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VfGH vom 06.12.2012, G64/11

VfGH vom 06.12.2012, G64/11

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Leitsatz

Aufhebung des im Stmk Landes-Sicherheitsgesetz normierten ausnahmslosen Bettelverbotes an öffentlichen Orten in der Steiermark als sachlich nicht gerechtfertigt und wegen Verstoßes gegen die Meinungsäußerungsfreiheit; unmittelbare Wirkung des Verbotes mangels Festlegung von Erlaubnisbereichen durch die dazu ermächtigten Gemeinden; Zulässigkeit des Individualantrags

Spruch

I. § 3a des Steiermärkischen

Landes-Sicherheitsgesetzes, LGBl. Nr. 24/2005, idF

LGBl. Nr. 37/2011 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

II. § 3a des Steiermärkischen

Landes-Sicherheitsgesetzes, LGBl. Nr. 24/2005, idF LGBl. Nr. 88/2005 tritt wieder in Kraft.

III. Der Landeshauptmann der Steiermark ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für die Steiermark verpflichtet.

IV. Das Land Steiermark ist schuldig, dem Antragsteller zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.620,- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Der Antragsteller begehrt mit dem auf Art 140

Abs1 B-VG gestützten Individualantrag, der Verfassungsgerichtshof möge "§3a des Steiermärkischen Landes-Sicherheitsgesetzes, LGBl. Nr. 24/2005, zuletzt idF LGBl. Nr. 37/2011, mit dem ein Bettelverbot erlassen wird, zur Gänze als verfassungswidrig" aufheben.

2. Der Antragsteller wohnt - seinem Vorbringen

zufolge - mit seiner Lebensgefährtin und deren Kind in der Slowakei. Bis 1990 habe er Arbeit gehabt, nachher keine mehr, obwohl er in der Slowakei und in Tschechien auf Arbeitssuche gewesen sei. Seit 2002 bettle der Antragsteller in Graz. Da er in der Steiermark nicht mehr betteln dürfe, fehle ihm nun Geld für den Lebensunterhalt. Aus Angst vor Bestrafung habe der Antragsteller seit Inkrafttreten des Bettelverbotes nicht mehr gebettelt, möchte aber für den Fall der Aufhebung des Bettelverbotes weiterhin in der Steiermark betteln.

3. Zur Zulässigkeit des Antrages führt der Antragsteller aus, dass er Träger der Rechte gemäß Art 7 EMRK, Art 8 EMRK sowie Art 13 Abs 1 StGG und Art 10 EMRK sei. Es handle sich dabei um Rechte, die jedermann unabhängig von Staatsbürgerschaft oder Wohnsitz zustünden. Das Verbot jeglichen Bettelns, auch des Bettelns in nicht aufdringlicher Weise, sei durch das Gesetz selbst bestimmt. Würde der Antragsteller das Verbot missachten und in der Steiermark betteln, würde er eine Verwaltungsübertretung begehen und gemäß § 4 des Steiermärkischen Landes-Sicherheitsgesetzes (im Folgenden: Stmk. L-SG) bestraft werden. Es bestehe auch kein anderer Weg, die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Regelung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Um die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der bekämpften Gesetzesbestimmung beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 144 B-VG anzuregen, müsste der Antragsteller ein Verwaltungsstrafverfahren provozieren. Dieser Weg sei unzumutbar.

4. Inhaltlich bringt der Antragsteller vor, der rechtswidrige Eingriff stelle eine Verletzung in den Rechten gemäß Art 7 EMRK, Art 8 EMRK, Art 13 Abs 1 StGG und Art 10 EMRK sowie Art 5 StGG dar. Darüber hinaus wird die "umgekehrte Regelungstechnik" des § 3a Stmk. L-SG gerügt und die Unsachlichkeit der Regelung beanstandet.

Art 7 EMRK sei auch auf das Verwaltungsstrafrecht anwendbar. Nach dieser Bestimmung müsse eine Bestrafung vorhersehbar sein, was voraussetze, dass der Straftatbestand hinreichend bestimmt und klar formuliert sei. Dies sei jedoch in § 3a Abs 1 Stmk. L-SG nicht der Fall. Der Begriff des "öffentlichen Ortes" sei mehrdeutig. Für einen Bettler sei nicht ausreichend vorhersehbar, unter welchen Bedingungen er mit einer Bestrafung zu rechnen habe. § 3a Abs 1 leg.cit. verletze somit Art 7 EMRK.

Zur Verletzung im Recht auf Achtung des Privatlebens und im Recht auf freie Meinungsäußerung kann auch auf das Antragsvorbringen in dem zu G155/10 protokollierten Verfahren verwiesen werden, zumal die beiden Antragsvorbringen in diesen Punkten nahezu ident sind.

Auf das Wesentliche zusammengefasst, wird

hinsichtlich einer Verletzung in Art 8 EMRK vorgebracht, dass eine Abwägungsentscheidung zwischen dem Verbot des (stillen) Bettelns, also zwischen einem massiven Grundrechtseingriff einerseits, und den im öffentlichen Interesse liegenden Zielen des Art 8 Abs 2 EMRK bzw. deren etwaiger Beeinträchtigung durch stilles Betteln andererseits (abgesehen davon, dass diese Ziele zum Eingriff nicht legitimieren würden), zeige, dass der Eingriff in die Grundrechtsposition unverhältnismäßig wäre und daher das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Antragstellers verletzt sei. Festzuhalten sei, dass ein gelinderes Mittel, nämlich das Verbot aggressiven Bettelns, zur Verfügung stehe, um einem etwaigen sozialen Bedürfnis zu dienen.

Zur Verletzung im Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art13 Abs 1 StGG, Art 10 EMRK) bringt der Antragsteller zusammengefasst vor, dass das Verbot stillen Bettelns in der angefochtenen Gesetzesbestimmung mangels Rechtfertigbarkeit im Sinne der Grundrechtsbestimmungen des Art 13 Abs 1 StGG und des Art 10 EMRK ein verfassungswidriger Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung sei.

Zur "umgekehrten Regelungstechnik" des § 3a Stmk. L-SG wird in dem Antrag wörtlich Folgendes behauptet:

"Der Steiermärkische Landesgesetzgeber verwendet in § 3a leg.cit. eine umgekehrte Regelungstechnik. Zunächst wird ein absolutes Verbot ausgesprochen, und dann wird zur Lockerung dieses Verbotes ermächtigt. Diese Regelungstechnik widerspricht dem normativen Bedeutungsgehalt der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach zunächst das Recht eingeräumt und beschrieben und sodann zum Eingriff in das Recht unter bestimmten Vorraussetzungen ermächtigt wird. § 3a des Steiermärkischen Landes-Sicherheitsgesetzes ist daher auch und schon deshalb verfassungswidrig, weil seine Regelungstechnik der Regelungstechnik und somit dem normativen Bedeutungsgehalt der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht.

Dass die Regelungstechnik der EMRK auch einen

normativen Bedeutungsgehalt hat, zeigen auch die Präambel und Art 1 EMRK. So wird auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO von 1948 Bezug genommen, eine Erklärung, die bezweckt, 'die allgemeine und wirksame Anerkennung und Einhaltung der darin erklärten Rechte zu gewährleisten'. Artikel 1 der EMRK verpflichtet zu Achtung der Menschrechte, indem die Vertragsstaaten allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen die in Abschnitt I der Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zusichern.

Den Focus auf die Rechte des Menschen zeigen nicht nur die EMRK und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, sondern auch andere Rechtsdokumente, nach denen jeder Mensch 'angeborene', 'unveräußerliche' Rechte hat. Zu nennen sind § 16 ABGB, die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 (unalienable Rights) und die Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 (natürliche, unveräußerliche und heilige Rechte der Menschen). Es liegt auf der Hand, dass diese Sichtweise auch die nachfolgenden Menschenrechtsdokumente und damit auch die EMRK geprägt hat."

5. Die Steiermärkische Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie zunächst den Ausführungen des Antragstellers hinsichtlich seiner Antragslegitimation mit der Begründung entgegentritt, der Antragsteller habe keinen Nachweis über seine Betteltätigkeit in der Steiermark erbracht, sondern dies lediglich behauptet, und habe zudem nicht dargetan, dass es ihm gerade auf eine Bettelmöglichkeit in der Steiermark ankäme.

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof die Zulässigkeit des Antrags dennoch bejahen sollte, tritt die Steiermärkische Landesregierung den dargelegten Bedenken entgegen und begehrt die Abweisung des Individualantrages.

Hiezu wird ausführlich und mit näherer Begründung die Anwendbarkeit des Art 8 EMRK verneint und schließlich für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof den Schutzbereich des Art 8 EMRK doch bejaht, die Auffassung vertreten, dass § 3a Stmk. L-SG kein absolutes Bettelverbot normiere, sondern die Einrichtung von Erlaubnisbereichen ermögliche. Damit wäre es den Gemeinden möglich, das Betteln durch Verordnung an bestimmten Orten und für bestimmte Zeiten für zulässig zu erklären. Auf der Ebene der Gemeinden könnten somit unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten zeitliche und örtliche Differenzierungen getroffen werden. Zudem sei der Eingriff nach Art 8 Abs 2 EMRK von rechtfertigenden Tatbeständen gedeckt und verhältnismäßig. Verwiesen werde auf die Entscheidung des Schweizer Bundesgerichtes vom , 6C-1/2008 (BGE 134 I 214), in welcher die Verfassungskonformität eines (auch das "passive Betteln" umfassenden) Bettelverbotes entschieden worden sei und ein Überwiegen der öffentlichen Interessen angenommen worden sei.

Zur behaupteten Verletzung im Recht auf freie Meinungsäußerung wird vorgebracht, dass bei der Bettelei die Übermittlung einer Nachricht oder Idee, wie sie im Rahmen eines echten Kommunikationsprozesses iSd Art 10 EMRK erfolgt, nicht gegeben sei. Der Bitte um Geld könne kein über den Ausdruck der Armut hinausgehender Meinungs- bzw. Informationsgehalt in der Form beigemessen werden, dass das Gesellschaftsproblem der Armut als solches oder soziale Missverhältnisse aufgezeigt werden. Abschließend wird dazu vorgebracht, dass auch von einem Recht auf negative Informationsfreiheit der Passanten ausgegangen werden müsse.

Dem Vorwurf der mangelnden Bestimmtheit (Art7 EMRK) entgegnet die Steiermärkische Landesregierung, dass das tatbildmäßige Verhalten hinreichend bestimmt sei. Entgegen den Behauptungen des Antragstellers ergebe sich die Bedeutung des Begriffes "öffentlicher Ort" klar aus der Rechtsprechung des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes zum "seinerzeitigen Artikel IX EGVG, der die Ordnungsstörung an öffentlichen Orten regelte". Da die Regelung unter Rückgriff auf die Rechtsprechung interpretierbar sei, sei von einer ausreichenden Bestimmtheit der Strafnorm auszugehen.

Schließlich entgegnet die Steiermärkische Landesregierung dem Antragsteller zur behaupteten Verletzung im Eigentumsrecht, dass aus einer das Verhalten an öffentlichen Orten regelnden Bestimmung, wie etwa einem Alkoholverbot oder Maulkorbzwang für Hunde oder auch einem Bettelverbot, keine Beeinträchtigung eines privaten Vermögensrechts und insofern auch keine Eigentumsbeschränkung iSd Judikatur des Verfassungsgerichtshofes abzuleiten sei.

II. Rechtslage

§3a Stmk. L-SG, LGBl. 24/2005, lautete in der Fassung LGBl. 88/2005 - und damit vor seiner Novellierung durch LGBl. 37/2011 - wie folgt:

"§3 a

Bettelei

(1) Wer in aufdringlicher Weise, wie durch Anfassen, unaufgefordertes Begleiten und Beschimpfen, um Geld oder geldwerte Sachen bettelt, begeht eine Verwaltungsübertretung.

(2) Wer eine unmündige minderjährige Person (im Sinne des § 21 ABGB) zum Betteln, in welcher Form auch immer, veranlasst oder diese bei der Bettelei mitführt, begeht eine Verwaltungsübertretung."

Der angefochtene § 3a Stmk. L-SG, LGBl. 24/2005, idF LGBl. 37/2011 lautet:

"§3a

Bettelei

(1) Wer an einem öffentlichen Ort um Geld oder

geldwerte Sachen bettelt, begeht eine Verwaltungsübertretung.

(2) Die Gemeinde kann das Betteln um Geld oder

geldwerte Sachen durch Verordnung an bestimmten öffentlichen Orten und für bestimmte Zeiten, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeidirektion nach Anhörung dieser Behörde, für zulässig erklären (Erlaubnisbereich).

(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht auch, wer im Erlaubnisbereich (Abs2)

1. unmündige minderjährige Personen bei der Bettelei mitführt oder solche Personen zum Betteln, in welcher Form auch immer, veranlasst oder

2. in aufdringlicher Weise, wie durch Anfassen, unaufgefordertes Begleiten und Beschimpfen, durch Nachgehen oder durch Zugehen auf eine Person, um Geld oder geldwerte Sachen bettelt."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

1.1. Gemäß Art 140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 und 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art 140 Abs 1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordern (vgl. zB VfSlg. 10.353/1985, 15.306/1998, 16.890/2003).

Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potenziell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des -behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

1.2. Die bekämpfte Bestimmung normiert ein Verbot für die gesamte Steiermark, an einem öffentlichen Ort um Geld oder geldwerte Sachen zu betteln. Dieses allgemeine Verbot trifft den Antragsteller, der seinem Vorbringen nach das bislang nicht verbotene Verhalten in gleicher Weise in der Steiermark fortsetzen möchte, unmittelbar und aktuell (vgl. VfSlg. 18.305/2007 mwN).

§3a Stmk. L-SG normiert in seinem Abs 1, dass "[w]er an einem öffentlichen Ort um Geld oder geldwerte Sachen bettelt", eine Verwaltungsübertretung begeht. Wenngleich Abs 2 leg.cit. es - nach Einhaltung eines bestimmten Verfahrens - den Gemeinden ermöglicht, einen "Erlaubnisbereich" für Bettelei festzulegen, bewirkt - in Ermangelung eines solchen - Abs 1 der angefochtenen Regelung, dass in der Steiermark Betteln schlechthin als ein mit Verwaltungsstrafe bewehrtes Verhalten verboten ist.

Dem Antragsteller steht und stand auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesbestimmung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, zumal es einem Normunterworfenen nicht zumutbar ist, ein verwaltungsbehördliches Strafverfahren zu provozieren und in diesem die Rechtswidrigkeit der Verbotsnorm einzuwenden (vgl. etwa VfSlg. 14.260/1995).

1.3. Auch die übrigen Prozessvoraussetzungen liegen vor, weshalb sich der Antrag als zulässig erweist.

2. In der Sache:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art 140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg. 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg. 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Der Antragsteller bringt vor, § 3a Stmk. L-SG normiere ein absolutes Bettelverbot, enthalte unbestimmte Gesetzesbegriffe, greife auf Grund einer fehlenden Differenzierung zwischen sozial unschädlichem und etwaigem sozial schädlichen Betteln in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein und stelle mangels Rechtfertigbarkeit iSd Art 10 Abs 2 EMRK auch einen verfassungswidrigen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung dar. Zudem wird die umgekehrte Regelungstechnik (absolutes Bettelverbot in § 3a Abs 1 Stmk. L-SG, Erlaubnisbereich in Abs 2 leg.cit.) gerügt.

2.3. Die Landesregierung entgegnet dem Vorbringen betreffend eine Verletzung im Recht auf freie Meinungsäußerung zunächst, dass eine Subsumtion unter den Schutzbereich des Art 10 EMRK auszuschließen sei, da beim Betteln die Übermittlung einer Nachricht oder Idee, wie sie im Rahmen eines echten Kommunikationsprozesses iSd Art 10 EMRK erfolgt, nicht gegeben wäre. Zum Bedenken des Widerspruchs zu Art 8 EMRK wird auch unter Hinweis auf die Entscheidung EGMR , Fall Botta, 153/1996/772/973, ÖJZ 1999, 76 f., entgegnet, dass im Rahmen der Bettelei keine die Schwelle des Art 8 EMRK erreichenden sozialen Kontakte bzw. zwischenmenschliche Beziehungen geknüpft werden. Bei der Bettelei handle es sich auch nicht um eine Berufstätigkeit, weshalb die vom EGMR entwickelte Judikatur zu dem von Art 8 EMRK umfassten Recht, einen Beruf zu ergreifen, nicht anwendbar sei. Im Übrigen entspreche die angefochtene Bestimmung dem Bestimmtheitsgebot und verletze auch nicht das Recht auf Eigentumsfreiheit, da sie das Verhalten an einem öffentlichen Ort regelt und aus ihr keine Beeinträchtigung eines privaten Vermögensrechtes oder eines privaten Vermögensanspruches ableitbar sei.

2.4.1. Die angefochtene Bestimmung des § 3a Stmk. L-SG normiert in Abs 1 seiner novellierten Fassung, dass Betteln um Geld oder geldwerte Sachen - es sei denn, es wurde von einer Gemeinde erlaubt - in der Steiermark verboten ist.

Es trifft zwar zu - und dies führt die Steiermärkische Landesregierung in ihrer Äußerung auch ins Treffen -, dass der Landesgesetzgeber durch Abs 2 des § 3a Stmk. L-SG den Gemeinden "die Möglichkeit eröffnet [hat], auf Ebene der Gemeinden unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten zeitliche und örtliche Differenzierungen hinsichtlich des Bettelverbotes anzuordnen", doch führt diese Ermächtigung der Gemeinden nicht dazu, dass ohne ihr Tätigwerden, das "generelle Verbot zu betteln" nicht gelten würde.

Die Annahme, dass die Ermächtigung in Abs 2 leg.cit. als Verpflichtung der Gemeinden zu verstehen wäre, durch Erlassung entsprechender Verordnungen im jeweiligen Gemeindegebiet eine verfassungskonforme Rechtslage herzustellen, übersieht, dass die Gemeinden bei Erlassung dieser Verordnung in Vollziehung der örtlichen Sicherheitspolizei gemäß Art 15 Abs 2 B-VG (vgl. ), sohin im eigenen Wirkungsbereich (Art118 Abs 3 B-VG), tätig werden. Da ein Tätigwerden der Gemeinden ausschließlich in ihrem - wenngleich verfassungsrechtlich determinierten - Ermessen liegt, kann dies - und somit die Herstellung eines rechtlichen Rahmens zur Ermöglichung bestimmter Formen des Bettelns - nicht erzwungen werden.

Auch der Landesgesetzgeber scheint das Ergebnis

gewollt zu haben; dies zeigt die historische Entwicklung dieser Bestimmung:

Das Stmk. L-SG regelte bis zu seiner Novellierung mit LGBl. 37/2011 in seinem § 3a ein Verbot der Bettelei "in aufdringlicher Weise, wie durch Anfassen, unaufgefordertes Begleiten und Beschimpfen" (Abs1 leg.cit.) sowie das Verbot "eine unmündige minderjährige Person [...] zum Betteln, in welcher Form auch immer, [zu veranlassen] oder diese bei der Bettelei [mitzuführen]" (Abs2 leg.cit.). Damit enthielt aber das Stmk. L-SG kein absolutes Verbot der Bettelei, sondern bloß ein Verbot bestimmter, unerwünschter Formen der Bettelei.

Die Materialien zur Novelle LGBl. 37/2011 deuten

sodann darauf hin, dass eine Verschärfung der Gesetzeslage vom Steiermärkischen Landesgesetzgeber gewollt wurde (vgl. StenProt. Landtag Steiermark 16. GP, 6. Sitzung, 550 ff.). Schließlich wurde mit Beschluss des Steiermärkischen Landtages vom die landesgesetzliche Regelung in der Weise novelliert, die nun Gegenstand der Anfechtung ist.

Wenngleich den Gemeinden mit der Novelle

LGBl. 37/2011 auch die Möglichkeit geboten wird, "Erlaubnisbereiche" für das Betteln zu schaffen, ist festzuhalten, dass von dieser Möglichkeit keine steiermärkische Gemeinde Gebrauch gemacht hat. Da keine "Erlaubnisverordnung" erlassen wurde, wirkt das Verbot des § 3a Stmk. L-SG jedenfalls unmittelbar.

2.4.2. In der Sache teilt der Verfassungsgerichtshof zwar nicht die Bedenken des Antragstellers, dass der angefochtene § 3a Stmk. L-SG Art 7 EMRK verletze, da der Straftatbestand, der das Verbot an öffentlichen Orten zu betteln normiert, unklar wäre. Im Sinne der Äußerung der Steiermärkischen Landesregierung ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass § 3a Stmk. L-SG auch hinsichtlich des Begriffs "öffentlicher Ort" einer Auslegung im Lichte der gefestigten Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglich ist (vgl. Thienel, Art 7 EMRK, in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, Rz 10 mwN).

2.4.3. Auch ist hervorzuheben, dass - wie der Verfassungsgerichtshof in seinen beiden Erkenntnissen , und , bereits dargetan hat - es aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist, wenn der Landesgesetzgeber bestimmte Formen der Bettelei verbietet, insb. wenn diese Formen in besonderem Maße das Gemeinschaftsleben stören oder ein solches Verbot zum Schutz bestimmter Personengruppen (wie etwa Kinder) erforderlich ist. In diesem Sinne hatte der Gerichtshof jedenfalls keine Bedenken gegen ein Verbot des Bettelns in aufdringlicher oder aggressiver Weise oder organisiert bzw. organisierend oder unter Mitführen "unmündiger minderjähriger Personen".

§3a Stmk. L-SG verbietet jedoch ausnahmslos alle

Formen der Bettelei an öffentlichen Orten. Er umfasst somit auch stille Formen der Bettelei. Eine solche umfassende, die Bettelei schlechthin ohne jegliche Differenzierung verbietende, Regelung ist, wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis , bereits ausgesprochen hat, sachlich nicht zu rechtfertigen und verstößt zudem gegen Art 10 EMRK. Die in diesem Erkenntnis dargelegten rechtlichen Erwägungen sind auf § 3a

Abs1 Stmk. L-SG übertragbar.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. § 3a Abs 1 Stmk. L-SG idF LGBl. 37/2011 ist als verfassungswidrig aufzuheben.

Da Abs 2 und 3 des § 3a Stmk. L-SG mit diesem in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, erweist sich die Bestimmung zur Gänze als verfassungswidrig.

2. Der Ausspruch, dass § 3a Stmk. L-SG idF

LGBl. 88/2005 wieder in Kraft tritt, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

3. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes der Steiermark zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 2 Abs 1 Z 7 Steiermärkisches KundmachungsG.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 65a VfGG. In dem zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- sowie die Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in Höhe von € 220,- enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.