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VfGH vom 27.06.1996, v114/94

VfGH vom 27.06.1996, v114/94

Sammlungsnummer

14550

Leitsatz

Kein Verstoß der Verordnungsermächtigung des ASVG zur Erlassung von Richtlinien für die sogenannte Integritätsabgeltung gegen das Determinierungsgebot; Aufhebung einer Bestimmung der Richtlinien über die Leistung einer Integritätsabgeltung hinsichtlich des Ausschlusses des Leistungsanspruches bei Zumutbarkeit der Durchsetzung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches mangels gesetzlicher Deckung; keine Gesetzwidrigkeit der Richtlinien hinsichtlich der Ermittlung des Integritätsschadens

Spruch

I. Die zu V114/94, V118/94 und V64/95 protokollierten Anträge werden, soweit sie sich auf § 1 Abs 2 Z 1 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG beziehen, zurückgewiesen.

II. § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG, kundgemacht in der Sozialen Sicherheit 1991, Amtliche Verlautbarung Nr. 28/1991, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

III. Die übrigen Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. § 213 a ASVG idF BGBl. Nr. 294/1990 und die §§1 und 2 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG, kundgemacht in der Sozialen Sicherheit 1991, Amtliche Verlautbarung Nr. 28/1991, lauten - die angefochtenen Vorschriften (siehe Punkt 2.1. bis 2.5.) sind hervorgehoben - wie folgt:

1.1. § 213 a ASVG:

"§213 a. (1) Wurde der Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht und hat der Versicherte dadurch eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität erlitten, so gebührt, wenn wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalls oder dieser Berufskrankheit auch ein Anspruch auf Versehrtenrente (§203 Abs 1) besteht, eine angemessene Integritätsabgeltung.

(2) Die Integritätsabgeltung wird als einmalige Leistung gewährt; sie darf das Doppelte des bei Eintritt des Versicherungsfalles nach § 178 Abs 2 jeweils geltenden Betrages nicht überschreiten. Wird die Integritätsabgeltung nicht im Kalenderjahr des Eintrittes des Versicherungsfalles zuerkannt, so ist der nach § 178 Abs 2 bei Eintritt des Versicherungsfalles jeweils geltende Betrag mit dem sich nach Abs 3 ergebenden Faktor zu vervielfachen. Die Integritätsabgeltung ist entsprechend der Schwere des Integritätsschadens abzustufen.

(3) Der nach Abs 2 anzuwendende Faktor ergibt sich aus der Teilung der täglichen Höchstbeitragsgrundlage des Jahres, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, durch die tägliche Höchstbeitragsgrundlage des Jahres, in dem die Integritätsabgeltung zuerkannt wurde.

(4) Die näheren Bestimmungen zur Durchführung der Abs 1 und 2, insbesondere über das Ausmaß der Leistung, sind in vom Vorstand im Einvernehmen mit dem Überwachungsausschuß des Versicherungsträgers zu erlassenden Richtlinien zu regeln, die der Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Soziales bedürfen. Die Richtlinien haben auf das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten sowie auf den Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, den Grad der Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes des Versicherten sowie den Grad einer unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung Bedacht zu nehmen. Die Richtlinien sind in der Fachzeitschrift 'Soziale Sicherheit' zu verlautbaren."

1.2. Die §§1 und 2 der Richtlinien:

"§1 Anspruchsvoraussetzungen

(1) Anspruch auf eine Integritätsabgeltung besteht, wenn ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde und der (die) Versehrte dadurch eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität erlitten hat, sofern zum Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung der Dauerrente aus diesem Versicherungsfall der Grad des Integritätsschadens mindestens 50 vH beträgt. Spätere Änderungen (§183 Abs 1 ASVG) sind nicht zu berücksichtigen.

(2) Ein Anspruch auf Integritätsabgeltung besteht nicht

1. wenn der (die) Versehrte selbst grob fahrlässig durch Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften den Versicherungsfall herbeigeführt hat, oder

2. wenn wegen der durch den Versicherungsfall herbeigeführten Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität dem (der) Versehrten die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches billigerweise zugemutet werden kann.

§ 2 Ermittlung des Integritätsschadens

(1) Der Grad des Integritätsschadens ist zum Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung der Dauerrente gemäß Z. 1 bis 4 zu ermitteln; er ergibt sich aus:

1. dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit;

2. dem Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, soweit diese Beeinträchtigung nicht für die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen ist; der gemäß Z. 1 zu ermittelnde Hundertsatz erhöht sich danach

a) bei schwerer Beeinträchtigung ....... um 10 vH

b) bei mittlerer Beeinträchtigung ...... um 5 vH;

3. dem Grad der Verunstaltung des äußerlichen

Erscheinungsbildes; der gemäß Z. 1 zu ermittelnde Hundertsatz

erhöht sich danach

a) bei schwerer Verunstaltung ......... um 10 vH

b) bei mittlerer Verunstaltung ........ um 5 vH;

4. dem Grad der unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung; der gemäß Z. 1 zu ermittelnde Hundertsatz erhöht sich danach

a) bei schwerer seelischer Störung .... um 10 vH

b) bei mittlerer seelischer Störung ... um 5 vH.

(2) der Grad des Integritätsschadens beträgt höchstens 100 vH."

2.1. Mit Beschluß vom stellt das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen die Anträge, § 213 a Abs 4 ASVG idF BGBl. Nr. 294/1990 gemäß Art 140 B-VG als verfassungswidrig und § 1 Abs 2 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG, kundgemacht in der Sozialen Sicherheit 1991, Amtliche Verlautbarung Nr. 28/1991, als gesetzwidrig aufzuheben. Zur Begründung dieser, zu G187/94, V114/94 protokollierten Anträge führt das Gericht im wesentlichen aus:

Der Kläger habe am im Zuge von Böschungsbegrünungsarbeiten einen Arbeitsunfall erlitten. Der bei einer Firma als Arbeiter beschäftigte Kläger sei von der Ladefläche bzw. von dem darauf aufgehäuften Ladegut eines in Bewegung befindlichen LKW gestürzt. Der Fahrzeugführer sei deswegen mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Wr. Neustadt vom rechtskräftig wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden. Mit dem vor dem Oberlandesgericht Wien bekämpften Urteil habe das Erstgericht die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt dazu verpflichtet, dem Kläger eine Integritätsabgeltung im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und ihm die Prozeßkosten binnen 14 Tagen zu ersetzen. Begründend habe das Erstgericht ausgeführt, daß gemäß § 213 a ASVG eine Integritätsabgeltung zu gewähren sei, wenn ein Arbeitsunfall durch grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht worden sei. Dies sei im vorliegenden Fall so gewesen. Zudem hänge die Zuerkennung einer Integritätsabgeltung nicht davon ab, daß der Verletzte vorerst die Durchsetzung seiner zivilgerichtlichen Schadenersatzansprüche gegenüber dem Schädiger versuchen müsse.

Gegen dieses Urteil richte sich die Berufung der beklagten Partei. Aus Anlaß der Behandlung der Berufung habe der erkennende Senat festgestellt, daß die Erledigung der Berufung vor dem Eingehen auf die übrigen Berufungsgründe davon abhänge, ob der Kläger gemäß § 1 Abs 2 Z 2 der gemäß § 213 a Abs 4 ASVG erlassenen Richtlinien verpflichtet sei, vorerst zu versuchen, seine zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche durchzusetzen.

Das Berufungsgericht hege aber gegen § 213 a Abs 4 ASVG sowie gegen die gemäß dieser Vorschrift von der beklagten Partei verlautbarten Richtlinien, insbesondere den § 1 Abs 2 Z 2 derselben, erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Diese werden wie folgt dargelegt:

"Gemäß § 213 a Abs 4 ASVG sind die näheren Bestimmungen zur Durchführung der Abs 1 und 2, insbesondere über das Ausmaß der Leistungen, in vom Vorstand im Einvernehmen mit dem Überwachungsausschuß des Versicherungsträgers zu erlassenden Richtlinien zu regeln, die der Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Soziales bedürfen. Die Richtlinien haben auf das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten sowie auf den Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, den Grad der Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes sowie den Grad einer unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung Bedacht zu nehmen.

Die Richtlinien sind in der Fachzeitschrift 'Soziale Sicherheit' zu verlautbaren. Es handelt sich dabei um eine Rechtsverordnung, die auch die Sozialgerichte bindet (Tomandl in Tomandl System der österreichischen Sozialversicherung 5. Erg-Lfg 2.3.3., 345).

Bei der Erlassung oder Abänderung dieser Richtlinien ist der Sozialversicherungsträger somit mehrfach gebunden.

Selbstverständlich ist die Bindung an das Gesetz. Es ist unbestritten, daß sich Art 18 Abs 2 B-VG auch auf generelle Regelungen von Selbstverwaltungskörpern bezieht, weshalb es für jede Richtlinie eines Sozialversicherungsträgers der inhaltlichen Bestimmung durch das Gesetz bedarf. Die Richtlinien bedürfen überdies der Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Soziales. Aus der notwendigen und gesetzlichen Determinierung jeder Verordnung ergibt sich, daß auch Verordnungen der Sozialversicherungsträger nur dort verfassungsmäßig rechtsetzend eingreifen dürfen, wo bereits das Gesetz die Grundlinien der in Betracht kommenden Regelungen sichtbar gemacht hat. Da es sich bei den genannten Richtlinien um Rechtsverordnungen im Sinne des Art 18 Abs 2 B-VG handelt, muß das betreffende Gesetz den Inhalt der Verordnung bereits determinieren. Es muß inhaltlich bestimmt sein und darf den Sozialversicherungsträger lediglich zur Regelung einer Angelegenheit durch Richtlinien ermächtigen. Der Gesetzgeber wird somit durch Art 18 Abs 2 B-VG verpflichtet, den Regelungsspielraum der Verwaltung für die Erlassung von Durchführungsverordnungen soweit einzuengen, daß alle wesentlichen Merkmale einer näheren Konkretisierung des Gesetzes im Verordnungswege bereits dem Gesetz selbst zu entnehmen sind. Gesetzliche Regelungen, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, sind wegen Undeterminiertheit verfassungswidrig; soweit es sich dabei um eine ausdrückliche Verordnungsermächtigung handelt, spricht man von einer formalgesetzlichen Delegation (Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7 Rz 598; Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3, 252; Aichlreiter, Österreichisches Verordnungsrecht II, 986; VfSlg 6289, 7334, 7903 uva).

Nach Ansicht des erkennenden Senates liegt im Falle des § 213 a Abs 4 ASVG eine solche formalgesetzliche Delegation vor. Die Leistung der Integritätsabgeltung gemäß § 213 a Abs 1 und 2 ASVG ist ausschließlich auf die Schwere der Unfallsfolgen und die wirtschaftliche Lage des Versehrten abgestellt; eine Differenzierung nach dem Grade des Verschuldens des Schädigers steht mit dieser Zielsetzung in keinem rational nachvollziehbaren Zusammenhang. Angesichts der verschärften Anforderungen, die der VfGH an die Sachlichkeit differenzierender Gesetze stellt, erscheint die Ausgestaltung der neuen Leistung daher verfassungsrechtlich bedenklich (Tomandl aaO).

Ausmaß, Umfang und Charakter der im Rahmen der Integritätsabgeltung zu erbringenden Leistungen werden der Regelung durch die Richtlinien überlassen, ohne die wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung erkennen zu lassen, insbesondere unter welchen Voraussetzungen eine solche Leistung verweigert werden kann.

Zutreffend hat bereits das Erstgericht erkannt, daß § 213 a ASVG dem Versehrten die Durchsetzung des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches gegenüber dem Schädiger aufbürdet. Die von der beklagten Partei reklamierte Bestimmung des § 1 Abs 2 Z 2 der genannten Richtlinien, welche einen Anspruch auf Integritätsabgeltung für den Fall ausschließt, nämlich daß dem Versehrten die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches billigerweise zugemutet werden kann, finden in § 213 a ASVG keine wie immer geartete Deckung. Gleich R. Reischauer (Neuerungen im Bereich des Arbeitgeber-Haftungsprivilegs im Zusammenhang mit Kfz-Verkehr und Integritätsabgeltung (§§213 a und 332 ASVG) DRdA 1992, 317 insb 326 f) ist auch das Berufungsgericht der Ansicht, daß diese Bestimmung gesetz- und somit auch verfassungswidrig ist. Auch nach Ansicht des Berufungsgerichtes darf dem Sozialversicherten - ohne gesetzliche Anhaltspunkte - auch nicht die Geborgenheit innerhalb des Sozialversicherungssystems genommen werden. Wann soll dem Versicherten im übrigen die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches billigerweise zugemutet werden können? Soll er prozessieren müssen? Dies mit den Gefahren der Kostenbelastungen nach den allgemeinen Regeln des Zivilverfahrensrechts im Unterschied zu den Kostentragungsregeln des ASGG in Sozialrechtssachen (vgl § 77 ASGG)? Die Richtlinien mißachten überdies, daß die Bedachtnahme auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse (§213 a Abs 3 ASVG und § 3 Abs 2 der Richtlinien) im Schadenersatzrecht keine Entsprechung findet. Wirtschaftliche Bedürftigkeit ist grundsätzlich kein Kriterium des Schadenersatzrechtes und daher über Schadenersatzansprüche gar nicht abgeltbar (R. Reischauer aaO 327). Irgendwelche sachlichen Gründe für diese Ungleichbehandlung gegenüber dem allgemeinen Schadenersatzrecht sind nicht ersichtlich, sodaß schon aus dem Aspekt der Gleichheitswidrigkeit verfassungsgemäße Bedenken gegen diese Bestimmungen bestehen, zumal wirtschaftliche Verhältnisse im Schadenersatzrecht nur ausnahmsweise berücksichtigt werden, wie etwa bei der Tragfähigkeitshaftung des Deliktsunfähigen (§1310 ABGB) oder bei der des entschuldigten Notstandshandelnden (§1306 a ABGB).

Die Verwaltung wird durch Art 18 Abs 2 B-VG verpflichtet, sich bei der Verordnungserlassung auf die nähere Konkretisierung von bestehendem Gesetzesrecht, also auf die Erlassung von Durchführungsverordnungen zu beschränken, und keine Rechtsetzung anstelle des Gesetzes (praeter legem - gesetzesvertretende Verordnungen) oder gar gegen das Gesetz (contra legem, gesetzesändernde Verordnungen) vorzunehmen (Adamovich - Funk, aaO 253). Für die Auslegung des Inhaltes einer Verordnung muß grundsätzlich das Gesetz herangezogen werden, aufgrund dessen die Verordnung erlassen wurde. Verordnungen sind möglichst gesetzeskonform auszulegen (MGA ABGB33 § 6 E 49 u 50). Auch bei weitherziger Interpretation der Bestimmung des § 213 a Abs 4 ASVG kann aus dessen Satz 2, wonach die Richtlinien auf das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten sowie auf den Grad der Beeinträchtigung des äußerlichen Erscheinungsbildes des Versicherten sowie den Grad einer unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung Bedacht zu nehmen haben, nicht abgeleitet werden, die beklagte Partei sei ermächtigt, im Wege von Richtlinien zu normieren, daß der Anspruch auf Integritätsabgeltung unter bestimmten Umständen nicht besteht und insbesondere dann nicht, wenn wegen der durch den Versicherungsfall herbeigeführten Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität dem (der) Versicherten die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches billigerweise zugemutet werden kann. Diese Anspruchsverweigerungen sind gesetzlich nicht gedeckt (Dörner, Die Integritätsabgeltung nach dem ASVG, 144 f).

Da die genannten Richtlinien als Verordnung für die Erledigung der vorliegenden Berufung präjudiziell sind, ist das Berufungsgericht verpflichtet, diese vor dem Verfassungsgerichtshof ebenfalls anzufechten (Aichlreiter II aaO 1239)."

2.2. Mit Beschluß vom , protokolliert zu G190/94, V118/94, begehrt das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen ebenfalls die Aufhebung des § 213 a Abs 4 ASVG idF BGBl. Nr. 294/1990 und des § 1 Abs 2 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG, Soziale Sicherheit 1991, Amtliche Verlautbarung Nr. 28/1991. Begründend wird vorgebracht:

Der als Lagerarbeiter bei einer Stahlvertriebsfirma beschäftigte Kläger habe am beim Wegrollen einer Rundeisenstange mit einem Gewicht von 2,4 t einen Arbeitsunfall erlitten. Die Rundeisenstange sei auf den linken Fuß des Klägers gefallen, der in weiterer Folge habe amputiert werden müssen. In der gegen den Bescheid der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt erhobenen Klage, mit welchem der Antrag des Klägers auf Gewährung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG wegen der Folgen des Arbeitsunfalles abgewiesen worden sei, habe der Kläger vorgebracht, daß grobes Verschulden durch grob fahrlässiges Außerachtlassen von Arbeitnehmerschutzvorschriften (§19 Abs 3 ANSchG) vorliege, weil der bei der Arbeit eingesetzte Ablagetisch nicht ausreichend verschraubt oder befestigt gewesen sei. Außerdem sei gegen eine weitere Arbeitnehmerschutzvorschrift, nämlich die Arbeitszeitbeschränkungen des AZG verstoßen worden. Das Erstgericht habe mit dem bekämpften Urteil das Klagebegehren abgewiesen. Dies sei damit begründet worden, daß das Landesgericht Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht inzwischen rechtzeitig eine Dauerrente ab dem in der Höhe von 35 vH festgestellt habe. Auch das Erstgericht habe die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers mit 35 vH eingeschätzt. Dazu komme die Bindungswirkung der rechtskräftigen Zuerkennung der Dauerrente mit demselben Prozentsatz. Werde die Verunstaltung des äußeren Erscheinungsbildes ebenso wie die seelische Störung des Klägers gemäß den Richtlinien mit jeweils 5 % bewertet, betrage der Integritätsschaden dennoch nur 45 vH. Damit seien die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Integritätsabgeltung iSd § 1 Abs 1 der nach § 213 a Abs 4 ASVG erlassenen Richtlinien nicht erfüllt, sodaß nicht mehr zu prüfen gewesen sei, ob eine allfällige grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften erfolgt sei.

Gegen dieses Urteil richte sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der unrichtigen Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Nach Ansicht des erkennenden Senates hänge die Erledigung der Berufung vor dem Eingehen auf die anderen Berufungsgründe davon ab, ob der Kläger gemäß § 1 Abs 2 Z 2 der gemäß § 213 a Abs 4 ASVG erlassenen Richtlinien verpflichtet sei, vorerst zu versuchen, seine zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche durchzusetzen, falls erwiesen sei, daß grob fahrlässig Arbeitnehmerschutzvorschriften außer acht gelassen worden seien. Des weiteren sei zu prüfen, ob die aufgenommenen Beweise und die getroffenen Feststellungen ausreichen, um das Vorliegen des Grades der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, soweit diese Beeinträchtigung nicht für die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen sei (§2 Abs 2 Z 2), beurteilen zu können.

Im Falle der Gesetzmäßigkeit der Richtlinien sei bei Zugrundelegung des Klagsvorbringens und bei Vertiefung des Sachverhaltes das Klagebegehren gemäß § 2 Abs 2 Z 2 der Richtlinien abzuweisen, sodaß sich die Frage stelle, ob dieses Ergebnis mit dem Anliegen des Gesetzes überhaupt vereinbar sei.

Das Berufungsgericht hege aber gegen die Bestimmung des § 213 a Abs 4 ASVG sowie gegen die gemäß dieser Vorschrift von der beklagten Partei verlautbarten Richtlinien, insbesondere den § 1 Abs 2 Z 2 derselben, erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.

In weiterer Folge legt das antragstellende Gericht seine Bedenken gegen die bekämpften Vorschriften im Detail dar. Diese Ausführungen sind praktisch textgleich mit der Begründung des im Verfahren G187/94, V114/94 gestellten Antrages.

2.3. Mit Beschluß vom stellt der Oberste Gerichtshof als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen aus Anlaß eines bei ihm anhängigen Revisionsverfahrens den zu V352/94 protokollierten Antrag auf Aufhebung des § 2 Abs 1 der Richtlinien über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG, erlassen von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, Soziale Sicherheit 1991, S. 137, nach Art 139 B-VG als gesetzwidrig.

Der Oberste Gerichtshof begründet sein Begehren damit, daß der Kläger am einen Arbeitsunfall erlitten habe. Die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt habe ihm eine vorerst mit 30 vH und ab mit 20 vH der Vollrente bemessene Versehrtenrente gewährt. Einen Antrag des Klägers vom , ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalles eine Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG zu gewähren, habe die Beklagte abgewiesen.

Die dagegen erhobene Klage habe das Erstgericht mit der Begründung abgewiesen, daß ein Integritätsschaden von wenigstens 50 vH nicht vorliege. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage 30 vH und dieser Hundertsatz sei nach § 2 Abs 1 Z 2 bis 4 der Richtlinien um jeweils 5 vH zu erhöhen. Das Berufungsgericht habe der Berufung des Klägers keine Folge gegeben. Es habe die Auffassung des Erstgerichtes gebilligt, daß der Integritätsschaden des Klägers als Folge des Arbeitsunfalles unter Anwendung des § 2 Abs 1 der Richtlinien selbst bei einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vH nur 45 vH betrage und damit die Mindestgrenze von 50 vH nicht erreiche.

Einer sachlichen Erledigung der gegen dieses Urteil gerichteten zulässigen Revision des Klägers stehe nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes jedoch zunächst entgegen, daß er gegen die von ihm anzuwendende Bestimmung des § 2 Abs 1 der Richtlinien Bedenken aus dem Grunde der Gesetzwidrigkeit hege. Diese Bedenken legt der Oberste Gerichtshof wie folgt dar:

"Durch die 48. Novelle zum ASVG, BGBl 1989/642, wurde in den Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung eine völlig neuartige Leistung aufgenommen, nämlich die sogenannte Integritätsabgeltung. Deren besondere Anspruchsvoraussetzungen, Höchstausmaß und Kriterien für die Abstufung der Abgeltungshöhe innerhalb dieses Höchstausmaßes sind im ebenfalls neu eingefügten § 213 a ASVG normiert. Primäre Anspruchsvoraussetzung ist demnach die Verursachung des Arbeitsunfalls bzw. der Berufskrankheit durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften. Diese Leistung ist im Konkurrenzbereich zwischen ziviler Haftpflichtordnung und Sozialversicherung angesiedelt. Ihr Zweck ist es, durch eine Geldleistung einen gewissen Ausgleich für körperliche Schmerzen, Leid, verminderte Lebensfreude, Beeinträchtigung des Lebensgenusses und ähnliche Ursachen seelischen Unbehagens wie etwa dauernde Verunstaltung zu bieten. Damit wird ihre Verwandtschaft mit den immateriellen Schadenersatzansprüchen des ABGB deutlich (SSV-NF 6/61 mwN; ebenso SSV-NF 6/89 = DRdA 1993, 289 (Ivansits)). Die Integritätsabgeltung wird als einmalige Leistung gewährt; sie darf das Doppelte des bei Eintritt des Versicherungsfalles nach § 178 Abs 2 ASVG jeweils geltenden Betrages nicht überschreiten (§213 a Abs 2 Satz 1 ASVG). Die näheren Bestimmungen zur Durchführung, insbesondere über das Ausmaß der Leistung, sind im vom Vorstand im Einvernehmen mit der Kontrollversammlung des Versicherungsträgers zu erlassenden Richtlinien zu regeln, die der Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Soziales bedürfen. Die Richtlinien haben auf das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten sowie auf den Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, den Grad der Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes des Versicherten sowie den Grad einer unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung Bedacht zu nehmen (§213 a Abs 4 ASVG).

Aus den Materialien zur 48. ASVG-Novelle (1142 BlgNR 17. GP, 2) ergibt sich klar, daß die Integritätsabgeltung einen Ausgleich für jene schadenersatzrechtlichen Ansprüche darstellen soll, die der Arbeitnehmer gemäß § 333 ASVG gegen den Dienstgeber nicht geltend machen kann. Die Integritätsabgeltung ist daher dem Schmerzengeld (§1325 ABGB) und der Verunstaltungsentschädigung (§1326 ABGB) funktionsgleich. Es muß sich somit um einen Schaden handeln, der nicht schon durch die Gewährung der Versehrtenrente abgedeckt ist. Die Integritätsabgeltung ist demgemäß ein Aliud zum Erwerbsschaden. Die Materialien führen insbesondere aus, daß die Art des unfallbedingten Gesundheitsschadens eine dauernde und essentielle körperliche bzw. seelische Beeinträchtigung der Lebensführung des Versicherten verursachen müsse. Ein solcher Dauerschaden werde durch die Gewährung einer Versehrtenrente nicht abgegolten. Die Schwere des Schadens sei an der eingetretenen Schädigung der körperlichen oder geistigen Integrität zu messen.

Das Schmerzengeld soll ideellen Schaden abgelten; es dient der Abgeltung von Schmerzempfindungen körperlicher und seelischer Art Zu den seelischen Schmerzen gehören Unlustgefühle wegen Verstümmelung, Lähmungen, Fehlgeburten, Beeinträchtigung der Sexualsphäre, Behinderung bei der Sportausübung, Minderwertigkeitskomplexe udgl. Sowohl körperliche als auch seelische Schmerzen können vorübergehend oder dauernd auftreten. Eine infolge Schmerzen gegebene Beeinträchtigung der Integrität iS des § 213 a ASVG liegt nur bei auf Dauer bestehenden Schmerzen vor. Auf den Dauercharakter ist auch bei der im § 213 a Abs 4 ASVG genannten Verunstaltung Bedacht zu nehmen. Während Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB auch bei vorübergehenden behebbaren Beeinträchtigungen des äußeren Erscheinungsbildes gebührt, setzt die Integritätsabgeltung hier eine dauernde Beeinträchtigung voraus. Von einer Verunstaltung ist immer dann zu sprechen, wenn das äußere Erscheinungsbild erheblich und nachteilig verändert ist; dazu gehören etwa Gehbehinderungen, Gleichgewichtsstörungen, Beinamputation, Gesichtsnarben, Sprachstörungen udgl. Die Verunstaltung muß allerdings bei einem normal gekleideten Menschen nicht sichtbar sein; das Gesetz verlangt bloß die abstrakte Möglichkeit der Verhinderung besseren Fortkommens. Besseres Fortkommen ist die Gewinnung einer günstigeren Lebenslage, vor allem im Hinblick auf einen möglichen beruflichen Aufstieg (vgl zu all dem Reischauer in Rummel ABGB2 II Rz 43 ff zu § 1325 und Rz 2 ff zu § 1326 mit zahlreichen Judikaturhinweisen).

Geht man nun davon aus, daß die Integritätsabgeltung funktionell den Ansprüchen nach §§1325 letzter Halbsatz und 1326 ABGB gleicht, dann ist bei ihrer Bemessung eine Bezugnahme auf die Höhe der Versehrtenrente nicht sachgerecht. Soweit durch die Integritätsabgeltung ideeller Schaden abgegolten wird, fehlt die Verbindung zum Erwerbsschaden, soweit die Integritätsabgeltung einen potentiellen Vermögensschaden ersetzt (§1326 ABGB), besteht zwar ein Konnex zur Versehrtenrente, doch ist zu beachten, daß der Vermögensschaden in der Unfallversicherung nach anderen Kriterien als im allgemeinen Schadenersatzrecht ersetzt wird. Demgegenüber stellt § 2 Abs 1 Z 1 der Richtlinien einen gleichsam untrennbaren Zusammenhang des Grades des Integritätsschadens mit dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit her. Anspruch auf Versehrtenrente besteht nach § 203 Abs 1 ASVG, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Arbeitsunfalles oder eine Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 v.H. vermindert ist; die Versehrtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v.H. Wie bereits ausgeführt, haben die Richtlinien, bei denen es sich um eine auch die Sozialgerichte bindende Rechtsverordnung handelt, auf das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten sowie auf den Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, den Grad der Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes des Versicherten sowie den Grad einer unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung Bedacht zu nehmen. Hingegen ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit als Erwerbsschaden iS des § 203 Abs 1 ASVG kein Kriterium für die Ausmessung der Integritätsabgeltung und scheint auch folgerichtig im Gesetzestext nicht auf. Die Beeinträchtigung von Körperfunktionen, die Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes und die seelische Störung werden aber nach § 2 Abs 1 Z 2 bis 4 der Richtlinien nur in Form von Zuschlägen zu dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit berücksichtigt. Diese Erhöhung des sich aus der Minderung der Erwerbsfähigkeit ergebenden Hundertsatzes beträgt bei schwerer Beeinträchtigung, Verunstaltung oder seelischer Störung jeweils 10 v.H., bei mittlerer Beeinträchtigung, Verunstaltung oder seelischer Störung jeweils 5 v.H. Daraus folgt, daß ein Integritätsschaden von 50 v.H. selbst bei schwerster Beeinträchtigung von Körperfunktionen, schwerster Verunstaltung und schwersten seelischen Störungen nur dann erreicht werden kann, wenn der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit wenigstens 20 v.H. beträgt. Dieser von den Richtlinien aufgestellte untrennbare Zusammenhang des Anspruches auf Integritätsabgeltung mit dem Ersatz des Erwerbsschadens durch eine Versehrtenrente ist im Hinblick auf das Legalitätsprinzip bedenklich, weil das Gesetz ungeachtet des Umstandes, daß die Integritätsabgeltung einen Anspruch auf Versehrtenrente voraussetzt (§213 a Abs 1 ASVG), keinen Anhaltspunkt dafür liefert, daß die Höhe des Erwerbsschadens bei der Ausmessung der Integritätsabgeltung zu berücksichtigen sei (ähnlich auch Dörner, Die Integritätsabgeltung nach dem ASVG (1994), 85, 90 f)."

2.4. Mit Beschluß vom , protokolliert zu G85/95, V64/95, begehrt das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen, gestützt auf Art 140 und Art 139 B-VG, die Aufhebung des § 213 a Abs 4 ASVG idF BGBl. Nr. 294/1990 und der §§1 Abs 2 und 2 Abs 1 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG, Soziale Sicherheit 1991, Amtliche Verlautbarung Nr. 28/1991.

Begründend wird vorgebracht, daß der Kläger am einen durch eine grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursachten Arbeitsunfall erlitten habe. Mit Bescheid der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom sei der Antrag auf Gewährung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG wegen der Folgen des genannten Arbeitsunfalles mit der Begründung abgelehnt worden, daß eine Integritätsabgeltung einen Integritätsschaden von mindestens 50 vH zum Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung der Dauerrente voraussetze. Die dagegen fristgerecht erhobene Klage sei vom Erstgericht abgewiesen worden. Es habe festgestellt, daß dem Kläger aus Anlaß des Arbeitsunfalles mit Bescheid vom eine Gesamtdauerrente im Ausmaß von 50 vH der Vollrente zuerkannt worden sei, wobei der Unfall vom eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 vH hinterlassen habe. Da der Grad der Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität weniger als 50 vH betrage, sei die Klage abzuweisen gewesen.

Einer sachlichen Erledigung der dagegen erhobenen Berufung stehen verfassungsrechtliche Bedenken des Berufungsgerichtes gegen die von ihm anzuwendenden Bestimmungen des § 213 a ASVG und der Richtlinien entgegen. Für die zu entscheidende Sozialrechtssache sei vor Eingehen auf die übrigen Berufungsausführungen entscheidend, ob der Kläger gemäß § 1 Abs 2 Z 2 der gemäß § 213 a Abs 4 ASVG erlassenen Richtlinien verpflichtet sei, seine zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche durchzusetzen. Es stehe fest, daß Arbeitnehmerschutzvorschriften unfallskausal grob fahrlässig außer acht gelassen worden seien. Sollte die präjudizielle Bestimmung des § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien nicht gesetzmäßig sein, wäre § 2 Abs 1 der Richtlinien anzuwenden, gegen welchen ebenfalls Bedenken bestehen.

Die in der Begründung des Antrages im Detail dargelegten Bedenken sind im wesentlichen textgleich mit den vom Oberlandesgericht Wien in seinen zu G187/94, V114/94 und G190/94, V118/94 protokollierten Anträgen sowie den vom Obersten Gerichtshof in seinem zu V352/94 protokollierten Antrag dargelegten Bedenken.

2.5. Mit Beschluß vom stellt das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen den Antrag, § 2 Abs 1 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG, kundgemacht in der Sozialen Sicherheit 1991, Amtliche Verlautbarung Nr. 28/1991, gemäß Art 139 B-VG als gesetzwidrig aufzuheben.

Zur Begründung dieses, zu V219/95 protokollierten Antrages führt das Gericht im wesentlichen aus:

Die Klägerin habe am als Köchin in der Zentralküche des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien einen Arbeitsunfall erlitten, bei dem sie am linken Daumen schwer verletzt wurde. Die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt habe der Klägerin mit Bescheid vom eine Versehrtenrente im Ausmaß von 30 vH der Vollrente als Dauerrente gewährt. Der Antrag auf Gewährung einer Integritätsabgeltung sei hingegen mit Bescheid vom abgewiesen worden. Die gegen den letztgenannten Bescheid gerichtete Klage auf Gewährung der Integritätsabgeltung im gesetzlichen Ausmaß sei vom Erstgericht mit Urteil vom abgewiesen worden. Das Erstgericht habe festgestellt, daß die Klägerin mit dem linken Daumen an der Unterseite eines Mürbschneiders in die rotierenden Messer geraten sei, wodurch sie eine teilweise Amputation des Daumens erlitten habe. Neben körperlichen Schmerzen habe die Klägerin durch die eingetretene Verunstaltung auch seelische Störungen erlitten. Die medizinische Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin betrage 30 %. Der Mürbschneider sei zum Unfallszeitpunkt nicht mit einer Schutzabdeckung an der Geräteunterseite versehen gewesen.

In rechtlicher Hinsicht habe das Erstgericht ausgeführt, daß nach § 213 a ASVG ein Anspruch auf Integritätsabgeltung nur dann bestehe, wenn ein Arbeitsunfall durch grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht worden und eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Versicherten eingetreten sei. Das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften allein reiche zur Annahme grober Fahrlässigkeit noch nicht aus. Grobe Fahrlässigkeit sei angesichts der Umstände des Falles nicht gegeben. Die Integritätsabgeltung gebühre aber auch aus anderen Erwägungen nicht. Nach § 1 Abs 1 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG sei Anspruchsvoraussetzung ein Integritätsschaden von mindestens 50 % im Zeitpunkt der ersten Feststellung einer Dauerrente aus dem betreffenden Versicherungsfall. Der Grad des Integritätsschadens sei nach § 2 Abs 1 der zitierten Richtlinien zu ermitteln. Danach liege der Integritätsschaden der Klägerin unter 50 %. Hinsichtlich der rechtlichen Ermittlung des prozentualen Grades der Verunstaltung gebe es nach den Richtlinien nur die Wahl zwischen dem Grad von 5 % und 10 %, wobei eine Bewertung des Grades der Verunstaltung mit 5 % angemessen erscheine. Selbst wenn man das Ausmaß der unfallkausalen seelischen Störung tatsächlich mit 10 % bewerten würde, ergäbe sich insgesamt nur ein maximaler Integritätsschaden von 45 %, der nach der geltenden Rechtslage jedoch keinen Leistungsanspruch begründe.

Gegen dieses Urteil richte sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Die sachliche Erledigung dieses Rechtsmittels sei jedoch aufgrund der Bedenken des Berufungsgerichtes gegen die Gesetzmäßigkeit des § 2 Abs 1 der zitierten Richtlinien noch nicht möglich. Vor Anwendung dieser Bestimmung sei jedoch noch auf eine andere, vom Erstgericht ebenfalls verneinte Anspruchsvoraussetzung einzugehen. Unstrittig sei, daß der dem vorliegenden Rechtsstreit zugrundeliegende Arbeitsunfall durch die Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde, wobei exemplarisch die §§58 Abs 10 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutz-Verordnung und 33 Abs 5 der Maschinenschutzvorrichtungs-Verordnung genannt werden können. Entgegen der Auffassung des Erstgerichtes seien diese Arbeitnehmerschutzvorschriften, wie das antragstellende Gericht mit näherer Begründung darlegt, grob fahrlässig außer acht gelassen worden.

Im Anschluß daran legt das Oberlandesgericht Wien seine Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung dar. Diese decken sich mit denjenigen, die der Oberste Gerichtshof in seinem zu V352/94 protokollierten Antrag vorgetragen hat (siehe oben Punkt 2.3.).

3.1. Die Bundesregierung hat in allen Gesetzesprüfungsverfahren eine - gleichlautende - Äußerung erstattet, in der sie im Verfahren G187/94 die Zurückweisung des Antrages mangels Präjudizialität, in den anderen Verfahren den Ausspruch, daß § 213 a Abs 4 ASVG nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist, begehrt. Sie bringt in ihrer Äußerung im wesentlichen vor:

"Die Präjudizialität erscheint hinsichtlich des dem Verfahren G187/94 zugrunde liegenden Gerichtsverfahrens zweifelhaft. Integritätsabgeltung gemäß § 213a ASVG gebührt nämlich nur dann, wenn der Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wird. Nach dem Sachverhalt, der dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof G187/94 zugrundeliegt, wurde der in Frage stehende Arbeitsunfall aber offensichtlich durch einen Verstoß gegen § 106 des Kraftfahrgesetzes 1967 verursacht. Durch den Ausdruck 'Arbeitnehmerschutzvorschriften' im § 213a Abs 1 ASVG werden alle Normen des österreichischen Arbeitnehmerschutzrechtes erfaßt (vgl. Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung, 1142 BlgNR XVII. GP). Der Oberste Gerichtshof hat in seinem Urteil vom , 10 Ob S 169/92, entschieden, daß es sich bei den in § 213a ASVG genannten Arbeitnehmerschutzvorschriften um öffentlich-rechtliche Arbeitsrechtsnormen, die dem Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung dienen, auf unmittelbaren staatlichen Eingriffen basieren und typischerweise als Sanktion die Verwaltungsstrafe vorsehen, handelt. Die außerhalb dieses spezifischen Zusammenhanges bestehenden, ganz allgemein geltenden Bestimmungen des Kraftfahrgesetzes 1967 gehören demnach wohl nicht zum Kreis der Arbeitnehmerschutzvorschriften.

Damit dürfte es bezüglich des zu G187/94 protokollierten Gesetzesprüfungsantrages an einer wesentlichen und tatbestandsmäßigen Voraussetzung für die Gewährung von Integritätsabgeltung nach § 213a Abs 1 ASVG fehlen, was bewirken würde, daß das Oberlandesgericht Wien die von ihm angefochtene Bestimmung des § 213a Abs 4 ASVG in diesem Verfahren nicht anzuwenden hätte und der vorliegende Gesetzesprüfungsantrag unzulässig wäre.

...

... Die angefochtene Regelung des § 213a Abs 4 ASVG bestimmt, daß die näheren Bestimmungen zur Durchführung der Abs 1 und 2 des § 213a ASVG in Richtlinien zu regeln sind. Die Abs 1 und 2 des § 213a ASVG sind daher bei der Prüfung des Determinierungsgrades der Verordnungsermächtigung miteinzubeziehen. § 213a Abs 1 ASVG enthält im wesentlichen die Voraussetzungen des Anspruchs auf Integritätsabgeltung. Im Abs 2 werden Regelungen über die Höhe der Leistung und deren Berechnung getroffen.

Auch die aus den §§332 ff ASVG ableitbaren Grundsätze eines Schadensverteilungssystems sind als gesetzlicher Maßstab hinsichtlich der auch bei der Integritätsabgeltung auftretenden Frage von Bedeutung, ob eine doppelte Liquidation des Schadens in jenen Fällen zulässig ist, in denen sowohl ein Anspruch gegen den Sozialversicherungsträger als auch gegen eine Person in Betracht kommt, die kein Haftungsprivileg gemäß § 333 ASVG genießt.

... Zu den in den genannten Bestimmungen verwendeten Begriffen, die die Basis der Verordnung bilden und daher inhaltlich bestimmt oder jedenfalls feststellbare Größen sein müsen (vgl. VfSlg. 4072/1962), ist folgendes festzuhalten:

Die Begriffe des Arbeitsunfalls und der Berufskrankheit sind in den §§175 bis 177 ASVG definiert, die Voraussetzungen für die Gewährung einer Versehrtenrente in den §§203ff ASVG geregelt. Das Tatbestandselement 'grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften' setzt sich aus Begriffen zusammen, deren Bedeutung bis zu einem gewissen Grad schon aus dem allgemeinen Sprachgebrauch erkennbar sind (VfSlg. 9825/1983). In der Rechtswissenschaft haben sie überdies eine inhaltlich genau festgelegte Bedeutung, sodaß schon die Wort- und die systematische Interpretation zu ihrer Erklärung ausreichen. Der Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung des Nationalrates zur 48. ASVG-Novelle (1142 BlgNR, XVII. GP) verweist im Einklang damit hinsichtlich des Begriffes der groben Fahrlässigkeit auf die bisher ergangene einschlägige Judikatur zu § 334 ASVG. Weiters wird im genannten Ausschußbericht ausgeführt, daß durch den Ausdruck 'Arbeitnehmerschutzvorschriften' alle Normen des österreichischen Arbeitnehmerschutzrechtes erfaßt werden. Das sind insbesondere das Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl. Nr. 234/1972, das Arbeitszeitgesetz, BGBl. Nr. 461/1969, das Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetz, BGBl. Nr. 599/1987, die Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV), BGBl. Nr. 218/1983, und die Verordnung über die Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Jugendliche, BGBl. Nr. 527/1981.

Unter einem Anspruch auf Gewährung einer 'Integrationsabgeltung' begründenden Schaden ist ein unfallbedingter Gesundheitsschaden zu verstehen, der eine dauernde und essentielle körperliche bzw. seelische Beeinträchtigung der Lebensführung des Versicherten verursacht (so der Ausschußbericht, S. 2). Die Höhe der (einmaligen) Integritätsabgeltung darf das Doppelte des bei Eintritt des Versicherungsfalles nach § 178 Abs 2 ASVG jeweils geltenden Betrages nicht überschreiten. Die vom Verdienst unabhängige ziffernmäßige Höchstgrenze der Integritätsabgeltung stellt also das Doppelte der jährlichen Höchstbeitragsgrundlage in der Unfallversicherung (derzeit öS 876.000,-; ermittelt gemäß § 1 Z 3 der Kundmachung des Bundesministers für Arbeit und Soziales, BGBl. Nr. 889/1993) dar. Die Leistung ist jedoch im Einzelfall nach der Schwere des erlittenen Schadens zu staffeln. Die Kriterien, anhand derer die Abstufung vorzunehmen ist, sind wiederum dem § 213a Abs 4 ASVG zu entnehmen. Auschlaggebend für die Höhe des Integritätsschadens ist demnach - wegen der Verwandtschaft zu den Leistungen nach §§1325, 1326 ABGB, auf die der Ausschußbericht hinweist, - der Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, der Grad der Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes des Versicherten sowie der Grad einer unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung. Die wirtschaftlichen Bedürfnisse des Versicherten sind dabei ebenfalls zu berücksichtigen.

... § 213a Abs 4 ASVG bietet daher im Zusammenhalt mit den Abs 1 und 2 des § 213a ASVG und den übrigen relevanten Bestimmungen des ASVG eine ausreichend bestimmte Grundlage für die hinsichtlich der nach der angefochtenen Gesetzesstelle zu erlassenden Richtlinien der Unfallversicherung. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß selbst das OLG Wien in seinem Urteil vom , 32 Rs 32/93, noch diese Meinung vertreten hat.

In welchen Fällen eine Integritätsabgeltung zu leisten ist, ergibt sich klar aus § 213a Abs 1 ASVG. Dort ist auch normiert, daß sie 'angemessen' zu sein hat. In Abs 2 ist das Höchstausmaß der einmalig zu leistenden Integritätsabgeltung genau vorherbestimmt sowie weiters geregelt, daß sie entsprechend der Schwere des Integritätsschadens abzustufen ist. In Abs 4 des § 213a ASVG nennt das Gesetz schließlich vier Kriterien für die in den Richtlinien vorzunehmende angemessene Abstufung der Höhe der Integritätsabgeltung. Es sind dies - wie erwähnt - 1. das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten, 2. der Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, 3. der Grad der Verunstaltung des äußeren Erscheinungsbildes des Versicherten sowie 4. der Grad einer unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung.

... Aus all dem sollte aber folgen, daß mit dieser Regelung - bei Ausschöpfung aller der Auslegung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten - sehr wohl beurteilt werden kann, ob die in den Richtlinien enthaltenen näheren Bestimmungen zur Durchführung der § 213a Abs 1 und 2 ASVG gesetzmäßig sind. Zwar überläßt das Gesetz dem Verordnungsgeber einen gewissen Spielraum, es enthält aber genaue Regelungen betreffend dessen Grenzen und legt eine Reihe von adäquaten Kriterien für die Ausübung des eingeräumten Ermessens fest.

Die Frage, ob bestimmte Regelungen der Richtlinien - wie etwa Leistungsausschlußgründe - im Gesetz Deckung finden, dürfte nicht die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes betreffen, sondern allein Gegenstand des ebenfalls anhängigen Verordnungsprüfungsverfahrens sein.

... Hinsichtlich des jeweils auf Seite 6 der beiden Anträge des antragstellenden Gerichtes angedeuteten Vorwurfes einer Unsachlichkeit betreffend die in § 213a Abs 1 ASVG enthaltene Differenzierung nach dem Grad des Verschuldens des Schädigers ist darauf hinzuweisen, daß der Antrag bloß auf Aufhebung des § 213a Abs 4 ASVG gerichtet ist. Die Bundesregierung erachtet es daher nicht für erforderlich, auf diese Bedenken - die sie zudem vor allem angesichts des dem Gesetzgeber im Hinblick auf den Gleichheitssatz eingeräumten rechtspolitischen Gestaltungsspielraums für unbegründet hält - näher einzugehen.

... Zum Vorwurf der Unsachlichkeit der Bedachtnahme

auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse:

... Das antragstellende Gericht bringt in seinen Anträgen vor,

daß in den Richtlinien überdies mißachtet werde, daß die Bedachtnahme auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse (§213a Abs 3 /richtig wohl: 4/ ASVG und § 3 Abs 2 der Richtlinien) im Schadenersatzrecht keine Entsprechung finde und führt weiter aus:

'Wirtschaftliche Bedürftigkeit ist grundsätzlich kein Kriterium des Schadenersatzrechtes und daher über Schadenersatzansprüche gar nicht abgeltbar. Irgendwelche sachlichen Gründe für diese Ungleichbehandlung gegenüber dem allgemeinen Schadenersatzrecht sind nicht ersichtlich, sodaß schon aus dem Aspekt der Gleichheitswidrigkeit verfassungsgemäße Bedenken gegen diese Bestimmungen bestehen, zumal wirtschaftliche Verhältnisse im Schadenersatzrecht nur ausnahmsweise berücksichtigt werden, wie etwa bei der Tragfähigkeitshaftung des Deliktsunfähigen (§1310 ABGB) oder bei der des entschuldigten Notstandshandelnden (§1306a ABGB).'

Obzwar sich die Behauptung der Unsachlichkeit der Regelung unter dem Gesichtspunkt des Art 7 B-VG nach dem Wortlaut des Antrags ausschließlich auf die in den Richtlinien getroffene Regelung beziehen dürfte, findet sich die Bezugnahme auf 'wirtschaftliche Bedürfnisse' auch in der angefochtenen Gesetzesstelle. Daher könnten die im Antrag formulierten Bedenken - bei einer großzügigen Betrachtung - auch als Darlegung von verfassungsrechtlichen Bedenken im Sinne des § 62 Abs 1 VerfGG 1953 gegen die angefochtene Gesetzesstelle gedeutet werden. Die Bundesregierung nimmt daher auch zu diesem Vorwurf Stellung.

... Das antragstellende Gericht übersieht, daß mit der Integritätsabgeltung eine eigene Sozialversicherungsleistung geschaffen wurde. Diese Leistung ist kein zivilrechtlicher Schadenersatzanspruch, sondern es besteht allenfalls eine gewisse Verwandtschaft zwischen dem (als Integritätsabgeltung gebührenden) Kapitalbetrag und dem wegen des Dienstgeberprivilegs des § 333 ASVG nicht realisierbaren Schmerzensgeldanspruch (§1325 ABGB) bzw. dem Ersatz für die Verhinderung besseren Fortkommens (§1326 ABGB). So stellt sich die Integritätsabgelung als die öffentlich-rechtliche Ablöse des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches des Dienstnehmers gegenüber dem Dienstgeber dar (vgl. Meisel - Widlar, Die Integritätsabgeltung - eine neue Leistung der Unfallversicherung, Soziale Sicherheit 7/8/1991, 362ff).

Auch geht der Hinweis des antragstellenden Gerichtes, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse im Schadenersatzrecht nur ausnahmsweise berücksichtigt werden, ins Leere, weil durch die angefochtene Richtlinienbestimmung ein ebenfalls im Schadenersatzrecht verankertes Grundprinzip, wonach eine Doppelliquidation eines Schadenersatzanspruches zu vermeiden ist, berücksichtigt wird.

... Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine Differenzierung dann sachlich begründet, wenn sie sich auf Unterschiede im Tatsächlichen gründet (VfSlg. 2088/1951, 2884/1955, 4140/1962, 4392/1963, 10492/1985), d.h. nach objektiven Unterscheidungsmerkmalen erfolgt. Betrachtet man das Recht der Unfallversicherung nach dem ASVG als Ganzes und stellt man es dem österreichischen Schadenersatzrecht nach ABGB gegenüber, so werden systematische Unterschiede deutlich, die ihre Ursache in den verschiedenen Zwecken dieser Regelungssysteme finden.

Wie Tomandl (in: Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, 2.3.2.4.) ausführt, besteht zwischen Unfallversicherung und Schadenersatzrecht nur eine Gemeinsamkeit:

Beide Systeme wollen einem verletzten Menschen Ausgleich für den ihm entstandenen Schaden gewähren und orientieren sind dabei vorrangig an seinem Interesse. Während das Schadenersatzrecht in all seinen Spielarten letztlich stets die Verantwortlichkeit eines Menschen für den eingetretenen Schaden als Zurechnungsgrund verwerten kann, steht die Unfallversicherung dem Schaden ebenso fern wie ein beliebiger Dritter; sie besitzt grundsätzlich keine Einwirkungsmöglichkeit auf die von ihr zu deckenden Risken. Der Grund ihres Einstehenmüssens liegt ausschließlich in ökonomischen Erwägungen: Sie kann den Schaden auf das Kollektiv aller von einem gleichartigen Risiko bedrohten Personen, d.h. aber in einer den einzelnen äußerst schonenden Weise, aufteilen.

Weitere Unterschiede folgen aus der konkreten Ausgestaltung der österreichischen Unfallversicherung. Sie baut auf dem Alles-oder-Nichts-Prinzip auf. Eine Teilung des eingetretenen Personenschadens für den Fall, daß neben Zurechnungsgründen auch Gründe für eine Entlastung der Unfallversicherung vorliegen, ist ihr unbekannt. Die Unfallversicherung hat für einen Personenschaden entweder zur Gänze oder überhaupt nicht einzustehen. Das Schadenersatzrecht stuft dagegen ab und entlastet den Schädiger etwa bei Mitverschulden partiell. Diese Unterschiede haben zur Folge, daß die Zurechnungskriterien in der Unfallversicherung und im Schadenersatzrecht nicht gleich sein können. So ist in der Unfallversicherung das Verschulden des Verletzten nicht notwendigerweise relevant, was konsequenterweise alle Zurechnungstheorien, die letztlich auf die Verantwortlichkeit für den Schadenseintritt abstellen (Adäquanztheorie), insoweit unanwendbar macht. Auch für Fälle der kumulativen und alternativen Kausalität müssen andere Wertungskriterien entwickelt werden.

.... Sozialpolitische Gesichtspunkte, wie im gegenständlichen Fall die Bezugnahme auf die 'wirtschaftlichen Bedürfnisse' des Versicherten, haben im Sozialversicherungsrecht immer eine bedeutende Rolle gespielt, ohne daß dies bisher unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes bedenklich erschienen wäre. Im Gegenteil hat der Verfassungsgerichtshof selbst ausgesprochen, daß die Sozialversicherung den Gedanken der individuellen Äquivalenz ablehne, und durch jenen des sozialen Ausgleichs ersetze (VfSlg. 3670/1960, 4580/1963, 4714/1964, 6015/1969, 7047/1973).

... In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, daß Dörner (Die Integritätsabgeltung nach dem ASVG, 1994, 144ff) die Ansicht vertritt, daß der Begriff 'wirtschaftliches Bedürfnis' in § 213a Abs 4 ASVG eine gesetzliche Grundlage für die vom Oberlandesgericht Wien beanstandete Regelung des § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213a ASVG böte, wonach der Anspruch auf Integritätsabgeltung nicht besteht, wenn wegen der durch den Versicherungsfall herbeigeführten Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Integrität dem (der) Versehrten die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches billigerweise zugemutet werden kann. Dies deshalb, weil diese Regelung einerseits durch § 213a ASVG gedeckt ist und andererseits zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Bereicherung des Geschädigten dient.

... Im Abstellen auf das 'wirtschaftliche Bedürfnis' des Versicherten kann daher keine unsachliche Differenzierung - insbesondere nicht im Verhältnis zum Schadenersatzrecht - erblickt werden. Daß durch die Bezugnahme auf die 'wirtschaftlichen Bedürfnisse' unsachliche Differenzierungen innerhalb des Systems der Unfallversicherung oder zwischen einzelnen Versicherten entstünden, wurde jedoch nicht behauptet."

3.2. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales hat in den Verfahren V 114 und 118/94 eine - jeweils gleichlautende - Äußerung erstattet und begehrt, den Antrag des Oberlandesgerichtes Wien abzuweisen. Dies wird im wesentlichen wie folgt begründet:

"Die vom Oberlandesgericht Wien angefochtene Regelung des § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213a ASVG bestimmt, daß der Anspruch auf Integritätsabgeltung nicht besteht, wenn wegen der durch den Versicherungsfall herbeigeführten Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität dem (der) Versehrten die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches billigerweise zugemutet werden kann.

Das Oberlandesgericht Wien behauptet in seinem Aufhebungsantrag, daß diese (Verordnungs)Bestimmung gesetz- und verfassungswidrig sei, da sie im § 213a ASVG keine wie immer geartete Deckung fände.

Im Gegensatz hiezu ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales der Auffassung, daß aus § 213a ASVG in Verbindung mit dem aus den §§332ff ASVG ableitbaren Grundsätzen eines Schadenverteilungssystems (Verhinderung einer doppelten Schadensliquidation) eine ausreichende gesetzliche Grundlage - auch - für die Normierung eines Ausschlusses des Anspruchs auf Integritätsabgeltung in den entsprechenden Richtlinien gegeben ist (im einzelnen darf hiezu auf die Äußerung der Bundesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren G187/94 bzw. 190/94, der die diesbezügliche Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zugrundeliegt, verwiesen werden).

In diesem Zusammenhang wird des weiteren darauf hingewiesen, daß der Begriff 'wirtschaftliches Bedürfnis' gemäß § 213a Abs 4 ASVG (bei extensiver Auslegung) eine gesetzliche Grundlage für die vom Oberlandesgericht Wien beanstandete Regelung des § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213a ASVG der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt bietet (vgl. Dörner, 'Die Integritätsabgeltung nach dem ASVG', 1994, 144ff), und zwar deshalb, weil diese Regelung einerseits durch § 213a ASVG gedeckt ist und andererseits zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Bereicherung des Geschädigten dient.

Auch geht der Hinweis des Oberlandesgerichtes Wien, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse im Schadenersatzrecht nur ausnahmsweise berücksichtigt werden, ins Leere, weil durch die angefochtene Richtlinienbestimmung ein ebenfalls im Schadenersatzrecht verankertes Grundprinzip, wonach eine Doppelliquidation eines Schadenersatzanspruches zu vermeiden ist, berücksichtigt wird. Wird dies nun durch eine Regelung ausgeschlossen, kann darin keine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung erblickt werden."

3.3. In den Verfahren V114/94 und V118/94 hat der Vorstand der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt jeweils eine Äußerung erstattet.

3.3.1. In der Äußerung zu V114/94 wird im wesentlichen ausgeführt:

"Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich eindeutig, daß der Gesetzgeber nicht beabsichtigt hat, eine Doppelentschädigung zu gewähren. Zu einer Doppelentschädigung würde es jedoch kommen, wenn mehreren Schädigern ein Verschulden am Zustandekommen des Arbeitsunfalles oder der Berufskrankheit anzulasten ist und nicht alle Schädiger das Haftungsprivileg genießen. In einem solchen Fall kann der Geschädigte gegenüber den nicht das Haftungsprivileg genießenden Schädigern seine zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche (vor allem Schmerzengeld und Ersatz wegen Verhinderung des besseren Fortkommens) geltend machen, wobei in einem solchen Fall der Schädiger schon bei leichter Fahrlässigkeit haftet.

Ebenso kann der geschädigte Arbeitnehmer seit der 48. ASVG-Novelle gegenüber der KFZ-Haftpflichtversicherung Schadenersatzansprüche bereits bei leichter Fahrlässigkeit des Dienstgebers geltend machen, wenn der Schaden durch ein Verkehrsmittel eingetreten ist, für dessen Betrieb aufgrund gesetzlicher Vorschrift eine erhöhte Haftpflicht besteht. Zwar hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß nur jene Bestimmungen Arbeitnehmerschutzvorschriften sind, die mit Verwaltungsstrafsanktion bedroht sind, sodaß insbesondere die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung nicht als Arbeitnehmerschutzvorschriften gelten. Infolge der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes besteht daher kein Anspruch auf Integritätsabgeltung, auch wenn der Dienstgeber den Arbeitsunfall durch grob fahrlässige Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung verursacht hat. Andererseits regelt § 62 Abs 5 bis 10 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (BGBl. Nr. 218/1983) die Verhaltensweise beim Ladevorgang von Fahrzeugen und ist diese Bestimmung zweifellos als Arbeitnehmerschutzvorschrift anzusehen. Verstößt der Dienstgeber grob fahrlässig gegen diese Bestimmung und handelt es sich beim Fahrzeug um ein zum Verkehr zugelassenes Fahrzeug, so hätte der geschädigte Arbeitnehmer einerseits einen Anspruch auf Integritätsabgeltung und andererseits einen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch gegenüber der KFZ-Haftpflichtversicherung.

Die Gewährung einer Doppelentschädigung ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt und würde auch dem Bereicherungsverbot des Schadenersatzrechtes widersprechen. Die Integritätsabgeltung kann auch durch den Unfallversicherungsträger nicht regressiert werden. Soweit ein originärer Regreßanspruch besteht, ist das Regreßverbot expressis verbis im § 334 Abs 1, letzter Satz, ASVG ausgeschlossen. Bei Regreßansprüchen gegen nicht das Haftungsprivileg genießende Schädiger gemäß § 332 ASVG vermeint Reischauer (Neuerungen im Bereich des Arbeitgeber-Haftungsprivileges im Zusammenhang mit KFZ-Verkehr und Integritätsabgeltung (§§213a und 332 ASVG) DRdA 1992, insbesondere 326 f), daß die Integritätsabgeltung nunmehr regreßfähig sei. Der § 332 Abs 1 ASVG sieht im letzten Satz vor, daß Ansprüche auf Schmerzengeld nicht auf den Versicherungsträger übergehen. Nach Meinung Reischauers sei diese Bestimmung nunmehr infolge des Grundsatzes "lex posterior derogat legi priori" obsolet, da die Integritätsabgeltung eine dem Schmerzengeld kongruente Leistung sei und im Umfang der kongruenten Schmerzengeldansprüche auf den Versicherungsträger übergehe.

Die Auffassung Reischauers muß jedoch bezweifelt werden. Zum einen ist die Integritätsabgeltung keine Schadenersatzleistung, sondern eine eigene Sozialversicherungsleistung, für die der Gesetzgeber nur bestimmte Kriterien des Schadenersatzrechtes vorgesehen hat. Zum anderen wäre diese Bestimmung bis zur 48. ASVG-Novelle unnötig gewesen, weil ja die sonstigen gesetzlichen Leistungen der Sozialversicherung jedenfalls nach herrschender Lehre und Judikatur den Ansprüchen gemäß § 1325 und 1326 ABGB nicht kongruent sind. Richtig ist nach Auffassung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vielmehr, daß der Gesetzgeber durch die im § 332 Abs 1, letzter Satz, ASVG genannte Bestimmung Schmerzengeldansprüche von der Legalzession nicht erfaßt sehen wollte. Abgesehen davon gab und gibt es derzeit keine anderslautende Judikatur.

Der Vorstand der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt hat daher den Leistungsausschluß in den Richtlinien vorgesehen, um Doppelentschädigung auszuschließen. Die gesetzliche Legitimation gründet sich auf § 213a Abs 4 ASVG, wo der Gesetzgeber bestimmt, daß die näheren Bestimmungen zur Durchführung der Abs 1 und 2, insbesondere über das Ausmaß der Leistung, durch Richtlinien zu regeln sind. Ferner auch aus der Bestimmung, daß auf wirtschaftliche Bedürfnisse Bedacht zu nehmen ist. Kann aber ein Geschädigter zivilrechtliche Schadenersatzansprüche durchsetzen, dann besteht auch kein Bedürfnis nach einer weiteren Leistung, da ja dem Geschädigten sein Schadenersatzanspruch nicht durch das Haftungsprivileg abgeschnitten ist.

Die Richtlinien verlangen aber nicht, daß der Geschädigte unter allen Umständen - auch fragliche - Ansprüche durchsetzen muß. Die Richtlinien verlangen vielmehr nur, daß dem Versehrten 'die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches billigerweise zugemutet werden kann'. Dies liegt - wie in der Begründung zu den Richtlinien ausgeführt wird - dann vor, wenn der Anspruch leicht durchzusetzen ist, weil die Haftung durch strafgerichtliche Verurteilung des Schädigers offenkundig ist, eine ausreichende Haftpflichtversicherung vorhanden ist und die Schadenersatzansprüche mindestens in Höhe der Integritätsabgeltung zustehen.

Mit dem Ausdruck 'billigerweise zuzumuten' soll vermieden werden, daß der Geschädigte fragliche Ansprüche durchsetzen und/oder gegen nicht zahlungsfähige Schädiger (beispielsweise Arbeitskollegen - soweit sie nicht über eine eintrittspflichtige Haftpflichtversicherung verfügen) ergebnislose Exekutionen führen muß.

Wenn das Oberlandesgericht Wien vermeint, der Ausdruck 'billigerweise zuzumuten' sei unbestimmt, ist darauf zu verweisen, daß es der Rechtsprechung nicht verwehrt ist, diesen Ausdruck entsprechend auszulegen. So hat auch das Oberlandesgericht Wien in der Entscheidung vom , 32 Rs 34/92, ausgesprochen, daß die Unterbrechung des Sozialgerichtsverfahrens und das Abwarten der Zivilrechtsentscheidung unbillig sei, weil die zivilrechtliche Haftungsfrage fraglich sei und zu erwarten ist, daß das Zivilrechtsverfahren deshalb überdurchschnittlich lange dauern werde.

Abgesehen von der vom Hohen Gerichtshof zu entscheidenden Frage, ob die Berücksichtigung von zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen gesetzeskonform ist, hätte auch eine andere Regelung in den Richtlinien die Sozialgerichte nicht davor bewahrt, im Einzelfall zu entscheiden, ob und welche zivilrechtlichen Ansprüche zu berücksichtigen sind. So enthält das ASVG, insbesondere bei Ermittlung der Ausgleichszulage, Bestimmungen, die eine Anrechnung vorsehen und werden die Sozialgerichte immer wieder zur Entscheidung (wie sich aus den vielen Entscheidungen zu § 292 ASVG ergibt) angerufen, ob und in welcher Höhe Leistungen anzurechnen sind oder ob ein Verzicht auf eine Leistung dennoch zur Anwendung führt.

Hätten daher die Richtlinien nur vorgesehen, daß zivilrechtliche Schadenersatzansprüche anzurechnen sind, hätten die Sozialgerichte ebenfalls im Einzelfall entscheiden müssen, ob und in welcher Höhe diese Ansprüche zustehen bzw. anzurechnen sind. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt wollte jedoch den Geschädigten nicht unbillig mit der Durchsetzung von zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen belasten, was eben mit dem Ausdruck 'billigerweise zuzumuten' umschrieben wurde."

3.3.2. In der im Verfahren V118/94 abgegebenen Äußerung wird die Gesetzmäßigkeit des § 1 Abs 2 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung im wesentlichen wie folgt verteidigt:

"Die Integritätsabgeltung wurde mit der 48. ASVG-Novelle in den Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem ASVG eingeführt. Nach den Erläuternden Bemerkungen (ebenso Meisel-Widlar 'Die Integritätsabgeltung - eine neue Leistung der Unfallversicherung' in Soziale Sicherheit Nr. 7/8/1991, S 362 ff) besteht zwar zwischen der Integritätsabgeltung und den nicht realisierbaren Schmerzengeldansprüchen gemäß § 1325 ABGB bzw. dem Ersatz für die Verhinderung besseren Fortkommens gemäß § 1326 ABGB eine Verwandtschaft, die Integritätsabgeltung ist jedoch eine eigene Sozialversicherungsleistung und kein Schadenersatzanspruch gemäß §§1325 und 1326 ABGB. Dies erhellt auch aus der Tatsache, daß gemäß § 213a Abs 2 ASVG die Integritätsabgeltung maximal im Ausmaß des Doppelten der jährlichen Höchstbemessungsgrundlage gebührt, wohingegen insbesondere im ABGB kein Höchstbetrag für Ansprüche gemäß §§1325 und 1326 vorgesehen ist.

Daraus folgt, daß die Integritätsabgeltung keine Leistung gemäß §§1325 und 1326 ABGB, sondern eben eine eigene Sozialversicherungsleistung ist, bei der es zulässig ist, sie unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedürfnisse des Versicherten zu bemessen. Insoweit der § 213a Abs 4 ASVG die Bedachtnahme auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse vorsieht, liegt keine Ungleichbehandlung vor und ist die im § 3 Abs 2 der Richtlinien vorgesehene Bestimmung gesetzeskonform.

...

Gemäß § 213a Abs 1 ASVG besteht neben anderen Anspruchsvoraussetzungen, die gegenständlich nicht beachtlich sind, ein Anspruch auf Integritätsabgeltung, wenn der Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde. Der § 213a Abs 2 schreibt vor, daß die Integritätsabgeltung als einmalige Leistung zu gewähren ist und das Doppelte des bei Eintritt des Versicherungsfalles nach § 178 Abs 2 ASVG jeweils geltenden Betrages nicht übersteigen darf, was im Ergebnis bedeutet, daß die Integritätsabgeltung der Höhe nach mit dem Doppelten der jährlichen Höchstbemessungsgrundlage begrenzt ist.

Im § 213a Abs 4 ASVG ist nun vorgesehen, daß die näheren Bestimmungen zur Durchführung der Abs 1 und 2, insbesondere über das Ausmaß der Leistung, durch Richtlinien des Versicherungsträgers zu regeln sind. Hiebei ist auf die in dieser Bestimmung aufgezählten Kriterien Bedacht zu nehmen.

Die Integritätsabgeltung wurde mit der 48. ASVG-Novelle als Unfallversicherungsleistung eingeführt. Wie in den Erläuternden Bemerkungen zu § 213a ASVG ausgeführt ist (1142 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XVII GP), ist Anlaß für diese Leistung das im § 333 ASVG normierte Haftpflichtprivileg des Dienstgebers und der diesem gemäß Abs 4 Gleichgestellten. So wurde es als ungerechtfertigte Härte empfunden, daß den geschädigten Dienstnehmern nur bei vorsätzlicher Schadenszufügung ein zivilrechtlicher Schadenersatzanspruch zusteht. Insbesondere besteht hiedurch kein Anspruch auf Schmerzengeld und Ersatz wegen Verhinderung des besseren Fortkommens (§§1325 und 1326 ABGB); der Anspruch auf Verdienstentgang wird nach ständiger Rechtsprechung des OGH durch die Versehrtenrente als kongruente Leistung abgegolten. Selbst dann, wenn der Schaden durch grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften eingetreten ist, zu deren Einhaltung der Dienstgeber und die ihm gemäß § 333 Abs 4 ASVG Gleichgestellten unter Verwaltungsstrafsanktion verpflichtet sind, bestehe unter Bedachtnahme auf § 333 ASVG kein Schadenersatzanspruch. Dies stelle eine ungerechtfertigte Härte dar und soll in diesem Fall eine eigene Sozialversicherungsleistung gebühren.

Richtig ist, daß im Gesetz (§213a Abs 1 ASVG) der Schadensverursacher (Dienstgeber oder gemäß § 333 Abs 4 ASVG Gleichgestellte) nicht expressis verbis angeführt ist. Der Wortlaut 'wurde der Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht' weist jedoch eindeutig darauf hin, daß der Schaden durch einen Dritten verursacht worden sein muß. Hinzu kommt die aus den Erläuternden Bemerkungen sich ergebende eindeutige Absicht des Gesetzgebers, nur bei Schadenszufügung durch den Dienstgeber oder einen sonst im Betrieb für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften Verantwortlichen die Leistung zu gewähren.

Hinzu kommt, daß bei Eigenverschulden auch keine zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche zustehen, die durch das Haftungsprivileg gemäß § 333 ASVG abgeschnitten wären (Meisel-Widlar 'Die Integritätsabgeltung - eine neue Leistung der Unfallversicherung', Soziale Sicherheit Nr. 7/8/1991).

Der Leistungsausschluß bei grob fahrlässigem Eigenverschulden vollzieht den sich aus Abs 1 ergebenden Gesetzesauftrag und dient eigentlich nur der Klarstellung jener Rechtslage, die sich bei Prüfung der gesetzlichen Bestimmung in Berücksichtigung der aus den Erläuternden Bestimmungen sich ergebenden Absicht des Gesetzgebers ergibt. Nachdem aber der Gesetzgeber im § 213a Abs 4 ASVG vorsieht, daß die Richtlinien die näheren Bestimmungen zur Durchführung der Abs 1 und 2, insbesondere über das Ausmaß der Leistung, zu regeln haben, stellt der Leistungsausschluß für grob fahrlässiges Eigenverschulden nach Auffassung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt eine diesbezügliche gesetzeskonforme Regelung dar.

Insoweit in der Lehre (Dörner 'Die Integritätsabgeltung nach dem ASVG', S 137 ff) die Meinung vertreten wird, daß bei Eigenverschulden von gültigen UV-Grundsätzen auszugehen ist, ist darauf hinzuweisen, daß die Anspruchsvoraussetzung 'grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften' der Regelung des § 334 ASVG nachgebildet ist, wo der originäre Regreßanspruch bei - unter anderem grober Fahrlässigkeit - normiert ist (so die Erläuternden Bemerkungen zu § 213a ASVG). Der OGH hat auch zwischenzeitig in Entscheidungen zu § 213a ASVG (z.B. 10 Ob S 97/92, SSV-NF 6/61) judiziert, daß der Ausdruck 'grobe Fahrlässigkeit' im Sinne des § 334 Abs 1 ASVG auszulegen ist. Aus Sicht der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt wäre es daher nicht zulässig, die für die grobe Fahrlässigkeit maßgeblichen Kriterien mit den UV-Grundsätzen zu vermengen, weil dies zu nicht gerechtfertigten Ergebnissen führen und auch den Absichten des Gesetzgebers zuwiderlaufen würde.

Wenn Dörner in der genannten Publikation meint, daß ein Mitverschulden nicht berücksichtigt werde, übersieht er die Judikatur zur groben Fahrlässigkeit gemäß § 334 ASVG. Ein Mitverschulden des Geschädigten hindert noch nicht die Annahme grober Fahrlässigkeit. Vielmehr kommt es darauf an, ob infolge des Verhaltens des Geschädigten dem Schädiger noch der Vorwurf gemacht werden kann, sein Verhalten sei grob fahrlässig. Setzt der Geschädigte ein Verhalten, mit dem der Verantwortliche nicht rechnen konnte, wird im Regelfall kein grob fahrlässiges Verhalten vorliegen."

3.4. Im Verfahren V352/94 haben der Bundesminister für Arbeit und Soziales und der Vorstand der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt je eine Äußerung abgegeben.

3.4.1. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales tritt den Bedenken des Obersten Gerichtshofes gegen § 2 Abs 1 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung im wesentlichen wie folgt entgegen:

"Der Behauptung des Obersten Gerichtshofes, die Bezugnahme auf die Höhe der Versehrtenrente (gemeint wohl: Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit) bei 'Bemessung der Integritätsabgeltung', das heißt bei Ermittlung des Integritätsschadens, sei nicht sachgerecht, wenn man davon ausgehe, daß die Integritätsabgeltung funktionell den Ansprüchen in den §§1325 letzter Halbsatz und 1326 ABGB gleicht, ist folgendes entgegenzuhalten:

Die Einschätzung des Obersten Gerichtshofes, daß die Integritätsabgeltung dem Schmerzengeld (§1325 ABGB) und der Verunstaltungsentschädigung (§1326 ABGB) funktionsgleich sei, sodaß hieran die gleichen Kriterien wie für diese zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche anzulegen seien, trifft nach Ansicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht zu.

Der Oberste Gerichtshof übersieht nämlich, daß mit der Integritätsabgeltung eine eigene Sozialversicherungsleistung geschaffen wurde. Diese Leistung ist kein zivilrechtlicher Schadenersatzanspruch, sondern es besteht nur eine Verwandtschaft zwischen dem (als Integritätsabgeltung gebührenden) Kapitalbetrag und dem nicht realisierbaren Schmerzengeldanspruch (§1325 ABGB) bzw. dem Ersatz für die Verhinderung besseren Fortkommens (§1326 ABGB). So stellt sich die Integritätsabgeltung als die öffentlich-rechtliche Ablöse des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches des Dienstnehmers gegenüber dem Dienstgeber dar (vgl. Meisel - Widlar 'Die Integritätsabgeltung - eine neue Leistung der Unfallversicherung', Soziale Sicherheit 7/8/1991, 362ff).

...

Gemäß § 205 Abs 1 ASVG wird die Versehrtenrente nach dem Grade der - durch den Arbeitsunfall (die Berufskrankheit) herbeigeführten - Minderung der Erwerbsfähigkeit bemessen.

Die gesetzliche Deckung der angefochtenen Bestimmung ist somit insbesondere aus der ausdrücklichen Anspruchsvoraussetzung gemäß § 213a Abs 1 ASVG - Bestehen eines Versehrtenrentenanspruches, der das Vorliegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit impliziert - abzuleiten.

Zum Begriff der 'Minderung der Erwerbsfähigkeit' darf auf die Ausführungen in der Äußerung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom zum gegenständlichen Verfahren, Seiten 4 und 5, sowie auf Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, Seite 229ff, verwiesen werden, wonach zur Ermittlung des Ausmaßes der Minderung der Erwerbsfähigkeit die abstrakte Schadensberechnung herangezogen wird (völliges Absehen von der konkreten Lebenslage des Versehrten).

Tomandl führt hiezu weiter aus, daß sich hinter der sogenannten medizinischen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit eine in Jahrzehnten gewachsene konventionelle Regel über die Bewertung des Ausfalles bestimmter Körper- oder Geistesfunktionen für den Menschen an sich verbirgt. Im ärztlichen Gutachten kommt daher nur der Grad der Versehrtheit, nicht aber der Grad der verbliebenen Erwerbsfähigkeit zum Ausdruck.

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß in der Judikatur die Auffassung vertreten wird, daß die 'medizinische Minderung der Erwerbsfähigkeit' die Untergrenze absteckt; andererseits erhöht die Rechtsprechung das Ausmaß der 'medizinischen Minderung der Erwerbsfähigkeit' nur in Härtefällen. In der Praxis kommt somit dem medizinischen Gutachten - und damit auch der 'medizinischen Minderung der Erwerbsfähigkeit' - die überragende Bedeutung bei Ermittlung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu; die diesbezügliche ärztliche Begutachtung, die sich auf Erfahrungssätze stützt, welche seit Jahrzehnten verwendet werden und in verschiedenen Tabellen zusammengefaßt sind (sogenannte 'Glieder- und Knochentaxen'), stellt demnach insbesondere ein Maß für die Minderung der körperlichen Integrität (Grad der Versehrtheit) dar.

Auf Grund dieser sich weitgehend aus der Rechtsprechung ergebenden Ausgestaltung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist deren Einbau in die Ermittlung des Integritätsschadens nicht nur sachgerecht, sondern drängt sich förmlich auf.

Die Formulierung der Z 2 des § 2 Abs 1 der in Rede stehenden Richtlinie, wonach der Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen nur so weit separat zu ermitteln ist, als 'diese Beeinträchtigung nicht für die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen ist', bringt deutlich zum Ausdruck, daß der Begriff der 'Minderung der Erwerbsfähigkeit' ganz wesentlich auch die Beeinträchtigung von Körperfunktionen beinhaltet, sodaß auch die Anordnung der Bedachtnahme auf den Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen in § 213a Abs 4 ASVG die Heranziehung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in der Richtlinie nahelegt.

Nach Ansicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gibt es darüber hinaus auch keinen sachlichen Grund, warum sich nicht ein Berührungspunkt des Integritätsschadens zum Erwerbsschaden ergeben dürfe, wenn einerseits davon auszugehen ist, daß in der 'Minderung der Erwerbsfähigkeit' - wie aufgezeigt - die 'Beeinträchtigung von Körperfunktionen' zum Ausdruck kommt, es sich andererseits um eine Leistung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung handelt, deren Erwerbsbezogenheit wohl keiner näheren Erörterung bedarf.

Dem Einwand des Obersten Gerichtshofes, daß ein Integritätsschaden von 50 vH selbst bei schwerster Beeinträchtigung von Körperfunktionen, schwerster Verunstaltung und schwersten seelischen Störungen nur dann erreicht werden kann, wenn der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit mindestens 20 vH beträgt, ist entgegenzuhalten, daß sich hieraus gerade die Folgerichtigkeit dieser Richtlinienbestimmung ergibt, da - wie Abs 1 des § 213a ASVG bestimmt - eine Versehrtenrente vorliegen muß, damit die Integritätsabgeltung überhaupt gewährt werden kann. Eine Versehrtenrente wird aber nur bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vH gewährt.

Zusammenfassend ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales somit der Ansicht, daß die Bestimmung des § 2 Abs 1 der in Rede stehenden Richtlinien im Hinblick darauf, daß


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-
es sich hiebei um eine Leistung im Rahmen der Sozialversicherung handelt, die speziell auch mit dem Instrumentarium der Unfallversicherung zu vollziehen ist,
-
gemäß § 213a Abs 1 der Anspruch auf Integritätsabgeltung das Bestehen eines Versehrtenrentenanspruches voraussetzt,
-
der Begriff der 'Minderung der Erwerbsfähigkeit' insbesondere auch den Grad der Versehrtheit, d.h. der Beeinträchtigung von Körperfunktionen (auf die gemäß § 213a Abs 4 Bedacht zu nehmen ist), umfaßt, in § 213a ASVG ihre gesetzliche Deckung findet und auch sachgerecht ist."

3.4.2. Der Vorstand der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt tritt im Verfahren V352/94 den Bedenken des Obersten Gerichtshofes insbesondere mit den folgenden Argumenten entgegen:

"Der Grad des Integritätsschadens ermittelt sich gemäß § 2 Abs 1 der Richtlinien aus einem Prozentsatz, der sich aus der Addition des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Grades der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, soweit diese Beeinträchtigung nicht für die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen ist, des Grades der Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes und des Grades der unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung ergibt. Der Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, der Grad der Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes und der Grad der unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung sind hiebei - entsprechend der Schwere der Beeinträchtigung, der Verunstaltung oder der seelischen Störung mit je 10 v.H. oder 5 v.H. festgesetzt (§2 Abs 1 Z 2 bis 4).

Die Integritätsabgeltung ist eine Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung, die einen Ausgleich für die Haftungsbeschränkung gemäß § 333 ASVG bieten soll, falls der Schaden durch grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde. Dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. der Ermittlung desselben kommt in der gesetzlichen Unfallversicherung überragende Bedeutung zu. Das Leistungsrecht knüpft daran wesentliche Folgen, beispielsweise die Gebührlichkeit einer Versehrtenrente erst ab einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H., die Gebührlichkeit von Zuschüssen etc. ab einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. für Schwerversehrte (Kinderzuschüsse, Zusatzrente). Im Bereich der Schülerunfallversicherung gebührt eine Rente erst ab einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. Ebenso gebührt die erhöhte Witwen(Witwer)rente (§213 Abs 2 ASVG), wenn die anspruchsberechtigte Person durch Krankheit oder Gebrechen wenigstens die Hälfte ihrer Erwerbsfähigkeit verloren hat. Da die Integritätsabgeltung eine Versicherungsleistung der gesetzlichen Unfallversicherung ist, ist es sachgerecht und gesetzeskonform, auf den in der Unfallversicherung bedeutenden Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen, zumal auch der Gesetzgeber, wie vorhin ausgeführt, neben anderen Anspruchsvoraussetzungen eine Integritätsabgeltung nur zubilligen wollte, wenn ein Anspruch auf Versehrtenrente besteht.

Der Oberste Gerichtshof erblickt nun eine Gesetzeswidrigkeit darin, daß augenscheinlich der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit dominiert und die anderen genannten Grade mit nur je 10 v.H. oder 5 v.H. bestimmt sind. Hiebei ist jedoch zu prüfen, ob der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit tatsächlich nur dem Erwerbsschaden entspricht oder nicht vielmehr einen Grad der Behinderung darstellt und sich die Abgeltung des Erwerbsschadens erst aus dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit in Verbindung mit der Bemessungsgrundlage ergibt.

Was unter Minderung der Erwerbsfähigkeit zu verstehen ist, verschweigt das ASVG (Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts S 330 ff). Der Grad der durch die Unfallfolgen verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich abstrakt nach dem Umfang aller verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, also auch selbständiger Tätigkeiten, zu beurteilen und in Beziehung zu allen Erwerbsmöglichkeiten - und nicht nur den tatsächlich genutzten - zu setzen (SSV-NF 1/64, 3/22). Ausgehend von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wird daher das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit danach beurteilt, von welchen Erwerbsmöglichkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt der Geschädigte durch die Unfallfolgen ausgeschlossen ist. Bei dieser Beurteilung finden regelmäßig die durch den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit verursachten Beeinträchtigungen von Körperfunktionen ebenso wie die hiedurch verursachten Verunstaltungen und seelischen Störungen Berücksichtigung. Dies gilt insbesondere für die vom Obersten Gerichtshof im Antrag (Seite 6) aufgezeigten Behinderungen wie Gleichgewichtsstörungen, Gehbehinderungen, Gesichtsnarben, Sprachstörungen, etc.

Daß durch die abstrakte Ermittlung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit in Wahrheit der Grad der Behinderung ermittelt wird, erhellt auch aus der Tatsache, daß hiebei - ausgenommen von Härtefällen - nicht berücksichtigt wird, ob und in welchem Umfang ein Erwerbsschaden eintritt bzw. eintreten kann. Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei gänzlichem Verlust eines Beines wird beispielsweise mit 70 v.H. beurteilt, unabhängig davon, ob der Geschädigte hiedurch überhaupt einen Verdienstausfall erleidet. Auch wenn bei Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit die Mühe des Geschädigten bei Erhaltung des Arbeitsplatzes berücksichtigt werden soll, müßte das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei einem in einem gesicherten Dienstverhältnis stehenden Geschädigten anders beurteilt werden als bei einem Geschädigten, der durch die Schädigung einen Verdienstausfall oder Verlust des Arbeitsplatzes erleidet. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Insbesondere der Anlaßfall, der zur Schaffung der Integritätsabgeltung führte, zeigt dies besonders deutlich. Die Verletzte war im Unfallszeitpunkt Ferialpraktikantin und erlitt durch gröbliches Verschulden des Vorgesetzten (= Arbeitsaufseher) schwerste Verbrennungen am ganzen Körper. Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit wurde in Berücksichtigung auch der Verunstaltung und der seelischen Störung mit 100 v.H. (Vollrente) festgestellt. Da die Geschädigte jedoch Ferialpraktikantin war, stand für die Rentenermittlung nur die Schülerbemessungsgrundlage zur Verfügung, sodaß der eher als bescheiden zu bezeichnenden Versehrtenrente sehr hohe Ansprüche gemäß §§1325 und 1326 ABGB gegenüberstanden, die jedoch infolge des Haftungsprivilegs des Vorgesetzten nicht durchsetzbar waren. Mit anderen Worten: Nicht der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit stellt eine Verbindung zum Erwerbsschaden dar, sondern erst der Konnex Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit zur Bemessungsgrundlage.

Abgesehen vom Gesetzesauftrag, auf den Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, den Grad der Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes und den Grad einer unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung Bedacht zu nehmen, war der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt bei Erstellung der Richtlinien bewußt, daß vereinzelt diese Schädigungen nicht oder nicht in vollem Umfang bei Beurteilung des Ausmaßes der Minderung der Erwerbsfähigkeit Berücksichtigung finden. Damit jedoch für alle Geschädigten gleiche Beurteilungskriterien zur Verfügung stehen, sehen die Richtlinien für die obgenannten Schädigungen bzw. Störungen fixe Prozentsätze, abgestuft nach der Schwere der Schädigung bzw. Störung vor. Die in den Richtlinien vorgenommene Abstufung zwischen mittlerer und schwerer Störung bzw. Verunstaltung gründet sich darauf, daß sich die von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt konsultierten Mediziner außerstande sahen, eine graduelle Abstufung (beispielsweise bei seelischen Störungen) vorzunehmen. Die konsultierten Mediziner sahen sich vielmehr nur in der Lage, eine Einschätzung in leichte, mittlere und schwere Schädigungen bzw. Störungen, ähnlich wie bei Schmerzengeldansprüchen, vorzunehmen.

Der Gesetzesauftrag ist auch anders nicht zu vollziehen. Der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt wäre allenfalls noch die Möglichkeit offen gestanden, eine umfangreiche 'Integritätsschadenstafel' zu erlassen. Hiefür stand jedoch nicht die erforderliche Zeit zur Verfügung, da die Integritätsabgeltung quasi im letzten Augenblick Eingang in das ASVG gefunden hat. Insbesondere aber wäre eine solche Schadenstafel ebenfalls der Kritik als gesetzeswidrig ausgesetzt, da mit einer solchen Tafel keine Grade der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, von Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes oder einer seelischen Störung vorgenommen werden können, sondern nur für bestimmte Schädigungen bestimmte Prozentsätze festgesetzt werden können. So hat der schweizerische Gesetzgeber, bei dem der österreichische Gesetzgeber die Anleihe für die Schaffung der Integritätsabgeltung genommen hat, keine Bezugnahme auf die bereits genannten Störungen vorgesehen, sondern hat vielmehr der Schweizerische Bundesrat im Anhang 3 der Verordnung über die Unfallversicherung vom (UVV) eine Skala der Integritätsschäden erlassen. In diesem Zusammenhang muß freilich betont werden, daß der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entsprechende Grad der Invalidität (Art18 Abs 2 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung vom ; UVG) in der Schweiz nach dem Erwerbseinkommen bestimmt wird, 'das der Versicherte nach Eintritt der unfallbedingten Invalidität und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmaßnahmen durch eine ihm zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das er erzielen könnte, wenn er nicht invalid geworden wäre'. In der Schweiz besteht somit ein Rentenanspruch bei tatsächlichem Erwerbsschaden, sodaß die Integritätsentschädigung ein echter Ausgleich für ideellen Schaden ist.

Der Anspruch auf Integritätsabgeltung hängt unter anderem davon ab, daß ein Anspruch auf Versehrtenrente besteht und ist die Integritätsabgeltung der Höhe nach mit dem Doppelten des bei Eintritt des Versicherungsfalles nach § 178 Abs 2 ASVG jeweils geltenden Betrages begrenzt. Insoweit einer vollziehenden Behörde eine Gesetzeskritik zusteht, ist die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt der Auffassung, daß es - auch aus Sicht der betroffenen Geschädigten - günstiger und einfacher gewesen wäre, im Gesetz entsprechend dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit einen festen Entschädigungsbetrag vorzusehen, nachdem die vom Gesetzgeber aufgezählten Störungen ohnehin regelmäßig bei Beurteilung des MdE-Grades berücksichtigt werden."

3.5. Im Verfahren G85/95, V64/95 hat die Bundesregierung ihre Äußerung zu den Verfahren G187/94 und G190/94 übermittelt. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales und der Vorstand der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt haben kurze Äußerungen erstattet, in denen jeweils auf ihre in den Verfahren V114/94, V118/94 und V352/94 abgegebenen Äußerungen verwiesen wird.

3.6. Im Verfahren V219/95 hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales in einem kurzen Schriftsatz auf seine im Verfahren V352/94 erstattete Äußerung verwiesen, und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt hat, ebenfalls in einem kurzen Schriftsatz, auf ihre in den Verfahren V352/94 und V64/95 erstatteten Äußerungen verwiesen.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. Zur Zulässigkeit:

4.1.1. Betreffend § 213 a Abs 4 ASVG idF BGBl. Nr. 294/1990:

Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art 140 B-VG bzw. des Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989). Davon aber kann in den den Verfahren G190/94 und G85/95 zugrundeliegenden Fällen nicht die Rede sein.

Die Bundesregierung verneint allerdings in ihrer Äußerung die Präjudizialität der bekämpften Vorschriften im Verfahren G187/94 mit dem Argument, daß der Arbeitsunfall, der Gegenstand des dem zu G187/94 protokollierten Antrag zugrundeliegenden Gerichtsverfahrens ist, offensichtlich durch einen Verstoß gegen § 106 KFG 1967, nicht aber durch einen Verstoß gegen eine öffentlich-rechtliche Arbeitsrechtsnorm verursacht worden sei, welche Normen nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes jedoch allein vom Ausdruck "Arbeitnehmerschutzvorschriften" im § 213 a Abs 1 ASVG erfaßt werden.

Dem ist entgegenzuhalten, daß gemäß § 62 Abs 10 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung das "Befördern von Personen auf Betriebseinrichtungen und Betriebsmitteln, die zum Heben oder Bewegen von Lasten bestimmt sind und die über keine gesicherten Einrichtungen zur Personenbeförderung verfügen," nicht zulässig ist. Angesichts dieser Vorschrift scheint die Annahme des antragstellenden Gerichtes, eine Arbeitnehmerschutzvorschrift sei verletzt worden, jedenfalls denkmöglich, weshalb ihr der Verfassungsgerichtshof nicht entgegentritt.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind alle drei Gesetzesprüfungsanträge zulässig.

4.1.2. Betreffend § 1 Abs 2 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG:

In den zu V114/95, V118/94 und V64/95 protokollierten Anträgen begehrt das Oberlandesgericht Wien jeweils die Aufhebung des § 1 Abs 2 - und im Verfahren V64/95 darüber hinaus auch noch die des § 2 Abs 1 - der Richtlinien.

Der Abs 2 des § 1 der Richtlinien enthält eine Z 1, derzufolge ein Anspruch auf Integritätsabgeltung dann nicht besteht, "wenn der (die) Versehrte selbst grob fahrlässig durch Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften den Versicherungsfall herbeigeführt hat," und eine Z 2, die einen Anspruch auf Integritätsabgeltung dann ausschließt, "wenn wegen der durch den Versicherungsfall herbeigeführten Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität dem (der) Versehrten die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches billigerweise zugemutet werden kann". Daß die Z 1 des § 1 Abs 2 der Richtlinien in einem der zu V114/94, V118/94 und V64/95 protokollierten Fälle vom entscheidenden Gericht anzuwenden wäre, ist offensichtlich denkunmöglich: Aus den Darlegungen in den Anträgen des Oberlandesgerichtes Wien (siehe oben Punkt 2.1., 2.2. und 2.4.) ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Annahme, daß der jeweils Versehrte selbst grob fahrlässig den Versicherungsfall herbeigeführt hat. Das antragstellende Oberlandesgericht Wien führt, auch wenn es jeweils die Aufhebung des gesamten Abs 2 des § 1 der Richtlinien begehrt, in jedem Antrag nur aus, daß die Erledigung der Berufung vor dem Eingehen auf die übrigen Berufungsgründe entscheidend davon abhänge, ob der jeweilige Kläger gemäß § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien verpflichtet sei, seine zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche durchzusetzen. Die Präjudizialität der Z 1 des § 1 Abs 2 der Richtlinien ist demnach zu verneinen.

In den Verfahren V118/94 und V64/95 hat das Erstgericht jeweils das Begehren auf Leistung einer Integritätsabgeltung mit der Begründung abgewiesen, daß der von § 1 Abs 1 der Richtlinien als Anspruchsvoraussetzung geforderte Integritätsschaden in Höhe von 50 vH nicht erreicht wurde. Das prinzipielle Bestehen eines Anspruches nach § 1 Abs 1 der Richtlinien ist nun wohl aufgrund der Systematik der Richtlinien - der Abs 1 geht dem Abs 2 voran - die logische Voraussetzung dafür, daß er in den in § 1 Abs 2 Z 1 und 2 der Richtlinien genannten Fällen ausgeschlossen werden kann. Zufolge der erhobenen Berufungen gegen die erstgerichtlichen Urteile, in denen behauptet wird, daß bei richtiger rechtlicher Beurteilung der zu ermittelnde Hundertsatz das relevante Maß von 50 vH überschritten hätte bzw. eine Integritätsabgeltung zu gewähren wäre, ist es aber nicht von vornherein ausgeschlossen, daß das antragstellende Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufungen auch die Vorschrift des § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien anzuwenden hätte. Die Präjudizialität dieser Bestimmung ist demnach gegeben.

Ähnlich verhält es sich im Verfahren V114/94: In dessen Anlaßverfahren nämlich hat das Erstgericht dem Kläger eine Integritätsabgeltung zuerkannt und ausgesprochen, daß diese Zuerkennung nicht davon abhänge, daß der Verletzte vorerst die Durchsetzung seiner zivilgerichtlichen Schadenersatzansprüche gegenüber dem Schädiger versuchen müsse. Es ist offensichtlich, daß das antragstellende Berufungsgericht, wie es in seinem Antrag ausführt, bei der Erledigung der Berufung zu beurteilen hätte, ob der Ausschlußgrund des § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien gegeben ist oder nicht.

Es erweist sich damit, daß - auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen sind insoweit gegeben - die zu V114/94, V118/94 und V64/95 protokollierten Anträge lediglich

hinsichtlich des § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien zulässig,

hinsichtlich des § 1 Abs 2 Z 1 der Richtlinien jedoch unzulässig und daher zurückzuweisen sind.

4.1.3. Betreffend § 2 Abs 1 der Richtlinien:

Der Verfassungsgerichtshof vermag keinen Grund zu erkennen, der im Verfahren V352/94 vom Obersten Gerichtshof und der im Verfahren V219/95 vom Oberlandesgericht Wien vorgenommenen Beurteilung der Präjudizialitätsfrage entgegenzutreten: In beiden Verfahren ist der Grad des Integritätsschadens zu ermitteln, wobei § 2 Abs 1 der Richtlinien anzuwenden ist.

Auch das Oberlandesgericht Wien hat in dem dem zu V64/95 protokollierten Antrag zugrundeliegenden Anlaßverfahren § 2 Abs 1 der Richtlinien anzuwenden. Daran ändert nichts, daß es seinen diesbezüglichen Antrag in die Gestalt eines Eventualbegehrens gekleidet hat. Es hat nämlich die mit diesem bekämpfte Vorschrift jedenfalls auch anzuwenden, woraus sich ergibt, daß § 2 Abs 1 der Richtlinien präjudiziell ist.

4.2. In der Sache:

4.2.1. In den zu G187/94, G190/94 und G85/95 protokollierten Anträgen wird der Abs 4 des § 213 a ASVG im wesentlichen mit dem Argument bekämpft, daß er die auf seiner Grundlage zu erlassenden Verordnungen nicht ausreichend determiniere, sodaß eine formalgesetzliche Delegation vorliege.

Das Bedenken des Oberlandesgerichtes Wien ist unbegründet.

Der bekämpfte § 213 a Abs 4 ASVG sieht vor, daß die näheren Bestimmungen zur Durchführung der Abs 1 und 2 des § 213 a leg.cit. in Richtlinien zu regeln sind. § 213 a Abs 1 ASVG normiert als Anspruchsvoraussetzung für eine Integritätsabgeltung, daß der Versicherte "eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität" infolge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit, verursacht durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, erlitten hat. Gemäß dieser Vorschrift ist eine weitere Anspruchsvoraussetzung für eine Integritätsabgeltung, daß wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalls oder dieser Berufskrankheit auch ein Anspruch auf Versehrtenrente gemäß § 203 Abs 1 ASVG besteht. Der Abs 2 des § 213 a ASVG legt fest, daß die Integritätsabgeltung als einmalige Leistung gewährt wird und zieht eine Obergrenze ein: Die Integritätsabgeltung darf demnach das Doppelte des bei Eintritt des Versicherungsfalles nach § 178 Abs 2 ASVG jeweils geltenden Betrages nicht überschreiten. Der bekämpfte Abs 4 des § 213 a ASVG gibt dem Verordnungsgeber weitere, bei der Ausmessung der Höhe der Integritätsabgeltung zu berücksichtigende Kriterien vor. Demnach haben die Richtlinien "auf das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten sowie auf den Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, den Grad der Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes des Versicherten sowie den Grad einer unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung Bedacht zu nehmen".

Die Gesamtheit der Regelungen des § 213 a ASVG bildet nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes auch vor dem Hintergrund des Art 18 Abs 2 B-VG und der einschlägigen Judikatur (vgl. zB VfSlg. 11072/1986 und 11639/1988) eine ausreichende Grundlage für die Erlassung von Durchführungsverordnungen. Sie gibt dem Verordnungsgeber in ausreichendem Maß Kriterien vor, vermittels welcher er die Ausgestaltung der Integritätsabgeltung vorzunehmen hat. Das Gesetz legt fest, unter welchen Voraussetzungen die Integritätsabgeltung gebührt (§213 a Abs 1 ASVG) und in welcher Höhe sie maximal zu gewähren ist (§213 a Abs 2 leg.cit.). Das Gesetz schreibt dem Verordnungsgeber weiters vor, daß die Höhe der Integritätsabgeltung entsprechend der Schwere des Integritätsschadens abzustufen ist (§213 a Abs 2 ASVG) und nennt dabei zu berücksichtigende Kriterien (§213 a Abs 4 ASVG). Der dichte Regelungskomplex setzt dem Verordnungsgeber nicht nur klar umschriebene Grenzen, sondern gibt ihm auch nähere Hinweise hinsichtlich seines Verhaltens. Die Verordnung ist daher ausreichend determiniert.

Die behauptete Verfassungswidrigkeit liegt somit nicht vor.

4.2.2. Im Verfahren V114/94 wird die Gesetzwidrigkeit des § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien mit dem Argument behauptet, daß der in dieser Vorschrift vorgesehene Ausschluß eines Anspruches auf Integritätsabgeltung, wenn dem Versehrten die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches billigerweise zugemutet werden könne, im § 213 a ASVG keine wie immer geartete Deckung finde.

Dieses Bedenken trifft zu.

Gemäß § 213 a Abs 1 ASVG gebührt eine Integritätsabgeltung in den Fällen, in welchen ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde und der Versicherte dadurch eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität erlitten hat, vorausgesetzt, daß wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalles oder dieser Berufskrankheit auch ein Anspruch auf Versehrtenrente besteht. Damit sind die Anspruchsvoraussetzungen abschließend festgelegt. § 213 a Abs 4 ASVG bestimmt nun zwar, daß der Verordnungsgeber bei Erlassung der näheren Bestimmungen zur Durchführung des Anspruches gemäß § 213 a Abs 1 und 2 ASVG "auf das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten" Bedacht zu nehmen hat. Daraus leiten der Bundesminister für Arbeit und Soziales und der Vorstand der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in ihren Äußerungen die Berechtigung des Verordnungsgebers ab, den Anspruch auf Integritätsabgeltung dann auszuschließen, wenn die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches zumutbar ist.

Diese Auffassung wird jedoch von der bezogenen Gesetzesstelle nicht getragen. Es ist zwar richtig, daß gemäß § 213 a Abs 4 ASVG die Richtlinien bei der "Durchführung der Abs 1 und 2, insbesondere über das Ausmaß der Leistung," auf das "wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten" Bedacht zu nehmen haben. Mit der Frage der Zumutbarkeit der Durchsetzung eines Schadenersatzanspruches, etwa aufgrund des Bestehens einer Rechtsschutzversicherung, hat dieses Kriterium jedoch nichts zu tun. Die wirtschaftliche Bedürftigkeit eines Versicherten ist (vielmehr) unabhängig davon zu beurteilen: Die Zumutbarkeit der Beschreitung des Klagsweges sagt nämlich nichts über die gegenwärtige ökonomische Situation des Versicherten aus. Darüber hinaus ergibt sich daraus auch nichts über die allfälligen Erfolgsaussichten der Beschreitung des Klagsweges. Die Wortfolge "wirtschaftliche Bedürfnisse der Versicherten" im § 213 a Abs 4 ASVG trägt demnach den § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien nicht.

Auch die von der Bundesregierung und vom Bundesminister für Arbeit und Soziales in ihren Äußerungen jeweils vorgebrachte und nicht weiter ausgeführte Behauptung, daß die aus den §§332 ff. ASVG ableitbaren Grundsätze eines Schadenverteilungssystems die bekämpfte Bestimmung decken, schlägt nicht durch. Abzuleiten ist aus diesen Vorschriften insbesondere nicht, daß im Falle des Bestehens eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches die Gewährung eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches ausgeschlossen ist. Der Vermeidung einer Doppelliquidation von (kongruenten) Ansprüchen dient - soweit nicht Ansprüche gegen den Schädiger schon gemäß § 333 ASVG nicht in Betracht kommen - die Legalzession iS des § 332 ASVG. Soweit darin der Übergang von Ansprüchen auf Schmerzengeld ausdrücklich ausgenommen wird, käme insoweit eine (teilweise) Doppelliquidation im Verhältnis zur Integritätsabgeltung in Betracht; da diese Möglichkeit aber vom Gesetzgeber durch die Regelung des § 332 Abs 1 letzter Satz ASVG ausdrücklich nicht ausgeschlossen wurde, kann sie

- gesetzeskonform - nicht vom Verordnungsgeber beseitigt werden. Letzterer hat sie zudem mit der Z 2 des § 1 Abs 2 der Richtlinien ebenfalls in Kauf genommen: Anspruchsberechtigt ist nämlich dieser Vorschrift zufolge derjenige, dem die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Anspruches billigerweise nicht zugemutet werden kann. Führt dieser ein unzumutbares Verfahren gleichwohl durch, so könnte es zu einer Doppelliquidation kommen, da für den Fall des Obsiegens eine Rückzahlungsverpflichtung für die empfangene Integritätsabgeltung nirgendwo vorgesehen ist. Die Gesetzmäßigkeit des so geregelten Ausschlusses wird demnach auch durch das in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument der Bundesregierung und des Bundesministers für Arbeit und Soziales nicht erwiesen.

Da § 1 Abs 2 Z 2 der Richtlinien somit der gesetzlichen Deckung entbehrt, war diese Vorschrift als gesetzwidrig aufzuheben.

4.2.3. In den Verfahren V352/94, V64/95 und V219/95 begehren die antragstellenden Gerichte die Aufhebung des § 2 Abs 1 der Richtlinien.

Die Bedenken gehen dahin, daß die Integritätsabgeltung funktionell den Ansprüchen nach den §§1325 letzter Halbsatz und 1326 ABGB gleiche, weshalb bei ihrer Bemessung eine Bezugnahme auf die Höhe der Versehrtenrente nicht sachgerecht sei. § 2 Abs 1 Z 1 der Richtlinien stelle einen gleichsam untrennbaren Zusammenhang des Grades des Integritätsschadens mit dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit her. Soweit durch die Integritätsabgeltung aber ideeller Schaden abgegolten werde, fehle die Verbindung zum Erwerbsschaden, und soweit die Integritätsabgeltung einen potentiellen Vermögensschaden ersetze, bestehe zwar ein Konnex zur Versehrtenrente, doch sei zu beachten, daß der Vermögensschaden in der Unfallversicherung nach anderen Kriterien als im allgemeinen Schadenersatzrecht ersetzt werde. Darüber hinaus sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit als Erwerbsschaden iSd § 203 Abs 1 ASVG kein Kriterium für die Ausmessung der Integritätsabgeltung und scheine auch folgerichtig im Gesetzestext nicht auf. Die Beeinträchtigung von Körperfunktionen, die Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes und die seelische Störung werde aber nach § 2 Abs 1 Z 2 bis 4 der Richtlinien nur in Form von Zuschlägen zu dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit berücksichtigt. Da das Gesetz ungeachtet des Umstandes, daß die Integritätsabgeltung einen Anspruch auf Versehrtenrente voraussetze (§213 a Abs 1 ASVG), keinen Anhaltspunkt dafür liefere, daß die Höhe des Erwerbsschadens bei der Ausmessung der Integritätsabgeltung zu berücksichtigen sei, sei der von der bekämpften Vorschrift der Richtlinien aufgestellte untrennbare Zusammenhang des Anspruches auf Integritätsabgeltung mit dem Ersatz des Erwerbsschadens durch eine Versehrtenrente im Hinblick auf das Legalitätsprinzip bedenklich.

Zunächst ergibt sich aus den Kriterien, an denen sich die Richtlinien gemäß § 213 a Abs 4 ASVG zu orientieren haben, wie auch aus den Gesetzesmaterialien (vgl. ASVG, MGA, Anm. 1 zu § 213 a ASVG), daß die Integritätsabgeltung einen Ersatz für die im allgemeinen aufgrund des Haftungsausschlusses iS des § 333 ASVG nicht zu erlangenden (und auch durch keine sonstige Leistung der gesetzlichen Sozialversicherung substituierten) Ansprüche auf Schmerzengeld (§1325 zweiter Halbsatz ABGB) und Entschädigung für Verhinderung besseren Fortkommens (§1326 ABGB) darstellen soll.

Es kann nun dem Gesetzgeber nicht der Vorwurf der Unsachlichkeit und dem Verordnungsgeber nicht der Vorwurf der Gesetzwidrigkeit gemacht werden, wenn er aus den unterschiedlichen Ausmaßen der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf entsprechende Unterschiede des Ausmaßes der Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität schließt, zumal es wegen der feststehenden Obergrenze der Integritätsabgeltung (gemäß § 3 Abs 3 der Richtlinien: das Doppelte der in der Unfallversicherung geltenden Höchstbeitragsgrundlage) im Einzelfall immer nur um das Verhältnis der Schwere der denkbaren Beeinträchtigungen zueinander geht. Die Erhöhung dieses, dem jeweiligen Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entsprechenden "Sockelbetrages" nach Maßgabe des Vorliegens der in § 2 Z 2 bis 4 der Richtlinien genannten Komponenten, nämlich des in der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht berücksichtigten besonderen Ausmaßes der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, des Grades der Verunstaltung und der unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung ist durchaus geeignet, die zunächst schematische Übertragung der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf die Bemessung der Integritätsabgeltung entsprechend den Umständen des Einzelfalls an diesen anzupassen. Dabei geht es nicht um einen vom Obersten Gerichtshof als unsachlich erachteten "untrennbaren Zusammenhang" mit dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit, der nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes nicht besteht; kann doch unter Berücksichtigung der ihrer Natur nach ohnehin nur sehr vergröbert möglichen Ermittlung des Ausmaßes der Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Integrität nicht gesagt werden, daß der für die Abstufung als eine Komponente herangezogene Beurteilungsmaßstab der Minderung der Erwerbsfähigkeit (in welchem sich letztlich die Schwere der körperlichen Beeinträchtigung zumindest annähernd abbildet, worauf der Bundesminister für Arbeit und Soziales und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in ihren Äußerungen unter Berufung auf die herrschende Lehre und Rechtsprechung mit Recht hinweisen) hiefür von vornherein ungeeignet oder sachwidrig wäre. Dies zeigt im übrigen auch die Rechtsprechung der Zivilgerichte zur "abstrakten Rente", deren Ermittlung sich ebenfalls - mangels eines besser geeigneten Kriteriums - im allgemeinen am Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit orientiert (vgl. die bei Dittrich - Tades, ABGB, MGA, unter E Nr. 181 und 196 - "Pieglersche Formel" - zu § 1325 zitierte Rechtsprechung; kritisch zur Frage des sachlichen Bezugspunktes Reischauer in Rummel II, Rz 34 zu § 1325, am Ende).

Es trifft - entgegen den Ausführungen des Obersten Gerichtshofes - auch nicht zu, daß dieses Kriterium im Gesetzestext keinen Niederschlag fände; ist doch in § 213 a Abs 4 ASVG ausdrücklich der "Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen" (nichts anderes findet im Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit im allgemeinen seinen Ausdruck) als einer der zu berücksichtigenden Belange erwähnt.

Die behauptete Gesetzwidrigkeit des § 2 Abs 1 der Richtlinien liegt damit nicht vor.

5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

6. Die Verpflichtung des Bundesministers für Arbeit und Soziales zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung ergibt sich aus Art 139 Abs 5 B-VG.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 2 lite VerfGG bzw. § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.