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VfGH vom 11.12.2013, U1778/2013

VfGH vom 11.12.2013, U1778/2013

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung des Asylantrags eines somalischen Staatsangehörigen wegen Drittstaatsicherheit und Ausweisung in die Schweiz mangels hinreichender Auseinandersetzung mit dem Aspekt der Asylberechtigung eines in Österreich lebenden minderjährigen Kindes des Asylwerbers im Hinblick auf die gegebenenfalls gebotene Ausübung des Selbsteintrittsrechts

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Ent scheidung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs 1 Bundesverfassungs gesetz BGBl 390/1973). Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerde führer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozess kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen somalischen Staatsan gehörigen, dem nach eigenen Angaben in der Schweiz subsidiärer Schutz gewährt wurde und über ein für die Schweiz gültiges Visum für die den Zeitraum vom bis verfügte. Am stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Im Rahmen seiner Einvernahme gab er zu Protokoll, dass er im August 2011 in Österreich seine Frau konfessionell geheiratet habe, die inzwischen in Österreich als Flüchtling anerkannt sei und am seine Tochter geboren worden sei, der ebenfalls der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei.

2. Auf das vom Bundesasylamt an die Schweiz gerichtete Wiederaufnahme gesuch erklärte sich die Schweiz gemäß Art 16 Abs 1 lite der Verordnung (EG) Nr 343/2003 des Rates vom zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrag zu ständig ist (in der Folge: Dublin II-VO) bereit, den Beschwerdeführer wieder aufzunehmen.

3. Das Bundesasylamt wies daraufhin den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom gemäß § 5 Abs 1 Asyl gesetz 2005, BGBl I 100, idF BGBl I 4/2008, als unzulässig zurück, erklärte die Schweiz gemäß Art 16 Abs 1 lite Dublin II-VO für zuständig (Spruchpunkt I.), wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 1 Asylgesetz 2005, idF BGBl I 38/2011, (im Folgenden: AsylG 2005) aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Schweiz aus und erklärte seine Zurück weisung, Zurückschiebung oder Ab schiebung in die Schweiz gemäß § 10 Abs 4 AsylG 2005 für zulässig (Spruchpunkt II.).

4. Mit der angefochtenen Entscheidung vom wies der Asylgerichts hof die gegen den Bescheid des Bundesasylamts erhobene Beschwerde gemäß § 5 AsylG 2005 ab und ordnete gemäß § 10 Abs 1 Z 1 und Abs 4 AsylG 2005 die Ausweisung des Beschwerdeführers an.

4.1. Der Asylgerichtshof begründete seine Entscheidung zur Unzuständigkeit Österreichs zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zusammengefasst damit, dass die Schweiz von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art 3 Abs 2 Dublin II-VO gebraucht gemacht hätte. Ein Selbsteintritt Österreichs wäre nicht notwendig gewesen, da die Ausweisung in die Schweiz keine Verletzung von Art 3 EMRK drohe.

4.2. Auch die Ausweisung verletze den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht auf Privat- und Familienleben, da sich der Beschwerdeführer erst seit Februar 2013 in Österreich aufhalte und in der Zwischenzeit noch kein intensives Familienleben stattgefunden hätte. Der Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben gemäß Art 8 EMRK sei daher verhältnismäßig.

5. Der Beschwerdeführer behauptet in der gegen diese Entscheidung gemäß Art 144a B VG erhobenen Beschwerde die Verletzung in den verfassungsgesetz lich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art 83 Abs 2 B VG und auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK.

5.1. Die Dublin II-VO sei auf subsidiär Schutzberechtigte nicht anwendbar. Der Beschwerdeführer sei in der Schweiz subsidiär schutzberechtigt; aus diesem Grund hätte in seinem Fall nicht § 5 AsylG 2005, sondern § 4 leg.cit. angewendet werden müssen. Nach § 4 Abs 4 AsylG 2005 sei der Antrag nicht als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine damit verbundene Ausweisung zu einer Verletzung von Art 8 EMRK führen würde. Das werde gesetzlich dann fingiert, wenn die Asylwerber Staatsangehörige eines EWR-Staates seien oder wenn Eltern minder jähriger, unverheirateter Kinder, Ehegatten oder minderjährigen Kindern in Österreich Asyl gewährt und zwischenzeitig nicht aberkannt worden sei.

Der Asylgerichtshof wäre verpflichtet gewesen, die entscheidungserhebliche Frage, ob die Dublin II-VO auf subsidiär Schutzberechtigte überhaupt anwendbar ist, dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

5.2. Da der Asylgerichtshof von der falschen Rechtsgrundlage ausgegangen sei, habe er keine ausreichenden Ermittlungen zu den in § 4 Abs 4 Z 3 AsylG 2005 vorgesehenen Ausnahmen von der Zurückweisung angestellt.

5.3. Der belangte Asylgerichtshof habe § 5 AsylG 2005 und die Dublin II-VO auch insofern willkürlich angewendet, als sich aus Art 7 Dublin II-VO eine Zuständig keit Österreichs ergebe, weil der minderjährige Sohn des Beschwerdeführers in Österreich lebe. Art 16 Dublin II-VO stelle kein Zuständigkeitskriterium dar.

Österreich hätte jedenfalls von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen. Die Umstände des Falles des Beschwerdeführers wären jenen, die dem K gegen Bundesasyl amt, C245/11, zugrundegelegen seien, sehr ähnlich;

5.4. Weiters habe der Asylgerichtshof die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers und das Zusammenleben mit seiner Familie nicht ausreichend gewürdigt und daher Art 8 EMRK verletzt.

6. Der belangte Asylgerichtshof legte trotz Aufforderung des Verfassungs gerichts hofes weder Gerichts- und Verwaltungsakten vor, noch erstattete er eine Gegenschrift.

II. Rechtslage

1. § 4 und § 5 AsylG 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 135/2009, lauten:

"2. Abschnitt

Unzuständigkeit Österreichs

Drittstaatsicherheit

§4. (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Fremde in einem Staat, zu dem ein Vertrag über die Bestimmungen der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf inter nationalen Schutz oder die Dublin - Verordnung nicht anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz im sicheren Drittstaat).

(2) Schutz im sicheren Drittstaat besteht, wenn einem Fremden in einem Staat, in dem er nicht gemäß § 8 Abs 1 bedroht ist, ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention offen steht oder im Wege über andere Staaten gesichert ist (Asylverfahren), er während dieses Verfahrens in diesem Staat zum Aufenthalt berechtigt ist und er dort Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat – auch im Wege über andere Staaten – hat, sofern er in diesem gemäß § 8 Abs 1 bedroht ist. Dasselbe gilt bei gleichem Schutz vor Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung für Staaten, die in einem Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention bereits eine Entscheidung getroffen haben.

(3) Die Voraussetzungen des Abs 2 sind in einem Staat widerlegbar dann ge geben, wenn er die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert und gesetzlich ein Asylverfahren eingerichtet hat, das die Grundsätze dieser Konvention, der EMRK und des Protokolls Nr 6, Nr 11 und Nr 13 zur Konvention umgesetzt hat.

(4) Trotz Schutz in einem sicheren Drittstaat ist der Antrag auf internationalen Schutz nicht als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine mit der Zurückweisung verbundene Ausweisung zu einer Verletzung von Art 8 EMRK führen würde. Die Zurückweisung wegen Schutzes in einem sicheren Drittstaat hat insbesondere zu unterbleiben, wenn

1. der Asylwerber EWR-Bürger ist;

2. einem Elternteil eines minderjährigen, ledigen Asylwerbers in Österreich der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde oder

3. dem Ehegatten, dem eingetragenen Partner oder einem minderjährigen ledigen Kind des Asylwerbers in Österreich der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde.

(5) Kann ein Fremder, dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Abs 1 als unzulässig zurückgewiesen wurde, aus faktischen Gründen, die nicht in seinem Verhalten begründet sind, nicht binnen drei Monaten nach Durchsetzbarkeit der Entscheidung zurückgeschoben oder abgeschoben werden, tritt die Entscheidung außer Kraft.

Zuständigkeit eines anderen Staates

§5. (1) Ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

(2) Gemäß Abs 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zu ständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asyl gerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs 1 Schutz vor Verfolgung findet."

1.1. Die Dublin II-VO legt die Kriterien und das Verfahren für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest. Gemäß dem in Kapitel III enthaltenen Art 5 der Verordnung finden diese Kriterien in der in diesem Kapitel genannten Reihen folge Anwendung. Hält ein Mitgliedstaat einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags für zuständig, führt er ein Konsultationsverfahren durch, in dem er im Rahmen der Verwaltungskooperation gemäß Art 21 Dublin II-VO den anderen Mitgliedstaat um Daten und Informationen über den Asylwerber oder gemäß Art 17 leg.cit. gleich um Aufnahme des Asylwerbers ersucht. Der ersuchte Mitgliedstaat entscheidet über dieses Gesuch gemäß Art 18 leg.cit. innerhalb von zwei Monaten.

1.2. Auch wenn ein Mitgliedstaat nach den dargelegten Kriterien des Kapitels III der Dublin II-VO nicht für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, kann er einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen. Art 3 Dublin II-VO lautet:

"Artikel 3

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Abweichend von Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Dritt staatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitglied staat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wieder aufnahmegesuch gerichtet wurde.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Asylbewerber nach seinen inner staatlichen Rechtsvorschriften unter Wahrung der Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention in einen Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

(4) Der Asylbewerber wird schriftlich und in einer ihm hinreichend bekannten Sprache über die Anwendung dieser Verordnung, ihre Fristen und ihre Wirkung unterrichtet."

1.3. Art 15 und Art 16 Dublin II-VO haben folgenden Wortlaut:

"KAPITEL IV

HUMANITÄRE KLAUSEL

Artikel 15

(1) Jeder Mitgliedstaat kann aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist. In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der betroffenen Person. Die betroffenen Personen müssen dem zustimmen.

(2) In Fällen, in denen die betroffene Person wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung der anderen Person angewiesen ist, entscheiden die Mitgliedstaaten im Regelfall, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen, der sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, nicht zu trennen bzw. sie zusammenführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat.

(3) Ist der Asylbewerber ein unbegleiteter Minderjähriger, der ein oder mehrere Familienangehörige hat, die sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, und die ihn bei sich aufnehmen können, so nehmen die Mitgliedstaaten nach Möglichkeit eine räumliche Annäherung dieses Minderjährigen an seinen bzw. seine Angehörigen vor, es sei denn, dass dies nicht im Interesse des Minder jährigen liegt.

(4) Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Ersuchen statt, so wird ihm die Zu ständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

(5) Die Bedingungen und Verfahren für die Umsetzung dieses Artikels, ge gebenenfalls einschließlich der Schlichtungsverfahren zur Regelung von Divergenzen zwischen den Mitgliedstaaten über die Notwendigkeit einer An näherung der betreffenden Personen bzw. den Ort, an dem diese erfolgen soll, werden gemäß dem Verfahren nach Artikel 27 Absatz 2 beschlossen.

KAPITEL V

AUFNAHME UND WIEDERAUFNAHME

Artikel 16

(1) Der Mitgliedstaat, der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:

a) einen Asylbewerber, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 17 bis 19 aufzunehmen;

b) die Prüfung des Asylantrags abzuschließen;

c) einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen;

d) einen Asylbewerber, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurück gezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen;

e) einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen.

(2) Erteilt ein Mitgliedstaat dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel, so fallen diesem Mitgliedstaat die Verpflichtungen nach Absatz 1 zu.

(3) – (4) [...]"

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Recht sprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Inter nationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unter scheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sach lichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkenn bar und die Ungleich behandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. ge währleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Be stimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Überein kommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Dis kriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Ver fassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Er mittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unter lassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivor bringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszu gehen, wenn die Behörde die Rechtslage gröblich bzw. in besonderem Maße verkennt (zB VfSlg 18.091/2007, 19.283/2010 mwN, 19.475/2011).

2. Ein solches willkürliches Vorgehen ist dem belangten Asylgerichtshof hier vorzuwerfen:

2.1. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 wird einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlings konvention droht.

Die "Unzuständigkeit Österreichs" wird im folgenden Abschnitt des AsylG 2005 geregelt, wobei diese in den in § 4 ("Drittstaatsicherheit") und § 5 AsylG 2005 ("Zuständigkeit eines anderen Staates") geregelten Fällen in der Regel zur Zurückweisung des Asylantrages führen soll: Gemäß § 4 Abs 1 AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Fremde in einem Staat, zu dem ein Vertrag über die Bestimmungen der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf inter nationalen Schutz oder die Dublin-Verordnung nicht anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz im sicheren Drittstaat). Daran knüpfend ist gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 ein nicht gemäß § 4 leg.cit. erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist; mit der Zurückweisungs entscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

2.2. Nach Art 3 Abs 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Recht sprechung festhält, kann die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art 3 Abs 2 Dublin II-VO zur Vermeidung einer sonst eintretenden Verfassungs widrigkeit geboten sein (vgl. etwa VfSlg 17.340/2004, 19.264/2010). Der Verfassungsgerichtshof hat bereits zum Selbsteintrittsrecht im Rahmen des Dubliner Übereinkommens ausge sprochen, dass eine strikte, zu einer Grund rechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs 1 AsylG 1997 idF BGBl I 4/1999 – der vergleichbar mit § 5 AsylG 2005 idgF eine Zurückweisung im Fall der vertraglichen Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Asylantrages vorsah – durch die Heranziehung des Selbst eintritts rechts von der Asylbehörde zu vermeiden ist (VfSlg 16.122/2001). Daraus ergibt sich die Verpflichtung der Asylbehörde, den zur Beurteilung der Verpflichtung zum Selbsteintritt wesent lichen Sachverhalt festzustellen und zu würdigen (vgl. etwa VfSlg 19.264/2010).

2.3. § 4 Abs 4 zweiter Satz AsylG 2005 normiert Fälle, in denen die Zurück weisung des Antrags des Asylwerbers auf internationalen Schutz wegen Schutzes in einem sicheren Drittstaat zu unterbleiben hat. Dabei handelt es sich um Kriterien, denen über die im vorhergehenden Satz angeordnete Berücksichtigung des Art 8 EMRK hinausgehend eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. ). Die Zurückweisung wegen Schutzes in einem sicheren Drittstaat hat demnach "insbesondere zu unterbleiben, wenn [...] dem Ehe gatten, dem ein getragenen Partner oder einem minderjährigen ledigen Kind des Asylwerbers in Österreich der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutz berechtigten zuerkannt wurde."

2.4. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in , ausgeführt hat, ist zur Vermeidung einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung dieses – dem Wortlaut nach nur für Fälle der Zurückweisung nach § 4 AsylG 2005 geltende – Kriterium in verfassungskonformer Auslegung auch im Fall der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung nach § 5 AsylG 2005 anzu wenden. Es ist nämlich keine sachliche Rechtfertigung für eine Differenzierung zwischen solchen Antrag stellern, deren Asylantrag zurückgewiesen werden soll, weil ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrags zuständig ist (§5 AsylG 2005), und solchen, die in einem (anderen) sicheren Drittstaat Schutz vor Verfolgung finden können (§4 AsylG 2005), und deren in Österreich gestellter Antrag aus diesem Grund zurückgewiesen werden soll, ersichtlich.

2.5. Der Asylgerichtshof stellte im Rahmen seiner Prüfung, ob vom Selbst eintrittsrecht nach Art 3 Abs 2 Dublin II-VO zwingend Gebrauch zu machen sei, fest, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Schweiz keine Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohe. Im Zuge der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung stellte der Asylgerichtshof fest, dass der Beschwerdeführer selbst nach der Geburt seiner Tochter keinen gemeinsamen Haushalt mit dieser und seiner Lebensgefährtin begründet habe und dass daher keine "intensive familiäre Bindung" entstanden sei. Eine Ausweisung sei daher zulässig. Dabei lässt der Asylgerichtshof völlig außer Acht, dass die Zurückweisung zu unterbleiben hätte, wenn u.a. dem Ehegatten oder einem minderjährigen, unverheirateten Kind eines Asylwerbers in Österreich der Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde (§4 Abs 4 Z 3 AsylG 2005). Mit der Frage, ob tatsächlich "dem minderjährigen ledigen Kind des Asylwerbers" in Österreich der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, hat sich der Asylgerichtshof nicht auseinandergesetzt, obwohl der Beschwerdeführer ein Vorbringen dahin erstattet hat, dass seine Tochter den Status eines anerkannten Flüchtlings geniesse. Da der Asylgerichtshof einen wesentlichen Aspekt für die Begründung seiner Entschei dung hinsichtlich der (gegebenenfalls gebotenen) Ausübung des Selbsteintritts rechts gemäß Art 3 Abs 2 Dublin II-VO vermissen lässt, wurde der Beschwerde führer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleich behandlung von Fremden untereinander verletzt.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne münd liche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88a iVm § 88 VfGG. In den zuge sprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.