VfGH vom 05.10.2011, g84/11

VfGH vom 05.10.2011, g84/11

Sammlungsnummer

19526

Leitsatz

Unsachlichkeit der mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 geänderten Regelung der ZPO über gerichtliche Kostenentscheidungen; ungeprüfte Zugrundelegung des Kostenverzeichnisses bei anwaltlich vertretenen Parteien; verfassungskonforme Auslegung auf Grund der unmissverständlichen Formulierung nicht mehr möglich

Spruch

I. In § 54 Abs 1a dritter Satz Zivilprozessordnung, RGBl. Nr. 113/1895 idF BGBl. I Nr. 111/2010, wird das Wort "ungeprüft" als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Das aufgehobene Wort ist nicht mehr anzuwenden.

III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

V. Die zu G101/11 und G102/11 protokollierten Anträge des Landesgerichtes St. Pölten werden zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Beim Landesgericht Innsbruck ist ein Verfahren über einen - von der beklagten Partei in einem Verfahren wegen Verbesserung von Baumängeln erhobenen - Rekurs gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Kitzbühel anhängig, mit dem die beklagte Partei schuldig erkannt wurde, den klagenden Parteien die mit € 8.091,49 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

1.1. Diesem Rekursverfahren liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Mit der am beim Bezirksgericht Kitzbühel eingelangten Klage begehrten die klagenden Parteien von der beklagten Partei die Verbesserung von Baumängeln. In der Tagsatzung vom wurde der Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet und die Parteien zur Legung ihrer Kostennoten aufgefordert. Gegen das Kostenverzeichnis der beklagten Partei wurden von den klagenden Parteien Einwendungen erhoben. Die beklagte Partei erhob hingegen keine Einwendungen.

Das Bezirksgericht Kitzbühel gab dem Klagebegehren mit Urteil vom vollinhaltlich statt. Weiters erkannte es die beklagte Partei schuldig, den klagenden Parteien Kosten in der Höhe von € 8.091,49 zu ersetzen. Zur Kostenentscheidung führte es aus, die klagenden Parteien hätten im Zuge ihrer Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis der beklagten Partei eine berichtigte Fassung des von ihnen gelegten Kostenverzeichnisses vorgelegt. Diese berichtigte Fassung habe jedoch nicht berücksichtigt werden können, weil das Gericht an das von den Parteien vor Schluss der Verhandlung gelegte Kostenverzeichnis gebunden sei. Da die beklagte Partei keine Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis der klagenden Parteien erhoben habe, sei es dem Gericht verwehrt, das von den klagenden Parteien vorgelegte Kostenverzeichnis zu berichtigen, auch wenn es offenkundig falsch sei.

Gegen diese Kostenentscheidung erhob die beklagte Partei fristgerecht Rekurs und brachte vor, sie habe zwar keine Einwendungen gemäß § 54 Abs 1a Zivilprozessordnung, RGBl. 113/1895 idF BGBl. I 111/2010 (im Folgenden: ZPO), erhoben, jedoch sei das von den klagenden Parteien vorgelegte Kostenverzeichnis offenkundig unrichtig. Sollte dieser Mangel vom Rechtsmittelgericht nicht aufgegriffen werden, möge dieses einen Antrag auf Aufhebung des § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I 111/2010 (im Folgenden: Budgetbegleitgesetz 2011), beim Verfassungsgerichtshof stellen, weil diese Bestimmung den Grundprinzipien des Kostenrechts widerspreche und damit verfassungswidrig sei.

1.2. Aus Anlass dieses Rekursverfahrens stellte das Landesgericht Innsbruck am den zu G84/11 protokollierten Antrag, das Wort "ungeprüft" in § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 als verfassungswidrig aufzuheben.

Zur Präjudizialität des § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 führt das Landesgericht Innsbruck aus, dass diese Bestimmung gemäß Art 39 Abs 10a Budgetbegleitgesetz 2011 auf Verfahren anzuwenden sei, in denen der Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz nach dem liegt. Da die mündliche Verhandlung im vorliegenden Fall in der Tagsatzung vom geschlossen worden sei, habe das Gericht bei der Fällung seiner Kostenentscheidung § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 anzuwenden.

In der Sache nimmt das Landesgericht Innsbruck auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G280/09, Bezug, in welchem der Verfassungsgerichtshof zu § 54 Abs 1a ZPO idF vor dem Budgetbegleitgesetz 2011 ausgesprochen hat, dass es unsachlich sei, wäre das Gericht an das Kostenverzeichnis allein deshalb gebunden, weil es durch den Verfahrensgegner unbeeinsprucht bliebe. Dies könne dazu führen, dass das Gericht auch Kosten zuzusprechen hätte, deren Aufnahme in das Kostenverzeichnis auf Schreib- oder Rechenfehlern oder anderen offenbaren Unrichtigkeiten beruhe. Der Zweck der Regelung, nämlich Entlastung der Gerichte und Straffung des Verfahrens, vermöge eine solche Regelung nicht zu rechtfertigen. Der Wortlaut der Bestimmung könne jedoch so verstanden werden, dass das Kostenverzeichnis nur die Grundlage für die gerichtliche Entscheidung bilde, das Gericht aber die angesprochenen Fehler zu korrigieren habe. Die gegenteilige Auslegung würde zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen.

Nach Ansicht des antragstellenden Gerichtes sei durch die mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 erfolgte Einfügung des Wortes "ungeprüft" das vom Verfassungsgerichtshof angesprochene verfassungswidrige Ergebnis herbeigeführt worden.

1.3. Die Bundesregierung vertritt in ihrer Äußerung, dass auch durch die Einfügung des Wortes "ungeprüft" eine verfassungskonforme Interpretation des § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 nicht ausgeschlossen sei. Das Gericht könne auch nach dieser Rechtslage die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , G280/09, angesprochenen - von den Verfahrensparteien unbeeinsprucht gebliebenen - Schreib- oder Rechenfehler oder anderen offenbaren Unrichtigkeiten bei seiner Kostenentscheidung aufgreifen und korrigieren, weil ihr Vorliegen ohne weiteres festgestellt werden könne; die Wahrnehmung solcher Fehler bedürfe keiner Prüfung, weshalb das Wort "ungeprüft" dem nicht entgegenstehe. Die Bundesregierung beantragt daher, das Wort "ungeprüft" nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Beim Oberlandesgericht Linz ist ein Verfahren über einen - von der klagenden Partei in einem Verfahren wegen Unterlassung erhobenen - Rekurs gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg anhängig, mit dem die beklagte Partei schuldig erkannt wurde, der klagenden Partei die mit € 17.789,66 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2.1. Diesem Rekursverfahren liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Mit der am beim Landesgericht Salzburg eingelangten Klage begehrte die klagende Partei von der beklagten Partei, es zu unterlassen, ein gleichartiges oder ähnliches Geschäft zu betreiben wie sie es bereits im Einkaufszentrum E. unterhält. In der Tagsatzung vom wurde der Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet und die Parteien zur Legung ihrer Kostennoten aufgefordert. Sowohl die klagende als auch die beklagte Partei erhob Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis der jeweils anderen Partei.

Das Landesgericht Salzburg gab dem Klagebegehren mit Urteil vom statt. Weiters erkannte es die beklagte Partei schuldig, der klagenden Partei Kosten in der Höhe von € 17.789,66 zu ersetzen.

Gegen diese Kostenentscheidung erhob die klagende Partei fristgerecht Rekurs und brachte vor, dass das Erstgericht bei seiner Kostenentscheidung zwei im Kostenverzeichnis der klagenden Partei enthaltene Positionen nicht berücksichtigt habe, obwohl sich die beklagte Partei in ihren Einwendungen nicht gegen diese zwei Positionen gewandt habe.

2.2. Aus Anlass dieses Rekursverfahrens stellte das Oberlandesgericht Linz am den zu G87/11 protokollierten Antrag, das Wort "ungeprüft" in § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 als verfassungswidrig aufzuheben.

Das Oberlandesgericht Linz begründet seinen Antrag ebenfalls unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G280/09, und führt aus, dass durch die Einfügung des Wortes "ungeprüft" durch das Budgetbegleitgesetz 2011 eine verfassungskonforme Interpretation der Bestimmung nicht mehr möglich sei.

2.3. Die Bundesregierung legt die bereits im Verfahren zu G84/11 erstattete Äußerung vor und beantragt, das Wort "ungeprüft" in § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

2.4. Eine der zu G87/11 mitbeteiligten Parteien erstattet eine Äußerung und stellt den Antrag, das Wort "ungeprüft" in § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Begründend wird ausgeführt, das Oberlandesgericht Linz habe seine Bedenken gegen § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 nicht im Einzelnen dargelegt, da die Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G280/09, ohne nähere Ausführungen nicht ausreiche. Weiters sei das angesprochene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht mehr einschlägig, weil der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 54 Abs 1a ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2011 auf anwaltlich vertretene Parteien eingeschränkt habe. Gegen das Wort "ungeprüft" bestünden daher keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2.5. Die zweite mitbeteiligte Partei schließt sich dem Antrag des Oberlandesgerichtes Linz auf Aufhebung des Wortes "ungeprüft" in § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 an. Begründend wird unter anderem vorgebracht, dass das verfassungswidrige Ergebnis nicht durch die Einschränkung des Anwendungsbereiches auf anwaltlich vertretene Parteien beseitigt worden sei. Es werde darauf hingewiesen, dass der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , G280/09, keinen Bezug darauf genommen habe, ob die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten sei oder nicht.

II. Rechtslage

1. § 54 Abs 1a ZPO, RGBl. 113/1895 idF BGBl. I 52/2009, lautete:

"§. 54.

(1a) Das am Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz (§193) dem Gericht zu übergebende Kostenverzeichnis ist gleichzeitig auch dem Gegner auszuhändigen. Dieser kann dazu binnen einer Notfrist von 14 Tagen Stellung nehmen. Auf diese Frist hat die verhandlungsfreie Zeit keinen Einfluss. Soweit der Gegner gegen die verzeichneten Kosten keine begründeten Einwendungen erhebt, hat das Gericht diese seiner Entscheidung zu Grunde zu legen."

2. Gemäß Art 38 Z 2 des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I 111/2010, wurde § 54 Abs 1a ZPO wie folgt geändert:

"Artikel 38

Änderung der Zivilprozessordnung

1. [...]

2. [...]

a) Der dritte Satz wird aufgehoben.

b) Im bisherigen vierten und nunmehr dritten Satz wird nach den Worten 'Soweit der' die Wortfolge 'durch einen Rechtsanwalt vertretene' und nach dem Wort 'diese' das Wort 'ungeprüft' eingefügt.

c) Folgender Satz wird angefügt:

'Ein Kostenersatz für die Einwendungen findet nicht statt.'"

§ 54 Abs 1a ZPO, RGBl. 113/1895 idF BGBl. I 111/2010, lautet daher wie folgt (das angefochtene Wort ist hervorgehoben):

"§. 54.

(1a) Das am Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz (§193) dem Gericht zu übergebende Kostenverzeichnis ist gleichzeitig auch dem Gegner auszuhändigen. Dieser kann dazu binnen einer Notfrist von 14 Tagen Stellung nehmen. Soweit der durch einen Rechtsanwalt vertretene Gegner gegen die verzeichneten Kosten keine begründeten Einwendungen erhebt, hat das Gericht diese ungeprüft seiner Entscheidung zu Grunde zu legen. Ein Kostenersatz für die Einwendungen findet nicht statt."

3. Art 39 Abs 10a des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I 111/2010, lautet auszugsweise:

"Artikel 39

Inkrafttreten, Schluss- und Übergangsbestimmungen

(1) [...] (10)

(10a) Art 38 Z 2 litc (§54 Abs 1a letzter Satz ZPO) in der Fassung dieses Bundesgesetzes ist in Verfahren anzuwenden, in denen der Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz nach dem liegt.

(11) [...] (13)"

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträgen erwogen:

1. Prozessvoraussetzungen

Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 140 B-VG bzw. des Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

§ 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 gilt seit . Lediglich für den letzten Satz des § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 ("Ein Kostenersatz für die Einwendungen findet nicht statt.") sieht die Übergangsbestimmung des Art 39 Abs 10a Budgetbegleitgesetz 2011 vor, dass dieser Satz nur in Verfahren anzuwenden ist, in denen der Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz nach dem liegt. Die Erstgerichte hatten daher in den jeweiligen Anlassverfahren den dritten Satz des § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011, wonach das Gericht die verzeichneten Kosten seiner Entscheidung ungeprüft zu Grunde zu legen hat, soweit der durch einen Rechtsanwalt vertretene Gegner gegen die verzeichneten Kosten keine begründeten Einwendungen erhebt, anzuwenden, und zwar unabhängig vom Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz.

Es ist jedenfalls nicht als denkunmöglich anzusehen, wenn die antragstellenden Gerichte davon ausgehen, dass sie bei der Beurteilung der bei ihnen anhängigen Verfahren § 54 Abs 1a ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 anzuwenden haben.

Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, sind die Anträge zulässig.

2. In der Sache

Sowohl das Landesgericht Innsbruck als auch das Oberlandesgericht Linz begründen ihre Anträge mit einem Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G280/09, in dem der Verfassungsgerichtshof zu § 54 Abs 1a ZPO idF vor dem Budgetbegleitgesetz 2011 Folgendes aussprach:

"[...]

2.2. Die von der Bundesregierung vertretene und in den Gesetzesmaterialien vorgenommene Interpretation des § 54 Abs 1a ZPO erweist sich vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes in der Tat als unsachlich. Wäre das Gericht an das Kostenverzeichnis allein deshalb gebunden, weil es durch den Verfahrensgegner unbeeinsprucht blieb, könnte dies dazu führen, dass das Gericht auch Kosten zuzusprechen hätte, deren Aufnahme in das Kostenverzeichnis auf Schreib- oder Rechenfehlern oder anderen offenbaren Unrichtigkeiten beruht. Der in den Gesetzesmaterialien angeführte Zweck des § 54 Abs 1a ZPO, nämlich Entlastung der Gerichte und Straffung des Verfahrens, vermag eine solche Regelung jedoch nicht zu rechtfertigen.

2.3. Nun lässt es der Wortlaut des § 54 Abs 1a ZPO aber zu, die Wendung 'seiner Entscheidung zu Grunde zu legen' dahingehend zu verstehen, dass das Kostenverzeichnis nur die Grundlage für die gerichtliche Entscheidung bildet, das Gericht aber die unter Punkt 2.2. dargestellten Fehler zu korrigieren hat. Da die gegenteilige Auslegung ein verfassungswidriges Ergebnis zur Folge hätte, ist eine verfassungskonforme Interpretation im dargelegten Sinn nicht nur zulässig, sondern geboten.

[...]"

Dieses Erkenntnis wurde am zugestellt.

Durch das am beschlossene und am kundgemachte Budgetbegleitgesetz 2011 wurde § 54 Abs 1a ZPO dahingehend geändert, dass das Gericht bei anwaltlich vertretenen Gegnern unbeeinsprucht gebliebene Kostenanträge seiner Entscheidung nunmehr ungeprüft zu Grunde zu legen hat. Nach den Erläuterungen (vgl. RV 981 BlgNR 24. GP, 81 f.) sollen mit dieser Klarstellung Missverständnisse bei der Auslegung des § 54 Abs 1a ZPO idF vor dem Budgetbegleitgesetz 2011 ausgeräumt werden, um das ursprünglich vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Entlastung der Gerichte zu erreichen.

Den antragstellenden Gerichten ist zuzustimmen, wenn sie in dieser Gesetzesänderung das vom Verfassungsgerichtshof im Vorerkenntnis vom , G280/09, für verfassungswidrig befundene Ergebnis erblicken: Durch die Einfügung des Wortes "ungeprüft" ist es dem Gericht nämlich verwehrt, jegliche Fehler eines nicht beeinspruchten Kostenverzeichnisses aufzugreifen. Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung entbehrt diese Konsequenz der sachlichen Rechtfertigung.

Auch der Umstand, dass der Gesetzgeber mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 neben der Einfügung des Wortes "ungeprüft" zugleich den Anwendungsbereich der Regelung auf anwaltlich vertretene Parteien eingeschränkt hat, sodass bei unvertretenen Parteien die Pflicht des Gerichtes zur vollen Überprüfung des Kostenverzeichnisses gilt, ändert nichts an dem verfassungswidrigen Ergebnis, ist es doch auch in diesen Fällen nicht ausgeschlossen, dass das Kostenverzeichnis Schreib- oder Rechenfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten enthält. Es fehlt weiterhin an einer sachlichen Rechtfertigung für die Anwendung der Regelung auf anwaltlich vertretene Parteien. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist der Zweck der Entlastung der Gerichte nicht geeignet, für eine so weitgehende Regelung eine solche sachliche Rechtfertigung darzustellen.

Durch das Wort "ungeprüft" drückt der Gesetzgeber nun unmissverständlich aus, dass das Gericht unbeeinsprucht gebliebene Kostenverzeichnisse nicht überprüfen darf, sondern die Kosten - so wie sie verzeichnet sind - der Kostenentscheidung zu Grunde zu legen hat. Dieses Verständnis des Wortes "ungeprüft" bestätigen auch die Erläuterungen (RV 981 BlgNR 24. GP, 82), in denen Folgendes ausgeführt wird: "Aufgrund der sich anders entwickelnden Rechtsprechung soll der Wille des Gesetzgebers nunmehr durch Ergänzung des Gesetzestextes des § 54 Abs 1a durch Einfügung der Wendung 'ungeprüft' klar zum Ausdruck gebracht werden. Wurde eine Position falsch verzeichnet und dies nicht vom Gegner in seinen Einwendungen gerügt, so ist die falsche Position ohne weitere Prüfung der Kostenentscheidung zugrunde zu legen." Vor diesem Hintergrund und auf Grund der unmissverständlichen Bedeutung des Wortes "ungeprüft" ist die nunmehrige Regelung im Gegensatz zu ihrer Vorgängerregelung einer verfassungskonformen Interpretation dahingehend, dass das Gericht Schreib- oder Rechenfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten zu korrigieren hat, nicht mehr zugänglich.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Es ist daher das Wort "ungeprüft" im dritten Satz des § 54 Abs 1a ZPO, RGBl. 113/1895 idF BGBl. I 111/2010, als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Der Verfassungsgerichtshof sah sich veranlasst, von der ihm gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass das aufgehobene Wort nicht mehr anzuwenden ist.

3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit in Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.

5. Das Landesgericht St. Pölten begehrte in seinen erst am zu G101/11 und am zu G102/11 eingelangten Anträgen, das Wort "ungeprüft" im dritten Satz des § 54 Abs 1a ZPO, RGBl. 113/1895 idF BGBl. I 111/2010, als verfassungswidrig aufzuheben. Eine formelle Einbeziehung dieser Anträge in das Gesetzesprüfungsverfahren war im Hinblick auf das fortgeschrittene Prozessgeschehen nicht mehr möglich.

Da mit dem vorliegenden Erkenntnis das Wort "ungeprüft" im dritten Satz des § 54 Abs 1a ZPO, RGBl. 113/1895 idF BGBl. I 111/2010, als verfassungswidrig aufgehoben wird und nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 12.633/1991, 16.532/2002, 17.266/2004) ein bereits aufgehobenes oder als verfassungswidrig erkanntes Wort wegen entschiedener Sache nicht neuerlich Gegenstand einer entsprechenden Aufhebung sein kann, sind die beiden - in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung mit den übrigen Anträgen des Landesgerichtes Innsbruck und des Oberlandesgerichtes Linz verbundenen - Anträge des Landesgerichtes St. Pölten als unzulässig zurückzuweisen.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 2 litd und Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.