VfGH vom 27.09.2013, U2234/2012 ua
19793
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Ausweisung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin in die Russische Föderation mangels hinreichender Ermittlungen zur konkreten Situation dieser beiden minderjährigen Beschwerdeführer sowie Außerachtlassung entscheidungswesentlicher Sachverhaltselemente; im Übrigen Ablehnung der Beschwerdebehandlung
Spruch
I. 1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind durch die angefochtenen Entscheidungen, soweit damit die Abweisung ihrer Beschwerde betreffend die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgesprochen wird, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973).
Die Entscheidungen werden insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Die Anträge der Einschreiter zu 3. bis 6. auf Bewilligung der Verfahrenshilfe werden abgewiesen.
III. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.640,− bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Einschreiter sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der Volksgruppe der Tschetschenen. Die minderjährigen Einschreiter sind Geschwister, die Sechsteinschreiterin ist ihre Mutter. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sowie der Dritt- und der Vierteinschreiter reisten gemeinsam mit ihrer Mutter am in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag Asylanträge. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes jeweils vom wurden die Asylanträge gemäß § 7 Abs 1 Asylgesetz 1997, BGBl I 76, idF BGBl I 101/2003 (im Folgenden: AsylG 1997) abgewiesen (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs 1 leg.cit. festgestellt, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II), sowie gemäß § 8 Abs 2 leg.cit. die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation verfügt (Spruchpunkt III). Der Ehemann der Sechsteinschreiterin bzw. der Vater der übrigen Einschreiter war von der Familie getrennt worden und brachte nach seiner Einreise am einen Antrag auf internationalen Schutz ein, welcher nicht Gegenstand des hg. Verfahrens ist.
2. Die Fünfteinschreiterin wurde am in Österreich geboren und brachte einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Ihr Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005, BGBl I 100, (im Folgenden: AsylG 2005) abgewiesen und der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I) sowie gemäß § 8 Abs 1 Z 1 leg.cit. der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 wurde die Fünfteinschreiterin aus dem österreichischen Bundesgebiet "nach Russland" ausgewiesen (Spruchpunkt III).
3. Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen bzw. Beschwerden wurden mit Entscheidungen des Asylgerichtshofes jeweils vom nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der die Sechsteinschreiterin und ihr Ehemann befragt wurden, abgewiesen. Die Entscheidungen ergingen hinsichtlich Spruchpunkt III jeweils mit der Maßgabe, dass sich die Ausweisung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin sowie der Dritt-, Viert- und Sechsteinschreiter auf § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 zu stützen hatte.
Zu Spruchpunkt I führt der Asylgerichtshof begründend aus, dass das Fluchtvorbringen der Sechsteinschreiterin und ihres Ehemannes, wonach sie im Zusammenhang mit deren behaupteter Hilfstätigkeit für die Widerstandsbewegung in das Blickfeld der russischen Behörden geraten seien, einerseits auf Grund von widersprüchlichen Angaben sowie mangelnder Plausibilität und Nachvollziehbarkeit der Ausführungen über weite Strecken nicht den Tatsachen entspreche, andererseits selbst unter der Prämisse der Glaubwürdigkeit des dargelegten Vorbringens keine Verfolgung im asylrelevanten Ausmaß drohe. Darüber hinaus stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative außerhalb von Tschetschenien innerhalb der russischen Föderation – im konkreten Fall in Inguschetien, wo die Einschreiter zwischen 2001 und August 2004 gelebt hatten – zur Verfügung. Die minderjährigen Einschreiter hätten keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht und seien daher auf die Begründungen in den Entscheidungen hinsichtlich der Eltern zu verweisen.
Hinsichtlich Spruchpunkt II stellt der Asylgerichtshof fest, den Länderfeststellungen zur Situation in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien sei nicht zu entnehmen, dass die Einschreiter in eine menschenrechtswidrige Lage geraten könnten, es ergäben sich auch keine Hinweise für eine Erkrankung oder einen medizinischen Handlungsbedarf. Die minderjährigen Einschreiter befänden sich in einem Alter, in dem ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass eine Sozialisation im Herkunftsstaat möglich sein werde, wobei die Eltern sowie weitere im Herkunftsstaat aufhältige Verwandte behilflich sein könnten. Es lägen daher keine außergewöhnlichen Umstände vor, die ein Abschiebungshindernis bilden könnten.
In seiner Begründung zu Spruchpunkt III hält der Asylgerichtshof zunächst fest, dass ein Eingriff in das Familienleben der Einschreiter auf Grund der gleichzeitigen Ausweisung nicht vorliege. Hinsichtlich ihres im Rahmen des achtjährigen Aufenthaltes in Österreich entstandenen Privatlebens sei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art 8 Abs 2 EMRK vorzunehmen.
Im Rahmen dieser Interessenabwägung hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers führt der Asylgerichtshof wörtlich Folgendes aus:
"Im Fall des Beschwerdeführers, der sich mit seinen elf Jahren in einem anpassungsfähigen Alter befindet, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass dieser in Österreich bereits verfestigte soziale Beziehungen hätte. Solche wurden von seinen Eltern auch nicht vorgetragen. Abgesehen vom Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und den damit einhergehenden Deutschkenntnissen und dem Hinweis, dass der Beschwerdeführer an einem von der Caritas ins Leben gerufenen 'Kinderprojekt VAKRUG' in der Flüchtlingsunterkunft teilnimmt und im Rahmen eines Integrationsprojektes Ferien auf einem Reithof verbringt, finden sich keine Anknüpfungspunkte für eine außergewöhnliche Integration des Beschwerdeführers. Dessen Ausweisung, welche insbesondere gemeinsam mit seinen Eltern erfolgt, stellt sohin keinen Eingriff in das durch Art 8 EMRK gewährleistete Recht auf sein Privatleben dar. Ein Vergleich der Verhältnisse in Österreich zu jenen in seinem Herkunftsstaat führt darüber hinaus zu dem Schluss, dass der minderjährige Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat über ein Privat- und Familienleben verfügt, da nahe Verwandte mütterlicherseits und väterlicherseits nach wie vor in Tschetschenien und in Inguschetien leben. Es ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer – mit Hilfe seiner Eltern und Familie – eine Relokation im Herkunftsstaat möglich sein wird. Zudem muss in diesem Zusammenhang ausgeführt werden, dass sich der Beschwerdeführer mit seinem Alter von elf Jahren in einem anpassungsfähigen Alter befindet, welches ihm die Integration in die heimatlichen Gesellschaftsstrukturen erleichtern wird. Der Beschwerdeführer hat auch seine ersten Lebensjahre im Herkunftsstaat verbracht.
Der erkennende Senat übersieht nicht, dass der minderjährige Beschwerdeführer den Großteil seines bisherigen Lebens in Österreich verbracht hat. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass aufgrund des noch sehr jungen, mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbundenen Alters des Beschwerdeführers davon ausgegangen werden kann, dass für den Beschwerdeführer der Übergang zu einem Leben im Herkunftsstaat – nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – nicht mit unzumutbaren Härten verbunden wäre (vgl. etwa EGMR , 43.279/98, Sarumi gegen Vereinigtes Königreich: In dieser Zulässigkeitsentscheidung attestierte der Europäische Gerichtshof Kindern im Alter von 7 Jahren und 11 Jahren eine Anpassungsfähigkeit, die eine Rückkehr mit ihren Eltern aus England, wo sie geboren wurden, nach Nigeria als keine unbillige Härte erschienen ließ; vgl. auch Zl. 2009/21/0216; , Zl. 2008/21/0081; , Zl. 2006/01/0216). Aufgrund seiner altersgemäßen Anpassungs- und Lernfähigkeit ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, der derzeit in Österreich die Volksschule besucht, auf lange Sicht gesehen nicht mit unüberwindbaren Schwierigkeiten konfrontiert wäre. Zudem bedarf der Beschwerdeführer aufgrund seines Alters weiterhin der Unterstützung seiner Eltern, welche wiederum ebenfalls von einer Ausweisung in die Russische Föderation betroffen sind, da die in deren Verfahren durchgeführte Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK zugunsten einer Aufenthaltsbeendigung ausgegangen ist, woraus wiederum eine beträchtliche Relativierung der privaten Interessen des Minderjährigen an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet resultiert.
Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen hingegen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt ( Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 § 1666 Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren soziookönomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).
Insgesamt sind somit keine unzumutbaren Härten in einer Ausweisung in den Herkunftsstaat zu erblicken und überwiegen in Anbetracht all dieser Umstände nach Ansicht des erkennenden Senates die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf (vgl. dazu im Allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien ).
Die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat ist somit nach Auffassung des Asylgerichtshofes aus dem Blickwinkel des Art 8 EMRK zulässig."
Die Begründung der Entscheidung über die Ausweisung der zehnjährigen Zweitbeschwerdeführerin ist inhaltlich wortgleich.
4. Gegen diese Entscheidungen brachten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin eine Beschwerde gemäß Art 144a B-VG ein, in der sie die Verletzung in ihren durch Art 1 und 4 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, Art 24 GRC und Art 8 EMRK sowie in den durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 gewährleisteten Rechten behaupten. Alle Einschreiter stellten im Übrigen Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe.
Begründend führt die Beschwerde aus, es bestehe eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, das Kindeswohl bei allen Maßnahmen, welche ein Kind betreffen, vorrangig zu beachten, weshalb der Asylgerichtshof verpflichtet gewesen wäre, darzulegen, warum im Einzelfall die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung des Kindes schwerer wögen als das Interesse des Kindes an der Fortsetzung seines Aufenthaltes. Hiebei sei inhaltlich eine Interessenabwägung vorzunehmen, welche die Interessen des Kindes vorrangig zu prüfen habe und ihnen somit besonderes Gewicht verleihe. Der Asylgerichtshof hätte eigenständige Erhebungen zu den Lebensumständen der Kinder durchführen müssen. Der Asylgerichtshof habe jedoch einerseits die Kindeswohlprüfung unterlassen, andererseits keine ordnungsgemäße Interessenabwägung durchgeführt, indem er nicht alle maßgeblichen Kriterien berücksichtigt habe. Des Weiteren seien die Beschwerdeführer dadurch in ihren Rechten verletzt worden, dass weder eine eigenständige Befragung der Minderjährigen noch eine Befragung der Eltern zur Integration der Kinder stattgefunden habe.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien im Alter von zweieinhalb bzw. dreieinhalb Jahren nach Österreich eingereist und seien mittlerweile elfeinhalb bzw. zehneinhalb Jahre alt. Sie seien in Österreich aufgewachsen und hätten hier sowohl den Kindergarten besucht als auch die gesamte Volksschule erfolgreich absolviert. Alle fünf Kinder würden mit Deutsch als erster Sprache aufwachsen, sie sprächen untereinander und mit der Mutter Deutsch. Bis auf den Dritteinschreiter beherrschten alle Kinder Tschetschenisch äußerst schlecht, sie verfügten nur über passive Sprachkenntnisse, ihr aktiver Wortschatz sei aber stark eingeschränkt. Russisch sprächen die Kinder kaum bis gar nicht. Die minderjährigen Einschreiter hätten überhaupt keine Kontakte in die Russische Föderation. Es könne auch nicht mehr von einer ausreichenden Anpassungsfähigkeit der mittlerweile elfeinhalb und zehneinhalbjährigen Geschwister ausgegangen werden, die auf Grund des vollständigen Besuchs des Kindergartens und der Volksschule sowie von Teilen der Mittelschule wesentliche Teile ihrer Kindheit und Jugend in Österreich verbracht hätten. Die familiäre Situation der Beschwerdeführer sei schwierig, da der Vater suchtgiftabhängig sei und immer wieder getrennt von der Familie lebe. Er sei nicht dazu in der Lage, seine Familie zu unterstützen. Die Sechsteinschreiterin habe sich daher inzwischen auch im Interesse ihrer Kinder von ihrem Mann getrennt, der beschlossen habe, in den Herkunftsstaat zurückzukehren.
5. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragte.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Ausweisung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation richtet, begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof bei der Abweisung der Beschwerde gegen die Bescheide des Bundesasylamtes betreffend die Ausweisung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation unterlaufen:
2.1. Der Sechsteinschreiterin wurden im Rahmen der vor dem Asylgerichtshof am durchgeführten mündlichen Verhandlung lediglich die folgenden allgemeinen Fragen zur eigenen Integration gestellt: "Gehen Sie oder Ihr Gatte einer legalen Beschäftigung nach? Haben Sie eine Ausbildung absolviert, was können Sie uns über Ihre Integration in Österreich berichten?" Ihre Kinder betreffend gab die Sechsteinschreiterin in diesem Zusammenhang an, dass diese sehr gut und im Übrigen zu Hause immer Deutsch sprächen. Eine darüber hinausgehende Befragung zur Lebenssituation der Kinder fand hingegen nicht statt, noch wurden sonstige konkreten Ermittlungsschritte zur Erhebung ihres Integrationsstandes getätigt. Die Eltern wurden lediglich auf Grund des verstrichenen Zeitraums im darauffolgenden Jahr schriftlich aufgefordert, bekanntzugeben, inwieweit es zu Veränderungen betreffend ihre Integration oder jene ihrer Familienangehörigen gekommen sei. Von Seiten der Beschwerdeführer wurden daraufhin mit Stellungnahme vom Unterlagen betreffend die Integration der Beschwerdeführer, darunter Zeugnisse und Unterlagen betreffend ihre Teilnahme an einem Kinderprojekt, vorgelegt.
2.2. Der Asylgerichtshof hat es in der Folge unterlassen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin über Kenntnisse der tschetschenischen respektive russischen sowie – für den Fall der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Inguschetien – der inguschischen Sprache verfügen. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind in der Russischen Föderation geboren und reisten im Alter von drei bzw. zwei Jahren gemeinsam mit der Mutter aus. Wenn der Asylgerichtshof im Rahmen der Interessenabwägung daher darauf hinweist, dass beide ihre ersten Lebensjahre im Herkunftsstaat verbracht hätten, so ist auf Grund des geringen Lebensalters aus diesem Argument nichts zu gewinnen. Der Asylgerichtshof hat sich auch in keiner Weise dazu geäußert, dass die lange Verfahrensdauer von knapp acht Jahren (in denen keine einzige rechtskräftige Entscheidung ergangen ist) nicht von den minderjährigen Beschwerdeführern zu verantworten ist (vgl. VfSlg 19.203/2010, 19.612/2011).
2.3. Der Asylgerichtshof hat daher, indem er es einerseits unterlassen hat, hinreichende Ermittlungen zur konkreten Situation des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin anzustellen, und andererseits entscheidungswesentliche Sachverhaltselemente außer Acht gelassen hat, Willkür geübt.
B. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art 144a B VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs 2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG).
C. Die Anträge der Dritt- bis Sechsteinschreiter auf Bewilligung der Verfahrenshilfe werden abgewiesen.
1. Die Dritt- bis Sechsteinschreiter beantragen die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung von Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof gegen die oben bezeichneten Entscheidungen des Asylgerichtshofes.
2. Unter Bedachtnahme auf die dem Verfassungsgerichtshof zur Verfügung stehenden Unterlagen besteht kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass die Entscheidungen auf einer rechtswidrigen generellen Norm beruhen oder dass bei der Gesetzeshandhabung ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen wäre; es ergeben sich vielmehr ausschließlich Fragen der richtigen Rechtsanwendung, die jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich des Verfassungsgerichtshofes fallen. Eine Rechtsverfolgung durch Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erscheint somit als offenbar aussichtslos, zumal bei der gegebenen Lage sogar die Ablehnung der Beschwerdebehandlung zu gewärtigen wäre.
3. Die Anträge sind sohin mangels der Voraussetzungen des § 63 Abs 1 ZPO (§35 Abs 1 VfGG) abzuweisen.
4. Auf Spruchpunkt I. dieser Entscheidung wird mit Blick auf § 34 AsylG 2005 und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen für die vorliegenden Fälle hingewiesen.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind durch die angefochtenen Entscheidungen, soweit damit die Beschwerde gegen die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung abgewiesen wird, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Die angefochtenen Entscheidungen sind daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und werden die Verfahrenshilfeanträge der Dritt- bis Sechsteinschreiter abgewiesen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG bzw. § 19 Abs 3 Z 1 iVm § 31 letzter Satz VfGG bzw. § 72 Abs 1 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 200,– sowie Umsatzsteuer in Höhe von € 440,– enthalten.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2013:U2234.2012