zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 25.02.2004, g76/01

VfGH vom 25.02.2004, g76/01

Sammlungsnummer

17135

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der im Ehegesetz normierten einjährigen Frist für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des geschiedenen Ehegatten im Gegensatz zur allgemeinen dreijährigen Verjährungsfrist für Unterhaltsansprüche im ABGB; keine sachliche Rechtfertigung der Schlechterstellung geschiedener unterhaltsberechtigter Ehegatten gegenüber allen übrigen Unterhaltsberechtigten

Spruch

I. In § 72 des Gesetzes zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung (im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet) vom DRGBl. 1938 I 807 wird die Wortfolge ", für eine länger als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit liegende Zeit jedoch nur, soweit anzunehmen ist, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat" als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II. Im übrigen wird der Antrag abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das Oberlandesgericht Innsbruck stellte aus Anlaß eines bei ihm anhängigen Berufungsverfahrens gegen ein Teilurteil des Landesgerichtes Innsbruck den Antrag, § 72 des Gesetzes zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung vom DRGBl. 1938 I 807 (in der Folge: EheG) als verfassungswidrig aufzuheben.

Diesem beim Verfassungsgerichtshof zu G76/01 protokollierten Antrag liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:

1.1. Die Parteien - die Klägerin ist nach Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz verstorben - waren bis 1967 verheiratet. Noch vor der Ehescheidung schlossen sie "im Zusammenhang mit der im beiderseitigem Einvernehmen erfolgten Scheidung ihrer Ehe" einen notariellen Vertrag über die Scheidungsfolgen. Der Beklagte verpflichtete sich, der Klägerin, beginnend mit dem auf die Rechtskraft des Scheidungsurteils folgenden Monat einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 10.000,- zu bezahlen, und zwar 14 x jährlich, monatlich im vorhinein und außerdem am 15.7. und 15.12. eines jeden Jahres. Die Bezahlung dieses Unterhaltsbetrages sollte wertgesichert nach dem Index der Verbraucherpreise I erfolgen. Darüber hinaus verzichtete die Klägerin für den Fall einer wesentlichen Verbesserung der Einkommens- oder Vermögenslage des Beklagten auf Unterhaltserhöhung. Dem Beklagten wurde das Recht eingeräumt, für den Fall einer wesentlichen Verschlechterung seiner Einkommens- und Vermögenslage, die für ihn die Zahlung des Unterhaltsbetrages nicht mehr zumutbar erscheinen läßt, eine vorübergehende angemessene Herabsetzung seiner Unterhaltspflicht zu begehren.

1.2. Bis Ende 1995 leistete der Beklagte 14 x jährlich den vereinbarten Unterhalt, den er in der zweiten Hälfte der 80er Jahre ohne Vereinbarung mit der Klägerin auf S 15.000,- erhöht hatte. Seit bezahlte der Beklagte den genannten Unterhalt von S 15.000,- monatlich nur mehr 12 x im Jahr. Die vereinbarte Wertsicherung führte zu einer Erhöhung des vereinbarten Unterhalts auf S 33.630,- für die Zeit vom bis und auf S 35.457,- seit .

1.3. In der am beim Erstgericht eingelangten und in der Folge ausgedehnten Klage behauptete die Klägerin, der Beklagte sei seiner Unterhaltspflicht nicht zur Gänze nachgekommen. Für die Zeit von Mai 1994 bis Dezember 1999 schulde er den restlichen Unterhalt von S 1.663.450,- zuzüglich kapitalisierter Zinsen. Darüber hinaus sei der Beklagte schuldig, der Klägerin ab Oktober 1999 monatlich im vorhinein zu dem monatlich bezahlten Unterhaltsbetrag von S 15.000,- einen näher bestimmten weiteren Unterhaltsbetrag zu bezahlen.

1.4. Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und wandte mit näherer Begründung ein, er sei seiner vertraglichen Unterhaltspflicht stets nachgekommen. Im übrigen sei ein Teil des von der Klägerin geltend gemachten Unterhalts nach § 72 EheG verjährt.

1.5. Die Klägerin bestritt und brachte unter anderem vor, § 72 EheG sei nicht anzuwenden, weil sich der Beklagte der Unterhaltsleistung absichtlich entzogen und sich zu einem vertraglichen Unterhalt verpflichtet habe, der den gesetzlichen weit übersteige.

2. Mit dem beim antragstellenden Gericht angefochtenen Teilurteil sprach das Erstgericht über das kapitalisierte Unterhaltsbegehren von S 1.663.450,- zuzüglich kapitalisierter und laufender Zinsen und das ab Oktober 1999 erhobene Begehren auf laufenden Unterhalt zum Teil stattgebend zum Teil abweisend ab.

Der Beklagte bekämpft den stattgebenden Teil des Teilurteiles mit Berufung. Dieser Berufung wurde im Umfang des Zuspruches von S 790.995,- samt 4 % Zinsen und eines laufenden Unterhaltes seit mit Teilurteil des antragstellenden Gerichtes nicht Folge gegeben.

Im Umfang des Begehrens auf Zahlung von kapitalisiertem Unterhalt für die Zeit von bis wurde mit der Fortführung des Verfahrens gemäß § 62 Abs 3 VfGG innegehalten und vom Oberlandesgericht Innsbruck gemäß Art 89 Abs 2 B-VG, der Sache nach iVm Art 140 Abs 1 B-VG, der Antrag an den Verfassungsgerichtshof gestellt, § 72 EheG als verfassungswidrig aufzuheben.

3. § 72 EheG DRGBl 1938 I 807 lautet:

"§72. Für die Vergangenheit kann der Berechtigte Erfüllung oder Schadenersatz wegen Nichterfüllung erst von der Zeit an fordern, in der der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist, für eine länger als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit liegende Zeit jedoch nur, soweit anzunehmen ist, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat."

Diese Bestimmung steht in ihrer Stammfassung in Geltung.

Weiters ist auf § 1480 ABGB idF RGBl. 1916/69 hinzuweisen, der wie folgt lautet:

"Forderungen von rückständigen jährlichen Leistungen, insbesondere Zinsen, Renten, Unterhaltsbeiträgen, Ausgedingsleistungen, sowie zur Kapitalstilgung vereinbarte Annuitäten erlöschen in drei Jahren; ..."

4. Zur Präjudizialität bringt das Oberlandesgericht Innsbruck folgendes vor:

4.1. Nach ständiger Rechtsprechung gelte die zeitliche Beschränkung der Forderung von Unterhalt für die Vergangenheit nach § 72 EheG auch für vertraglich festgelegte, das gesetzliche Schuldverhältnis nur in unwesentlichen Punkten verändernde Unterhaltsansprüche.

Die Klägerin behaupte, § 72 EheG sei auf ihren Unterhaltsanspruch nicht anwendbar, weil sie durch die Scheidungsfolgenvereinbarung einen überaus großzügigen Unterhalt zuerkannt bekommen habe, der über den gesetzlichen Unterhaltsanspruch weit hinausgehe.

Das antragstellende Gericht teilt diese Auffassung nicht. Ein Teil der genannten Scheidungsfolgenvereinbarung beträfe nicht den Unterhalt, sondern die Aufteilung des Vermögens, sodaß daraus nicht auf eine umfassende Großzügigkeit zu Gunsten der Klägerin geschlossen werden könne.

Der Beklagte sei damals nach den Feststellungen im Ersturteil bereits erfolgreicher Unternehmer gewesen, der in der Lage gewesen sei, sein Vermögen laufend durch den Kauf von Liegenschaften zu vermehren. Der Beklagte habe nicht in Abrede gestellt, daß ihn das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe, sodaß sich das Ausmaß des gesetzlichen Unterhaltes nach § 66 EheG gerichtet hätte. Die Klägerin habe somit Anspruch auf den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt gehabt. Dieser Unterhalt bestimme sich nach den Grundsätzen des § 94 ABGB. Der Unterhaltsberechtigte behalte grundsätzlich den Lebensstandard, den er vor der Scheidung gehabt habe, und nehme auch an der Entwicklung des Lebensstandards des Unterhaltspflichtigen teil. Nach den festgestellten Lebensverhältnissen der Streitteile im maßgeblichen Zeitraum sei davon auszugehen, daß der der Klägerin mit dem Scheidungsfolgenvergleich zuerkannte Unterhalt den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beklagten entsprochen habe.

4.2. § 72 EheG sei nicht anzuwenden, wenn anzunehmen sei, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen habe. Nach ständiger Rechtsprechung genüge für die Erfüllung dieses Tatbestandes jedes zweckgerichtete Verhalten, Tun oder Unterlassen des Schuldners, das die zeitnahe Realisierung der Unterhaltsschuld verhindere oder zumindest wesentlich erschwere; aktives Hintertreiben sei nicht erforderlich. Es sei aber nichts hervorgekommen, das für eine Absicht des Beklagten sprechen würde, er habe die Klägerin auch nur im Unklaren über die Anspruchsvoraussetzungen gelassen. Dem Beklagten könne nicht die Absicht unterstellt werden, sich der Unterhaltsleistung "absichtlich entzogen" zu haben. Der Anspruch der Klägerin wäre daher wegen Verjährung nach § 72 EheG gemindert.

5. Das Oberlandesgericht Innsbruck hegt das Bedenken, daß die Sonderregelung des § 72 EheG den Gleichheitssatz verletzt und stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG den Antrag, § 72 EheG als verfassungswidrig aufzuheben.

5.1. Das antragstellende Gericht verweist zunächst auf die Entwicklung der Judikatur des OGH:

Vor der Entscheidung des verstärkten Senates des = SZ 61/143 hätten Unterhaltsansprüche - mit Ausnahme des § 72 EheG - nicht für die Vergangenheit gestellt werden können. Die Ungleichheit zugunsten geschiedener Ehegatten sei auf einen historischen Zufall zurückzuführen. Österreich habe im Jahre 1938 das deutsche Ehegesetz übernommen, das den Unterhalt geschiedener Ehegatten regle. Koziol betrachte § 72 EheG "als eine aus dem deutschen Rechtsbereich stammende Ausnahmevorschrift", deren Einordnung in die österreichische Rechtsordnung mit Schwierigkeiten verbunden sei.

Seit der Entscheidung des OGH (SZ 61/143) könnten Unterhaltsansprüche generell auch für die Vergangenheit gestellt werden, sie unterlägen nur der Verjährung des § 1480 ABGB. Die einzige Ausnahme sei durch § 72 EheG normiert, nunmehr zuungunsten geschiedener Ehegatten.

5.2. Sollten tatsächlich, wie der OGH annehme, ehemalige Ehegatten eine verschiedene Position im Verhältnis zu anderen Unterhaltsberechtigten haben, müßten diese Unterschiede nach der früheren Rechtsprechung eine abweichende Regelung zugunsten ehemaliger Ehegatten, nach der neueren Rechtsprechung zuungunsten ehemaliger Ehegatten rechtfertigen.

Es sei nie überzeugend herausgearbeitet worden, inwieweit die Position ehemaliger Ehegatten tatsächlich anders sei als jene der übrigen Unterhaltsberechtigten. Die Position von Unterhaltsberechtigten zu Unterhaltspflichtigen sei sehr stark von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängig und könne nicht schematisiert werden, sodaß es auch nicht sachlich gerechtfertigt erscheine, eine bestimmte Gruppe von Unterhaltsberechtigten in den gesetzlichen Regelungen über die Durchsetzbarkeit eines Unterhaltsanspruches, insbesondere über die Verjährung, zu bevorzugen oder zu benachteiligen.

Es sei daher sachlich nicht gerechtfertigt, die Verjährung von Unterhaltsansprüchen geschiedener Ehegatten mit kürzeren Verjährungsfristen und dem zusätzlichen Kriterium des "Verzuges" ungünstiger zu regeln als es § 1480 ABGB für alle anderen Unterhaltsberechtigten normiere.

6. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie beantragt, den Antrag auf Aufhebung des § 72 EheG zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.

6.1. Sie bestreitet die Zulässigkeit des Antrages, da er entgegen § 15 Abs 2 VfGG keine Bezugnahme auf den entsprechenden Artikel des B-VG enthalte und weil § 72 EheG nicht präjudiziell sei. Auch läge der Antrag entgegen § 62 Abs 1 zweiter Satz VfGG die Bedenken nicht im einzelnen dar. Es sei dem Antrag nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmbar, zu welcher Verfassungsbestimmung die zur Aufhebung beantragte Gesetzesstelle im Widerspruch stehe und welche Gründe für diese Annahme sprächen.

Aus dem Scheidungsurteil aus dem Jahre 1966 ergebe sich, daß die Ehe zwischen den Streitteilen ohne Verschuldensausspruch gemäß § 55 EheG geschieden worden sei. Der OGH habe ausgesprochen, daß ein Unterhaltsvergleich im Zusammenhang mit einer Scheidung nach § 55 EheG ohne Verschuldensausspruch eine vertragliche Unterhaltsregelung darstelle, die nicht den gesetzlichen Unterhalt betreffe. Daher komme die Anwendung des § 72 EheG nicht in Frage, weil der von den Streitteilen vereinbarte Unterhalt kein gesetzlicher sei.

Im übrigen habe es das antragstellende Gericht unterlassen zu prüfen, ob es sich bei dem "materiellen Vertrag über die Scheidungsfolgen" aus dem Jahr 1966 um einen vollstreckbaren Notariatsakt handle. Diese Frage sei jedoch wesentlich, da § 72 EheG nicht präjudiziell sein könne, wenn die Klage - weil bereits ein Titel bestehe - zurückzuweisen sei.

6.2. Zur Frage der Gleichheitswidrigkeit des § 72 EheG bringt die Bundesregierung folgendes vor:

Zunächst verweist sie auf die wechselseitige Beistandspflicht zwischen Eltern und Kindern (§137 ABGB) und auf die Beistandspflicht zwischen Ehegatten (insbesondere gemäß §§44 und 90 ABGB). Sowohl im Eltern-Kind-Verhältnis als auch im Verhältnis zwischen Ehegatten werde daher auf eine üblicherweise bestehende enge familiäre Beziehung abgestellt, die zwischen Eltern und Kindern nie aufhöre. Der gegenseitige Unterhaltsanspruch sei daher ein Ausfluß dieser engen Zusammengehörigkeit.

Durch die Scheidung falle die enge Zusammengehörigkeit der Ehegatten weg. Die Ehegatten seien nur noch in einem sehr geringen Ausmaß zum Beistand angehalten. Durch die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse erfolge nach einer Scheidung auch eine Trennung der Vermögenswerte zwischen den Ehegatten. Unterhaltsansprüche stünden nur in genau definierten Fällen zu und nur insoweit, als ein Ehegatte nicht in der Lage sei, sich selbst zu erhalten. Es stehe allerdings geschiedenen Ehegatten frei, einvernehmliche Regelungen über einen allfälligen Unterhalt zu treffen. Ein nach dem Gesetz unterhaltsberechtigter geschiedener Ehegatte könne für die Zukunft rechtsverbindlich auf Unterhalt verzichten, hingegen nicht ein Ehegatte bei aufrechter Ehe.

Den unterhaltsrechtlichen Regelungen des Familienrechtes lägen unterschiedliche Lebenssituationen zugrunde, die auch verschiedene Rechtsfolgen nach sich zögen.

Auch der Gleichheitssatz hätte einen gewissen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum innerhalb dessen es dem Gesetzgeber frei stehe, diese rechtspolitischen Zielvorstellungen zu verfolgen. Es stehe dem Gesetzgeber daher insbesondere frei, an die unterschiedliche Situation einer aufrechten und einer geschiedenen Ehe unterschiedliche Erbansprüche, Beistandspflichten im Notfall und unterschiedlich hohe Unterhaltsansprüche zu knüpfen. Es müsse sohin dem Gesetzgeber auch frei stehen, unterschiedliche Regelungen für die Frist der Geltendmachung eines bestehenden Unterhaltsanspruches festzusetzen.

Auch die Verhältnismäßigkeit der bestehenden gesetzlichen Regelungen bleibe im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraumes. Zwischen Eltern und Kindern und zwischen Ehegatten während aufrechter Ehe sei anzunehmen und auch rechtspolitisch wünschenswert, daß ein Unterhaltsberechtigter nicht durch Androhung einer besonders kurzen Verjährungsfrist gezwungen werde, ein anderes Familienmitglied rasch zu klagen (mit Hinweis auf die für die Familienmediation geltende Fristenverlängerung des § 99 Abs 1 letzter Satz EheG idF EheRÄG 1999 und ArtXVI § 1 letzter Satz KindRÄG 2001).

Bei einem geschiedenen Ehegatten sei ein derartiges Naheverhältnis nicht mehr anzunehmen, das durch Einbringung einer gerichtlichen Klage zerstört werden könnte. Es sei daher einem geschiedenen Ehegatten durchaus zumutbar, rückständige Unterhaltsansprüche binnen eines Jahres geltend zu machen und es sei gerechtfertigt, den Unterhaltspflichtigen nicht mit weit zurückliegenden Nachforderungen zu konfrontieren. Unbilligen Ergebnissen werde dadurch vorgebeugt, daß die zeitliche Begrenzung auf ein Jahr wegfalle, wenn der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen habe.

6.3. Für die Verfassungskonformität der einjährigen Frist spreche auch, daß im Rahmen der Scheidung auch der Anspruch auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse gemäß § 95 EheG erlösche, wenn er nicht binnen eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft der Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe durch Vertrag oder Vergleich anerkannt oder gerichtlich geltend gemacht werde. Wenn es einem geschiedenen Ehegatte zumutbar sei, seinen Anspruch auf eheliches Gebrauchsvermögen und eheliche Ersparnisse binnen eines Jahres geltend zu machen, so sei die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches für die Vergangenheit, welcher grundsätzlich für die laufende Aufrechterhaltung des Lebensstandards vorgesehen sei und auch bei Nichtgeltendmachung alter Rückstände jeden Monat neu entstehe, binnen derselben Frist durchaus zumutbar.

7. Der Berufungswerber als mitbeteiligte Partei hat eine Äußerung erstattet, in der er die Auffassung vertritt, daß § 72 EheG nicht verfassungswidrig sei.

Die Berufungsgegnerin als mitbeteiligte Partei vertritt in ihrer Äußerung die Ansicht, daß § 72 EheG gleichheitswidrig sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die Bundesregierung bestreitet die Zulässigkeit des Antrages zunächst mit dem Argument, er enthalte keine Bezugnahme auf den entsprechenden Artikel des B-VG. Es ist ihr einzuräumen, daß sich der Antrag nicht ausdrücklich auf Art 140 B-VG bezieht, jedoch stützt er sich auf Art 89 Abs 2 B-VG, der zwar nicht zu den in § 15 Abs 1 VfGG aufgezählten Artikeln des B-VG gehört, der aber die Verpflichtung eines Gerichtes enthält, bei Bedenken gegen ein Gesetz den Verfassungsgerichtshof anzurufen und der in Zusammenhang mit Art 140 B-VG zu lesen ist. Damit ist das Erfordernis des § 15 Abs 2 VfGG erfüllt.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art 140 B-VG bzw. des Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989).

1.3. Das anfechtende Gericht geht unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung davon aus, daß die zeitliche Beschränkung der Forderung von Unterhalt für die Vergangenheit nach § 72 EheG auch für durch Vertrag festgelegte, das gesetzliche Schuldverhältnis nur in unwesentlichen Punkten verändernde Unterhaltsansprüche gelte (Hinweis auf SZ 60/31). Der Beklagte habe nicht in Abrede gestellt, daß ihn das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe, sodaß sich das Ausmaß des gesetzlichen Unterhalts nach § 66 EheG gerichtet hätte. Die Klägerin hätte somit Anspruch auf den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt gehabt, der sich nach den Grundsätzen des § 94 ABGB bestimme. Das antragstellende Gericht gelangt nach näherer Begründung (s. I.4.1.) zur Auffassung, daß der der Klägerin mit dem Scheidungsfolgenvergleich zuerkannte Unterhalt den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beklagten entsprochen habe und es somit § 72 EheG anzuwenden hätte.

Auch habe sich der Beklagte der Unterhaltsleistung gegenüber der Klägerin nicht absichtlich entzogen, zumal zugunsten der Klägerin eine eindeutige Unterhaltsvereinbarung vorgelegen sei, die ausschließlich auf einen Verbraucherpreisindex abgestellt habe, somit außerhalb der Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeit des Beklagten gelegen sei. Der Anspruch der Klägerin wäre daher wegen Verjährung nach § 72 EheG gemindert.

Die Annahme des antragstellenden Gerichtes, daß es bei seiner Entscheidung § 72 EheG anzuwenden hätte, ist jedenfalls nicht denkunmöglich. Die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung im Anlaßverfahren ist daher gegeben.

1.4. Die Bundesregierung bezweifelt, daß der Antrag die Bedenken entsprechend § 62 Abs 1 zweiter Satz VfGG im einzelnen darlegt. Entgegen der Ansicht der Bundesregierung sind die Bedenken im Sinne des § 62 Abs 1 zweiter Satz VfGG ausreichend dargelegt.

2. Das antragstellende Gericht hegt das Bedenken, daß § 72 EheG gegen den Gleichheitssatz verstoße.

2.1. Zunächst sei vorausgeschickt, daß sich der Verfassungsgerichtshof im Normprüfungsverfahren auf die Erörterung der aufgeworfenen Bedenken zu beschränken hat (vgl. VfSlg. 8253/1978, 9185/1981, 9287/1981, 9911/1983, 15299/1998, 16374/2001; ).

Das antragstellende Gericht erachtet es als sachlich nicht gerechtfertigt, die Verjährung von Unterhaltsansprüchen geschiedener Ehegatten mit einer kürzeren Verjährungsfrist und dem zusätzlich erforderlichen Kriterium des "Verzuges" ungünstiger zu regeln als es '1480 ABGB für alle anderen Unterhaltsberechtigten normiere.

Das Verhältnis von Unterhaltsberechtigten zu Unterhaltspflichtigen sei von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles abhängig und könne nicht schematisiert werden, sodaß es nicht gerechtfertigt erscheine, eine bestimmte Gruppe von Unterhaltsberechtigten in den gesetzlichen Regelungen über die Durchsetzbarkeit eines Unterhaltsanspruches, insbesondere über die Verjährung, zu bevorzugen oder zu benachteiligen.

2.2. Dem hält die Bundesregierung entgegen:

Die bestehende gesetzliche Regelung bewege sich im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraumes. Bei Eltern und Kindern bzw. bei Ehegatten in aufrechter Ehe bestehe eine enge familiäre Beziehung. Es sei daher rechtspolitisch wünschenswert, einen Unterhaltsberechtigten nicht durch die Androhung einer besonders kurzen Verjährungsfrist zu zwingen, ein anderes Familienmitglied rasch zu klagen. Bei einem geschiedenen Ehegatten sei ein derartiges Naheverhältnis, das durch die Einbringung einer gerichtlichen Klage zerstört werden könne, nicht mehr anzunehmen. Daher sei es dem geschiedenen Ehegatten durchaus zumutbar, rückständige Unterhaltsansprüche binnen eines Jahres geltend zu machen.

Für die Verfassungskonformität der einjährigen Frist spreche auch, daß nach der Scheidung nur binnen eines Jahres der Anspruch auf die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse geltend gemacht werden könne.

3. Im Unterhaltsrecht war bereits seit Errichtung des Obersten Gerichtshofes herrschende Rechtsanwendung, daß Unterhalt nicht für die Vergangenheit gefordert werden konnte. Diese Judikatur leitete aus § 1418 ABGB ("In gewissen Fällen wird die Zahlungsfrist durch die Natur der Sache bestimmt. Alimenten werden wenigstens auf einen Monat voraus bezahlt.") den Rechtssatz "nemo pro praeterito alitur" ab (zur ausführlichen Darstellung der Rechtsprechung s. = SZ 61/143).

Mit der Übernahme des deutschen Ehegesetzes im Jahr 1938 wurde auch die Regelung des Unterhalts geschiedener Ehegatten in den österreichischen Rechtsbestand übernommen. Nunmehr konnte aufgrund der ausdrücklichen Bestimmung des § 72 EheG der unterhaltsberechtigte geschiedene Ehegatte - im Unterschied zu allen anderen Unterhaltsberechtigten - Unterhalt für die Vergangenheit fordern.

Für alle anderen Unterhaltsberechtigten beendete erst die richtungsweisende Entscheidung des verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes vom SZ 61/143 die Judikatur, daß für die Vergangenheit Unterhalt nicht gefordert werden könne. In dieser Entscheidung ging es um den Unterhalt für ein außerehelich geborenes Kind nach § 140 ABGB ab dem Tag seiner Geburt. Der Oberste Gerichtshof setzte sich kritisch mit dem bis dahin geltenden Grundsatz, daß ein Begehren auf Leistung eines vertraglich noch nicht festgelegten gesetzlichen Unterhaltes - außerhalb der unmittelbaren Anwendung des § 72 EheG - für Zeiten vor der gerichtlichen Geltendmachung nicht stattzugeben sei, auseinander. Er kam zum Ergebnis, daß Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden können, wobei Ansprüche auf gesetzlichen Unterhalt für Zeiten vor der gerichtlichen Geltendmachung der Verjährung des § 1480 ABGB unterliegen. In dieser Entscheidung führte er auch aus, daß § 72 EheG als ein aus einem dem ABGB fremden Rechtssystem übernommene Ausnahmevorschrift (s. auch = SZ 68/157) auf den Kindesunterhalt nicht analog anwendbar ist.

In seiner Entscheidung vom , 8 Ob 626/87 = EFSlg. 57.280 sprach der Oberste Gerichtshof aus, daß die grundlegende Änderung der Rechtsprechung durch die Entscheidung SZ 61/143, wonach Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden können, nicht für den Anwendungsbereich des § 72 EheG gilt.

Die einzige Ausnahme von der Regel, daß nunmehr Unterhalt generell auch für die Vergangenheit gefordert werden kann, bildet § 72 EheG. Wenn also ab Einführung des EheG im Jahr 1938 bis zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ 61/143 geschiedene Ehegatten aufgrund des § 72 EheG besser gestellt waren als andere Unterhaltsberechtigte, wirkt sich diese Bestimmung nunmehr zu ihren Ungunsten aus, da sie im Gegensatz zur dreijährigen Verjährungsfrist des § 1480 ABGB - mit Ausnahme, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat (hier gilt ebenfalls die Verjährung nach § 1480 ABGB) - Ansprüche nur für ein Jahr in die Vergangenheit geltend machen können.

In seiner Entscheidung vom , 5 Ob 534, 1515/90 = JBl. 1990, 800 verneint der Oberste Gerichtshof verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 72 EheG mit der Begründung, daß "infolge der verschiedenen Position ehemaliger Ehegatten im Verhältnis zu anderen Unterhaltsberechtigten Unterschiede bestehen, die eine abweichende Regelung rechtfertigten", ohne weitere Darlegung.

4. Zunächst sei darauf hingewiesen, daß bei aufrechter Ehe in der Regel zwischen den Ehegatten ein gemeinsamer Haushalt besteht und der Unterhalt als Naturalunterhalt gereicht wird; ebenso auch zwischen Eltern und (zumindest minderjährigen) Kindern, wenn eine intakte Lebensgemeinschaft der Eltern besteht. Der unterhaltsberechtigte geschiedene Ehegatte hat hingegen nur Anspruch auf Geldunterhalt (§70 EheG).

4.1. Grundsätzlich kann der Unterhaltsberechtigte gemäß § 72 EheG Unterhalt bzw. Unterhaltserhöhung erst von der Zeit an fordern, zu der der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist; für eine länger als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit liegenden Zeit jedoch nur, wenn sich der Verpflichtete der Leistung absichtlich entzogen hat. Im Gegensatz hiezu gilt für alle übrigen Unterhaltsberechtigten - so insbesondere für Ehegatten während aufrechter Ehe und nicht selbsterhaltungsfähige Kinder -, daß für ihre Unterhaltsansprüche mangels einer speziellen Norm die allgemeinen Regeln über die Verjährung, die in § 1480 ABGB eine eigene Bestimmung für Unterhaltsansprüche enthalten, gelten (SZ 61/143). Die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen ist daher im allgemeinen nur durch die Verjährung beschränkt. Dem gegenüber ist § 72 EheG insofern enger, als er den geschiedenen Ehegatten grundsätzlich nur solche Unterhaltsbeträge zugesteht, die auf die Zeit nach Eintritt der Rechtshängigkeit entfallen oder mit denen der Unterhaltspflichtige bis zu einem Jahr vor Eintritt der Rechtshängigkeit - es sei denn absichtlich - in Verzug geraten ist.

Unter "Rechtshängigkeit", einem Begriff der dem deutschen Verfahrensrecht (§271 dZPO) entstammt, wird zumindest im Zusammenhang mit § 72 EheG in der Literatur und Rechtsprechung überwiegend nicht Streitanhängigkeit im Sinne des § 232 ZPO, sondern "Gerichtsanhängigkeit" im Sinne des § 41 JN verstanden (Stabentheiner in Rummel II/43 Rz 3 zu § 72 EheG; Zankl in Schwimann I2 Rz 6 zu § 72 EheG; Hopf-Katrein, Eherecht, Anm. 2 zu § 72 EheG; Schwind in Klang I/1, 893 f [derselbe jedoch aA später in Schwind 292]; = EFSlg 57.281, , 1 Ob 585/97 = EFSlg. 72.379; aA , 6 Ob 2190/96v = EFSlg 81.697).

4.2. Die Bundesregierung führt ins Treffen, daß zwischen Eltern und Kindern sowie Ehegatten üblicherweise eine enge familiäre Beziehung bestehe, die es wünschenswert erscheinen lasse, einen Unterhaltsberechtigten nicht durch kurze Verjährungsfristen zu zwingen, ein anderes Familienmitglied zu klagen. Sie geht dabei offensichtlich davon aus, daß die Harmonie in der Familie nicht gestört werden soll. Ihr ist aber entgegenzuhalten, daß Unterhaltsrückstände in der Regel wohl kaum einem guten Einvernehmen entsprechen (s. auch H. Pichler, Gedanken zum Unterhalt für die Vergangenheit, Der österreichische Amtsvormund 1988, 68, [70]), sodaß ihr Argument nicht trägt.

Unterhaltsberechtigte geschiedene Ehegatten und alle übrigen Unterhaltsberechtigten befinden sich in derselben Situation, nämlich zur Sicherung ihres Unterhaltes bzw. des Unterhaltsrückstandes den Klagsweg zu bestreiten. Ob rasch Klage erhoben wird oder erst nach längerem Zuwarten, hängt von den Umständen des einzelnen Falls ab und nicht davon, ob Unterhalt für einen geschiedenen oder einen anderen Unterhaltsberechtigten nicht geleistet wird. So werden zB gerade unterhaltsberechtigte Geschiedene, in deren Haushalt gemeinsame Kinder leben, eher geneigt sein, die gerichtliche Geltendmachung ihres Unterhaltes bzw. der ihnen zustehenden Unterhaltserhöhung möglichst hinauszuzögern, um das Verhältnis zwischen den gemeinsamen Kindern und dem Unterhaltspflichtigen nicht unnötig zu belasten; hingegen Kinder, bei denen keine persönliche Beziehung zum unterhaltspflichtigen Elternteil - aus welchen Gründen auch immer - besteht, dazu tendieren ihre Unterhalts(erhöhungs)ansprüche rasch mit Gerichtshilfe durchzusetzen. Bei aufrechter Ehe wird im übrigen der unterhaltsberechtigte Ehegatte im Allgemeinen über die Einkommensverhältnisse des Unterhaltsverpflichteten informiert sein, während dies in geschiedenen Ehen meist nicht zutrifft; sohin kann der geschiedene Unterhaltsberechtigte auf eine geänderte Einkommenssituation des Unterhaltsverpflichteten nicht so rasch reagieren, sodaß kein sachlicher Grund für eine kürzere Frist zur Geltendmachung seines Unterhalts für die Vergangenheit besteht.

Auch bleibt, wie die Bundesregierung ebenso einräumt, bei geschiedenen Ehegatten eine - wenn auch verdünnte - gerade den Unterhalt betreffende Beistandspflicht bestehen, nämlich dem Unterhaltsberechtigten den ihm zustehenden Unterhalt zu reichen.

4.3. Die Bundesregierung verteidigt die 1-Jahresfrist des § 72 EheG auch damit, daß es gerechtfertigt sei, einen Unterhaltspflichtigen nicht mit weit zurückliegenden Nachforderungen zu konfrontieren. Dieses Argument trifft nicht zu, denn ein säumiger Schuldner muß stets mit der Nachforderung der nicht geleisteten Zahlung rechnen. Der Umfang des Unterhaltsanspruches ist im Gesetz festgelegt und daher auch zahlenmäßig bestimmbar (J. Pichler, Nemo pro praeterio alitur, ÖJZ 1964, 60 [63, 64]; Koziol, Unterhaltsansprüche für die Vergangenheit und Regressansprüche eines Drittzahlers, JBl. 1978, 626 [627]; vgl. Harrer/Heidinger in Schwimann VII2 Rz 5 zu § 1418 ABGB).

4.4. Die Bundesregierung behauptet weiters, die Verfassungsmäßigkeit der 1-Jahresfrist des § 72 EheG werde auch durch die einjährige Antragsfrist auf Aufteilung der ehelichen Ersparnisse und des ehelichen Gebrauchsvermögens gerechtfertigt. Dem ist entgegenzuhalten, daß es hier um ein Dauerschuldverhältnis, dort aber um eine Vermögensauseinandersetzung geht, bei der es tunlich ist, rasch zu klären, was jedem Ehegatten für die Zukunft verbleibt (und für welche allfälligen Schulden er im Innenverhältnis aufzukommen hat), zumal dieses Verfahren auch die Zuweisung der Ehewohnung und die Aufteilung des Hausrates umfaßt, wobei als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zugehörigkeit einer Sache zum aufzuteilenden Vermögen auf die Auflösung der Lebensgemeinschaft abzustellen ist, es sich also um ganz Unterschiedliches handelt.

4.5. Der Verfassungsgerichtshof hegt im Gegensatz zum antragstellenden Gericht kein Bedenken, daß Unterhalt für die Vergangenheit nur dann geltend gemacht werden kann, wenn der Unterhaltspflichtige in Verzug ist, da Unterhalt für die Vergangenheit nur dann zu leisten sein wird, wenn der Unterhaltspflichtige den Unterhalt in der gesetzlich zustehenden bzw. vereinbarten Höhe nicht erbracht hat; mit anderen Worten, das, was zu leisten wäre, nicht geleistet wurde.

Dem antragstellenden Gericht ist aber zuzustimmen, daß die Position von Unterhaltsberechtigten und Unterhaltspflichtigen sehr stark von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt und daher nicht schematisiert werden kann, sodaß es nicht sachlich gerechtfertigt ist, gerade geschiedene unterhaltsberechtigte Ehegatten in den gesetzlichen Regelungen über die Durchsetzbarkeit ihres Unterhaltsanspruches anders zu behandeln als alle übrigen Unterhaltspflichtigen und sie für die Geltendmachung von Unterhalt aus der Vergangenheit auf ein Jahr ab Rechtshängigkeit zu beschränken, somit die Geltendmachung ihrer Ansprüche ungünstiger zu regeln als es § 1480 ABGB für alle anderen Unterhaltsberechtigten normiert.

5. Da sich sohin die Bedenken des Oberlandesgerichtes Innsbruck zum Teil als zutreffend erwiesen haben, war in § 72 EheG DRGBl. 1938 I 807 die Wortfolge ", für eine länger als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit liegende Zeit jedoch nur, soweit anzunehmen ist, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat" als verfassungswidrig aufzuheben; im übrigen war der Antrag abzuweisen.

6. Die Bundesregierung beantragt für das Außerkrafttreten eine Frist von 18 Monaten, um eine umfassende Reform des Rechtes geschiedener Gatten auf Unterhalt zu ermöglichen.

Der Verfassungsgerichtshof erachtet eine Aufhebung unter Fristsetzung an und für sich nicht für notwendig, da - zufolge der Teilaufhebung - § 72 EheG unter Bedachtnahme auf § 1480 ABGB vollziehbar bleibt. Um aber allenfalls Übergangsregelungen zu ermöglichen, erfolgt die Aufhebung mit Ablauf des .

7. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

8. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung des Ausspruches im BGBl. I erfließt aus Art 140 Abs 1 B-VG.

9. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.