VfGH vom 08.10.2008, U5/08
Sammlungsnummer
18594
Leitsatz
Keine Bedenken gegen die in der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes geregelte Aufteilung von Rechtssachen innerhalb der Kammer S auf Einzelrichter; keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Missachtung des Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung; Verletzung im Recht nach Art 3 EMRK durch Zurückweisung eines Antrags eines schwarzafrikanischen Studenten auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit mangels Berücksichtigung der faktischen Situation im Drittstaat (hier: Russische Föderation); Mitgliedschaft zur Genfer Flüchtlingskonvention bzw Vorhandensein eines Asylgesetzes nicht ausreichend
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 3 EMRK verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer reiste am illegal in das
vsterreichische Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes (BAA) vom , Z 08 03.905 - BAG, wurde sein Antrag auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 4 Abs 1 AsylG 2005 (AsylG) als unzulässig zurückgewiesen (Spruchteil I), der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen und "demzufolge" seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 10 Abs 4 AsylG für zulässig erklärt (Spruchteil II).
Begründend führte das BAA aus, dass der Beschwerdeführer als Student in der Russischen Föderation befristet zum Aufenthalt berechtigt sei und ihm dort auch ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention offen stehe. Er genieße in der Russischen Föderation Drittstaatssicherheit iSd § 4 AsylG.
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS). Mit Entscheidung (Erkenntnis) vom , Z S 7 400.031-1/2008/2E, wies der Asylgerichtshof (AsylGH) die nunmehr als Beschwerde bezeichnete Berufung durch die Einzelrichterin Dr. L. gemäß §§4 und 10 AsylG ab.
In der angefochtenen Entscheidung geht der AsylGH hinsichtlich der Identität des Beschwerdeführers von Folgendem aus:
"Aufgrund der Vorlage sämtlicher als unbedenklich zu qualifizierender Dokumente steht fest, dass es sich beim Beschwerdeführer um S A A, geb. , Staatsangehöriger von Kenia handelt und ist dieser als Student in Russland befristet zum Aufenthalt berechtigt."
Ferner bestehe nach russischem Recht ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention, die auch die Russische Föderation ratifiziert habe. Das Verfahren nach diesem Gesetz entspreche den Grundsätzen der EMRK und deren Protokolle Nr. 6, 11 und 13. Sodann wird kurz der Inhalt des Gesetzes wiedergegeben und der Rechtsstandpunkt des AsylGH wie folgt zusammengefasst:
"Ergänzend ist in diesem Zusammenhang festzustellen, dass es sich im Falle der Russischen Föderation um einen Rechtsstaat mit funktionierender Staatsgewalt handelt und sich der Beschwerdeführer im Falle eventueller Bedrohung seiner Person, welche im übrigen in jedem Land möglich ist, an diese wenden und von dieser Schutz erwarten könnte.
Eine systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in der Russischen Föderation lässt sich keinesfalls erkennen und ist die Russische Föderation jedenfalls als sicherer Drittstaat zu werten. Zudem sei festgehalten, dass ein im besonderen Maße substantiiertes Vorbringen bzw. das Vorliegen besonderer vom Beschwerdeführer bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen ließen, im Verfahren nicht hervorgekommen sind.
Im Ergebnis sind zudem im vorliegenden Fall keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung i. S. d. § 10 Abs 2 AsylG 2005 ersichtlich, zumal weder ein - nicht auf das AsylG 2005 gestütztes - Aufenthaltsrecht aktenkundig ist, noch die Ausweisung des Beschwerdeführers eine Verletzung von Art 8 EMRK darstellt. Darüber hinaus liegen auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gem. § 10 Abs 3 AsylG 2005 vor. Bezüglich des in den Bescheidspruch aufgenommenen Ausspruches über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation wird bemerkt, dass die getroffene Ausweisung gem. § 10 Abs 4 erster Satz AsylG 2005 schon von Gesetzes wegen stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat gilt, weil diese mit einer Entscheidung gem. § 10 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 verbunden ist."
II. 1. Gegen diese Entscheidung des AsylGH vom , Z S 7 400.031-1/2008/2E, richtet sich die auf Art 144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer macht die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie Art 14 EMRK, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK), und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art 83 Abs 2 B-VG geltend.
2. Zum Sachverhalt führt der Beschwerdeführer aus:
"Der BF ist Staatsangehöriger von Somalia. Er floh unter Verwendung eines unter Verwendung eines Lichtbildes des BF, jedoch auf den Namen A A S ausgestellten kenianischen Reisepasses, welchen ihm ein Schlepper verschafft hatte, über ein ihm unbekanntes arabisches, sowie über ein ihm unbekanntes russischsprachiges Land (höchstwahrscheinlich die Russische Föderation) aus Somalia aus, um dem erzwungenen Einsatz als Soldat im somalischen Bürgerkrieg zu entgehen.
Der BF hält sich seit im Bundesgebiet auf. Am selben Tag stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des BAA vom , zu GZ 08 03.905.BAG zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde der BF in die Russische Föderation ausgewiesen, womit auch die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung dorthin festgestellt wurde. Das BAA ging davon aus, dass der BF tatsächlich kenianischer Staatsanghöriger sei und die aus dem verwendeten Reisepass ersichtliche Identität habe. Weiters nahm das BAA an, dass der BF in der Russischen Föderation ein Aufenthaltsrecht genieße, da der verwendete Reisepass ein seinem Inhalt nach gültiges (jedoch ebenfalls durch den Schlepper verschafftes und sohin in Wahrheit ungültiges) Studentenvisum aufweist. Der Antrag des BF wurde zurückgewiesen, da ihm in der Russischen Föderation die Möglichkeit offenstehe, einen Asylantrag zu stellen. Russland sei als sicherer Drittstaat iSd § 4 AsylG 2005 anzusehen."
3. Zur behaupteten Verletzung des Grundrechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander rügt der Beschwerdeführer willkürliches Verhalten des AsylGH. Der AsylGH habe in entscheidenden Punkten jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, habe Parteivorbringen ignoriert, das rechtliche Gehör verletzt, wesentliche Länderberichte über die tatsächliche Lage in der Russischen Föderation unbeachtet gelassen und ohne Ermittlungen die Russische Föderation als sicheren Drittstaat angesehen. In der Berufung sei ausgeführt worden, warum in der Russischen Föderation in der Praxis kein Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren bestehe und Abschiebungen in Staaten durchgeführt werden, in welchen die Betroffenen der Gefahr der Folter ausgesetzt seien. Allfällige Ermittlungsergebnisse seien nicht offen gelegt und der Beschwerdeführer hiezu nicht gehört worden.
Weiters sei der AsylGH auch hinsichtlich der Feststellung der Identität des Beschwerdeführers willkürlich vorgegangen.
Auch seien Menschen dunkler Hautfarbe in der Russischen Föderation tätlichen Angriffen, selbst durch die Sicherheitsbehörden, ausgeliefert.
Zur Auffassung des AsylGH, in der Russischen Föderation fänden keine notorischen Menschenrechtsverletzungen statt und sie sei ein sicherer Drittstaat, führt der Beschwerdeführer aus:
"Die Russische Föderation ist kein Rechtsstaat, sondern verletzt, wie dem AsylGH aus zahlreichen Asylverfahren russischer Staatsangehöriger bekannt ist, regelmäßig ihre Verpflichtungen nach der EMRK. Auch aus dem bereits erwähnten Menschenrechtsbericht des US Department of State vom ergibt sich, dass im Jahr 2007 sowohl seitens der Regierung, als auch der Zivilbevölkerung zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen wurden. Die Sicherheitskräfte verübten Tötungen, Folter, Missbrauch, Gewalt und andere grausame oder erniedrigende Behandlungen, wobei sie oft straflos agierten:
There were numerous reports of government and societal human rights problems and abuses during the year. Security forces reportedly engaged in killings, torture, abuse, violence, and other brutal or humiliating treatment, often with impunity.
Dies steht auch den Ausführungen des AsylGH auf S. 5 des angefochtenen Erkenntnisses, wonach der BF sich im Fall einer Rechtsverletzung in der Russischen Föderation an die dortigen Behörden wenden könne, entgegen. Bereits im Rahmen der Berufung wurde darauf hingewiesen, dass rassistische Straftaten in der Russischen Föderation auch deshalb oft ungesühnt bleiben, weil die Sicherheitskräfte entsprechende Anzeigen gar nicht erst entgegennehmen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die der AsylGH sich sohin entweder mit dem Akteninhalt überhaupt nicht auseinandergesetzt, oder den konkreten Sachverhalt außer Acht gelassen hat. Ihm ist daher entweder eine in die Verfassungssphäre reichende Fehlerhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens anzulasten, oder aber hatte er Kenntnis über den Akt und ist ihm in diesem Fall gehäufte Verkennung der Rechtslage vorzuwerfen.
Ein willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. auch dann vor, wenn sie die Rechtslage gehäuft verkennt, aber auch eine denkunmögliche Gesetzesanwendung kann Willkür indizieren (VfSlg. 9561/1982, 14.573/1996).
Sollte die belangte Behörde im angefochtenen Erkenntnis die Rechtsansicht vertreten haben, dass es bei der Beurteilung der Drittstaatssicherheit allein auf die in einem Staat geltende Rechtslage, jedoch nicht auf die tatsächliche Verwaltungspraxis ankomme, so würde dies eine gehäufte Verkennung der Rechtslage darstellen.
Untermauert wird das willkürliche Vorgehen durch einen - in einem im Wesentlichen auf gleichen Sachverhaltselementen basierendes Verfahren bezüglich eines anderen somalischen Staatsangehörigen, welcher ebenfalls unter Verwendung eines kenianischen Reisepasses samt russischem Studentenvisum über die Russische Föderation nach Vsterreich einreiste und dessen Antrag ebenfalls aufgrund vermeintlicher Drittstaatssicherheit in erster Instanz zurückgewiesen worden war ergangenen - Beschluss, die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Der in jenem Verfahren zuständige Richter, Dr. C F, welcher der Vorsitzende der für alle Sonderverfahren zuständigen Kammer S des Asylgerichtshofes ist, erkannte der gegen den Bescheid des BAA erhobenen Berufung (nunmehr: Beschwerde) gemäß § 37 Abs 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung mit folgender Begründung zu:
'Die Ansicht der Erstbehörde, wonach - basierend auf einer primär auf formale Kriterien abstellenden Auskunft der Staatendokumentation - die Russische Föderation als sicherer Drittstaat im Sinn des § 4 AsylG 2005 anzusehen sei, kann prima facie ohne nähere Prüfung nicht geteilt werden. Ob die verwendeten Berichte ausreichen, um auch in Hinblick auf die ungeklärte Identität des Beschwerdeführers im Falle der Abschiebung in die Russische Föderation, das reale Risiko einer Verletzung des Art 3 EMRK zu verneinen, kann zum Entscheidungszeitpunkt nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt werden, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.'"
4. Zur behaupteten Verletzung des Art 3 EMRK führt der Beschwerdeführer zahlreiche Quellen an, die widerlegen sollen, dass die Russische Föderation ein Rechtsstaat und ein sicherer Drittstaat sei, und dass Menschen dunkler Hautfarbe Angriffen nicht bloß der Zivilbevölkerung, sondern auch der Sicherheitskräfte ausgesetzt seien.
5. Zur behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) führt der Beschwerdeführer Folgendes aus:
"a) Mangelnde Bestimmtheit der Zuständigkeitsbestimmungen
Gemäß § 13 Abs 1 Z 3 ist im Rahmen der durch den Geschäftsverteilungsausschuss des Asy1GH zu beschließenden Geschäftsverteilung die Verteilung der dem Asylgerichtshof zufallenden gerichtlichen Geschäfte auf die Einzelrichter und Senate zu regeln.
Der (in Beilage übermittelten) Geschäftsverteilung des Asy1GH für das Jahr 2008 ist jedoch nicht schlüssig zu entnehmen, nach welchen Kriterien und durch welches Organ des AsylGH die gegenständliche Rechtssache, welche vor dem vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig war, jener Richterin zugeteilt wurde, welche das angefochtene Erkenntnis erlassen hat.
Da die Zuständigkeit der Richterin, welche das angefochtene Erkenntnis erlassen hat, nicht feststeht, ist der BF durch dieses in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
b) Entscheidung durch Einzelrichterin anstatt Grundsatzentscheidung
Wie schon oben unter l a ausgeführt genügt es nach der ständigen Judikatur zur 'Drittstaatssicherheit' nicht, lediglich auf die formalen Kriterien wie die Einrichtung eines gesetzlichen Verfahrens zur Asylerlangung abzustellen wie das im bekämpften Erkenntnis geschehen ist.
Sofern die belangte Behörde von der ständigen Rechtsprechung des VwGH hinsichtlich der Frage, wann die Asylbehörden von einem sicheren Drittstaat ausgehen können, abgehen wollte, handelt es sich dabei um eine Rechtsfrage sowohl im Sinne des Abs 1 als auch Abs 2 § 42 Asy1G 2005 idF BGBl I 2008/4 und hätte dies daher in Form einer Grundsatzentscheidung erfolgen müssen.
Indem die belangte Behörde das angefochtene Erkenntnis in Form einer einzelrichterlichen Entscheidung anstatt in Form einer Grundsatzentscheidung trifft, verletzt sie das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht des BF auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:
1. Die Beschwerde gegen den Bescheid des BAA vom ist beim UBAS eingelangt und wurde mit Entscheidung der Einzelrichterin Dr. L. des AsylGH vom erledigt. In der Entscheidung durch eine Einzelrichterin und speziell durch diese Einzelrichterin erblickt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundrechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) in zweierlei Hinsicht:
Zunächst stehe nach der Geschäftsverteilung des AsylGH nicht fest, dass die Einzelrichterin, die über die Rechtssache entschieden habe, überhaupt zuständig gewesen sei. Ferner sei sie hinsichtlich der Auslegung des Begriffs des sicheren Drittstaates von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Ein solches Abweichen hätte aber nur in Form einer Grundsatzentscheidung im Sinne der Abs 1 und 2 des § 42 AsylG durch einen verstärkten Senat erfolgen dürfen.
2. Der Behauptung des Beschwerdeführers, durch Missachtung des Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, ist Folgendes zu erwidern:
2.1 Mit dem Bundesverfassungsgesetz BGBl. I 2/2008 wurde ein AsylGH geschaffen. Nach Art 129c B-VG in der Fassung dieses Bundesverfassungsgesetzes erkennt der AsylGH nach Erschöpfung des Instanzenzuges:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
"1. | über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen, | |||||||||
2. | über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in Asylsachen." |
Die damit zusammenhängende Übergangsregelung des Art 151 Abs 39 Z 1 und 4 B-VG lautet:
"1. Mit wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.
...
4. Am beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Verfassungsgerichtshof anhängige Verfahren über Beschwerden gegen Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates sind von diesen mit der Maßgabe weiterzuführen, dass als belangte Behörde der Asylgerichtshof gilt."
2.2 Art 129e Abs 2 B-VG idF BGBl. I 2/2008 sieht für den AsylGH die Entscheidung durch Senate oder Einzelrichter sowie (in Nachbildung des Art 87 Abs 3 B-VG) den Grundsatz der festen Geschäftsverteilung vor. Diese Bestimmung lautet:
"(2) Die Geschäfte sind durch die Vollversammlung oder deren Ausschuss auf die Einzelrichter und die Senate für die durch Bundesgesetz bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen. Eine nach dieser Geschäftsverteilung einem Mitglied zufallende Sache darf ihm nur im Fall seiner Verhinderung oder dann abgenommen werden, wenn es wegen des Umfangs seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist."
Art 129f B-VG idF BGBl. I 2/2008 lautet:
"Die näheren Bestimmungen über die Organisation und das Verfahren des Asylgerichtshofes werden durch Bundesgesetz getroffen."
2.3 In Durchführung der novellierten Bestimmungen des B-VG erging das Asylgerichtshofgesetz, Art 1 des Bundesgesetzes BGBl. I 4/2008 (AsylGHG). Dieses sieht die Entscheidung durch Einzelrichter, Senate und Kammersenate vor.
§ 9 Abs 1 und 2 AsylGHG lautet:
"Senate und Kammersenate
§ 9. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten, sofern
bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.
(2) Jeder Senat besteht aus einem Richter als Vorsitzenden und einem weiteren Richter als Beisitzer. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens ein Ersatzmitglied (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen."
Die Zuweisung einzelner Rechtssachen erfolgt auf Grund einer von einem Geschäftsverteilungsausschuss zu beschließenden Geschäftsverteilung (§13 AsylGHG).
2.4 § 61 AsylG regelt die Aufteilung der Rechtssachen zwischen jenen, die durch Senat, und jenen, die durch Einzelrichter zu entscheiden sind. § 61 Abs 3 AsylG, der die Zuständigkeit der Einzelrichter bestimmt, lautet:
"(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen
1. zurückweisende Bescheide
Tabelle in neuem Fenster öffnen
a) | wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4; | |||||||||
b) | wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5; | |||||||||
c) | wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG, und |
Tabelle in neuem Fenster öffnen
2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung." |
Ferner wurde mit Art 2 des Bundesgesetzes BGBl. I 4/2008 dem § 75 AsylG ein Abs 7 angefügt, der regelt, wie Rechtssachen weiterzuführen sind, die am beim UBAS anhängig waren.
Diese Bestimmung lautet:
"(7) Am beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
1. | Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen. | |||||||||
2. | Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen. | |||||||||
3. | Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen." |
2.5 Die ab dem geltende Geschäftsverteilung enthält in § 35 eine Übergangsbestimmung für die Zuteilung der beim UBAS anhängigen Rechtssachen. Nach Abs 2 Z 3 sind so genannte Sonderverfahren ausschließlich den Richtern der Kammer S zuzuteilen. Nach § 1 Z 1 der Geschäftsverteilung sind Sonderverfahren Rechtssachen betreffend die Unzuständigkeit Österreichs (§§4 und 5 AsylG).
Im vorliegenden Fall hatte das BAA den Antrag auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 4 Abs 1 AsylG im Spruchteil I als unzulässig zurückgewiesen. Da die Rechtssache somit vor dem AsylGH als Sonderverfahren zu behandeln war, wurde die Rechtssache zu Recht der Kammer S zugewiesen.
2.6 Es bleibt somit die Frage zu beantworten, ob die Aufteilung der Geschäfte innerhalb der Kammer S auf die einzelnen Richter unter Verletzung des Grundsatzes der festen Geschäftsverteilung erfolgte, und ob zutreffenden Falles der Beschwerdeführer dadurch in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 83 Abs 2 B-VG verletzt wurde.
Der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung bedeutet, dass die Verteilung der Geschäfte auf die einzelnen Spruchkörper durch Regeln, nämlich durch den Beschluss über die Geschäftsverteilung, von vornherein feststehen muss, dass in der Folge niemand Einfluss auf die Verteilung der Geschäfte nehmen kann und dass ferner die Einhaltung dieser Regeln nachprüfbar sein muss. Ausgenommen sind lediglich die in Art 87 Abs 3 zweiter Satz B-VG vorgesehenen besonderen Fälle der Verhinderung oder Überlastung eines Richters.
2.7 Die Geschäftsverteilung des AsylGH enthält - entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers - hinreichend bestimmte Regeln, die eine dem Grundsatz der festen Geschäftsverteilung entsprechende Zuteilung ermöglichen:
Sie sieht zwei Zuteilungssysteme vor, eines für Sonderverfahren in der Kammer S und eines für alle anderen Rechtssachen (§13). Die §§16 und 17 der Geschäftsverteilung regeln die Zuteilung der Rechtssachen auf die einzelnen Richter. Nach § 16 Abs 1 sind Rechtssachen der Kammer S im Zuteilungssystem für Sonderverfahren vor jenem im Allgemeinen Zuteilungssystem zuzuordnen. Abs 2 des § 16 sieht die Zuteilung nach Herkunftsstaaten bzw. nach Familiennamen, Vornamen und Geburtsdatum vor. Von dieser Art der Zuteilung kann aber die Kammer S nicht betroffen sein, da die Liste der Richter der Kammer S nicht nach derartigen Kriterien gegliedert ist (§4 Abs 6 der Geschäftsverteilung). Vielmehr erfolgt innerhalb der Kammer S die Aufteilung auf die einzelnen Richter ausschließlich nach der Belastung (§17 Abs 5 der Geschäftsverteilung), wobei die beim UBAS anhängig gewesenen Rechtssachen im Wege der elektronischen Verfahrensadministration zugeteilt werden (§35 Abs 2 der Geschäftsverteilung).
§ 17 Abs 5 der Geschäftsverteilung lautet:
"(5) Jede weitere Rechtssache wird jenem Richter zugeteilt, der den niedrigsten Zuteilungsstand unter den Richtern hat, in deren Zuständigkeitsbereich die Rechtssache fällt. Haben mehrere Richter den gleichen Zuteilungsstand, so ist die Reihenfolge der Richter in § 4 maßgeblich. Richtern, für die eine Vorwegzuteilung vorgesehen ist (§18), sind die in Frage kommenden Rechtssachen zuerst zuzuteilen."
Der Verfassungsgerichtshof hegt keine Bedenken dagegen, dass die Verteilung gemäß § 17 Abs 5 der Geschäftsverteilung nach der Belastung der Richter des AsylGH erfolgt. Auch dieses System gewährleistet, dass bereits im Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde feststeht, dass diese demjenigen Mitglied der Kammer S des AsylGH mit dem niedrigsten Zuteilungsstand - bei gleichem Zuteilungsstand nach der Reihenfolge, die in § 4 der Geschäftsverteilung festgelegt ist - zugeteilt wird. Damit sind verpönte Einflussnahmen ausgeschlossen.
Somit steht nach der Geschäftsverteilung entgegen der Meinung des Beschwerdeführers auch von vornherein fest, wie die Rechtssachen innerhalb der Kammer S auf Einzelrichter aufzuteilen sind. Der jeweils aktuelle Zuteilungsstand ist ein objektives und daher nachprüfbares Kriterium.
2.8 Im konkreten Fall macht der Beschwerdeführer geltend, dass aus der Geschäftsverteilung nicht schlüssig zu entnehmen sei, nach welchen Kriterien die Rechtssache zugeteilt ist. Dies ist - wie aufgezeigt - unrichtig. Die Beschwerde enthält keine Angaben, die Anlass für einen Zweifel bieten würden, dass die Rechtssache nicht auch tatsächlich nach § 17 Abs 5 der Geschäftsverteilung korrekt jener Einzelrichterin, die entschieden hat, zugeteilt wurde, zumal die Zuteilung in der elektronischen Verfahrensadministration erfolgte.
3. Es bleibt noch zu prüfen, ob der Beschwerdeführer in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt ist.
3.1 Die Beschwerde macht unter anderem eine Verletzung des Art 3 EMRK geltend.
Das gemäß Art 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, wird durch eine Entscheidung des AsylGH verletzt, wenn eine Entscheidung in Anwendung eines der genannten Verfassungsvorschrift widersprechenden Gesetzes ergangen ist, wenn sie auf einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn dem AsylGH grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind (vgl. zur früheren Rechtslage VfSlg. 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998 und 16.384/2001).
Solche grobe Verfahrensfehler sind dem AsylGH vorzuwerfen:
3.2 Aus § 4 AsylG ergibt sich, dass ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen werden kann, ohne dass auf die Sache materiell eingegangen wird, wenn der Asylwerber aus einem sicheren Drittstaat einreist. Bei der Beurteilung der Drittstaatssicherheit kommt es nicht allein auf die formalen Kriterien der Mitgliedschaft zur Genfer Flüchtlingskonvention, der Abgabe einer Erklärung nach Art 52 EMRK und das Vorhandensein eines Asylgesetzes an, sondern es ist darauf abzustellen, ob der Schutz auch tatsächlich gewährt wird. Dazu müssen die Asylbehörden laufend Vorkehrungen dafür treffen, dass ihnen einschlägige Informationen namhafter Stellen unverzüglich zukommen, die eine Beurteilung der faktischen Situation erlauben. Fehlen vertrauenswürdige Informationen, so muss der AsylGH selbst weitere Ermittlungen durchführen (vgl. auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Z 98/01/0284, u.v.a.).
3.3 Die angefochtene Entscheidung begründet die Drittstaatssicherheit im Wesentlichen damit, dass die Russische Föderation ein Mitgliedstaat der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der EMRK ist und ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings besteht.
Soweit die Begründung darüber hinausreicht, indem der AsylGH feststellt, es gebe in der Russischen Föderation keine systematischen, notorischen Verletzungen fundamentaler Menschenrechte und dieser Staat sei ein Rechtsstaat (vgl. Punkt I. 3. oben), handelt es sich um bloße Behauptungen, denen keine entsprechenden Ermittlungen zu Grunde liegen. Diese Behauptungen sind auch nicht durch konkrete Nachweise belegt. Der AsylGH geht nämlich weder auf das konkrete und durch umfangreiche Dokumentationen belegte Vorbringen - insbesondere auf die in der Berufung aufgezeigten Berichte - ein, mit dem eine Widerlegung der Drittstaatssicherheit versucht wird, noch untersucht er, ob die Grundsätze der EMRK nicht bloß "am Papier" bestehen, sondern auch tatsächlich umgesetzt wurden. Länderberichte und Amtswissen über die Situation in der Russischen Föderation bleiben unberücksichtigt. Der AsylGH vertritt ganz offensichtlich die Ansicht, dass die Prüfung der faktischen Situation und das Vorbringen des Beschwerdeführers auf Grund der Gesetzeslage in der Russischen Föderation irrelevant sind.
3.4 Diese groben Verfahrensfehler führen dazu, dass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 3 EMRK verletzt ist.
3.5 Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Vorbringen in der Beschwerde nicht mehr einzugehen.
IV. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.