbar weder die Arbeitsfähigkeit noch die Fähigkeit für die persönlichen Bedürfnisse zu sorgen. Tabakrauchkonsum kann allerdings mittelbar die Gesundheit gefährden und zu Folgeerkrankungen, wie zB Lungenkrebs, führen. Solange sich allerdings diese Krankheit noch nicht manifestiert hat, besteht kein Anspruch auf Krankenbehandlung gegenüber der sozialen Krankenversicherung. Rein prophylaktische Maßnahmen zählen nämlich nicht zu deren Leistungsspektrum. 17
Darüber hinaus würde die Verschreibung eines Arzneimittels zur Raucherentwöhnung gar kein zweckentsprechendes Mittel iSd § 133 Abs 2 ASVG darstellen, um Nikotinabhängigkeit oder eine allfällige Folgeerkrankung – zB Lungenkrebs – zu behandeln. Raucherentwöhnungsmittel wirken zum Teil so, dass sie den beim Rauchen verspürten Verstärkungs- und Belohnungseffekt blockieren. Der Effekt ist dabei eher gering. Laut der Fachinformation haben lediglich 13 % mehr der StudienteilnehmerInnen in der Champixgruppe im Vergleich zur Placebogruppe von Woche 9 bis 52 nicht geraucht. Es geht nicht wie bei einem Mittel der Krankenbehandlung um die Heilung einer Krankheit oder die Verbesserung des Leidenszustandes, sondern nur um eine Unterstützung des Willens einer Person, die mit dem Rauchen aufhören möchte. Durch Raucherentwöhnungsmittel wird also weder das Grundleiden – die Abhängigkeit bzw der Krebs – geheilt oder gebessert, noch werden allfällige Symptome oder Schmerzen bekämpft. Prophylaktische Behandlungen sind nach der Rsp des OGH grundsätzlich auch dann nicht als Krankenbehandlung zu qualifizieren, wenn sie der Reduktion des Risikos von Folgeerkrankungen dienen. 18 Die von der Krankenversicherung gesetzten Maßnahmen wie zB Raucherberatung mit dem Ziel der Entwöhnung (Rauchertelefon der NÖGKK) 19 oder die ambulanten sowie stationären Raucherentwöhnungsangebote der Krankenversicherungsträger werden daher im Rahmen der Präventionsleistungen gemäß § 154b ASVG, und nicht als Krankenbehandlung angeboten.
Der Hinweis auf ein Urteil des Schweizer Bundesgerichts ist für die Frage einer allfälligen Gesetzwidrigkeit der Liste gemäß § 351c Abs 2 ASVG schon deshalb nicht erheblich, weil es auf die Rechtslage in Österreich ankommt, abgesehen davon, dass die Schweiz auch nicht Teil der Europäischen Union ist. Aus dem Urteilszitat lässt sich ableiten, dass es in der Schweiz offenkundig – im Unterschied zu Österreich – nur auf medizinische Faktoren ankommt. Im Übrigen könnte der Schweizer Rechtslage die deutsche gegenüber gestellt werden, die von einem ganz ähnlichen Krankenbehandlungsbegriff wie in Österreich ausgeht. Nach § 34 Abs 1 SGB V sind Arzneimittel, bei deren Anwendung die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht, von der Versorgung ausgeschlossen. Dies betrifft insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnun g, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen. Das Nähere regeln die Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V. Nach § 14 Abs 3 der Arzneimittel-Richtlinie 20 sind die ausgeschlossenen Fertigarzneimittel in einer Übersicht als Anlage II der Arzneimittel-Richtlinie zusammengestellt. Die Anlage enthält unter dem Begriff 'Nikotinabhängigkeit' den Wirkstoff N 07 BA 03 Varenicline sowie den Handelsnamen Champix". Dies beruht auf dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom und wurde vom Bundesministerium für Gesundheit mit 21 bekannt gemacht.
4. Transparenzrichtlinie
Der Antrag des BVwG, die Arzneimittelkategorie 11 wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben, ist auch deshalb unbegründet, da die auf Grundlage des § 351c Abs 2 ASVG vom Hauptverband erlassene Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien entgegen der Rechtsauffassung des BVwG keine Negativliste iSd Transparenzrichtlinie darstellt.
Das BVwG begründet die Gesetzwidrigkeit der vermeintlichen Verordnung im Wesentlichen damit, dass sie gegen unionsrechtliche Vorgaben, konkret die Transparenzrichtlinie verstößt. Nach der stRsp des VfGH bildet jedoch das Unionsrecht im Allgemeinen keinen Prüfungsmaßstab für Entscheidungen des Gerichtshofes. 22
So hat der VfGH bezüglich der Frage, ob die Unzulässigkeit einer Verordnung unmittelbar auf das Unionsrecht gestützt werden kann, ausdrücklich die Ansicht vertreten, dass dem VfGH keine Kompetenz zustehe, generelle österreichische Rechtsnormen am Maßstab des Unionsrecht zu prüfen. 23
Selbst wenn man jedoch die Ansicht vertreten würde, die Transparenzrichtlinie wäre ein tauglicher Kontrollmaßstab, um die Gesetzmäßigkeit der Arzneimittelkategorie 11 zu überprüfen, liegt keine Gesetzwidrigkeit vor, weil die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG den Vorgaben der Transparenzlichtlinie entspricht. Das BVwG stützt seinen Verordnungsprüfungsantrag im Wesentlichen darauf, dass der kategorische Ausschluss von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung gegen Art 7 Transparenzrichtlinie verstoße, da diesem keine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung zu Grunde liege. Das setzt voraus, dass die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien eine Negativliste iSd Art 7 der Transparenzrichtlinie ist. Dies ist nicht der Fall. Maßgeblich für die Qualifikation einer Liste als Negativliste iSd Art 7 Transparenzrichtlinie ist, dass dadurch bestimmte Arzneimittel oder Arzneimittelkategorien vom staatlichen Krankenversicherungssystem 'ausgeschlossen' werden. 'Ausgeschlossen' können allerdings nur solche Arzneimittel oder -kategorien werden, die grundsätzlich vom Leistungsumfang der nationalen Krankenversicherung erfasst sind. Den Leistungsumfang der nationalen Krankenversicherungssysteme legen die Mitgliedstaaten autonom fest. 24
Nach Art 1 Z 1 Transparenzrichtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass 'alle einzelstaatlichen Maßnahmen in Form von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zur Kontrolle der Preise von Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch oder zur Einschränkung der unter ihre staatlichen Krankenversicherungssysteme fallenden Arzneimittel die Anforderungen dieser Richtlinie erfüllen'. Mit anderen Worten, die Transparenzrichtlinie bezieht sich nur auf solche Arzneimittel, die unter das jeweilige nationale Krankenversicherungssystem fallen. 25
Folglich können Negativlisten iSd Art 7 Transparenzrichtlinie nur solche Listen sein, die Arzneimittel oder Arzneimittelkategorien, die grundsätzlich der Krankenbehandlung dienen, aus bestimmten Gründen dennoch vom Krankenbehandlungsanspruch ausnehmen und somit normative Wirkung im Sinne eines Verbots entfalten. Sinn und Zweck des Art 7 Z 1 ist es, jene Gründe, die dafür ausschlaggeben[d] sind, offenzulegen. Gemäß § 351c Abs 2 ASVG kann der Hauptverband jedoch in die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien nur solche aufnehmen, die 'im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 geeignet sind.' Das heißt, dass durch die Liste des Hauptverbandes nicht Arzneimittel, die grundsätzlich der Krankenbehandlung dienen würden, ausgeschlossen werden, sondern durch die Liste wird lediglich klargestellt, welche Kategorien von Arzneimittel ' im Allgemeinen ' gar nicht zur Krankenbehandlung geeignet sind. Das gilt insbesondere für die Arzneimittelkategorie 11.
Daraus folgt, dass die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG keine Negativliste iSd Art 7 Transparenzrichtlinie darstellt. Das zeigt sich auch daran, dass sobald ein bestimmtes Arzneimittel auf Grund der Umstände des Einzelfalls doch zur Krankenbehandlung geeignet sein sollte, gemäß § 31 Abs 3 Z 12 ASVG ein Anspruch auf Gewährung desselben besteht.
Selbst wenn man jedoch davon ausgehen würde, dass die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG eine Negativliste iSd Art 7 Transparenzrichtlinie ist, entspricht diese den Vorgaben des Unionsrechts. Gemäß Art 7 Z 1 Transparenzrichtlinie sind Negativlisten zulässig, solange die Entscheidung über die Aufnahme des Arzneimittels auf einer auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhenden Begründung beruht. Sinn und Zweck des Art 7 ist es, das Verfahren der Aufnahme transparent zu gestalten. 26
Genau dies ist bei der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien im Allgemeinen und der Arzneimittelkategorie 11 im Speziellen der Fall. § 351c Abs 2 ASVG definiert klar, in welchen Fällen eine Arzneimittelkategorie in die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittel aufzunehmen ist. Nicht erstattungsfähig sind nur solche Arzneimittelkategorien, 'die im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG geeignet sind'. Die Eignung einer Arzneimittelkategorie als Mittel der Krankenbehandlung stellt aber jedenfalls ein objektives Kriterium dar, das auch überprüft werden kann. Dasselbe gilt für die Begründung der Aufnahme der Arzneimittelkategorie 11 in die Liste des Hauptverbandes, die darüber hinaus öffentlich zugänglich ist. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Begründung, 'Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch werden nicht zur Therapie einer Krankheit im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG eingesetzt und dienen daher nicht der Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG', weder objektiv noch überprüfbar sein sollte. Vielmehr entspricht die Begründung den Anforderungen, welche der EuGH für die Zulässigkeit des Ausschlusses von Arzneimitteln von der Kostenerstattung aufgestellt hat. Der EuGH hat ausdrücklich festgehalten, dass ein solcher Ausschluss mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn er auf nicht diskriminierenden Kriterien sowie einer objektiven und überprüfbaren Begründung beruht, wie zB, dass am Markt billigere Produkte mit gleicher therapeutischer Wirkung erhältlich sind, dass derartige Produkte ohnehin am Markt frei verfügbar sind oder dass arzneimitteltherapeutische Gründe gegen eine Kostenerstattung sprechen. 27
In Anbetracht dieser Beispiele, die nach Ansicht des EuGH jedenfalls einen Ausschluss rechtfertigen würden, besteht kein Zweifel, dass ein Ausschluss auf Grund dessen, dass ein Produkt gar kein Mittel der Krankenbehandlung ist, ebenfalls als objektiv iSd Unionsrecht zu qualifizieren ist. Damit aber nicht genug. Gemäß § 31 Abs 3 Z 12 ASVG besteht sogar die Möglichkeit, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob die Begründung im Einzelfall objektiv zutrifft. Das heißt mit anderen Worten, dass der Aufnahme der Arzneimittelkategorie 11 in die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG eine objektive und überprüfbare Begründung zu Grunde liegt. Damit erfüllt die Liste die Voraussetzungen des Art 7 Z 1 Transparenzrichtlinie. 28
[…]"
4. Der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hat eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:
"[...]
II.) Inhaltliche Stellungnahme:
Das Bundesverwaltungsgericht äußert Bedenken gegen die Kategorie 11 der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien, da keine Unterscheidung zwischen Tabakkonsum und der nikotinassoziierten Tabakabhängigkeit getroffen wird sowie keine nachvollziehbare Begründung im Sinne des Art 7 Z 1 der Transparenzrichtlinie vorläge, warum die nikotinassoziierte Tabakabhängigkeit keine Krankheit im Sinne des § 120 Z 1 ASVG darstellt.
Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz verweist in diesem Zusammenhang im Einvernehmen mit dem sachlich zuständigen Gesundheitsressort auf die Ausführungen in der Äußerung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger im vorliegenden Verordnungsprüfungsverfahren.
Darüber hinaus wird seitens des Bundesministeriums für Gesundheit darauf hingewiesen, dass eine Beurteilung von Leistungsansprüchen jeweils im konkreten Einzelfall zu erfolgen hat und eine diesbezügliche Entscheidung dem zuständigen Krankenversicherungsträger unter Würdigung der individuellen Umstände obliegt. Zur rechtsverbindlichen und abschließenden Entscheidung von leistungsrechtlichen Fragestellungen ist die Sozialgerichtsbarkeit berufen. Zudem wird festgehalten, dass der Oberste Gerichtshof in seinen Judikaten zu dem Erstattungskodex vorangegangenen Heilmittelverzeichnis den Anspruch des Versicherten auf die notwendigen Heilmittel nicht einschränkt, sodass im Einzelfall auch nicht im Erstattungskodex gelistete oder sogar der Negativliste nach § 351c Abs 2 ASVG zuzurechnende Heilmittel zu gewähren sind (OGH 10 ObS 22/06t, 10 ObS 12/06x und 10 ObS 75/06 und VfGH B2013/06).
In formaler Hinsicht wird seitens des Gesundheitsressorts angemerkt, dass die Herausgabe eines Erstattungskodex der Sozialversicherung für die Abgabe von Arzneispezialitäten auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers im niedergelassenen Bereich nach § 31 Abs 3 Z 12 ASVG dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger obliegt. Des Weiteren hat der Hauptverband nach § 351c Abs 2 ASVG eine Liste jener Arzneimittelkategorien zu erstellen, die im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG geeignet sind. Diese Liste samt einer Begründung für die Anführung der Arzneimittelkategorie ist im Internet zu veröffentlichen. Ein Mitwirkungsrecht an einer solchen Entscheidung oder gar ein Genehmigungsrecht als Voraussetzung für deren Wirksamkeit besteht für das Bundesministerium für Gesundheit nicht. Allenfalls kämen im Falle der Rechtswidrigkeit oder eines groben Verstoßes gegen die Gebote der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit einer derartigen Entscheidung des Hauptverbandes die Anwendung des allgemeinen Instrumentariums der Aufsicht (§§448 ff ASVG) in Betracht.
In Berücksichtigung des Umstandes, dass – wie bereits festgestellt – höchstgerichtliche Judikatur zur gegenständlichen Fragestellung derzeit nicht vorliegt, sah das Bundesministerium für Gesundheit bislang keine Veranlassung für eine derartige Maßnahme.
[…]"
5. Die vor dem Bundesverwaltungsgericht beschwerdeführende Partei hat eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des antragstellenden Gerichts anschließt.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 139 Abs 1 Z 1 B VG bzw. des Art 140 Abs 1 Z 1 lita B VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003). Dies ist hier aber nicht der Fall.
1.2. Die in Prüfung gezogenen Vorschriften haben entgegen dem Vorbringen des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger die Qualität einer Verordnung im Sinne des Art 139 B VG:
1.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine Verordnung eine generelle Rechtsvorschrift, die von einer Verwaltungsbehörde erlassen wurde und sich nach ihrem Inhalt an die Rechtsunterworfenen richtet, wobei es auf dieser Ebene auf die Rechtmäßigkeit der Norm nicht ankommt (vgl. VfSlg 5536/1967, 12.574/1990). Als Verwaltungsbehörden kommen jedoch auch Organe von Nicht-Gebietskörperschaften, etwa von beruflichen Selbstverwaltungskörpern (zB VfSlg 1798/1948) oder von Anstalten (zB VfSlg 1397/1931), in Betracht. Für die Qualifikation eines Rechtsaktes als Verordnung im Sinne des Art 139 B VG sind weder seine Bezeichnung noch der formelle Adressatenkreis oder die Art seiner Veröffentlichung bestimmend; vielmehr kommt es auf den normativen Gehalt des Verwaltungsaktes an, der insbesondere dann anzunehmen ist, wenn er das Gesetz bindend auslegt (und sich nicht etwa in einer bloßen Wiederholung des Gesetzestextes erschöpft – vgl. VfSlg 17.806/2006) und für eine allgemein bestimmte Vielzahl von Personen unmittelbar Geltung beansprucht (vgl. etwa VfSlg 8.647/1979, 11.472/1987, 13.632/1993).
1.2.2. Diese Voraussetzungen treffen auf die in Prüfung gezogenen Bestimmungen aus folgenden Gründen zu:
1.2.2.1. Die in Rede stehende "Liste jener Arzneimittelkategorien, die im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG geeignet sind" ist vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger als Körperschaft öffentlichen Rechts, sohin von einem Verwaltungsorgan zu erlassen, das – wie § 31 ASVG zeigt – u.a. auch mit der Wahrnehmung von Hoheitsaufgaben betraut ist. Darüber hinaus hat die Liste durch ihre Veröffentlichung in der amtlichen Verlautbarung der österreichischen Sozialversicherung im Internet auch ein solches Maß an Publizität erlangt, dass sie damit in die Rechtsordnung Eingang gefunden hat.
1.2.2.2. Die vom Bundesverwaltungsgericht zur Prüfung gestellten Vorschriften enthalten auch normative Festlegungen: Durch die in Prüfung gezogene Anordnung, wird der Entscheidungsspielraum der Behörde bei einem auf § 351c Abs 1 ASVG gestützten Antrag insoweit erheblich eingeschränkt, als die unter die Kategorie 11 der Liste fallenden Arzneimittel "im Allgemeinen" nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG geeignet sind und daher nicht in den Erstattungskodex aufgenommen werden dürfen. Indem die in Prüfung gezogenen Bestimmungen eine Erstattungsfähigkeit auf Kosten der Sozialversicherung, wie sie sich aus der Aufnahme in den Erstattungskodex ergeben würde, von vornherein verbindlich verneinen und Ausnahmen davon nur in einem sehr eingeschränkten Ausmaß (vgl. § 20 Abs 4 VO EKO) zulassen, sich aber auch die zulässige Verfahrensdauer vor der Behörde in Abhängigkeit von der Einstufung in diese Kategorie verändert (vgl. § 351c Abs 1 dritter Satz ASVG und § 20 Abs 3 VO EKO), wird in Wahrheit durch die Aufnahme einer bestimmten Gattung von Arzneimitteln in die Verordnung insoweit eine "neue Gestaltung der Rechtslage" vorgenommen (vgl. VfSlg 18.468/2008 zur "regelmäßige[n] Unzulässigkeit" mwN; so auch Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg.], Der SV-Komm, § 351c ASVG, Rz 35).
1.2.2.3. Die in Prüfung stehenden Vorschriften sind daher als Verordnung einer Prüfung nach Art 139 B VG zugänglich.
1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art 139 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl. VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der Antrag ist nicht begründet.
2.2.1. Soweit das antragstellende Gericht beantragt, die Arzneimittelkategorie 11 (Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch) der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG aufzuheben, weil der "kategorische Ausschluss" von Arzneimitteln zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch, ohne eine Differenzierung zwischen dem noch nicht schädigenden Tabakkonsum einerseits und der nikotinassoziierten Tabakabhängigkeit andererseits vorzunehmen, mit den Anforderungen des § 351c Abs 2 ASVG an eine solche Liste nicht vereinbar sei, so werden Bedenken gegen die Übereinstimmung der Verordnung mit ihrer gesetzlichen Grundlage erhoben. Diese Bedenken treffen aber nicht zu, denn Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch sind jedenfalls "im Allgemeinen" nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG geeignet:
2.2.1.1. Nach dem sozialversicherungsrechtlichen Verständnis ist Krankheit ein "regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht" (§120 Abs 1 Z 1 ASVG). Daraus ergibt sich, dass ein nur nach medizinischen Kriterien als Krankheit verstandener Körper- oder Geisteszustand nicht ausreicht, um einen Krankenbehandlungsanspruch nach § 133 Abs 2 ASVG auszulösen; es muss auch eine Notwendigkeit gegeben sein, diese Krankheit zu behandeln ( Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg.], Der SV-Komm, § 133 ASVG Rz 2). Die Krankenbehandlung muss nach § 133 Abs 2 ASVG nämlich nicht nur ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
2.2.1.2. Damit ist der sozialversicherungsrechtliche Krankheitsbegriff auch enger als der Krankheitsbegriff der WHO (vgl. zB ). Eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn liegt dann vor, wenn das Krankenversicherungsrecht eine entsprechende Leistung zur Behebung dieses Zustandes vorsieht und der Zustand unter Bedachtnahme auf die Ziele der Krankenbehandlung und im Hinblick auf ihre Notwendigkeit nach einem sozialen Konsens auch behandelt werden soll. Nach den in der Lehre und Rechtsprechung herausgearbeiteten Kriterien (vgl. Schrammel , Veränderung des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht, ZAS 1986, 145 ff.; Mazal , Krankheitsbegriff und Risikoabgrenzung [1992] 64, 122 ff. und 213 ff.; zuletzt Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg.], Der SV-Komm, § 133 ASVG Rz 41 ff.; aus der Rechtsprechung des OGH 10 ObS 113/94 = ZAS 1994/18, 203 [ Tomandl ]; 10 ObS 311/00h = ZAS 2002/10, 84 [ K. Posch ] und 10 ObS 227/03k, SZ 2004/112 = SSV-NF 18/65 = ZAS 2006/14, 88 [ Pfeil] ) beeinflusst daher auch das gesellschaftliche Grundverständnis das krankenversicherungsrechtliche Leistungsrecht.
2.2.1.3. Maßnahmen wie die Regulierung des Körpergewichts, die Verbesserung des Haarwuchses aber auch die Raucherentwöhnung (vgl. Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRdA 2015, 476 [483]; Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg.], Der SV-Komm, § 120 ASVG Rz 19 ff. und Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg.], Der SV-Komm, § 133 ASVG Rz 41 ff.) werden dem Bereich der Eigenverantwortung der sozialversicherten Personen und nicht der Verantwortung der Versichertengemeinschaft zugerechnet (vgl. Mosler , Eigenverantwortlichkeit in der Krankenversicherung, in Tomandl [Hrsg.], Strittige Fragen im Leistungsrecht der Krankenversicherung [2014] 92). Es kann als notorisch gelten, dass im Regelfall die erfolgreiche Überwindung der Nikotingewöhnung auch ohne Zuhilfenahme ärztlicher Hilfe oder von Arzneimitteln gelingt (vgl. ausführlich zu dieser Frage Felten in Tomandl, Sozialversicherungssystem, 2.2.3., S 203 f. [28. Erg.-Lfg.]).
2.2.2. Schließlich ist das antragstellende Gericht aber auch darauf hinzuweisen, dass die Zugehörigkeit eines Arzneimittels zu einer nicht erstattungsfähigen Arzneimittelkategorie der Abgabe eines in eine solche Kategorie fallenden Arzneimittels auf Kosten des Krankenversicherungsträgers in jenen Fällen nicht entgegensteht, in denen (ausnahmsweise) die Voraussetzungen der §§120 und 133 ASVG vorliegen. Denn diese Liste von Kategorien hat keine weiterreichende Wirkung als der Erstattungskodex (bzw. die Nichtaufnahme in diesen) selbst: Sie enthält bloß die Vermutung, dass die darin genannten Kategorien von Arzneimitteln zur Krankenbehandlung nicht geeignet sind; diese Vermutung ist im Einzelfall widerlegbar, worüber im Streitfall die ordentlichen Gerichte als Arbeits- und Sozialgerichte im krankenversicherungsrechtlichen Leistungsstreitverfahren zu entscheiden haben. Erreicht also die Nikotingewöhnung in einem Einzelfall einen solchen Schweregrad, dass das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung im Sinne der §§120 iVm 133 Abs 2 ASVG erwiesen ist, so kann das Arzneimittel (gegebenenfalls mit chef- bzw. kontrollärztlicher Bewilligung, vgl. § 31 Abs 3 Z 12 ASVG) auf Kosten des Krankenversicherungsträgers abgegeben werden (vgl. Felten/Mosler , DRdA 2015, 483; dieselben in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg.], Der SV-Komm, § 133 ASVG Rz 42).
2.2.3. Die Bedenken des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmungen treffen daher nicht zu.
2.2.4. Bedenken ob der Verfassungskonformität von § 351c Abs 2 ASVG wurden nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass des vorliegenden Verordnungsprüfungsverfahrens auch nicht entstanden (VfSlg 18.217/2007).
2.2.5. Soweit das antragstellende Gericht schließlich geltend macht, dass die angefochtenen Verordnungsbestimmungen gegen das Gebot einer nach Art 7 Abs 1 Z 1 der Transparenzrichtlinie geforderten objektiven und überprüfbaren Begründung verstoße, wird keine Rechtsverletzung verfassungsrechtlicher Natur geltend gemacht. Ob die angefochtenen Bestimmungen gegen Unionsrecht verstoßen, hat vielmehr das vorlegende Gericht im Rahmen seiner Sachentscheidung – gegebenenfalls nach vorheriger Vorlage der Frage an den Gerichtshof der Europäischen Union und in Bindung an dessen Vorabentscheidung – selbst zu beurteilen.
V. Ergebnis
1. Die vom Bundesverwaltungsgericht ob der Gesetzmäßigkeit der Arzneimittelkategorie 11 (Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch) in der Anlage gemäß § 1 Abs 2 der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG erhobenen Bedenken treffen daher nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2016:V77.2015