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VfGH vom 03.10.2003, g49/03

VfGH vom 03.10.2003, g49/03

Sammlungsnummer

16999

Leitsatz

Widerspruch der allgemeinen dynamischen Verweisung auf Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft bei der Beurteilung der Drittstaatssicherheit im Asylgesetz; Bindung an das Determinierungsgebot auch bei Verweisungen des innerstaatlichen Gesetzgebers auf Normen des Gemeinschaftsrechts; keine weitere Anwendbarkeit der ohnehin vollzugsuntauglichen Bestimmung

Spruch

Der zweite Satz des § 4 Abs 3 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, idF der Asylgesetz-Novelle 2001, BGBl. I Nr. 82, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Die aufgehobene Gesetzesbestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt I kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Beim Verfassungsgerichtshof sind Verfahren über zu B1736/02 und zu B1744/02 protokollierten Beschwerden gemäß Art 144 B-VG gegen Bescheide des Unabhängigen Bundesasylsenates (im Folgenden bloß: Bundesasylsenat) anhängig, mit denen Anträge auf Gewährung des Asyls einer Familie aus der Republik Jugoslawien gemäß § 4 Abs 1 Asylgesetz 1997 (im Folgenden kurz: AsylG) vom Bundesasylamt als unzulässig zurückgewiesen und die dagegen erhobenen Berufungen abgewiesen wurden, da sie aus einem sicheren Drittstaat eingereist seien. In der Begründung der nahezu wörtlich identischen Bescheide führte die belangte Behörde unter Bezugnahme auf den "EU-Asylacquis" im Wesentlichen aus, dass dieser die Regierung der Mitgliedstaaten grundsätzlich nur politisch (soft law) binden würde, indem aber § 4 Abs 3 zweiter Satz AsylG auf diese Vorschriften verweist, erhielten sie in Österreich im Bereich der so genannten Drittstaatsicherheit rechtliche Verbindlichkeit.

Die Beschwerdeführer erachten sich durch die angefochtenen Bescheide (insbesondere) wegen Anwendung einer verfassungswidrigen generellen Norm, nämlich des § 4 Abs 3 AsylG, in ihren Rechten verletzt und regen die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens an.

2. Aus Anlass dieser Beschwerden beschloss der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung des zweiten Satzes des § 4 Abs 3 AsylG einzuleiten.

II. Weiters liegen dem Bundesasylsenat zahlreiche (hier in Betracht zu ziehende) Berufungen von Asylwerbern vor, deren Asylantrag gemäß § 4 Abs 1 AsylG wegen Drittstaatsicherheit vom Bundesasylamt zurückgewiesen wurden. In allen (im Kopf näher bezeichneten) Fällen beantragt der Bundesasylsenat gemäß Art 140 Abs 1 iVm Art 129c Abs 6 und Art 89 Abs 2 B-VG den zweiten Satz des § 4 Abs 3 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76, idF der Asylgesetz-Novelle 2001, BGBl. I 82, als verfassungswidrig aufzuheben. Nach kurzen Ausführungen zum bisherigen Verfahrensgang sowie zum Anfechtungsgegenstand und der Präjudizialität verweist der Bundesasylsenat in den nahezu gleich lautenden Begründungen auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , B1736/02 und B1744/02, und schließt sich den in diesem Beschluss zum Ausdruck gebrachten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs 3 zweiter Satz AsylG vollinhaltlich an.

III. Die im vorliegenden Fall maßgebliche Bestimmung des § 4 Abs 1 bis 3 AsylG 1997, BGBl. I 76, lautet in der derzeit geltenden Fassung (die aufgehobene Norm ist hervorgehoben):

"Unzulässige Asylanträge wegen Drittstaatsicherheit

§4. (1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn der oder die Fremde in einem Staat, mit dem kein Vertrag über die Bestimmung der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz im sicheren Drittstaat).

(2) Schutz im sicheren Drittstaat besteht für Fremde, wenn ihnen in einem Staat, in dem sie nicht gemäß § 57 Abs 1 oder 2 FrG bedroht sind, ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention offensteht oder im Wege über andere Staaten gesichert ist (Asylverfahren), sie während dieses Verfahrens in diesem Staat zum Aufenthalt berechtigt sind und wenn sie dort Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat - auch im Wege über andere Staaten - haben, sofern sie in diesem gemäß § 57 Abs 1 oder 2 FrG bedroht sind. Dasselbe gilt bei gleichem Schutz vor Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung für Staaten, die in einem Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention bereits eine Entscheidung getroffen haben.

(3) Die Voraussetzungen des Abs 2 sind in einem Staat regelmäßig dann gegeben, wenn er die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert und gesetzlich ein Asylverfahren eingerichtet hat, das die Grundsätze dieser Konvention umsetzt, sowie die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, und das Protokoll Nr. 11 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Umgestaltung des durch die Konvention eingeführten Kontrollmechanismus samt Anhang, BGBl. III Nr. 30/1998, ratifiziert hat. Mangelnde Drittstaatsicherheit kann auf Grund eines Sachverhaltes, der einem bestehenden Rechtsakt des Rates der Europäischen Union entspricht, nicht eingewendet werden."

IV. Der Gerichtshof ging vorläufig in seinem amtswegig eingeleiteten Verfahren davon aus, dass der Behandlung der Beschwerden Prozesshindernisse nicht entgegenstehen sowie dass er im Rahmen seiner Sachentscheidung die genannte Gesetzesbestimmung anzuwenden hätte. Die verfassungsrechtlichen Bedenken legte der Gerichtshof wie folgt dar:

"§4 Abs 2 und 3 AsylG bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Schutz im sicheren Drittstaat besteht. Der zweite Satz des § 4 Abs 3 AsylG verbietet den Einwand der mangelnden Drittstaatsicherheit, wenn ein 'Sachverhalt' einem 'bestehenden Rechtsakt des Rates der Europäischen Union entspricht'. Für den Einzelnen scheint weder erkennbar zu sein, welche konkreten Rechtsakte gemeint sind, noch ob und in welcher Weise sie publiziert sind:

Zur Erfüllung seiner Aufgaben kann der Rat Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen erlassen, Empfehlungen aussprechen oder Stellungnahmen abgeben (Art249 EGV), wobei hier nur die wichtigsten Rechtshandlungsformen, ohne eine abschließende Regelung zu treffen, angeführt werden. Als Rechtsakte versteht das Gemeinschaftsrecht also nicht nur solche, die unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen begründen, sondern auch Akte, die bloßen Empfehlungscharakter haben. Dass der Gesetzgeber den Begriff Rechtsakte in diesem weiten Sinn verstanden hat, scheint auch der Ausschussbericht zu § 4 Abs 3 AsylG (693 BlgNR 21. GP, 2) zu zeigen:

'Der Verweis auf bestehende Rechtsakte des Rates der Europäischen Union versteht sich als Verweis auf den 'EU-Asylacquis' seit den Londoner Resolutionen von 1992 und dessen laufende Fortentwicklung.'

Der EU-Asylacquis ist nach dem Sprachgebrauch der Europäischen Union der Besitzstand der Europäischen Gemeinschaft betreffend das Asylrecht seit 1992. Nur ein Teil des EU-Asylacquis betrifft Akte des Rates und ein noch kleinerer Teil beschäftigt sich überhaupt mit der Problematik sicherer Drittstaaten. Die belangte Behörde erwähnt im angefochtenen Bescheid jene Dokumente des Acquis, auf die sie ihre Beurteilung der Drittstaatsicherheit stützt. Diese Texte werden teilweise als bloße Grundsätze (Definition des Begriffes 'Aufnahmedrittland' in Ziffer 1 der Entschließung zu einem einheitlichen Konzept in Bezug auf Aufnahmedrittländer vom 30.11. und ) oder als Leitlinien (Gemeinsamer Standpunkt vom betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs 'Flüchtling' in Artikel 1 des Genfer Abkommens vom über die Rechtsstellung der Flüchtlinge) bezeichnet, oder sie legen bloße Zielsetzungen oder Faktoren fest, von denen die Mitgliedstaaten abweichen können (Ziffer 6 der Schlussfolgerungen betreffend Länder, in denen im Allgemeinen keine ernstliche Verfolgungsgefahr besteht vom 30.11. und ). Auch 'Schlussfolgerungen' des Rates scheinen bloß politischer Natur zu sein und begründen keine Rechte und Pflichten für den Einzelnen. Vielfach haben die Texte insgesamt, denen zum Teil nicht einmal Normqualität zukommen dürfte, bloß Empfehlungscharakter und sollen erst in Zukunft in rechtsverbindliche Normen umgesetzt werden (vgl. zB die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylwerbern in den Mitgliedstaaten, Abl. L 31/18). Die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle scheint auch als dynamische Verweisung zu verstehen zu sein. Dies scheint durch den oben genannten Ausschussbericht bestätigt zu werden (arg.: 'und dessen laufende Fortentwicklung').

3.2 Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung dynamische Verweisungen auf Normen einer anderen Rechtsetzungsautorität als verfassungswidrig erachtet, dynamische Verweisungen auf Normen derselben Rechtsetzungsautorität jedoch als grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig angesehen; dies freilich unter der Voraussetzung, dass in der verweisenden Norm das Verweisungsobjekt ausreichend bestimmt festgelegt ist (vgl. VfSlg. 12.947/1991, 14.606/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur) und die verwiesene Norm in einem den österreichischen Gesetzblättern vergleichbaren Publikationsorgan kundgemacht und dabei auf die Fundstelle hingewiesen wurde (vgl. VfSlg. 12.293/1990). Demnach widerspricht eine globale Verweisung auf die Normen einer anderen Rechtsetzungsautorität ohne genaue Bezeichnung der verwiesenen Norm ebenso dem Bestimmtheitsgebot des Art 18 B-VG wie sogenannte dynamischen Verweisungen, bei denen die fremde Rechtsetzungsautorität allein den Inhalt der verweisenden Rechtsordnung verändern kann.

Die in Prüfung gezogene Norm scheint also nicht bloß ein Hinweis auf ohnehin vorrangig geltende Normen des Gemeinschaftsrechtes und auch keine Umsetzung von Gemeinschaftsrecht zu sein, sondern will anscheinend Akte einer anderen Rechtsetzungsautorität unterschiedslos zu innerstaatlichen Vorschriften machen. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass für solche Verweisungen auf das Gemeinschaftsrecht auch die von ihm entwickelten Grundsätze für Verweisungen im innerstaatlichen Recht heranzuziehen sind. Im vorliegenden Fall scheint daher eine dynamische Verweisung auf Akte eines anderen Rechtsträgers vorzuliegen, wobei die verweisende Norm die verwiesenen Akte nicht zu bezeichnen scheint. Selbst wenn man diesen Verweis als einen auf den EU-Asylacquis verstünde - wofür der Gesetzestext allerdings keinen Anhaltspunkt zu geben scheint - so wäre dennoch für dessen Bestimmtheit nichts gewonnen. Der EU-Asylacquis scheint nämlich selbst wieder - sofern den Texten überhaupt Normcharakter zukommt - in hohem Maße unbestimmt zu sein.

Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Verweisung des zweiten Satzes des § 4 Abs 3 AsylG dynamischen Charakter hat, die verwiesenen 'Rechtsakte des Rates der Europäischen Union' nicht bezeichnet sind und der bloß im Ausschussbericht genannte EU-Asylacquis - sofern er überhaupt Normen enthält - in hohem Maße unbestimmt ist, sodass insgesamt für den Normunterworfenen die Rechtslage nicht in einer den rechtsstaatlichen Erfordernissen entsprechenden Weise erkennbar ist. Dem Verfassungsgerichtshof erscheint auch unklar, wie zu beurteilen ist, ob ein 'Sachverhalt' einem 'Rechtsakt' des Rates der Europäischen Union entspricht."

V. Die Bundesregierung erstattete eine (für alle vorliegenden Verfahren maßgebende) Äußerung, in der sie im Hinblick auf den Wortlaut der in Prüfung genommenen Bestimmung von einer meritorischen Äußerung Abstand nimmt und darauf hinweist, dass § 4 AsylG nach dem am zur Begutachtung versendeten (und noch nicht als Gesetz kundgemachten) Entwurf einer Asylgesetz-Novelle 2003 gänzlich neu gefasst werde und eine der in Prüfung genommenen Bestimmung vergleichbaren Regelung nicht mehr vorgesehen sei. Unabhängig davon führt die Bundesregierung zur Problematik der Verweisung von österreichischem Recht auf Gemeinschaftsrecht Folgendes aus:

"Der Verfassungsgerichtshof unterscheidet in seiner Rechtsprechung 'Verweisungen' von 'Anknüpfungen', wobei die Grenze zwischen diesen beiden nicht immer scharf ausgemacht werden kann (vgl. Thienel, Rechtsstaatliche Probleme der Verbindlicherklärung von ÖNORMEN, ecolex 1993, 129ff [130]; Öhlinger, Verfassungsrecht,

5. Aufl., 2003, 60). Eine Verweisung, so führt der Verfassungsgerichtshof etwa in VfSlg. 15.267/1998 iZm dem Kärntner Fremdenverkehrsabgabegesetz 1994 aus, setze 'begrifflich voraus, daß sich der Inhalt nicht abschließend aus einer Rechtsnorm erschließt, sondern sich erst unter Heranziehung einer oder mehrerer anderer Rechtsvorschriften ergibt'. Eine tatbestandsmäßige 'Anknüpfung' hingegen sah der Verfassungsgerichtshof etwa in jenen Bestimmungen der Gewerbeordnung, die die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit bzw. die Genehmigung einer Betriebsanlage an einem Standort daran knüpften, dass dies nicht 'durch Rechtsvorschriften verboten sei (vgl. VfSlg. 12.384/1990, 13.231/1992, 13.586/1993). Eine Bestimmung wurde dann über ein bloßes Anknüpfen bzw. über die Anordnung einer bloßen Vorfragenbeurteilung hinausgehend angesehen, wenn sie ausschließlich die Prüfung einer an sich einer anderen Behörde zukommenden Vollzugsfrage vorsah, zB der Naturschutzbehörde die Prüfung der Zulässigkeit eines Bauvorhabens im Hinblick auf den Flächenwidmungsplan zuordnen, obgleich diese Frage der Baubehörde zur Entscheidung aufgetragen sei; dies stehe in Widerspruch zum Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden (vgl. VfSlg. 14.940/1997 und 15.232/1998). Tatbestandsmäßiges Anknüpfen an die Rechtslage einer anderen Rechtsetzungsautorität bzw. von darauf gestützten Vollzugsakten hat der Verfassungsgerichtshof dann für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet, wenn 'die zum Tatbestandselement erhobene (fremde) Norm nicht im verfassungsrechtlichen Sinn 'vollzogen', sondern lediglich ihre vorläufige inhaltliche Beurteilung dem Vollzug der eigenen Norm zugrunde gelegt' werde (VfSlg. 7445/1974, 8172/1977, 11.281/1987).

In der Lehre wurde der Begriff der Verweisung unterschiedlich umschrieben:

Ein Teil der Autoren nimmt eine Verweisung dann an, wenn eine unvollständige Vorschrift ('Verweisungsnorm') zur Ausfüllung dieser Unvollständigkeit auf eine andere Vorschrift Bezug nimmt, die für den betreffenden Sachverhalt sonst nicht maßgeblich wäre ('Verweisungsobjekt'), wobei den zur Vollziehung der Verweisungsnorm berufenen Organen die Heranziehung des Verweisungsobjektes verpflichtend vorgeschrieben ist. Verweisungen können auch im Tatbestand einer Norm erfolgen, und sie können sich auch auf Verweisungsobjekte außerhalb des Rechtsquellensystems beziehen (Thienel, aaO, 130, mwH). Andere Autoren ziehen den Kreis der Verweisungen nicht so weit (Lang, Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, 1992, 117ff).

2.3. Während für Anknüpfungen mit Ausnahme des Gleichheitssatzes keine Schranken zu beachten sind (vgl. VfSlg. 12.384/1990), sind die Rahmenbedingungen für Verweisungen seit jeher strenger gezogen worden (siehe schon grundlegend Koja, Zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit statischer und dynamischer Verweisungen, ÖJZ 1979, 29ff, mit einem Überblick über die bis dahin vorliegende Literatur und Rechtsprechung).

So genannte statische Verweisungen, d.h. Verweisungen auf Normen in einer bestimmten Fassung, müssen ausreichend bestimmt und formuliert sein und dürfen nur auf Normen bezogen werden, die ihrerseits ausreichend kundgemacht sind. Die beiden damit erfassten Elemente des Rechtsstaatsprinzips, nämlich der Grundsatz der Publizität und sohin der allgemeinen Zugänglichkeit der verwiesenen Normen (Art49 und 97 B-VG) sowie der inhaltlichen Determinierung und allgemeinen Verständlichkeit von Normen im Sinne des Art 18 B-VG, dienen der Rechtssicherheit der Normunterworfenen. Pauschale bzw. globale Verweisungen auf ein Rechtsgebiet entsprechen diesen Erfordernissen nicht und sind daher verpönt.

In Bezug auf die verfassungsrechtlichen Kundmachungserfordernisse wurden vor dem Hintergrund der im Jahre 1920 vorgefundenen und rezipierten amtlichen Publikationsformen neben den Gesetzblättern auch jene Publikationsorgane als ausreichend erachtet, die dem BGBl. bzw. dem LGBl. annähernd entsprechen (vgl. Thienel, aaO, 131 mwN).

Dynamische Verweisungen hingegen, d.h. Verweisungen auf Normen in der jeweils geltenden Fassung, unterliegen nicht allein den Kautelen der statischen Verweisung. Sie sind im allgemeinen bloß auf Normen desselben Normsetzers zulässig, da mit dynamischen Verweisungen auf Normen eines anderen Normsetzers der nach der Rechtsordnung eigentlich zuständige Normsetzer seine Kompetenz aufgibt. Die darin gelegene Delegierung der Gesetzgebungsbefugnis ist allerdings nur dann zulässig, wenn sie ausdrücklich verfassungsgesetzlich vorgesehen ist (vgl. Koja, aaO, 34; Walter - Mayer, Bundesverfassungsrecht, 9. Aufl., 2000, 133; Öhlinger, aaO, 60; Thienel, aaO, 132). Ohne derartige Ermächtigung widerspricht eine dynamische Verweisung auf einen anderen Normsetzer der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung (und dem Grundsatz der Gewaltenteilung, wenn eine Verordnung auf ein Gesetz bzw. umgekehrt verweist). Erwähnenswert erscheint im vorliegenden Zusammenhang, dass der Verfassungsgerichtshof es auch für zulässig erachtet hat, dass der Verweis einer bundesgesetzlichen Strafdrohung auf ein anderes Bundesgesetz in der geltenden Fassung in eine Verweisungskette mündet, wenn diese zu einem eindeutigen Ergebnis führt, selbst wenn die Ermittlung des Norminhalts dadurch mühsam ist (vgl. VfSlg. 14.606/1996). Weiters wurden im Sinne der Gesetzesökonomie so genannte 'Blankettstrafnormen' für verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, wenn und insoweit der Tatbestand mit solcher Deutlichkeit gekennzeichnet ist, dass jedermann ihn als solchen zu verstehen vermag (vgl. VfSlg. 12.947/1991).

2.4. Auch dynamische Verweisungen auf ausländisches Recht wurden unter Hinweis auf die bloß relative Geschlossenheit des österreichischen Rechtsquellensystems und historische Vorbilder für zulässig erachtet (vgl. die Hinweise bei Thienel, aaO, FN 32; vgl. weiters Gassner - Lang - Lechner (Hrsg). Das neue Doppelbesteuerungsabkommen Österreich-Deutschland, 2002, 70f, 225; vgl. zu Doppelbesteuerungsabkommen jedoch Griller, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen, 1989, FN 146, der unter Hinweis auf VfSlg. 7445/1974 die Frage aufwirft, ob es sich hiebei nicht um Anknüpfungen an ausländisches Recht handelt).

2.5. Dem Thema der Verweisungen auf Gemeinschaftsrecht wurde in der Literatur bisher - soweit ersichtlich - wenig Augenmerk gewidmet (vgl. den Befund von Eisenberger - Urbantschitsch, Die Verweisung als Instrument zur Umsetzung von Gemeinschaftsrecht, ÖZW 1999, 74ff (FN3), dem auch heute noch Relevanz zukommt). Öhlinger - Potacs (Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 2. Aufl., 2001, 136ff; vgl. auch den Hinweis in Öhlinger, aaO, 60) betrachten diese Thematik vorwiegend aus dem Blickwinkel der Umsetzung von gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen im Hinblick auf ihre Sanktionsbewehrung. Sie gelangen dabei zum Schluss, dass die für den Rechtsunterworfenen erforderliche hinreichende Deutlichkeit des (Verwaltungs) Straftatbestandes 'am ehesten dadurch gewährleistet [sei], dass in der Strafvorschrift die von ihr sanktionierte Bestimmung des Gemeinschaftsrechts genau angeführt wird'. Wenn der Verfassungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung Blankettstrafnormen unter gewissen Bedingungen für verfassungsrechtlich zulässig erklärt habe, so dürfe man daraus schließen, 'dass auch eine (Tatbestands)Verweisung auf unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht durch eine innerstaatliche Strafvorschrift zumindest prinzipiell zulässig ist'. Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Unzulässigkeit dynamischer Verweisungen von Bundesgesetzen auf Landesgesetze und umgekehrt lasse sich hier nicht entgegenhalten, weil sich die österreichische Strafvorschrift am Gemeinschaftsrecht zu orientieren habe. Gegen eine derartige Regelung in Verordnungsform könne allerdings sprechen, dass von Verfassungs wegen eine gesetzliche Normierung eines Straftatbestandes gefordert sei. Verweisungen auf Richtlinien seien ebenfalls so lange unproblematisch, so lange sie jeweils eine bestimmte Vorschrift einer Richtlinie zum Gegenstand hätten und damit ausreichend bestimmt seien. Die Autoren berufen sich hiebei auf die Vorrangwirkung von Gemeinschaftsrecht, die diesem jedenfalls unmittelbar zum Durchbruch verhelfen, so lange es bloß den innerstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit von Rechtsvorschriften entspreche. 'Es wäre daher inkonsequent anzunehmen, dass es unzulässig sei, wenn der innerstaatliche Gesetzgeber auf jene Anordnungen zurückverweist, die er ohnehin zu befolgen hat'.

In allgemeinerem Kontext wurden Verweisungen auf Gemeinschaftsrecht bisher von Eisenberger - Urbantschitsch (aaO) erörtert. Neben Fragestellungen in Bezug auf gemeinschaftsrechtliche Umsetzungserfordernisse (Bedenklichkeit von Bündelverweisungen im Hinblick auf das Klarheitsgebot, Auslegungsprobleme im Hinblick auf die Frage des konkreten Zeitpunktes der Umsetzung bei dynamischen Verweisungen; Gefahr des Widerspruchs zu Gemeinschaftsrecht bei statischen Verweisungen nach Änderung des Gemeinschaftsrechts) wenden diese beiden Autoren die für innerstaatliche Verweisungen geltenden Maßstäbe unter Berufung auf den 'Grundsatz der doppelten Bedingtheit' auch für Verweisungen auf Gemeinschaftsrecht an. Sie gelangen aufgrund dessen zu dem Schluss, dass unbestimmte Verweisungen auf mehrere Bestimmungen, ganze Richtlinien oder Richtlinienbündel Art 18 B-VG widersprechen, statische Verweisungen im Falle einer Richtlinienänderung Probleme aufwerfen. Dynamische Verweisungen seien grundsätzlich aus den selben Gründen verfassungsrechtlich abzulehnen wie sonstige dynamische Verweisungen auf Regelungen fremder Normsetzer (vgl. auch Irresberger, Legistische Probleme der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Verweisungs-Problematik, in Bußjäger, Kleiser (Hrsg), Legistik und Gemeinschaftsrecht, Institut für Föderalismus, Schriftenreihe, Bd 84, 2001).

2.6. Beiden Literaturstellen ist allerdings gemeinsam, dass sie die österreichische Rechtslage, wie sie sich nach dem EU-Beitritt darstellt, nicht eingehender beleuchten, obwohl nach überwiegender Auffassung der Beitritt zur EU eine Gesamtänderung der Bundesverfassung im Sinne des Art 44 Abs 3 B-VG mit sich brachte. So wurden etwa weit reichende Rechtsetzungskompetenzen auf Organe der EU übertragen, und das rechtsstaatliche Prinzip durch die partielle Verdrängung des Legalitätsprinzips aber auch die Verdrängung des Normenprüfungsmonopols des Verfassungsgerichtshofes modifiziert (vgl. Walter - Mayer, aaO, 117; Öhlinger, aaO, 80f).

Will man nicht mit Öhlinger - Potacs schon mit dem Argument der Vorrangwirkung allein die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen auf Gemeinschaftsrecht begründen, so erfordert die Prüfung der Zulässigkeit dynamischer Verweisungen auf Gemeinschaftsrecht vor dem Hintergrund des Grundsatzes der doppelten Bedingtheit (vgl hiezu insbesondere die Nachweise bei Thienel, Anwendungsvorrang und Präjudizialität im amtswegigen Normenprüfungsverfahren vor dem VfGH, ZfV 2001, 777ff [FN 65ff]) eine intensivere Betrachtung. Betrachtet man aber die beiden Säulen, auf denen die Auffassung zu innerstaatlichen Verweisungen beruht - das Rechtsstaatsprinzip in seiner Facette der Publizität und sohin der allgemeinen Zugänglichkeit der (verwiesenen) Normen (Art49 und 97 B-VG) sowie der inhaltlichen Determinierung und allgemeinen Verständlichkeit von Normen im Sinne des Art 18 B-VG einerseits und die bundesstaatliche Kompetenzverteilung bzw. das Gewaltenteilungsprinzip anderseits - so stellt sich die Frage, ob diese überhaupt für Verweisungen auf Gemeinschaftsrecht in gleicher Weise Geltung beanspruchen können. Gerade die hohe Tradition des österreichischen Legalitätsdenkens in Österreich (s. R. Novak, Das 'differenzierte Legalitätsprinzip' in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, FS Adamovich, 1992, 491 [492]) wurde durch den EU-Beitritt partiell modifiziert, das gegen dynamische Verweisungen vor allem ins Treffen geführte Kompetenzverteilungsargument ist hier nicht so ohne weiteres einzusetzen (vgl. ähnlich Kert, Die Sanktionierung von Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht durch nationales Strafrecht am Beispiel des Lebensmittelstrafrechts, JBl. 1999, 87ff [98f]). Schließlich sollte nicht übersehen werden, dass das verfassungsrechtliche Determinierungsgebot etwa für Regelungen im Bereich des Wirtschaftsrechts keine so weite Vorherbestimmung erfordert wie in den Bereichen des Steuerrechts, Sozialversicherungsrechts oder des Strafrechts, in denen das Rechtsschutzbedürfnis eine besonders genaue Determinierung verlangt (vgl. VfSlg. 13.785/1994, 15.177/1998, ), sodass auch vor diesem Hintergrund im vorliegenden Fall eine differenzierte Betrachtung zulässig erscheint.

Geht man aber von den Grundgedanken der allgemeinen Zugänglichkeit der verwiesenen Normen sowie der inhaltlichen Determinierung und allgemeinen Verständlichkeit von Normen im Dienste der Rechtssicherheit der Normunterworfenen, die Maßstab sämtlicher Verweisungen sind, aus, so erscheinen dynamische Verweisungen auf Gemeinschaftsrecht nicht schlechthin unzulässig: Insoweit dem verfassungsrechtlichen Determinierungsgebot Genüge getan ist und die verwiesene gemeinschaftsrechtliche Rechtsquelle hinreichend deutlich bezeichnet und auffindbar ist bzw. die Verweisung zu einem eindeutigen Ergebnis führt und das Gemeinschaftsrecht unmittelbar anwendbar ist, dürfte einer Verweisung ganz allgemein kein verfassungsrechtliches Gebot entgegenstehen. Hinzugefügt sei, dass die unmittelbare Anwendbarkeit bei umzusetzendem (Primär- oder) Sekundärrecht (im Sinne des effet utile und des Grundsatzes des estoppel) mit Ablauf der Umsetzungsfrist angenommen wird, wenn dieses inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist und subjektive Rechte einräumt (vgl. Beutler ua, Die Europäische Union, 5. Aufl., 2001, 120ff; Fischer - Köck - Karollus, EuropaRecht, 4. Aufl., 2002, 429ff; 630f; vgl. ferner zum Anwendungsvorrang St. L. Frank, Altes und Neues zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor staatlichem Recht, ZÖR 2000, 1ff [21ff]; Thienel, Anwendungsvorrang und Präjudizialität im amtswegigen Normenprüfungsverfahren vor dem VfGH, ZfV 2001, 777ff; Thun-Höhenstein - Cede, Europarecht, 4. Aufl., 1999, 91ff); vor Verstreichen einer Umsetzungsfrist wird wohl die alte Fassung der Richtlinie als 'geltende Fassung' im Sinne der Verweisung anzunehmen sein.

Abschließend darf jedoch neuerlich darauf hingewiesen werden, dass die Abgrenzung der Rechtssetzungstechnik der Verweisung zu jener der tatbestandsmäßigen Anknüpfung nicht immer klar gezogen werden kann, sodass vielfach Bestimmungen, die unscharf als Verweisung bezeichnet werden, bei genauerer Betrachtung sich ohnehin als ein - im wesentlichen am Gleichheitssatz zu messendes - Anknüpfen an Gemeinschaftsrecht erweisen. Wenn er sich dieser Techniken bedient, so verfolgt der österreichische Gesetzgeber in der Regel gerade das Ziel, seiner Verpflichtung zur Umsetzung von sich häufig ändernden Gemeinschaftsrecht in einfacher, flexibler, transparenter und gesetzesökonomischer Weise nachzukommen und zugleich der Forderung des EuGH, dem Gemeinschaftsrecht die größtmögliche Wirksamkeit zu verschaffen, zu entsprechen."

VI. 1. Die Präjudizialität des in Prüfung gezogenen Satzes im § 4 Abs 3 AsylG wird sowohl beim amtswegig eingeleiteten Verfahren als auch bei den Anträgen des Bundesasylsenates weder von der Bundesregierung bestritten noch sind sonst diesbezüglich Zweifel entstanden. Da außer der Präjudizialität auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, sind die eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Die - bereits ausführlich zitierten - Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, die auch jene des Bundesasylsenates sind, erweisen sich als gerechtfertigt.

Die Bundesregierung nimmt von einer meritorischen Äußerung ausdrücklich Abstand und beschränkt sich auf eine abstrakte Darstellung der Lehre und Rechtsprechung zum Begriff der Verweisung sowie zum Thema Verweisung auf Gemeinschaftsrecht. Den im Prüfungsbeschluss vorläufig getroffenen Annahmen, dass die Verweisung des zweiten Satzes des § 4 Abs 3 AsylG dynamischen Charakter hat, die verwiesenen "Rechtsakte des Rates der Europäischen Union" nicht bezeichnet sind und der bloß im Ausschussbericht genannte EU-Asylacquis in hohen Maße unbestimmt ist, wurde nicht im Einzelnen entgegengetreten.

a) Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung (s. VfSlg. 3149/1957, 6290/1970, 7085/1973, 7241/1973) dynamische Verweisungen auf Normen einer anderen Rechtsetzungsautorität als verfassungswidrig erachtet, dynamische Verweisungen auf Normen derselben Rechtsetzungsautorität jedoch als grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig angesehen (vgl. VfSlg. 12.947/1991); dies freilich unter der Voraussetzung, dass in der verweisenden Norm das Verweisungsobjekt ausreichend bestimmt festgelegt ist (vgl. VfSlg. 10.311/1984, 12.080/1989, 12.947/1991, 14.606/1996) und die verwiesene Norm in einem den österreichischen Gesetzblättern vergleichbaren Publikationsorgan kundgemacht und dabei auf die Fundstelle hingewiesen wurde (vgl. VfSlg. 12.293/1990, aber auch VfSlg. 2750/1954, 3130/1956, 5320/1966).

b) Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner Ansicht, dass § 4 Abs 3 zweiter Satz AsylG nicht bloß einen Hinweis auf ohnehin vorrangig geltende Normen des Gemeinschaftsrechts und auch keine Umsetzung von Gemeinschaftsrecht enthält, sondern Akte einer anderen Rechtsetzungsautorität zu innerstaatlichen Vorschriften macht. Aus diesem Grund ist die geprüfte Norm unzweifelhaft als dynamische Verweisung und nicht als bloße Anknüpfung an das Gemeinschaftsrecht zu bewerten. Entscheidendes Kriterium für eine - verfassungsrechtlich zulässige - tatbestandliche Anknüpfung an fremde Normen oder Vollzugsakte (im Gegensatz zur verfassungswidrigen dynamischen Verweisung) ist, dass die zum Tatbestandselement erhobene (fremde) Norm nicht im verfassungsrechtlichen Sinn v o l l z o g e n , sondern lediglich ihre vorläufige inhaltliche Beurteilung dem Vollzug der eigenen Norm zu Grunde gelegt wird (vgl. VfSlg. 12.384/1990, 8172/1977). Der Gesetzgeber bedient sich hingegen in § 4 Abs 3 zweiter Satz AsylG einer Rechtstechnik, bei der er nicht den vollständigen Inhalt der Regelung, die zu vollziehen ist, sprachlich zum Ausdruck bringt, sondern Akte einer anderen Rechtsetzungsautorität in die von ihm zu treffende Regelung inkorporiert. In diesem Sinne ist § 4 Abs 3 zweiter Satz AsylG auch nicht mit Bestimmungen, wie sie etwa das Gesetz über das internationale Privatrecht enthält, zu vergleichen, da er nicht festlegt, an welche Rechtsordnung ein Anwendungsfall mit Auslandsberührung anzuknüpfen ist (vgl. VfSlg. 7445/1974), also auch keine Abgrenzung des Geltungsbereiches von Rechtsordnungen vornimmt. Die in Prüfung gezogene Bestimmung ist eine Verweisung im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes.

c) Die Bundesregierung hat in ihrer Äußerung die Lehre zur Frage, inwieweit die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu dynamischen Verweisungen im innerstaatlichen Bereich auf Verweisungen auf Gemeinschaftsrecht herangezogen werden kann, dargelegt. Ein großer Teil der Lehrmeinungen bezieht sich jedoch auf Fallgruppen, bei denen das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zum innerstaatlichen Recht gemeinschaftsrechtlich (etwa durch den Anwendungsvorrang oder Regelungen über die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts) vorgegeben ist und auf die daher die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Verweisungsproblem von vornherein nicht einfach übertragbar ist.

Die in Prüfung gezogene gesetzliche Bestimmung enthält hingegen eine Verweisung auf Gemeinschaftsrecht, ohne dass hiefür eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung besteht. Für solche Verweisungen auf Rechtsakte der Europäischen Union ist ebenfalls die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu Verweisungen maßgebend, die auf dem Grundgedanken beruht, dass der einzelne Bürger die jeweilige Rechtslage mit Bestimmtheit feststellen können muss; ein Gedanke, der im Übrigen auch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Ausdruck kommt, der selbst bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht verlangt, dass die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten Bestimmungen zu erlassen haben, die so bestimmt und klar und transparent sind, dass der Einzelne wissen kann, welche Rechte und Pflichten er hat (vgl. [TA-Luft]). Eine bloße allgemeine Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht reicht nicht aus ( [Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland]).

Insgesamt ergibt sich Folgendes: Verweist der innerstaatliche Gesetzgeber auf Normen des Gemeinschaftsrechts, die weder unmittelbar anzuwenden sind noch der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht in innerstaatliches Recht bedürfen, macht er also gemeinschaftsrechtliche Normen, die ohne Verweisung nicht anzuwenden wären, durch die Verweisung zum Inhalt des innerstaatlichen Rechts, so ist der Gesetzgeber an das Bestimmtheitsgebot in jener strengen Weise gebunden, die der Verfassungsgerichtshof für Verweisungen auf Normen einer gleichrangigen Rechtsetzungsautorität in seiner langjährigen (zuvor zitierten) Judikatur verlangt.

d) Wie schon im Prüfungsbeschluss ausgeführt wurde, lässt die Verweisung auf "bestehende Rechtsakte des Rates der Europäischen Gemeinschaft" völlig offen, welche Rechtsakte konkret gemeint sind, da die verweisende Norm die verwiesenen Akte nicht bezeichnet. Auch der im Ausschussbericht verwendete Terminus "EU-Asylacquis", der den Besitzstand der Europäischen Gemeinschaft betreffend das Asylrecht seit 1992 umfasst, führt zu keinem wesentlich besseren Verständnis der Norm, da der Umfang der damit gemeinten Texte - sofern ihnen überhaupt Normcharakter zukommt - nicht verlässlich bestimmt werden kann.

e) Der Verfassungsgerichtshof sieht auch keine Möglichkeit, den Begriff der "Rechtsakte des Rates" derart restriktiv zu interpretieren, dass darunter nur jene Akte fallen, die unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht beinhalten, sodass die Verweisung bloß wiedergibt, was ohnehin auch ohne sie gelten würde. Eine solche Interpretation verbietet nicht nur der Wortlaut der Bestimmung, da im Gemeinschaftsrecht unter dem Terminus Rechtsakte sowohl solche verstanden werden, die verbindlich und unmittelbar anwendbar sind, als auch unverbindliche Empfehlungen (vgl. Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art 249, Rz 104ff), sondern auch die aus den Gesetzesmaterialien (AB 693 BlgNR 21. GP) erkennbare Absicht des Gesetzgebers, den sogenannten Asylacquis, also eine Sammlung von Rechtsakten verschiedenster, meist aber unverbindlicher Qualität, zum Inhalt der österreichischen Rechtsordnung zu machen.

Aus diesen Gründen haben sich die Bedenken gegen den zweiten Satz des § 4 Abs 3 AsylG als zutreffend erwiesen, weshalb diese Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben wird.

VII. Der Verfassungsgerichtshof sah sich des Weiteren veranlasst, von der Ermächtigung nach Art 140 Abs 7 B-VG Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, da sie ohnehin vollzugsuntauglich ist.

Die übrigen Entscheidungen stützen sich auf Art 140 Abs 6 erster Satz und Abs 5 erster Satz B-VG.

VIII. Diese Entscheidung wurde gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen.