VfGH vom 12.12.2000, g97/00

VfGH vom 12.12.2000, g97/00

Sammlungsnummer

16049

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Ausgestaltung des vereinfachten Baubewilligungsverfahrens in der Wr BauO 1930 wegen Widerspruchs zum Gleichheitssatz und zum Rechtsstaatsprinzip; unzulässige Vorwegnahme der baubehördlichen Entscheidung durch Erklärung des Ziviltechnikers in bestimmten Fällen; unsachliche Beschränkung der Parteistellung des Nachbarn; Unsachlichkeit der Regelung über die Zulässigkeit der Überschreitung der im Bebauungsplan festgelegten Gebäudehöhe

Spruch

1. § 70a der Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930, idF LGBl. Nr. 40/1997, war verfassungswidrig.

2. § 75 Abs 9 der Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930, idF LGBl. Nr. 40/1997, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

3. Der Landeshauptmann für Wien ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt für Wien kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B2284/98 ein Beschwerdeverfahren anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Der Magistrat der Stadt Wien wies mit Bescheid vom die u.a. von der Beschwerdeführerin als Nachbarin erhobenen Einwendungen gegen die Errichtung einer Wohnhausanlage (mit 17 Wohnungen), Haselbrunnerstraße 12, EZ 27, KG Kalksburg, mit denen die Verletzung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte gemäß § 134a Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO f Wien) geltend gemacht wurden (die Einwendungen gründeten sich im Wesentlichen darauf, dass die zulässige Gebäudehöhe bei weitem überschritten werde, überdies im Vorgarten nicht erlaubte Bauwerke vorgesehen seien und das örtliche Stadtbild beeinträchtigt werde), gemäß § 70a Abs 7 iVm Abs 9 BO f Wien teils als nicht begründet ab, teils als unzulässig zurück. Auf die geplante Wohnhausanlage der S ...gesmbH wurde das vereinfachte Baubewilligungsverfahren gemäß § 70a BO f Wien angewendet. Bei der Prüfung gemäß § 70a Abs 3 BO f Wien gelangte die Baubehörde erster Instanz zu der Ansicht, dass ein Untersagungsgrund nicht vorliege.

Die Berufungsbehörde ergänzte das Ermittlungsverfahren zunächst durch ein erneutes Gutachten des bautechnischen Amtssachverständigen der MA 37 zur Neuberechnung der Gebäudehöhe unter Berücksichtigung der gaubenartigen Räume im zweiten Dachgeschoss. Der Gutachter stellte eine Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe fest; entsprechend der im Flächenwidmungs- und Bebauungsplan festgesetzten Gebäudehöhe von 7,5 m und der Überschreitungsmöglichkeit gemäß § 75 Abs 9 BO f Wien um 1,5 m ergebe sich eine zulässige Gebäudehöhe von 9,00 m. Die vom Gutachter festgestellte Gebäudehöhe betrug 9,06 m. Dieses Gutachten sowie der Inhalt der Berufungen wurde der Bauwerberin zur Kenntnis gebracht, um durch eine Abänderung des Projekts die Bewilligungsfähigkeit des geplanten Bauprojekts zu erreichen. Die MA 19 wurde im Hinblick auf die Überschreitung der Gebäudehöhe gemäß § 75 Abs 9 BO f Wien um Erstellung von Befund und Gutachten ersucht, ob durch das Bauprojekt eine Beeinträchtigung des örtlichen Stadtbildes erfolge. Im Zuge der Begutachtung des Projektes durch den Amtssachverständigen der MA 19 änderte die Bauwerberin das Projekt und sah u.a. eine Absenkung der Gebäudehöhen vor. Der Amtssachverständige der MA 19 erachtete das abgeänderte Projekt als mit dem örtlichen Stadtbild vereinbar. Der bautechnische Amtssachverständige stellte bei der Neuberechnung der Gebäudehöhe fest, dass das abgeänderte Projekt unter Berücksichtigung der gaubenartigen Räume im zweiten Dachgeschoss eine Gebäudehöhe von 8,97 m aufweise und dass die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen im Sinne des § 75 Abs 9 BO f Wien nicht vermindert werde. Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die Bauoberbehörde für Wien die Berufung als unbegründet ab.

II. Die im vorliegenden Fall maßgebenden Bestimmungen der BO f Wien haben folgenden Wortlaut:

1. § 70a BO f Wien, LGBl. Nr. 11/1930, idF LGBl. Nr. 40/1997 lautet:

"Vereinfachtes Baubewilligungsverfahren

§70a

(1) Wird den Bauplänen und erforderlichen Unterlagen gemäß § 63 die im Rahmen seiner Befugnis abgegebene Erklärung eines Ziviltechnikers angeschlossen, daß sie unter Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften verfaßt sind, insbesondere jener, die subjektiv-öffentliche Nachbarrechte (§134a) begründen, und ist weder eine Bewilligung nach § 69 erforderlich noch eine Baubewilligung nach § 71 ausdrücklich beantragt, findet das vereinfachte Baubewilligungsverfahren Anwendung. Hievon sind ausgenommen:


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1.
Grundflächen im Wald- und Wiesengürtel;
2.
Gebiete, für die Bausperre besteht;
3.
Gebiete der Bauklasse VI;
4.
Bauvorhaben, für die eine Grundabteilungsbewilligung erforderlich ist, aber noch nicht vorliegt, sowie Bauvorhaben auf Bauplätzen oder Baulosen, die mit einem Bauverbot behaftet sind;
5.
Gebäude und bauliche Anlagen, deren Höhe 26 m überschreitet;
6.
Sonderbauten;
7.
das Anlegen von Steinbrüchen, Schotter-, Sand-, Lehm- und Tongruben sowie anderer Anlagen zur Ausbeutung des Untergrundes, ferner das Anlegen von Schlacken-, Schutt- und Müllhalden;
8.
bestehende, jedoch nicht bewilligte Bauten;
9.
Bauvorhaben, die sich auf bereits begonnene Bauführungen beziehen und über den Umfang des § 60 Abs 1 litc
hinausgehen.

(2) Enthält die Einreichung entgegen der Bestimmung des Abs 1 das Erfordernis der Erwirkung einer Bewilligung nach § 69 oder werden die Voraussetzungen des Abs 1 Z 1 bis 9 nicht erfüllt, hat die Behörde das Baubewilligungsverfahren gemäß § 70 durchzuführen; dies ist dem Einreicher innerhalb von drei Monaten ab der Einreichung mitzuteilen.

(3) Auf Grund der vollständig vorgelegten Unterlagen hat die Behörde lediglich zu prüfen:


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1.
die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und dem Bebauungsplan;
2.
die Einhaltung der baulichen Ausnützbarkeit des Bauplatzes beziehungsweise Bauloses;
3.
die Einhaltung der bekannt gegebenen Bebauungsbestimmungen;
4.
die Einhaltung der Abstände von den Grenzen des Bauplatzes beziehungsweise Bauloses;
5.
die Einhaltung der zulässigen Gebäudehöhe, Gebäudeumrisse beziehungsweise Strukturen;
6.
die Versorgung mit gesundheitlich einwandfreiem Trinkwasser und die Schmutzwasserentsorgung;
7.
die Einhaltung der Bestimmungen über die äußere Gestaltung von Gebäuden und baulichen Anlagen (§85).

(4) Ergibt die Prüfung nach Abs 3, daß die Bauführung unzulässig ist, hat die Behörde binnen drei Monaten ab tatsächlicher Vorlage der vollständigen Unterlagen, in Schutzzonen binnen vier Monaten, die Bauführung mit schriftlichem Bescheid unter Anschluß zweier Ausfertigungen der Baupläne zu untersagen. Wenn außerhalb von Schutzzonen das Bauvorhaben von maßgeblichem Einfluß auf das örtliche Stadtbild und deswegen die Befassung des Fachbeirates für Stadtplanung und Stadtgestaltung erforderlich ist, beträgt die Frist für die Untersagung vier Monate; dies ist dem Einreicher innerhalb der Frist von drei Monaten ab tatsächlicher Vorlage der vollständigen Unterlagen mitzuteilen.

(5) Untersagungsbescheide gemäß Abs 4 und Mitteilungen gemäß Abs 2 und 4 gelten auch dann als rechtzeitig zugestellt, wenn sie der Behörde wegen Unzustellbarkeit zurückgestellt werden.

(6) Ist das vereinfachte Verfahren gemäß Abs 1 zulässig, wurden die Unterlagen vollständig vorgelegt und erfolgt keine Untersagung, darf mit der Bauführung begonnen werden.

(7) Nachbarn (§134 Abs 3) können bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn (§124 Abs 2) Einwendungen im Sinne des § 134a vorbringen und damit beantragen, daß die Baubewilligung versagt wird. Vom Zeitpunkt der Erhebung solcher Einwendungen an sind die Nachbarn Parteien. Eine spätere Erlangung der Parteistellung (§134 Abs 4) ist ausgeschlossen.

(8) Die Versagung der Baubewilligung hat mit schriftlichem Bescheid unter Anschluß zweier Ausfertigungen der Baupläne zu erfolgen. Wird die Baubewilligung versagt, ist die Bauführung einzustellen.

(9) Erfolgt keine rechtskräftige Versagung der Baubewilligung oder erlangen die Nachbarn keine Parteistellung gemäß Abs 7, gilt das Bauvorhaben als mit rechtskräftigem Bescheid gemäß § 70 bewilligt. War die Erklärung gemäß Abs 1 inhaltlich unrichtig und ergibt sich daraus eine Verletzung von subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten (§134a), ist das Verfahren auf Antrag eines in seinen Nachbarrechten verletzten Nachbarn wieder aufzunehmen, wenn der Nachbar ohne sein Verschulden daran gehindert war, dies gemäß Abs 7 geltend zu machen. Eine Wiederaufnahme ist unzulässig, wenn seit der Fertigstellungsanzeige mehr als drei Jahre verstrichen sind. Darüber hinaus ist § 137 sinngemäß anzuwenden.

(10) Leistungen, deren Erbringung gesetzlich als Voraussetzung zur Erteilung der Baubewilligung gefordert wird oder die anläßlich der Baubewilligung vorzuschreiben sind, hat die Behörde unmittelbar nach angezeigtem Baubeginn vorzuschreiben. Dies gilt auch für die bescheidmäßige Feststellung, um wieviel die Zahl der Stellplätze hinter dem gesetzlich geforderten Ausmaß zurückbleibt.

(11) Die Vorlage der Unterlagen zur Vornahme von Überprüfungen während der Bauführung gemäß § 127 an die Behörde ist nicht erforderlich."

§ 70a Abs 11 trat gemäß ArtI Z 20 iVm ArtII Abs 1 LGBl. Nr. 46/1998 am außer Kraft.

§ 70a Abs 1 bis 10 leg. cit. erhielt mit dem Gesetz LGBl. Nr. 61/1998 am eine neue Fassung.

Der angefochtene Bescheid wurde am - also vor dem Inkrafttreten der beiden genannten Novellen erlassen.

2. § 75 Abs 9 BO f Wien, LGBl. Nr. 11/1930 idF LGBl. Nr. 40/1997 lautet:

"(9) Sofern das örtliche Stadtbild nicht beeinträchtigt wird und das Gebäude nicht mehr Hauptgeschosse aufweist als ein Neubau, der ausschließlich Wohnungen und eine durchgehende Geschoßhöhe von 2,8 m aufweist, darf die in den Bauklassen I bis IV zulässige Gebäudehöhe außerhalb von Schutzzonen um höchstens 1,5 m überschritten werden; dabei sind die Bestimmungen des Abs 4 einzuhalten und darf die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen nicht vermindert werden. Für dieses Überschreiten der Gebäudehöhe bis zu dem Ausmaß von 1,5 m ist eine Bewilligung gemäß § 69 Abs 1 litm nicht erforderlich. Wenn eine solche Überschreitung erfolgt, ist eine darüber hinausgehende Überschreitung gemäß § 69 Abs 1 litm ausgeschlossen."

Soweit die im Folgenden zitierten Gesetzesstellen nicht näher bezeichnet werden, beziehen sie sich auf die BO f Wien.

III. 1. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am gemäß Art 140 Abs 1 B-VG beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit der §§70a und des 75 Abs 9 der BO f Wien, LGBl. Nr. 11/1930 idF LGBl. Nr. 40/1997, von Amts wegen zu prüfen.

In seinem Prüfungsbeschluss ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass die Beschwerde zulässig ist und er bei seiner Entscheidung darüber die §§70a und 75 Abs 9 BO f Wien anzuwenden hätte.

Gegen die Verfassungsmäßigkeit der §§70a und 75 Abs 9 BO f Wien sind folgende Bedenken entstanden:

"2. Der Verfassungsgerichtshof geht zunächst davon aus, dass der schwer verständlich formulierten Regelung des vereinfachten Baubewilligungsverfahrens im § 70a folgender Inhalt beizumessen ist:

Ein vereinfachtes Baubewilligungsverfahren darf gemäß § 70a Abs 1 nur dann durchgeführt werden, wenn


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-
den Belegen für das Baubewilligungsverfahren (§63) eine den Voraussetzungen des § 70a Abs 1 entsprechende Erklärung eines Ziviltechnikers angeschlossen ist,
-
eine Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften (§69) nicht erforderlich ist,
-
der Bauwerber keinen Antrag auf Erteilung der Baubewilligung im ordentlichen Verfahren (§70) gestellt hat,
-
und keiner der Fälle des § 70a Abs 1 Z 1 bis 9 vorliegt.

Das vereinfachte Baubewilligungsverfahren ist daher bei Vorliegen einer der folgenden Voraussetzungen nicht zulässig:


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-
Das Vorhaben soll in einem Gebiet durchgeführt werden,
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das als Wald- und Wiesengürtel (§4 Abs 2 A. litc Z 1) gewidmet ist
-
für das eine Bausperre gemäß § 8 besteht
-
für das im Bebauungsplan die Bauklasse VI festgelegt ist.
-
Für das Bauvorhaben ist eine Grundabteilungsbewilligung gemäß den §§13 ff erforderlich und diese ist noch nicht erteilt; für den Bauplatz oder das Baulos besteht ein Bauverbot (§19).
-
Das Gebäude oder die bauliche Anlage ist mehr als 26 m hoch.
-
Das Vorhaben fällt unter die Kategorie der Sonderbauten (§121).
-
Es soll ein Steinbruch, eine Schottergrube, eine Sandgrube, eine Lehmgrube, eine Tongrube oder eine andere Anlage zur Ausbeutung des Untergrundes oder eine Schlackenhalde, Schutthalde oder Müllhalde angelegt werden.
-
Es soll ein konsensloser Bau nachträglich baubehördlich bewilligt werden.
-
Es handelt sich um ein Bauvorhaben, mit dessen Durchführung bereits begonnen wurde und das über den Umfang einer Änderung oder Instandsetzung gemäß § 60 Abs 1 litc hinausgeht.


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Stellt die Baubehörde bei Prüfung der Einreichung fest, dass


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-
eine Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften (§69) erforderlich ist, oder
-
einer der Fälle des § 70a Abs 1 Z 1 bis 9 vorliegt, dann muss die Baubehörde ein Bewilligungsverfahren gemäß § 70 durchführen und dies dem Einschreiter innerhalb von drei Monaten ab der Einreichung mitteilen (§70a Abs 2).

Im vereinfachten Baubewilligungsverfahren prüft die Baubehörde die Einreichung nur auf die Übereinstimmung mit den im § 70a Abs 3 Z 1 bis 7 taxativ aufgezählten Voraussetzungen.

Ergibt diese Prüfung, dass die Bauführung unzulässig ist, muss die Baubehörde gemäß § 70a Abs 4 innerhalb von drei (vier) Monaten ab vollständiger Einreichung der Unterlagen einen Untersagungsbescheid erlassen. Erlässt die Baubehörde innerhalb der genannten Frist keinen Untersagungsbescheid, so darf im vereinfachten Baubewilligungsverfahren gemäß § 70a Abs 6 mit der Bauführung begonnen werden.

Die Nachbarn werden dem vereinfachten Baubewilligungsverfahren nicht beigezogen. Sie können gemäß § 70a Abs 7 erst im Nachhinein Einwendungen erheben und beantragen, dass die Baubewilligung versagt wird. Sie können diese Rechte nur bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn geltend machen. Die Nachbarn erlangen außerdem erst Parteistellung, wenn sie rechtzeitig zulässige Einwendungen gemäß § 134a erhoben haben. Eine spätere Erlangung der Parteistellung ist ausgeschlossen. Der Hinweis auf § 134 Abs 4 dürfte ein Redaktionsversehen sein, denn auch der übergangene Nachbar muss gemäß dieser Bestimmung Einwendungen bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn erheben. Gemeint war offenbar der Hinweis auf die im § 134 Abs 3 geregelte Parteistellung der Nachbarn (vgl. auch das Klammerzitat im § 134 Abs 4 erster Satz, zweiter Halbsatz).

Sind die Einwendungen der Nachbarn zulässig und berechtigt, muss die Baubehörde gemäß § 70a Abs 8 die Baubewilligung mit Bescheid versagen. Ab Erlassung dieses Bescheides muss die Bauführung eingestellt werden.

§ 70a Abs 9 erster Satz fingiert einen rechtskräftigen Baubewilligungsbescheid gemäß § 70 in folgenden Fällen:


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-
Die Baubehörde hat das Vorhaben nicht untersagt; Nachbarn haben keine Einwendungen erhoben.
-
Die Einwendungen der Nachbarn waren zulässig, aber nicht berechtigt, sodass die Baubewilligung nicht bescheidmäßig versagt wurde.
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Die Nachbarn haben keine Parteistellung gemäß § 70a Abs 7 erlangt, weil sie beispielsweise
-
keine Nachbarn im Sinne des § 134 Abs 3 sind
-
unzulässige Einwendungen (§134a) oder
-
verspätet Einwendungen erhoben haben (§70a Abs 7).


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§70a Abs 9 zweiter Satz sieht die Wiederaufnahme des vereinfachten Baubewilligungsverfahrens unter folgenden kumulativ geforderten Voraussetzungen vor:


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-
die Erklärung des Ziviltechnikers gemäß § 70a Abs 1 war inhaltlich unrichtig und
-
aus der Unrichtigkeit dieser Erklärung ergibt sich eine Verletzung der im § 134a taxativ aufgezählten subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte,
-
ein in seinen Nachbarrechten verletzter Nachbar stellt einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens
-
und war ohne sein Verschulden daran gehindert, rechtzeitig Einwendungen gemäß Abs 7 zu erheben sowie
-
seit der Fertigstellungsanzeige sind nicht mehr als drei Jahre verstrichen.


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§70a Abs 9 letzter Satz erklärt ausdrücklich § 137 für sinngemäß anwendbar. Gemäß dieser Bestimmung kann die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde gemäß § 68 Abs 4 Z 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes Bescheide für nichtig erklären, wenn sie einer zwingenden Vorschrift der BO f Wien oder der auf Grund der BO f Wien erlassenen Verordnungen widersprechen. Bescheide, die zwingenden Vorschriften der Abschnitte VIII bis XI (bauliche Ausnützbarkeit der Bauplätze, Vorschriften, die vornehmlich der Gesundheit dienen, Vorschriften, die hauptsächlich die Konstruktion betreffen und Bestimmungen über besondere Arten von Bauanlagen) oder zwingenden Vorschriften der auf Grund dieser Abschnitte erlassenen Verordnungen widersprechen, können nur bis zur Beendigung des Rohbaues als nichtig erklärt werden. Bei den Vorkehrungen, die durch Behebung des nichtigen Bescheides erforderlich werden, hat sich die Behörde unter Bedachtnahme auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Parteien auf das durch die öffentlichen Interessen gebotene Maß zu beschränken.


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§70a Abs 9 letzter Satz nennt die Bescheide nicht, die für nichtig erklärt werden können. Sowohl die systematische Stellung dieser Bestimmung im Abs 9 als auch die 'sinngemäße' Anwendbarkeit des § 137 legen es nahe, dass die Nichtigerklärung nur für die gemäß § 70a Abs 9 erster Satz fingierten Baubewilligungsbescheide in Betracht kommt.

Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Bauoberbehörde als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde fingierte Baubewilligungsbescheide (§70a Abs 9 erster Satz) von Amts wegen für nichtig erklären kann, wenn die Nachbarn zwar keine Parteistellung gemäß § 70a Abs 7 erlangt haben, weil sie beispielsweise keine Nachbarn im Sinne des § 134 Abs 3 sind, keine oder unzulässige Einwendungen oder verspätet Einwendungen erhoben haben, die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde aber zum Ergebnis gelangt ist, dass ein Nichtigkeitsgrund gemäß § 137 vorliegt. Einerseits sind aber die Befugnisse der Oberbehörde zur Nichtigerklärung beschränkt, andererseits haben die Nachbarn kein subjektives öffentliches Recht auf Handhabung des Aufsichtsrechtes.

3. Das vereinfachte Baubewilligungsverfahren scheint sich als Mischsystem zwischen den im Bauverfahren traditionellen anzeigepflichtigen und den bewilligungspflichtigen Vorhaben darzustellen. Gegen ein Anzeigeverfahren hegt der Verfassungsgerichtshof dann keine Bedenken, wenn es auf Bauführungen geringeren Umfanges beschränkt ist, bei denen die Übereinstimmung mit den baurechtlichen Vorschriften ohne aufwendiges Verfahren auf Grund der Aktenlage beurteilt werden kann und bei denen eine Verletzung der in der Bauordnung normierten subjektiven öffentlichen Nachbarrechte entweder durch die Art des Vorhabens oder infolge des Erfordernisses der Zustimmung der Nachbarn nicht in Frage kommt.

Der Verfassungsgerichtshof hegt vorläufig Zweifel, ob der Landesgesetzgeber bei der Normierung des vereinfachten Baubewilligungsverfahrens gemäß § 70a die Grenze zwischen dem (normalen) Baubewilligungsverfahren und dem vereinfachten Verfahren in einer dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden Weise gezogen hat.

Der Verfassungsgerichtshof hegt vorläufig das Bedenken, dass die Einbeziehung der im § 70a genannten Bauvorhaben in das vereinfachte Baubewilligungsverfahren sachlich nicht gerechtfertigt ist und dass die Ausgestaltung des Verfahrens sowohl dem Gleichheitssatz als auch dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip widerspricht.

Im Einzelnen bestehen gegen den in Prüfung gezogenen § 70a folgende Bedenken:

3.1. Gemäß § 70a Abs 1 ist das vereinfachte Baubewilligungsverfahren anzuwenden, wenn den Bauplänen und erforderlichen Unterlagen gemäß § 63 die im Rahmen seiner Befugnis abgegebene Erklärung eines Ziviltechnikers angeschlossen ist, dass sie unter Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften verfasst sind, insbesondere jener, die subjektiv-öffentliche Nachbarrechte begründen.

Der Verfassungsgerichtshof geht zunächst von folgender Prämisse aus: Das Rechtsstaatsprinzip erfordert es, dass die Beurteilung der Frage, ob ein Bauvorhaben zu bewilligen ist, weil es mit den von der Baubehörde im Bewilligungsverfahren anzuwendenden Rechtsvorschriften übereinstimmt, als Beurteilung einer Rechtsfrage der Baubehörde obliegen muss. Weiters dürfte es das Rechtsstaatsprinzip verlangen, dass die Entscheidung der genannten Rechtsfrage der Kontrolle im Instanzenzug und der nachprüfenden Kontrolle durch die Höchstgerichte unterliegen muss. Die Reduzierung der Beurteilung der Rechtsfrage der Erteilung der Baubewilligung auf die im § 70a Abs 3 genannten Punkte und die damit verbundene Ausschaltung der Kontrolle der Einhaltung der im § 70a Abs 3 nicht genannten bautechnischen Bestimmungen scheint ein dem Rechtsstaatsgebot widersprechendes Rechtsschutzdefizit zu erzeugen. Dies auch deshalb, weil einige der im § 70a Abs 3 nicht genannten bautechnischen Vorschriften auch subjektive-öffentliche Nachbarrechte gemäß § 134a Abs 1 lite berühren dürften (vgl. § 89 Abs 6 - Kanalgase, § 93 Abs 2 - Abwasserableitung, § 94 Abs 4 - Aufbewahrung von Abfallstoffen, § 101 Abs 3 - Öffnungen in Feuermauern, § 117 Abs 3 - Industriebauten).

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen § 70a Abs 1 das weitere Bedenken, dass der Umfang der das vereinfachte Bewilligungsverfahren ermöglichenden Bestätigung durch den Ziviltechniker hinsichtlich der Einhaltung sämtlicher öffentlich-rechtlicher Vorschriften in einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Weise zu weit gefasst ist. Dem Ziviltechniker scheint nicht nur die Aufgabe übertragen zu sein, die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit jenen technischen Bauvorschriften zu bestätigen, die die Ausübung seiner Befugnisse voraussetzt, sondern es scheint ihm schlechthin die Prüfung der Einhaltung sämtlicher öffentlich-rechtlicher Vorschriften übertragen zu sein. Im Gesetzesprüfungsverfahren wird zu erörtern sein, ob diese Bestimmung verfassungskonform dahingehend auszulegen ist, dass der Ziviltechniker nur die Einhaltung bautechnischer Bestimmungen zu bestätigen hat. Gegen eine solche Interpretation scheinen allerdings die unterschiedlichen Formulierungen im § 67 Abs 1 ('... zu überprüfen, ob es (das Bauvorhaben) den Bestimmungen dieses Gesetzes und den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen entspricht') und im § 70a Abs 1 zu sprechen.

3.3. § 70a Abs 1 scheint auch nicht auszuschließen, dass der Planverfasser und der die Erklärung gemäß § 70a Abs 1 abgebende Ziviltechniker ident sind. Erlaubt es das Gesetz, dass der Planverfasser auch die Erklärung gemäß § 70a Abs 1 abgeben darf, so bewirkt es eine Abgabe dieser Erklärung 'in eigener Sache'. Das Rechtsstaatsgebot scheint es hingegen zu erfordern, dass die Unabhängigkeit jenes Organs, das ein Gutachten zur Frage der Übereinstimmung eines Bauvorhabens mit bautechnischen Bestimmungen erstattet, gewährleistet sein muss. Die Konstruktion des § 70a Abs 1 scheint die Unabhängigkeit des Gutachters nicht sicherzustellen, da sie auch die Erklärung eines - infolge gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen mit dem Bauwerber - befangenen Ziviltechnikers zulässt. Im Gesetzesprüfungsverfahren wird zu erörtern sein, ob die Regelung des '14 Ziviltechnikergesetz (im Folgenden: ZTG) eine Erklärung 'in eigener Sache' ausschließt. Denn gemäß § 14 Abs 1 ZTG ist den Ziviltechnikern jede Tätigkeit untersagt, die mit der Ehre und Würde des Standes unvereinbar ist oder durch welche die Vertrauenswürdigkeit bei der Führung ihrer Geschäfte oder die Glaubwürdigkeit ihrer urkundlichen Ausfertigungen erschüttert werden kann.

Gemäß § 14 Abs 2 ZTG dürfen die Ziviltechniker Beurkundungen nicht vornehmen:

In Sachen, an denen sie selbst, ihr Ehegatte, ein Verwandter oder Verschwägerter in auf- oder absteigender Linie, ein Geschwisterkind oder eine Person, die noch näher verwandt oder im gleichen Grad verschwägert ist, beteiligt sind,

in Sachen ihrer Wahl- oder Pflegeeltern, Wahl- oder Pflegekinder, ihres Mündels oder Pflegebefohlenen,

bei Vorliegen von Gründen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen.

3.4. § 70a scheint schließlich auch die Rechtsstellung der Nachbarn in einer dem Sachlichkeitsgebot widersprechenden Weise einzuschränken, indem er die Nachbarn möglichst lange vom Bauverfahren und von der Erörterung des mit dem Bauvorhaben potentiell verbundenen Eingriffs in ihre subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte fernhält.

Die Nachbarn können zwar gemäß § 70a Abs 7 bis längstens drei Monate nach dem der Behörde angezeigten Baubeginn (§124 Abs 2) Einwendungen im Sinne des § 134a vorbringen und damit beantragen, dass die Baubewilligung versagt wird. Der Baubeginn ist gemäß § 124 Abs 2 mindestens drei Tage vorher der Behörde anzuzeigen. Die Anzeige gilt als nicht erstattet, wenn mit dem Bau entgegen der Anzeige nicht begonnen wird. Der Verfassungsgerichtshof ist jedoch vorläufig der Meinung, dass die Bestimmung des § 124 Abs 2 zweiter Satz keine Gewähr dafür bietet, dass der Nachbar rechtzeitig Einwendungen erheben kann. Beispielsweise eine Bauführung in kleinen Schritten mit Unterbrechungen der Bauarbeiten scheinen es dem Nachbarn geradezu unmöglich zu machen, rechtzeitig zu erkennen, dass ein Bau begonnen wird.

Dazu kommt, dass der Nachbar gemäß § 70a Abs 7 Parteistellung erst vom Zeitpunkt der Erhebung von Einwendungen an erlangt. Mangels Parteistellung kommt ihm vor der Erhebung von Einwendungen das gemäß § 17 Abs 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz nur den Parteien zustehende Recht auf Akteneinsicht nicht zu. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Akteneinsicht unabdingbare Voraussetzung für die Erhebung zulässiger und sinnvoller Einwendungen und damit für die Erlangung der Parteistellung ist.

Die Verlautbarung der Einreichungen gemäß § 70a - wie sie im § 131a vorgesehen ist - scheint nicht auszureichen, um den Nachbarn vor Eingriffen in seine Rechtsposition zu schützen. Denn die Verlautbarung im Amtsblatt der Stadt Wien beschränkt sich auf die Bezeichnung der betroffenen Liegenschaft, den Gegenstand der Einreichung und die Namen und Anschriften des Antragstellers oder Einreichers, des Planverfassers und des Bauführers. Diese Personen werden jedoch vom Gesetzgeber nicht verpflichtet, den Nachbarn über das geplante Bauvorhaben zu informieren."

4. Der Verfassungsgerichtshof hegte schließlich auch folgende Bedenken gegen § 75 Abs 9 BO f Wien, LGBl. Nr. 11/1930 idF LGBl. Nr. 40/1997:

"4.1. Durch § 75 Abs 9 wird die Anwendung der Bestimmung des § 69 litm ausgeschlossen und damit eine Differenzierung zwischen Gebäuden, die der Regelung des § 75 Abs 9 unterliegen und anderen Bauten geschaffen. Für diese Differenzierung scheint keine sachliche Rechtfertigung zu bestehen. Es ist für den Verfassungsgerichtshof vorläufig nicht einzusehen, weshalb ein Überschreiten der Gebäudehöhe bei den im § 75 Abs 9 genannten Gebäuden ohne jede weitere Voraussetzung zulässig sein soll, während sonst für ein Überschreiten der Gebäudehöhe gemäß § 69 Abs 1 litm die Behörde nach Maßgabe des § 69 Abs 2 über die Zulässigkeit der Abweichungen von den Bebauungsvorschriften zu entscheiden hat. Gemäß § 69 Abs 2 sind u.a. die Gründe, die für die Abweichung sprechen, mit den Gründen, die dagegen sprechen, abzuwägen.

Dem Verfassungsgerichtshof scheint es auch unsachlich zu sein, bei der Frage, ob ein Überschreiten der im Bebauungsplan festgelegten Gebäudehöhe um 1,5 m bei der Errichtung eines Neubaues zulässig ist, auf einen fiktiven Neubau, der ausschließlich Wohnungen und eine durchgehende Geschoßhöhe von 2,8 m aufweist, abzustellen. Dem Verfassungsgerichtshof scheint eine sachliche Rechtfertigung dieser Regelung nur für den Fall gegeben zu sein, dass für ein Gebiet mit einem Bestand von beispielsweise zweigeschoßigen Bauten mit einer 2,8 m übersteigenden Geschoßhöhe Bauklasse II festgelegt wurde und ein städtebauliches Interesse daran besteht, Neubauten in diesem Gebiet an das vorhandene Stadtbild anzugleichen.

4.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt aber auch noch aus einem weiteren Grund Bedenken gegen die Sachlichkeit der Regelung: Er geht davon aus, dass der Verordnungsgeber bei Erlassung des Bebauungsplanes entsprechend dem Ziel des § 1 Abs 2 Z 14 (Herbeiführung eines den zeitgemäßen Vorstellungen entsprechenden örtlichen Stadtbildes und Gewährleistung des Bestandes von Gebieten, die wegen ihres örtlichen Stadtbildes in ihrem äußeren Erscheinungsbild erhaltungswürdig sind) die Bauklasse festgesetzt hat. § 75 Abs 9 scheint hingegen ohne Bedachtnahme auf das Ziel des § 1 Abs 2 Z 14 eine gegenüber dem Bebauungsplan höhere Gebäudehöhe generell zuzulassen und damit - ohne dass dafür eine sachliche Rechtfertigung erkennbar wäre - inhaltlich eine Abänderung der im Bebauungsplan festgelegten zulässigen Gebäudehöhe zu verfügen. Es scheint dem Verfassungsgerichtshof nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber in Kenntnis der Überschreitungsmöglichkeiten des § 75 Abs 9 entsprechend den genannten Zielen eine geringere Bauklasse festgelegt hätte.

Im Gesetzesprüfungsverfahren wird auch zu erörtern sein, ob der Anwendungsbereich des § 75 Abs 9 auf jene Gebiete eingeschränkt werden kann, in denen die Bauklasse nach Erlassung des § 75 Abs 9 durch die Stadtgestaltungsnovelle, LGBl. Nr. 44/1996, also ab dem , in Kenntnis des durch diese Bestimmung ermöglichten Überschreitens der Gebäudehöhe durch Verordnung festgesetzt wurde."

5. Die Wiener Landesregierung erstattete im Gesetzesprüfungsverfahren eine Äußerung, in der sie den Argumenten des Prüfungsbeschlusses entgegentrat:

"I. Zu § 70a der Bauordnung für Wien (BO):

1. Der Verfassungsgerichtshof stellt in seinem Unterbrechungsbeschluss der Darlegung seiner Bedenken im Einzelnen die Annahme voran, § 70a BO würde sich als Mischsystem zwischen den im Bauverfahren traditionellen anzeigepflichtigen und den bewilligungspflichtigen Vorhaben darstellen. Ausgehend von dieser Prämisse hegt der Verfassungsgerichtshof in der Folge Zweifel, dass der Landesgesetzgeber bei der Normierung des § 70a BO die Grenze zwischen dem (normalen) Baubewilligungsverfahren und dem vereinfachten Verfahren in einer dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden Weise gezogen hat. Weiters hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die Einbeziehung der im § 70a BO genannten Bauvorhaben in das vereinfachte Baubewilligungsverfahren sachlich nicht gerechtfertigt ist und dass die Ausgestaltung des Verfahrens dem Gleichheitssatz und dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip widerspricht.

1.1. Hiezu ist vorweg über die Einordnung des vereinfachten Baubewilligungsverfahrens in das System der Bauordnung für Wien Folgendes klarzustellen:

Die Bauordnung für Wien sieht im § 70 ein (normales) Baubewilligungsverfahren vor, das auf Antrag in Gang gesetzt und mit schriftlichem Bescheid der Baubehörde entschieden wird. Diesem Verfahren unterliegen die im § 60 Abs 1 BO angeführten Bauvorhaben.

Im Verfahren nach § 70a BO hingegen erbringt der Bauwerber zu Gunsten einer wesentlichen Verfahrensverkürzung eine Vorleistung, die darin besteht, dass er dem Bauansuchen neben der im (normalen) Baubewilligungsverfahren erforderlichen Antragsbeilagen zusätzlich die im Rahmen seiner Befugnis abgegebene Erklärung eines Ziviltechnikers anschließt, dass die Baupläne und erforderlichen Einreichunterlagen gemäß § 63 BO unter Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften verfasst sind. Diese Erklärung ist eine öffentliche Urkunde, deren Vorlage - gemeinsam mit dem Vorliegen anderer Voraussetzungen - den Eintritt der gleichen Rechtsfolgen bewirkt, wie die schriftliche Erteilung einer Bewilligung nach § 70 BO. Das vereinfachte Baubewilligungsverfahren ist daher kein Mischsystem, dem neben baubewilligungspflichtigen Vorhaben auch noch anzeigepflichtige Vorhaben (§62 BO) unterliegen.

1.2. Vom Umfang der baubewilligungspflichtigen Bauvorhaben werden in § 70a Abs 1 BO gewisse Ausnahmen vorgenommen. Diese ergeben sich jedoch lediglich aus der Eigenart des Verfahrens nach § 70a BO, bewirken aber nicht, dass ein Großteil der baubewilligungspflichtigen Vorhaben vom Anwendungsbereich des Verfahrens ausgenommen wären. Diese Ausnahmen betreffen Fälle, in denen Fragen auftauchen können, deren Klärung eine längere Zeit in Anspruch nehmen, als die Dreimonatsfrist, die der Behörde zur Untersagung des Projektes nach § 70a Abs 4 BO zur Verfügung steht (Z1: weil eine Reihe von Gutachten einzuholen sind), weiters Fälle, bei denen die Nachbarrechte infolge fehlender Voraussetzungen noch nicht beurteilt werden können (Z2 und 4: weil ein Bebauungsplan fehlt bzw. weil noch keine Grundabteilungsbewilligung vorliegt und somit die Bauplatzgrenzen noch nicht bekannt sind), ferner Fälle, die sich als besonders sensibel darstellen (Z3, 5, 6 und 7) sowie jene Fälle, in denen der Nachbar vom Baubeginn keine Kenntnis erlangen kann (Z8 und Z 9).

Da somit dem vereinfachten Baubewilligungsverfahren nach § 70a BO keine anzeigepflichtigen Vorhaben unterliegen, stellt sich die Frage, ob der Landesgesetzgeber die Grenze zwischen dem (normalen) Baubewilligungsverfahren und dem vereinfachten Verfahren verfassungsrechtlich einwandfrei gezogen hat, nicht.

2. Von den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes im Einzelnen ist als erstes angeführt, dass die Beurteilung der Rechtsfrage, ob ein Bauvorhaben zu bewilligen ist, weil es mit den von der Baubehörde im Bewilligungsverfahren anzuwendenden Rechtsvorschriften übereinstimmt, als Beurteilung einer Rechtsfrage der Baubehörde obliegen muss.

2.1. Dieses Erfordernis wird im Verfahren nach § 70a BO voll und ganz erfüllt. Die Beurteilung der Rechtsfrage, ob das Bauvorhaben zu bewilligen ist, verbleibt bei der Baubehörde, weil sie das Recht hat, das Bauvorhaben gemäß § 70a Abs 4 BO zu untersagen bzw. nach § 70a Abs 8 BO zu versagen (der Unterschied besteht darin, dass die Versagung auf Grund der Verletzung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte ausgesprochen wird, die Untersagung jedoch bereits dann, wenn eine Verletzung von Bestimmungen zu bejahen ist, die im § 70a Abs 3 BO angeführt sind). Die Baubehörde hat nach dem Wortlaut des § 70a Abs 3 BO zwar dezidiert nur die in Z 1 bis 7 angeführten Fragen zu prüfen; dies sind jedoch insbesondere aus der Sicht der Nachbarn die wichtigsten Fragen, die in einem Bauverfahren auftreten können (z.B. die Frage der Einhaltung der Gebäudehöhe und des Seitenabstandes).

Das Wort 'lediglich' im Einleitungssatz des Abs 3 ist aber nicht so zu verstehen, dass die Baubehörde den vom Ziviltechniker vorgelegten Plan nicht auch sonst noch anschauen und - so wie sonst im Verfahren nach § 70 BO stichprobenartig - überprüfen darf. Sie ist vielmehr unter Anwendung des normalen Vollzugswissens (Krejci-Pany-Schwarzer, Ziviltechnikerrecht, 2. Auflage, Rz 80 zu §§1 bis 4 Ziviltechnikergesetz - ZTG) bei Fehlern verpflichtet, den Ziviltechniker darüber zu informieren und zu warnen. Unterließe die Baubehörde eine solche Überprüfung von vornherein bzw. würde sie ihrer Warnpflicht nicht nachkommen, obwohl ihr Fehler aufgefallen sind, wären Amtshaftungsansprüche nicht auszuschließen. Zusätzlich wäre den beteiligten Organwaltern bei Vorsatz Missbrauch der Amtsgewalt vorzuwerfen (§302 StGB).

Die Wiener Landesregierung ist daher nicht der Auffassung, dass die Baubehörde Rechtsfragen, die über den Inhalt des § 70a BO hinausgehen, nicht mehr prüfen darf und daher ihre Kontrolle ausgeschaltet sei. Auf Grund der Vorlage der Bestätigung des Ziviltechnikers, die eine öffentliche Urkunde ist, darf sie aber von vornherein auf die Richtigkeit dieser Erklärung vertrauen.

Darüber hinaus spricht aber bereits der Wortlaut des § 70a Abs 1 BO selbst gegen die Annahme, der Ziviltechniker wäre zur Entscheidung berufen, ob die Baubewilligung zu erteilen ist. Er ist lediglich berufen, die Rechtsrichtigkeit der Einreichunterlagen zu bestätigen.

2.2. Damit endet aber die behördliche Prüfungsbefugnis noch nicht. § 70a Abs 9 BO sieht nämlich die sinngemäße Anwendung des § 137 BO vor. Die Baubehörde hat es daher in der Hand, die nach § 70a BO erlangte Baubewilligung bei jedem Verstoß gegen zwingende Vorschriften der Bauordnung für Wien oder auf Grund dieses Gesetzes erlassener Verordnungen als nichtig zu erklären.

Im Prüfungsbeschluss klingt noch das Bedenken an, dass die Möglichkeit der nachträglichen Nichtigerklärung einer Baubewilligung nach § 137 BO nur zeitlich begrenzt ist. Auch im Verfahren nach § 70 BO ist eine zeitliche Beschränkung für den übergangenen Nachbarn zur Erwirkung der nachträglichen Parteistellung gemäß § 134 Abs 4 BO vorgesehen, um endgültig Rechtssicherheit zu gewährleisten.

2.3. Aus dem Blickwinkel des Rechtsschutzes der Nachbarn ist in diesem Zusammenhang zu bemerken, dass den Nachbarn ein subjektiv-öffentliches Recht auf Geltendmachung des Aufsichtsrechtes zur Nichtigerklärung weder im Verfahren nach § 70 BO noch im Verfahren nach § 70a BO zusteht. Den Nachbarn bleibt es aber unbenommen, eine Nichtigerklärung anzuregen.

Der im Prüfungsbeschluss weiters anklingende Vorwurf, dass es keine Kontrolle der Entscheidung im Verfahren nach § 70a BO im Instanzenzug und keine nachprüfende Kontrolle durch die Höchstgerichte gebe, ist gänzlich unbegründet. Sowohl die Nachbarn als auch der Bauwerber haben die Möglichkeit, die behördlichen Entscheidungen über die Erteilung einer Baubewilligung nach § 70a BO im Berufungswege einer Überprüfung durch die Bauoberbehörde für Wien zu unterziehen. Gegen den Berufungsbescheid der Bauoberbehörde steht selbstverständlich die Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts offen.

3. Der Verfassungsgerichtshof hegt in der Folge das Bedenken, dass durch die Reduzierung der Beurteilung der Rechtsfrage, ob eine Baubewilligung zu erteilen ist, auf die im § 70a Abs 3 BO genannten Punkte und die damit verbundene Ausschaltung der Kontrolle der Einhaltung der im § 70a Abs 3 BO nicht genannten bautechnischen Bestimmungen ein dem Rechtsstaatsgebot widersprechendes Rechtsschutzdefizit erzeugt werde. Dies auch deshalb, weil einige der im § 70a Abs 3 BO nicht genannten bautechnischen Vorschriften auch subjektiv-öffentliche Nachbarrechte gemäß § 134a Abs 1 lite BO berühren dürften. Dies treffe in den Fällen der §§89 Abs 6, 93 Abs 2, 94 Abs 4, 101 Abs 3 und 117 Abs 3 BO zu.

3.1. Hiezu ist vorweg festzuhalten, dass die subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte im § 134a Abs 1 BO aufgezählt sind. Die vom Verfassungsgerichtshof angeführten Bestimmungen lassen sich unter keine der dort angeführten Vorschriften subsumieren. Sie bilden daher keinen Gegenstand eines subjektiv-öffentlichen Nachbarrechtes. Einzig § 101 Abs 3 BO gewährt dem Nachbarn ein Recht. Dieses ist aber kein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht im Sinne des § 134a BO (dessen Verletzung wird in Form einer Einwendung geltend gemacht - § 134 Abs 3 BO), sondern ein Zustimmungsrecht (das dem Nachbarn auch dann zusteht, wenn dieser keine Einwendungen erhebt). Auch in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes findet sich kein Hinweis, dass die oben genannten Bestimmungen der Bauordnung für Wien Nachbarrechte begründen.

3.2. Zum Bedenken, dass es zu einem dem Rechtsstaatsgebot widersprechenden Rechtsschutzdefizit komme, weil die Baubehörde gemäß § 70a Abs 3 BO die bautechnischen Bestimmungen nicht zu prüfen habe, ist ungeachtet der obigen Ausführungen über die Warnpflicht der Behörde bei der Vorlage öffentlicher Urkunden Folgendes auszuführen:

Unter den bautechnischen Bestimmungen sind traditionell jene Bestimmungen zu verstehen, zu deren Beurteilung typischerweise in erster Linie technisches Wissen erforderlich ist, wie z.B. Bauphysik, Statik etc. Allen diesen Vorschriften ist gemeinsam, dass es diffiziler technischer Überlegungen und in der Regel auch komplizierter mathematischer Berechnungen bedarf, um ihre Einhaltung zu überprüfen. Ein Organwalter ohne fundierte technische Ausbildung ist allein nicht in der Lage diese Bestimmungen zu vollziehen. In der Praxis des Bauverfahrens nach § 70 BO werden diese Vorschriften so überprüft, dass die Baubehörde zu den diesbezüglichen Teilen der Einreichunterlagen Gutachten von technischen Amtssachverständigen einholt. Diese Organwalter sind ausschließlich Techniker, die in rechtlichen Belangen nur über eine Grundausbildung verfügen. In erster Instanz treffen solche Personen die Entscheidung im Verfahren nach § 70 BO.

Das Bedenken, es sei unsachlich, den Ziviltechniker mit der Bestätigung der Richtigkeit sämtlicher technischer Bauvorschriften einschließlich der vom Verfassungsgerichtshof angeführten Bestimmungen zum Schutz der Nachbarn vor Immissionen zu betrauen, ist angesichts des Wesens dieser Berufsgruppe nicht nachvollziehbar. Der Grundgedanke des österreichischen Ziviltechnikerwesens besteht darin, dass Architekten und Ingenieurkonsulenten freiberuflich Dienstleistungen erbringen und dabei in einem besonderen Treueverhältnis zur Republik Österreich stehen. Dieses Treueverhältnis findet seinen Ausdruck in einem Eid, mit dem sich der Ziviltechniker verpflichtet, die Gesetze und die für seinen Wirkungskreis geltenden Vorschriften einzuhalten, die Pflichten seines Berufes gewissenhaft zu erfüllen, die gebotene Verpflichtung zur Verschwiegenheit streng zu beobachten und die anvertrauten Angelegenheiten nach bestem Wissen und Gewissen zu besorgen sowie in der Berechtigung, öffentliche Urkunden auszustellen (Krejci-Pany-Schwarzer, a.a.0., S. 11). Diese Ansicht hat der Verfassungsgerichtshof sinngemäß bestätigt. Im Erkenntnis vom , ZI. V67/99-7, tritt der Verfassungsgerichtshof den Ausführungen der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten nicht entgegen, die eine 'Maxime der völligen Unabhängigkeit des Ziviltechnikers' postuliert.

Vor diesem Hintergrund hegt die Wiener Landesregierung aus dem Blickwinkel des Sachlichkeitsgebotes keine Bedenken, dass die Prüfung und Bestätigung der Richtigkeit der Einreichunterlagen auch in Bezug auf die technischen Bestimmungen dem Ziviltechniker obliegt. Die Ziviltechniker sind eine Berufsgruppe, die geradezu dazu geschaffen wurde, derart komplexe technische Fragen zu beurteilen und darüber Gutachten zu erstellen. Um so mehr trifft dies natürlich auch auf sämtliche andere Bauvorschriften zu, die technischer Natur sind, denen aber keine derartige Komplexität anhaftet.

3.3. Auch das Bedenken, aus dieser Konstruktion würde ein Rechtsschutzdefizit resultieren, ist unbegründet:

Den Nachbarn bleibt es gänzlich unbenommen, eine Verletzung in subjektiv-öffentlichen Rechten durch technische Bestimmungen zu behaupten. Die Einwendungen der Nachbarn werden nicht vom Ziviltechniker, sondern von der Baubehörde behandelt, weil diese die Verpflichtung trifft, sich mit dem Vorbringen der Nachbarn in jede Richtung hin auseinanderzusetzen und das Bauvorhaben nötigenfalls gemäß § 70a Abs 8 BO zu versagen.

4. Zu dem ferner erhobenen Bedenken, § 70a Abs 1 BO sei zu weit gefasst, weil dem Ziviltechniker die Aufgabe übertragen sei, die Übereinstimmung des Bauvorhabens schlechthin mit sämtlichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu bestätigen, ist Folgendes zu bemerken:

4.1. Zwischen § 67 Abs 1 BO und § 70a Abs 1 BO liegt nur ein scheinbarer Widerspruch vor. § 67 Abs 1 BO darf nicht so eng verstanden werden, dass die Baubehörde im Verfahren nach § 70 BO nur dann ein Vorhaben versagen darf, wenn es der Bauordnung bzw. dem Bebauungsplan widerspricht. Es wäre beispielsweise auch möglich, dass sich die Versagung aus einer Zusammenschau der Bauordnung und ihrer Nebengesetze ergibt (das Bauvorhaben sieht z.B. keinen Pflichtstellplatz vor, der nach § 36 Wiener Garagengesetz zu errichten wäre). Dies folgt daraus, dass die Nebengesetze jeweils Klauseln enthalten, die eine subsidiäre Anwendung der Bauordnung anordnen, sofern das Nebengesetz nicht anderes bestimmt (vgl. z.B. § 1 Abs 1 Wiener Garagengesetz).

Die Wendung im § 70a Abs 1 BO 'unter Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften' kann daher nicht anders verstanden werden, als im Verfahren nach § 70 BO. Damit sind nur Bauvorschriften im soeben angeführten Sinn gemeint, nicht aber sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften wie etwa naturschutz- oder gewerberechtliche Bestimmungen.

4.2. Der Verfassungsgerichtshof scheint es auch als bedenklich zu erachten, dass der Ziviltechniker in diesem Zusammenhang die Übereinstimmung des Bauvorhabens auch mit technischen Bauvorschriften bestätigt, die über seine Befugnisse hinausgehen. Hiezu ist zu bemerken, dass das Verfassen der Baupläne - nur darauf bezieht sich die Bestätigung der Richtigkeit durch den Ziviltechniker - die Anwendung sämtlicher Bauvorschriften voraussetzt. Dass dabei auch Rechtsfragen geprüft werden müssen, liegt auf der Hand, ist aber keine Besonderheit des Verfahrens nach § 70a BO. Auch dann, wenn vor einer Einreichung nach § 70 BO Pläne erstellt werden, müssen diese den Bauvorschriften entsprechen. Das Verfassen eines Bauplanes, ohne dass Rechtsfragen beurteilt werden, - selbst solche Rechtsfragen, die auf technischen Bestimmungen beruhen - ist denkunmöglich.

Zur Klarstellung ist ferner festzuhalten, dass § 70a BO keinesfalls voraussetzt, dass die vom Ziviltechniker im Vorfeld des Verfassens der Baupläne zu prüfenden Rechtsfragen mehr oder andere wären als im Verfahren nach § 70 BO von technischen Amtssachverständigen in erster Instanz zu lösen sind. Die österreichische Bundesverfassung enthält - von Ausnahmen abgesehen - keine Bestimmung, die eine Beurteilung von Rechtsfragen nur durch Personen erlaubt, die eine abgeschlossene juristische Ausbildung aufweisen.

5. Des Weiteren hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, § 70a BO schließe nicht aus, dass der Planverfasser und der die Erklärung abgebende Ziviltechniker ident seien und somit die Unabhängigkeit des Gutachters nicht sichergestellt sei. Der Ziviltechniker könnte infolge gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen mit dem Bauwerber befangen sein.

5.1. Als Entscheidung 'in eigener Sache' sind folgende Fälle denkbar: Der Ziviltechniker bestätigt die Richtigkeit von Bauplänen, die er 1. selbst als Bauwerber einreicht, 2. als Bauführer selbst ausführt sowie 3. selbst verfasst hat.

Fall 1 ist eindeutig durch § 14 Abs 2 Z 1 ZTG untersagt. Nach dieser Bestimmung dürfen Ziviltechniker Beurkundungen nicht vornehmen in Sachen, an denen sie selbst, ihr Ehegatte, ein Verwandter oder Verschwägerter in auf- oder absteigender Linie, ein Geschwisterkind oder eine Person beteiligt ist, die noch näher verwandt oder in gleichem Grad verschwägert ist. Ein gesetzmäßiges Einschreiten als Urkundsperson und Bauwerber in ein und demselben Verfahren nach § 70a BO ist somit ausgeschlossen.

Die Lösung von Fall 2 ergibt sich aus § 4 Abs 4 ZTG. Danach sind Ziviltechniker im Rahmen ihres Fachgebietes zu keiner ausführenden Tätigkeit berechtigt. Da § 124 Abs 1 BO die Berechtigung des Bauführers zur erwerbsmäßigen Vornahme von Bauarbeiten begrifflich voraussetzt, ist daher auch ein gleichzeitiges Einschreiten als Urkundsperson und Bauführer unzulässig.

Legt man § 14 Abs 2 Z 1 ZTG nach dem Willen des Gesetzgebers aus, so ist auch der dritte Fall durch diese Bestimmung untersagt (Krejci-Pany-Schwarzer, a.a.0., verweisen in Rz 15 zu den §§12 bis 20 ZTG ausdrücklich auf den Ausschussbericht, worin bekräftigt wird, dass dem Ziviltechniker nicht das Recht zusteht, eigene Planungen zu beurkunden). Diese strenge Auffassung erscheint aber nicht zwingend. Der Ziviltechniker unterliegt nämlich in Bezug auf Falschbeurkundungen der qualifizierten Strafdrohung des Strafgesetzbuches. Selbst wenn eine Falschbeurkundung nicht mit einer unbedingten, mehr als einjährigen Freiheitsstrafe geahndet würde - § 17 Abs 1 Z 2 ZTG sieht in einem solchen Fall ex lege das Erlöschen der Befugnis des Ziviltechnikers vor -, wäre zumindest die Verhängung einer Disziplinarstrafe (der Entzug der Befugnis ist möglich) wahrscheinlich, zumal der Ziviltechniker mit der Begehung dieser strafbaren Handlung auch seinen Eid brechen würde. Es besteht daher kein Grund für die Annahme, dass der Ziviltechniker bei der Ausstellung von Bestätigungen über Planungen, die von ihm selbst verfasst wurden, einen Sorgfaltsmaßstab minderen Grades anlegt, als bei der Bestätigung der Richtigkeit fremder Pläne.

6. Bezüglich der Rechtsstellung der Nachbarn im vereinfachten Baubewilligungsverfahren nach § 70a BO hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, diese sei in einer dem Sachlichkeitsgebot widersprechenden Weise eingeschränkt, indem die Nachbarn möglichst lange vom Bauverfahren und von der Erörterung potenzieller Eingriffe in ihre subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte ferngehalten werden. Dazu komme, dass § 124 Abs 2 zweiter Satz BO, wonach die Bauanzeige als nicht erstattet gelte, wenn mit dem Bau entgegen der Baubeginnsanzeige begonnen werde, keine Gewähr dafür biete, dass der Nachbar rechtzeitig Einwendungen erheben könne. Denkbar wäre nämlich, dass der Bau bloß in kleinen Schritten mit Unterbrechungen begonnen werde, was den Nachbarn das Erkennen des Baubeginns geradezu unmöglich mache. Weiters komme dem Nachbarn mangels Parteistellung vor Erhebung der Einwendungen kein Recht auf Akteneinsicht zu. Auch die Verlautbarung der Einreichung nach § 70a BO reiche nicht aus, um den Nachbarn vor Eingriffen in seiner Rechtssphäre zu schützen.

6.1. Zu dem den Themenkreis der Rechtsstellung der Nachbarn beruhenden ersten Bedenken, es sei unsachlich, den Nachbarn möglichst lange vom Bauverfahren und damit von der Erörterung potenzieller Eingriffe in seine Rechte fernzuhalten, ist grundsätzlich festzuhalten, dass der Rechtsschutz des Nachbarn gegenüber der Stellung im Verfahren nach § 70 BO in materieller Hinsicht in keiner Weise vermindert ist. Der Nachbar kann ohne jede Einschränkung genauso wie im Verfahren nach § 70 BO ein zur Erlangung der Parteistellung entsprechendes Vorbringen erstatten, das von der Baubehörde, wie bereits betont, in jeder Richtung hin zu überprüfen ist. Der Unterschied zum Verfahren nach § 70 BO ist lediglich ein zeitlicher, der daraus resultiert, dass der Nachbar erst durch den Baubeginn vom Bauvorhaben erfährt. Diese Ungleichbehandlung gegenüber dem Nachbarn im Verfahren nach § 70 BO ist durch ein eminentes öffentliches Interesse, nämlich jenem an einer wesentlichen Beschleunigung des Bauverfahrens, gerechtfertigt. In diesem Punkt liegt das Wesen des § 70a BO: Das vereinfachte Baubewilligungsverfahren ist so konzipiert, dass es dem Bauwerber auf Grund seiner Vorleistung - der Vorlage der Ziviltechnikererklärung - erlaubt, möglichst rasch (nach drei Monaten) mit dem Bau zu beginnen. Dieses Ziel ist aber nur dann erreichbar, wenn den Nachbarn die Möglichkeit genommen wird, den Baubeginn allein durch das Erheben von Einwendungen aufzuhalten.

In der bisherigen Praxis der Bauoberbehörde für Wien hat sich gezeigt, dass Nachbareinwendungen in der überwiegenden Anzahl der Fälle unberechtigt bzw. unzulässig sind, dessen ungeachtet aber das Bauvorhaben im Ergebnis sachlich ungerechtfertigt verzögern.

6.2. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen gegen diese Konstruktion keine Bedenken. Der Verfassungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass die erst nachträgliche Überprüfung einer Entscheidung in einem Mehrparteienverfahren, wo sich unterschiedliche Interessen gegenüberstehen, dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 Abs 1 MRK nicht zuwiderläuft ( ZI. G41/97). Im gegenständlichen Fall ist dabei vor allem das enorme wirtschaftliche Interesse des Bauwerbers zu berücksichtigen.

Im Übrigen vertreten die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bei der Beurteilung von Anträgen auf aufschiebende Wirkung in übereinstimmender ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die bloße Ausübung der mit einer Bewilligung eingeräumten Berechtigung (hier die Errichtung eines Bauwerkes) für sich allein nicht als unverhältnismäßiger Nachteil angesehen werden kann ( Zlen. B1363/00-5, B1364/00-5 u.a.; Zl. AW 87/05/0024, Bausammlung Nr. 955 u.a.). Dabei wird regelmäßig betont, dass keine Gründe ersichtlich sind, warum die geplante Bauführung irreversible Veränderungen mit sich bringen würde. Diese Annahme trifft auch für das Verfahren nach § 70a BO voll und ganz zu. Falls der Beschwerdeführer im Verfahren vor einem Gerichtshof des öffentlichen Rechts obsiegt, hat allein der Bauwerber die Folgen einer dann allenfalls eingetretenen Konsenslosigkeit eines inzwischen ausgeführten Baues - die Erlassung eines Bauauftrages gemäß § 129 Abs 10 BO - und die damit verbundenen finanziellen Nachteile zu tragen. Selbst die Frage, ob der Beschwerdeführer im Bauauftragsverfahren Parteistellung genießt, wird als nicht von Bedeutung abgetan, weil die Baubehörde ohnehin von Amts wegen verpflichtet ist, bewilligungslose Bauführungen beseitigen zu lassen.

Die Tatsache, dass der Nachbar im Verfahren nach § 70a BO mehr Initiative an den Tag legen muss als im Verfahren nach § 70 BO, ist dadurch gerechtfertigt, dass die subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte dem Schutz seines Eigentums dienen und er daher von sich aus tätig werden muss (Janko, Zur Neuordnung der Rechtsstellung übergangener Nachbarn durch die AVG-Novelle 1998 und die Oberösterreichische Bauordnungsnovelle 1998, Baurechtliche Blätter 2000, Heft 4, S. 146 ff.).

Weiters ist in diesem Zusammenhang mit Nachdruck zu betonen, dass die im Verfahren nach § 70a BO für den Nachbarn erst später gegebene Möglichkeit, Parteistellung zu erlangen, nicht zur Konsequenz hat, dass der Nachbar einen einmal errichteten Bau, der nachträglich als rechtswidrig erachtet wird, weiterhin dulden müsste.

§129 Abs 10 BO ist in diesem Zusammenhang verfassungskonform so zu verstehen, dass den Nachbarn diesfalls ein Rechtsanspruch auf Erlassung eines Abtragungsauftrages zukommt (vgl. VwSlg. NF 9063A). Dazu kommt, dass der Oberste Gerichtshof regelmäßig Amtsmissbrauch annimmt, wenn § 129 Abs 10 BO nicht konsequent angewendet wird ( RdU 1995, S. 44).

6.4. Zum Bedenken, dass Fälle eintreten könnten, in denen der Nachbar im Verfahren nach § 70a BO nicht rechtzeitig vom Baubeginn erfahren könnte, ist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach es sich beim Baubeginn jedenfalls um Arbeiten handeln muss, die der Verwirklichung des Bauvorhabens dienen. Scheinhandlungen (z.B. bloße Baustofflagerungen) begründen keinen Baubeginn (VwSlg. 9754A, ZI. 1854/68). Daher muss es sich um sichtbare, zu einem erkennbaren Erfolg führende Maßnahmen handeln, die sich nicht verheimlichen lassen. Da es sich beim Baubeginn um einen rechtserheblichen Umstand handelt, steht den Nachbarn überdies das Recht zu, einen Feststellungsbescheid darüber zu verlangen (VwSlg. 17.733 u.a.). Ein versteckter 'Baubeginn' ist daher schon rechtlich nicht möglich.

Aus der Sicht der Praxis der Bauoberbehörde ist hiezu festzuhalten, dass Einreichungen nach § 70a BO fast ausschließlich von Wirtschaftstreibenden (vorwiegend Baugenossenschaften sowie Unternehmen, die Betriebe errichten) vorgenommen werden. Diese tätigen in der Regel beträchtliche Vorausinvestitionen, sodass die Errichtung des Projektes in der Praxis unmittelbar nach Ablauf der Dreimonatsfrist gemäß § 70a Abs 4 BO begonnen und ohne weitere Unterbrechungen fortgeführt wird. Das Argument, die Bauwerber würden die Nachbarn durch geringfügige und versteckte Bautätigkeiten fernzuhalten versuchen, erscheint im Hinblick darauf wirklichkeitsfremd.

6.5. Zum Einwand, dass der Nachbar erst vom Zeitpunkt der Erhebung seiner Einwendungen an Parteistellung erlangt und daher vorher keine Akteneinsicht nehmen könne, ist zu bemerken, dass dem Nachbarn nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes das Recht auf Akteneinsicht schon dann zu gewähren ist, bevor er Einwendungen erhoben hat, damit er beurteilen kann, ob er überhaupt Einwendungen erheben will und diese gegebenenfalls auch näher ausführen kann ( ZI. 98/06/0058).

6.6. Zum letztlich erhobenen Bedenken, die Kundmachung der Verlautbarung der Einreichung gemäß § 70a BO im Amtsblatt der Stadt Wien scheine nicht auszureichen, um den Nachbarn vor Eingriffen in seine Rechtsposition zu schützen, ist zu bemerken, dass der Kundmachung - ebenso wie im Verfahren nach § 70 BO (vgl. § 13la BO) - keinerlei Rechtswirkung zukommt. Mit der Kundmachung wird aber a priori nicht auf die Information des Nachbarn abgezielt, der - wie bereits ausgeführt - in der Folge von sich aus tätig werden muss. Diese hat vielmehr den Zweck, das Bauvorhaben nicht unmittelbar damit befassten Stellen (z.B. jene für die Planung von Haltestellen, Kindergärten, Schulen) bekannt zu machen (vgl. dazu die Erläuternden Bemerkungen zur BO-Novelle LGBI. für Wien Nr. 28/1992).

II. Zu § 75 Abs 9 BO:

1. Gegen § 75 Abs 9 BO hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, durch den Ausschluss des § 69 Abs 1 litm BO entstehe eine Differenzierung zwischen Gebäuden nach § 75 Abs 9 BO und anderen Gebäuden. Es sei nicht einzusehen, warum eine Überschreitung der Gebäudehöhe nach § 75 Abs 9 BO ohne jede weitere Voraussetzung, nach § 69 Abs 1 litm BO aber nur nach Maßgabe des § 69 Abs 2 BO, zulässig sein soll. Als unsachlich erachtet der Verfassungsgerichtshof, dass § 75 Abs 9 BO auf einen fiktiven Neubau abstellt, der ausschließlich Wohnungen und eine durchgehende Geschoßhöhe von 2,8 m aufweist. Weiters sei es unsachlich, dass § 75 Abs 9 ohne Bedachtnahme auf das Ziel gemäß § 1 Abs 2 Z 14 BO eine gegenüber dem Bebauungsplan höhere Gebäudehöhe generell zulasse und damit eine Abänderung der im Bebauungsplan festgelegten Gebäudehöhe verfüge.

1.1. § 75 Abs 9 BO ist eine Ausnahmebestimmung, die darauf abzielt, dass in Gebäuden der Bauklasse I bis IV bei gleichbleibender Geschoßanzahl eine höhere Raumhöhe, also ein qualitätvolleres Wohnen, erreicht wird, als die Mindestraumhöhe nach § 87 Abs 5 BO (2,5 m). Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung darf die Gebäudehöhe um 1,5 m nur dann erhöht werden, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:

1. Es muss sich um ein Gebäude

der Bauklasse I bis IV außerhalb einer Schutzzone handeln, das nicht mehr Hauptgeschoße aufweist als ein Neubau, der ausschließlich Wohnungen und eine durchgehende Geschoßhöhe von 2,8 m aufweist;

2. es darf das örtliche Stadtbild nicht beeinträchtigt werden;

3. es müssen die in Abhängigkeit

von der Straßenbreite vorgesehenen Beschränkungen der höchstzulässigen Gebäudehöhe eingehalten sein sowie

4. es darf die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen nicht vermindert werden.

Es ist daher unzutreffend, dass die Ausnahme nach § 75 Abs 9 BO ohne jede weitere Voraussetzung in Anspruch genommen werden kann. Im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift trifft auch die Annahme nicht zu, § 75 Abs 9 BO würde die Überschreitung der Gebäudehöhe generell zulassen.

1.2. Der Möglichkeit der Ausnahmegewährung gemäß § 69 Abs 1 litm BO in Verbindung mit Abs 2 dieser Bestimmung liegt ein ganz anderer Denkansatz zu Grunde. Die Ausnahme nach § 69 BO soll ermöglichen, nur ein Bauvorhaben im Detail anhand der örtlichen Gegebenheiten mit den Bebauungsvorschriften zu harmonisieren, ohne dabei mit diesen in einen grundlegenden Widerspruch zu geraten. Dazu ist eine Gesamtbetrachtung der Ziele des Bebauungsplanes anzustellen und abzuwägen, ob die geplante Nutzung mit der beabsichtigten in einem wesentlichen Widerspruch steht ( Zl. 92/05/0261). Im Hinblick auf diese Konzeption ist § 69 mit § 75 Abs 9 BO nicht vergleichbar.

Da beide Bestimmungen aber eine Überschreitung der Gebäudehöhe in einem bestimmten Ausmaß zulassen, würde ihre kumulative Anwendung eine Überschreitung der Gebäudehöhe ermöglichen, die jene nach der Bauklasse bzw. nach dem Bebauungsplan ad absurdum führen würde. Aus dieser sachlichen Erwägung heraus sieht § 75 Abs 9 BO den Ausschluss der Anwendung der Ausnahme nach § 69 Abs 1 litm BO vor.

1.3. In Anbetracht des oben angeführten Zieles der Bestimmung ist es nicht unsachlich, wenn der Landesgesetzgeber dabei auf einen fiktiven Neubau abstellt, der ausschließlich Wohnungen beinhaltet und eine durchgehende Geschoßhöhe von 2,8 m aufweist. Diese Voraussetzung bildet eine leicht vollziehbare Berechnungsgröße und zeigt deutlich, dass es dem Gesetzgeber auf die Förderung eines qualitativ hochwertigen Wohnbaues ankommt. Darüber hinaus hat der Landesgesetzgeber sichergestellt, dass durch die Überhöhung kein zusätzliches Hauptgeschoß gewonnen werden kann (vgl. auch Zl. 99/05/0285).

1.4. Die Annahme, § 75 Abs 9 BO würde eine Abänderung der im Bebauungsplan festgelegten Gebäudehöhe generell zulassen, trifft ebenso nicht zu. Der Gesetzgeber hat im § 75 Abs 9 BO ausdrücklich angeordnet, dass eine Überschreitung der Gebäudehöhe um 1,5 m unter anderem nur dann erfolgen darf, wenn das örtliche Stadtbild nicht beeinträchtigt wird. Vom Blickwinkel der Stadtbildgestaltung besonders sensible Bereiche (Schutzzonen) wurden zur Gänze vom Anwendungsbereich ausgeschlossen. Durch die jedenfalls erforderliche Einschaltung eines Amtssachverständigen für Stadtbildfragen ist gewährleistet, dass auf das im § 1 Abs 2 Z 14 BO angeführte Planungsziel "Stadtbildpflege" hinreichend Rücksicht genommen wird.

Aus all diesen Gründen ist § 75 Abs 9 BO daher verfassungsrechtlich unbedenklich.

III. Die Wiener Landesregierung ist der Ansicht, dass die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt wurde. Es wird daher der Antrag gestellt, der Verfassungsgerichtshof wolle weder § 70a BO noch § 75 Abs 9 BO wegen Verfassungswidrigkeit aufheben. Für den Fall der Aufhebung wolle jedoch in allen Fällen die längstmögliche Frist bis zum Außerkrafttreten gewährt werden."

IV. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die vorläufigen Annahmen, dass das Beschwerdeverfahren, das Anlass zur Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gegeben hat, zulässig ist und dass der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die Beschwerde §§70a und 75 Abs 9 BO f Wien anzuwenden hätte, haben sich als zutreffend erwiesen.

Auch die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmungen treffen zu:

2. Zu den Bedenken gegen § 70a BO f Wien:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat gegen Regelungen zur Vereinfachung und Beschleunigung des Baubewilligungsverfahrens an sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben. Wenn der Gesetzgeber - neben dem "normalen" Baubewilligungsverfahren - ein vereinfachtes und beschleunigtes Baubewilligungsverfahren einführt, das Elemente des Verfahrens über eine Bauanzeige enthält - wie beispielsweise den Verzicht auf die umfassende Prüfung des Bauvorhabens auf seine Übereinstimmung mit den öffentlichrechtlichen Vorschriften, den Verzicht auf die Erörterung des Bauvorhabens vor Baubeginn unter Beiziehung des Bauwerbers, der Nachbarn sowie der Sachverständigen und die Möglichkeit, vor Rechtskraft des Baubewilligungsbescheides mit dem Bau zu beginnen - so muss nicht nur die Einbeziehung dieser Vorhaben ihrer Art nach in das vereinfachte Baubewilligungsverfahren sachlich gerechtfertigt sein, sondern auch die Ausgestaltung des vereinfachten Baubewilligungsverfahrens verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere dem Gleichheitssatz und dem Rechtsstaatsprinzip, entsprechen.

2.2. Die Landesregierung pflichtet dem Verfassungsgerichtshof bei, dass die Beurteilung der Rechtsfrage, ob ein Bauvorhaben zu bewilligen ist, weil es mit den von der Baubehörde im Bewilligungsverfahren anzuwendenden Rechtsvorschriften übereinstimmt, als Beurteilung einer Rechtsfrage der Baubehörde obliegen muss. Sie meint jedoch, es verbleibe auch im vereinfachten Baubewilligungsverfahren die Beurteilung dieser Rechtsfrage bei der Baubehörde. Denn die Baubehörde habe das Recht, das Bauvorhaben gemäß § 70a Abs 4 bzw. nach § 70a Abs 8 zu versagen. Die Baubehörde habe zwar nur die in Z 1 bis 7 (des § 70a Abs 3) angeführten Fragen zu prüfen; diese seien jedoch insbesondere aus der Sicht der Nachbarn die wichtigsten Fragen, die in einem Bauverfahren auftreten können (z.B. die Frage der Einhaltung der Gebäudehöhe und des Seitenabstandes).

Das Wort "lediglich" im Einleitungssatz des Abs 3 sei aber nicht so zu verstehen, dass die Baubehörde den vom Ziviltechniker vorgelegten Plan "nicht auch sonst noch anschauen und - so wie sonst im Verfahren nach § 70 BO stichprobenartig - überprüfen" dürfe. Sie sei vielmehr "unter Anwendung des normalen Vollzugswissens" bei Fehlern verpflichtet, den Ziviltechniker darüber zu informieren und zu warnen. Unterließe die Baubehörde eine solche Überprüfung von vornherein bzw. würde sie ihrer Warnpflicht nicht nachkommen, obwohl ihr Fehler aufgefallen sind, wären Amtshaftungsansprüche nicht auszuschließen. Zusätzlich wäre den beteiligten Organwaltern bei Vorsatz Missbrauch der Amtsgewalt vorzuwerfen. Auf Grund der Vorlage der Bestätigung des Ziviltechnikers, die eine öffentliche Urkunde sei, dürfe die Baubehörde aber von vornherein auf die Richtigkeit dieser Erklärung vertrauen.

Darüber hinaus spreche aber bereits der Wortlaut des § 70a Abs 1 selbst gegen die Annahme, der Ziviltechniker wäre zur Entscheidung berufen, ob die Baubewilligung zu erteilen ist. Er sei lediglich berufen, die Rechtsrichtigkeit der Einreichunterlangen zu bestätigen.

2.3. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich zulässigerweise in einem Baubewilligungsverfahren die Mitwirkung von Ziviltechnikern vorsehen darf, deren Bestätigungen als öffentliche Urkunden im Baubewilligungsverfahren entsprechend berücksichtigt werden. Das Rechtsstaatsprinzip erfordert es jedoch, dass nicht der Ziviltechniker die Entscheidung, ob eine Bauführung wegen Übereinstimmung mit den zwingenden Bestimmungen des Baurechts öffentlich-rechtlich zu gestatten ist, bereits durch seine Erklärung vorwegnimmt, sondern die Baubehörde diese Entscheidung trifft. Dies ist aber nur dann sichergestellt, wenn die Baubehörde in der Lage ist, die Bestätigungen des Ziviltechnikers in jeder Richtung hin zu überprüfen und, wenn sie feststellt, dass das Bauvorhaben mit zwingenden Bestimmungen des Baurechts nicht übereinstimmt, die Errichtung des Bauvorhabens zu untersagen.

Aus der Formulierung im § 70a Abs 3, "Auf Grund der vollständig vorgelegten Unterlagen hat die Behörde lediglich zu prüfen", ergibt sich eindeutig, dass die Baubehörde bloß verpflichtet ist, die Übereinstimmung mit den in § 70a Abs 3 Z 1 bis 7 genannten Bestimmungen bzw. deren Einhaltung zu überprüfen. Eine weiter gehende Verpflichtung zur Überprüfung des Projektes ist der Baubehörde nicht aufgetragen. Dazu kommt, dass § 70a Abs 4 der Behörde nur dann die Möglichkeit der Untersagung der Bauführung einräumt, wenn diese wegen Widerspruchs zu den im Abs 3 genannten Bestimmungen unzulässig ist. Die Überprüfung, ob auch andere als im § 70a Abs 3 genannte zwingende Bauvorschriften eingehalten wurden, wird der Behörde nicht zur Pflicht gemacht. Halten sich die Baupläne nicht an zwingende Bauvorschriften, die nicht im § 70a Abs 3 genannt sind, so erlaubt § 70a Abs 4 auch nicht die Untersagung der Bauführung. In diesen Fällen ist es also der Baubehörde verwehrt, die Entscheidung in Richtung Untersagung der Bauführung zu treffen.

Wenn die Baubehörde aber keine Möglichkeit hat, ein allfälliges rechtswidriges Bauvorhaben zu versagen, so ist der Umstand, dass sich die Baubehörde entschlossen hat, eine rechtswidrige Bauführung nicht zu untersagen, einer Kontrolle im Instanzenzug und der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nicht mehr zugänglich.

2.4. Die Landesregierung vermeint weiters, die Baubehörde habe es gemäß § 70a Abs 9 iVm § 137 BO f Wien in der Hand, die nach § 70a erlangte Baubewilligung bei jedem Verstoß gegen zwingende Vorschriften der Bauordnung für Wien oder auf Grund dieses Gesetzes erlassener Verordnungen als nichtig zu erklären.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner Einschätzung, dass die im § 137 vorgesehene Möglichkeit, gemäß § 70a Abs 9 erster Satz fingierte Baubewilligungsbescheide für nichtig zu erklären, der Baubehörde keine ausreichende Gewähr dafür bietet, dass gesetzwidrige Bauführungen verhindert werden, weil die Befugnisse der Oberbehörde zur Nichtigerklärung beschränkt sind.

2.5. Zum Bedenken, § 70a Abs 1 scheine nicht auszuschließen, dass der Planverfasser und der die Erklärung gemäß § 70a Abs 1 abgebende Ziviltechniker ident sind, verweist die Wiener Landesregierung zunächst auf § 14 Abs 2 Z 1 ZTG, der die Auslegung zulasse, dass dem Ziviltechniker nicht das Recht zustehe, eigene Planungen zu beurkunden, vermeint aber, dass diese "strenge Auffassung" nicht zwingend erscheine.

Der Ziviltechniker unterliege in Bezug auf Falschbeurkundungen der qualifizierten Strafdrohung des Strafgesetzbuches. Selbst wenn eine Falschbeurkundung nicht mit einer unbedingten, mehr als einjährigen Freiheitsstrafe geahndet würde - § 17 Abs 1 Z 2 ZTG sehe in einem solchen Fall ex lege das Erlöschen der Befugnis des Ziviltechnikers vor - wäre zumindest die Verhängung einer Disziplinarstrafe (der Entzug der Befugnis sei möglich) wahrscheinlich, zumal der Ziviltechniker mit der Begehung dieser strafbaren Handlung auch seinen Eid brechen würde. Es bestehe daher kein Grund für die Annahme, dass der Ziviltechniker bei der Ausstellung von Bestätigungen über Planungen, die von ihm selbst verfasst wurden, einen Sorgfaltsmaßstab minderen Grades anlege, als bei der Bestätigung der Richtigkeit fremder Pläne.

Der Hinweis auf Strafsanktionen und Disziplinarmaßnahmen vermag an dem sich aus dem Rechtsstaatsgebot ergebenden Erfordernis der Unabhängigkeit jenes Organs, das ein Gutachten zur Frage der Übereinstimmung eines Bauvorhabens mit bautechnischen Bestimmungen erstattet, nichts zu ändern. Strafsanktionen und Disziplinarmaßnahmen mag präventiver Charakter zukommen, das Rechtsstaatsgebot jedoch erfordert ausdrückliche Vorkehrungen, um zu verhindern, dass der mit dem Bauwerber durch gemeinsame wirtschaftliche Interessen verbundene Planverfasser gleichzeitig ein Gutachten darüber abgibt, ob der von ihm verfasste Plan unter Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften verfasst wurde, insbesondere jener, die subjektiv-öffentliche Nachbarrechte (§134a) begründen.

Wie die Wiener Landesregierung einräumt, lässt sich aus § 14 Abs 2 Z 1 ZTG das Verbot, eine Erklärung gemäß § 70a Abs 1 zu eigenen Bauplänen abzugeben, nicht zwingend ableiten. Es hätte daher - um die Unabhängigkeit des die Erklärung abgebenden Ziviltechnikers sicherzustellen - einer entsprechenden klaren Regelung in der Wiener Bauordnung bedurft.

2.6. Dem Vorwurf im Prüfungsbeschluss, es sei unsachlich, den Nachbarn möglichst lange vom Bauverfahren und damit von der Erörterung potentieller Eingriffe in seine Rechte fernzuhalten, hält die Wiener Landesregierung entgegen, dass der Rechtsschutz des Nachbarn gegenüber der Stellung im Verfahren nach § 70 in materieller Hinsicht in keiner Weise vermindert sei.

Dem Gesetzgeber ist es von Verfassungs wegen nicht verwehrt, eine Regelung zu treffen, gemäß der die Frage der Zulässigkeit der Bauführung - in Form der Nichtuntersagung der Bauführung - zunächst nicht mit den Nachbarn erörtert wird, sondern gemäß der die Nachbarn erst im Nachhinein und nur zeitlich begrenzt die Möglichkeit erhalten, Einwendungen zu erheben und damit zu beantragen, dass die Baubewilligung versagt wird.

§ 70a Abs 7 gewährt jedoch dem Nachbarn das Recht, nachträglich Einwendungen zu erheben, nur bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn (§124 Abs 2). Der Verfassungsgerichtshof äußerte im Prüfungsbeschluss einerseits das Bedenken, das Anknüpfen an den angezeigten Baubeginn biete keine Gewähr dafür, dass der Nachbar rechtzeitig Einwendungen erheben kann und führte andererseits ins Treffen, der Nachbar sei mangels Akteneinsicht nur schwer in der Lage, gemäß § 134a zulässige Einwendungen zu erheben.

Der Verfassungsgerichtshof hält beide Bedenken für begründet. Die Landesregierung versucht zwar darzutun, dass einerseits Scheinhandlungen keinen Baubeginn im Sinne des § 124 Abs 2 darstellen könnten - es müsse sich um Arbeiten handeln, die der Verwirklichung des Bauvorhabens dienen - und andererseits in der Praxis unmittelbar nach Ablauf der Untersagungsfrist des § 70a Abs 4 mit der Errichtung des Projektes begonnen werde. Das Argument, die Bauwerber würden die Nachbarn durch geringfügige und versteckte Bautätigkeiten fernzuhalten versuchen, erscheine im Hinblick darauf wirklichkeitsfremd.

§ 70a Abs 7 stellt für den Beginn des Laufs der Frist, Einwendungen zu erheben, nicht etwa auf Bautätigkeiten ab, die für den Nachbarn als solche in der Außenwelt in Erscheinung treten, für ihn also ausreichend erkennbar sind, sondern knüpft den Beginn dieser Frist an den der Behörde angezeigten Zeitpunkt des Beginns der Bauführung. Nun gilt zwar die Bauanzeige gemäß § 124 Abs 2 letzter Satz als nicht erstattet, wenn mit dem Bau entgegen der Baubeginnsanzeige nicht begonnen wird. Dass die Bauarbeiten für den Nachbarn als solche erkennbar sein müssen, was z.B. bei Bauführungen im Innenhof eines Gebäudekomplexes nicht der Fall ist, verlangt diese Bestimmung nicht. Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher dabei, dass der Gesetzgeber, indem er den Beginn der Einwendungsfrist für den Nachbarn an den Zeitpunkt der Anzeige des Baubeginns geknüpft hat, in einer das Sachlichkeitsgebot verletzenden Weise an einen untauglichen Zeitpunkt angeknüpft hat.

Zum Einwand, dass der Nachbar erst vom Zeitpunkt der Erhebung seiner Einwendungen an Parteistellung erlangt und daher vorher keine Akteneinsicht nehmen könne, bemerkt die Wiener Landesregierung, dass dem Nachbarn nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes das Recht auf Akteneinsicht schon vor Erhebung von Einwendungen zu gewähren ist, damit er beurteilen kann, ob er überhaupt Einwendungen erheben will und diese gegebenenfalls auch näher ausführen kann ( Zl. 98/06/0058).

Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner Annahme, dass das subjektive Recht auf Akteneinsicht unabdingbare Voraussetzung für die Erhebung zulässiger und sinnvoller Einwendungen und damit für die Erlangung der Parteistellung ist. Denn wenn auch der Nachbar die Einwendung gemäß § 134a nicht begründen muss, so muss die Einwendung doch erkennen lassen, welche Rechtsverletzung geltend gemacht wird. Ein Beispiel für eine Einwendung im Sinne des § 134a stellt die Verletzung der Bestimmungen über die Gebäudehöhe dar. Um die Verletzung dieser Bestimmungen geltend machen zu können, muss der Nachbar über ausreichende Informationen über die geplante Gebäudehöhe verfügen. Diese Informationen kann er jedoch nur durch Einsichtnahme in die Baupläne erhalten.

Um den Nachbarn, der erst mit der Erhebung von Einwendungen Parteistellung erlangt, vor Eingriffen in seine Rechtsposition ausreichend zu schützen, hätte es daher einer - über § 17 Abs 1 erster Satz AVG hinaus (und innerhalb der Grenzen des Art 20 Abs 3 B-VG und des § 1 DSG) - klaren Regelung bedurft, dass dem Nachbarn das subjektive Recht auf Akteneinsicht zur Erhebung von Einwendungen zur Erlangung der Parteistellung im Sinne des § 70a Abs 7 zusteht.

3. Die Bedenken, dass die Ausgestaltung des vereinfachten Baubewilligungsverfahrens sowohl dem Gleichheitssatz als auch dem Rechtsstaatsprinzip widerspricht, haben sich daher als zutreffend erwiesen. Gleiches gilt für die Annahme des Verfassungsgerichtshofs, § 70a stelle eine untrennbare Einheit dar.

3.1. § 70a samt Überschrift wurde durch ArtI des Gesetzes, mit dem Bestimmungen der Bauordnung für Wien und des Wiener Kleingartengesetzes 1996 neuerlich beschlossen und kundgemacht werden und die Bauordnung für Wien geändert wird, LGBl. Nr. 61/1998, geändert.

ArtI und ArtIV dieses Gesetzes lauten (auszugsweise):

"Artikel I

Folgende Bestimmungen der Bauordnung für Wien, LGBl. für Wien Nr. 11/1930, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBl. für Wien Nr. 46/1998, werden im Hinblick auf den Beschluß des Nationalrates vom betreffend § 82 Abs 7 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 neuerlich beschlossen und kundgemacht:

1. § 70a samt Überschrift lautet:

...

Artikel IV

Dieses Gesetz tritt mit in Kraft."

Gemäß § 82 Abs 7 AVG idF der Novelle BGBl. I Nr. 158/1999 traten alle in Vorschriften des Bundes und der Länder enthaltenen Bestimmungen, die ua. von § 42 abweichen, mit Ablauf des außer Kraft.

3.2. Im Hinblick darauf, dass der Landtag von Wien § 70a neu beschlossen hat, dieser Gesetzesbeschluss im LGBl. Nr. 61/1998 kundgemacht wurde und das Gesetz mit in Kraft getreten ist, gehört der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende § 70a idF LGBl. Nr. 40/1997 - unbeschadet einer allfälligen Derogation eines Teils des § 70a durch § 82 Abs 7 AVG - nicht mehr dem Rechtsbestand an. Es war daher auszusprechen, dass § 70a verfassungswidrig war.

4. Zu § 75 Abs 9 BO f Wien:

4.1. Gegen diese Bestimmung hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass für die Differenzierung zwischen Gebäuden, die der Regelung des § 75 Abs 9 unterliegen und anderen Gebäuden keine sachliche Rechtfertigung bestehe. Es sei nicht einzusehen, weshalb ein Überschreiten der Gebäudehöhe bei den im § 75 Abs 9 genannten Gebäuden ohne jede weitere Voraussetzung zulässig sein soll, während sonst für ein Überschreiten der Gebäudehöhe gemäß § 69 Abs 1 litm die Behörde nach Maßgabe des § 69 Abs 2 über die Zulässigkeit der Abweichungen von den Bebauungsvorschriften zu entscheiden hat. Gemäß § 69 Abs 2 sind u.a. die Gründe, die für die Abweichung sprechen, mit den Gründen, die dagegen sprechen, abzuwägen.

Der Verfassungsgerichtshof hegte weiters auch Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes dagegen, dass § 75 Abs 9 auf einen fiktiven Neubau abstellt, der ausschließlich Wohnungen und eine durchgehende Geschosshöhe von 2,8 m aufweist.

4.2. Die Landesregierung erwidert unter Hinweis auf die im '75 Abs 9 genannten Voraussetzungen, diese Bestimmung sei eine Ausnahmebestimmung, die darauf abziele, dass in Gebäuden der Bauklasse I bis IV bei gleich bleibender Geschossanzahl eine höhere Raumhöhe, also ein qualitätsvolleres Wohnen, erreicht werde, als die Mindestraumhöhe nach § 87 Abs 5 BO (2,5 m).

In Anbetracht dieses Zieles sei es nicht unsachlich, wenn der Landesgesetzgeber dabei auf einen fiktiven Neubau abstelle, der ausschließlich Wohnungen und eine durchgehende Geschosshöhe von 2,8 m aufweise. Diese Voraussetzung bilde eine leicht vollziehbare Berechnungsgröße und zeige deutlich, dass es dem Gesetzgeber auf die Förderung eines qualitativ hochwertigen Wohnbaues ankomme. Darüber hinaus habe der Landesgesetzgeber sichergestellt, dass durch die Überhöhung kein zusätzliches Hauptgeschoss gewonnen werden kann.

4.3. Die von der Landesregierung für die Sachlichkeit der Regelung ins Treffen geführte Begründung, durch Überschreiten der Mindestraumhöhe ein qualitätvolleres Wohnen sicherzustellen, ist nicht geeignet, das aufgezeigte Ziel zu erreichen. Denn die Bestimmung ermöglicht die Beibehaltung einer lichten Höhe von mindestens 2,50 m (§87 Abs 5) und erlaubt unter Ausnutzung der Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe um 1,5 m zwar kein zusätzliches Hauptgeschoss, aber die Errichtung von zusätzlichen Nebengeschossen gemäß § 87 Abs 2.

4.4. Der Verfassungsgerichtshof hatte schließlich noch folgendes weiteres Bedenken gegen § 75 Abs 9: Der Verordnungsgeber hat seinerzeit bei Erlassung des Bebauungsplanes die Bauklasse entsprechend dem Ziel des § 1 Abs 2 Z 14 (Herbeiführung eines den zeitgemäßen Vorstellungen entsprechenden örtlichen Stadtbildes und Gewährleistung des Bestandes von Gebieten, die wegen ihres örtlichen Stadtbildes in ihrem äußeren Erscheinungsbild erhaltungswürdig sind) festgesetzt. § 75 Abs 9 lässt hingegen ohne Bedachtnahme auf das Ziel des § 1 Abs 2 Z 14 eine gegenüber dem Bebauungsplan höhere Gebäudehöhe generell zu und verfügt damit - ohne dass dafür eine sachliche Rechtfertigung erkennbar wäre - inhaltlich eine Abänderung der im Bebauungsplan festgelegten zulässigen Gebäudehöhe. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber in Kenntnis der Überschreitungsmöglichkeiten des § 75 Abs 9 entsprechend den genannten Zielen eine geringere Bauklasse festgelegt hätte.

Die Landesregierung führt hiezu aus, der Gesetzgeber habe im § 75 Abs 9 ausdrücklich angeordnet, dass eine Überschreitung der Gebäudehöhe um 1,5 m unter anderem nur dann erfolgen dürfe, wenn das örtliche Stadtbild nicht beeinträchtigt wird. Vom Blickwinkel der Stadtbildgestaltung besonders sensible Bereiche (Schutzzonen) seien zur Gänze vom Anwendungsbereich ausgeschlossen worden. Durch die jedenfalls erforderliche Einschaltung eines Amtssachverständigen für Stadtbildfragen sei gewährleistet, dass auf das im § 1 Abs 2 Z 14 angeführte Planungsziel "Stadtbildpflege" hinreichend Rücksicht genommen werde.

Diese Antwort zeigt, dass die Landesregierung die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs verkennt. Wenn der Verordnungsgeber beispielsweise unter Berücksichtigung der Ziele des § 1 Abs 2 Z 14 die Bauklasse I und damit die Begrenzung auf eine Gebäudehöhe von 7,5 m und zwei Vollgeschosse festgesetzt hat, so hat er nicht in seine Überlegungen mit einbezogen, dass durch die dem Flächenwidmungs- und Bebauungsplan nachfolgende Bestimmung des § 75 Abs 9 im Effekt ein viergeschossiger Wohnhausbau (unter Ausnützung der Überschreitung der Gebäudehöhe um 1,5 m und des § 87 Abs 1 und 2, wonach Geschosse, die ganz oder teilweise durch seitliche Dachflächen abgeschlossen sind, als Nebengeschosse gelten) zulässig ist. Damit hat aber der Gesetzgeber ohne Bedachtnahme auf das Ziel des § 1 Abs 2 Z 14 eine gegenüber dem Bebauungsplan höhere Gebäudehöhe generell zugelassen und damit - ohne dass dafür eine sachliche Rechtfertigung erkennbar wäre - inhaltlich eine Abänderung der im Bebauungsplan festgelegten zulässigen Gebäudehöhe verfügt. Frühere Flächenwidmungsplanungen werden durch diese Regelungen insofern unterlaufen, als sie seinerzeit unter einem gesetzlichen Regime erfolgt sind, welches diese Möglichkeit nicht vorgesehen hat.

4.5. Da der von der Landesregierung behauptete sachliche Grund für die Differenzierung nicht zutrifft, auch andere Gründe nicht für die Sachlichkeit der Regelung sprechen und Argumente für eine verfassungskonforme Interpretation des § 75 Abs 9 weder von der Landesregierung vorgebracht noch hervorgekommen sind, war § 75 Abs 9 wegen Widerspruchs zum Gleichheitsgebot aufzuheben.

V. Um allfällige legistische Vorkehrungen zu ermöglichen, hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten der als verfassungswidrig erkannten Gesetzesbestimmung des § 75 Abs 9 den Ablauf des bestimmt.

Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz

B-VG.

Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Wien zur unverzüglichen Kundmachung des Ausspruchs, dass § 70a BO f Wien verfassungswidrig war und der Aufhebung des § 75 Abs 9 BO f Wien ergibt sich aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 abgesehen werden.