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VfGH vom 23.10.1980, g37/79

VfGH vom 23.10.1980, g37/79

Sammlungsnummer

8942

Leitsatz

UStG 1972; Steuerbefreiung blinder Unternehmer gemäß § 6 Z 10; Ausschluß vom Vorsteuerabzug bei Geschäftsbeziehungen mit Wiederverkäufern gemäß § 11 Abs 12 und § 12 Abs 3;§ 6 Z 10 ist einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich

Spruch

I. § 6 Z 10, der erste Satz des § 11 Abs 12 und die Worte "die Lieferungen und" in § 12 Abs 3 Z 1 des Umsatzsteuergesetzes 1972, BGBl. 223, werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Im übrigen wird das Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Beim VfGH ist zur Zahl B181/77 die Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für OÖ anhängig, wonach dem Beschwerdeführer, der Inhaber einer Tabaktrafik ist, in Anwendung des § 11 Abs 12 des Umsatzsteuergesetzes 1972 (künftig: UStG) Umsatzsteuer vorgeschrieben wird, weil er, obwohl gemäß § 6 Z 10 UStG von der Umsatzsteuer befreit, für Lieferungen an Wiederverkäufer Rechnungen ausstellte, in denen er Umsatzsteuer auswies, um den Abnehmern den Vorsteuerabzug zu ermöglichen.

b) Beim VfGH sind zur Zahl B23/77 und B47, 48/77 weitere Beschwerden eines anderen Beschwerdeführers gegen im Instanzenzug ergangene Bescheide der Finanzlandesdirektion für Stmk. anhängig. Auch dieser Beschwerdeführer ist Inhaber einer Tabaktrafik und nimmt die Befreiung von der Umsatzsteuer gemäß § 6 Z 10 UStG in Anspruch. Mit den angefochtenen Bescheiden wird dem Beschwerdeführer gemäß § 11 Abs 12 UStG Umsatzsteuer vorgeschrieben, weil auch er in Rechnungen an Wiederverkäufer Umsatzsteuer ausgeworfen hat.

2. Bei den Beratungen über die Beschwerden sind Bedenken gegen § 6 Z 10, den ersten Satz des § 11 Abs 12 und § 12 Abs 3 Z 1 UStG entstanden, die sich aus dem Zusammenhang dieser Regelungen ergeben.

§6 Z 10, § 11 Abs 12 und § 12 Abs 3 Z 1 (in der hier maßgeblichen Fassung) des Umsatzsteuergesetzes 1972, BGBl. 223, lauten:

"§6 Von den unter § 1 Abs 1 Z 1 und 2 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:

...

10. die Umsätze der Blinden, wenn sie nicht mehr als drei sehende Arbeitnehmer beschäftigen und die Voraussetzungen der Steuerfreiheit durch eine Bescheinigung über den Erhalt der Blindenbeihilfe oder durch eine Bestätigung der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde oder durch den Rentenbescheid oder eine Bestätigung des zuständigen Landesinvalidenamtes nachweisen. Nicht als Arbeitnehmer gelten die Ehefrau, die minderjährigen Abkömmlinge, die Eltern des Blinden und die Lehrlinge. Die Steuerfreiheit gilt nicht für Umsätze von Gegenständen, die einer Verbrauchsteuer unterliegen, wenn der Blinde Schuldner der Verbrauchsteuer ist;"

"§11 (12) Hat der Unternehmer in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen Steuerbetrag, den er nach diesem Bundesgesetz für den Umsatz nicht schuldet, gesondert ausgewiesen, so schuldet er diesen Betrag auf Grund der Rechnung, wenn er sie nicht gegenüber dem Abnehmer der Lieferung oder dem Empfänger der sonstigen Leistung entsprechend berichtigt. Im Falle der Berichtigung gilt § 16 Abs 1 sinngemäß."

"§12 (3) Vom Vorsteuerabzug sind ausgeschlossen:

1. Die Steuer für die Lieferungen und die Einfuhr von Gegenständen, soweit der Unternehmer diese Gegenstände zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet;"

Die nach § 6 Z 10 UStG begünstigten Personen werden im folgenden kurz "Blinde" genannt.

3. Der VfGH hat seine Bedenken im Unterbrechungsbeschluß wie folgt umschrieben:

"a) Gemäß § 6 Z 10 UStG gewährt der Gesetzgeber unter gewissen Voraussetzungen Blinden Befreiung von der Umsatzsteuer.

§12 Abs 3 UStG verfügt des weiteren, daß gemäß § 6 Z 10 UStG steuerbefreite Umsätze vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen sind. Dies ist für blinde Unternehmer, wenn sie an Endverbraucher Lieferungen erbringen, ohne nachteilige Bedeutung. Wesentlich anders wirkt sich die Regelung aus, wenn gemäß § 6 Z 10 UStG steuerbefreite Unternehmer mit Wiederverkäufern kontrahieren, welche vorsteuerabzugsberechtigt sind. Für solche Geschäftsbeziehungen bewirkt die unechte Steuerbefreiung, dh. der Ausschluß vom Vorsteuerabzug gemäß § 12 Abs 3 UStG, daß Blinde entweder die Nachteile des § 11 Abs 12 UStG oder den Verlust des Kunden in Kauf nehmen müssen. Dem VfGH scheint vorerst keine sachliche Rechtfertigung dafür zu bestehen, daß die Umsatzsteuerbefreiung für blinde Unternehmer ausschließlich an Geschäftsbeziehungen mit Endverbrauchern orientiert ist. Es ist nicht einzusehen, warum ein blinder Unternehmer, der nach § 6 Z 10 UStG steuerbefreit ist, seine Geschäftstätigkeit nicht auch oder ausschließlich mit Unternehmen abwickeln sollte, für die die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Vorsteuerabzug Voraussetzung ihrer Bereitschaft ist, Geschäftsbeziehungen aufrechtzuerhalten. Es scheint nunmehr dem Sachlichkeitsgebot zu widersprechen, wenn eine gesetzliche Regelung bewirkt, daß Blinde in ihren diesbezüglichen Wettbewerbsmöglichkeiten wesentlich schlechter gestellt werden als ihre sehenden Konkurrenten. Dies wird durch die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle bewirkt. Der VfGH hat das Bedenken, daß hiemit gegen das Gleichheitsgebot verstoßen wird.

Eine sachliche Rechtfertigung der Regelung dürfte sich auch daraus nicht ableiten lassen, daß die Steuerbefreiung für Blinde bei Belieferung von Endverbrauchern eine Begünstigung bewirkt, zumal weder aus objektiven Gegebenheiten feststellbar ist, daß Geschäftsbeziehungen von Blinden vor allem mit Endverbrauchern bestehen, noch aus dem Gebrechen der Blindheit ableitbar ist, daß ein solches Ergebnis vom Gesetzgeber sachlich gerechtfertigt erstrebt werden darf.

b) Der VfGH hat das weitere Bedenken, daß § 11 Abs 12 UStG gegen das Gleichheitsgebot verstößt. Der VfGH folgte, was den Sinn dieser Regelung betrifft, der Rechtsansicht, die der VwGH in seinem Erk. vom 18. Feber 1976, Zl. 67/75 (VwSlg. 4940 F/1976) zum Ausdruck gebracht hat. Da ein unberechtigter oder überhöhter Steuerausweis in einer gemäß § 11 UStG ausgestellten Rechnung auf das Recht, die ausgewiesene Steuer als Vorsteuer geltend zu machen, ohne Einfluß ist, führt auch der unberechtigte oder überhöhte Steuerausweis zu einer Schuld des Abgabengläubigers an den zum Vorsteuerabzug Berechtigten. § 11 Abs 12 UStG soll den erforderlichen Ausgleich für dieses den Abgabengläubiger ungerechtfertigt belastende Ergebnis schaffen, indem diese Vorschrift in der Person des Unternehmers, der in einer Rechnung eine nichtgeschuldete Steuer gesondert ausgewiesen hat, die Steuerschuld für diesen Betrag entstehen läßt. Die sachliche Rechtfertigung der Haftung des Rechnungsausstellers für die in der Rechnung ausgeworfene Umsatzsteuer findet sich somit in dem hiedurch bewirkten Ausgleich des durch die unrichtig ausgeworfene Umsatzsteuer ausgelösten Abganges aus der Verrechnung von Umsatzsteuer- und Vorsteuerabzug.

Wesentlich anders wirkt sich § 11 Abs 12 UStG in Fällen aus, in denen eine unechte Befreiung von der Umsatzsteuer gewährt ist. In diesen Fällen ist der Rechnungsleger von einem Vorsteuerabzug ausgeschlossen, womit § 11 Abs 12 UStG nicht einen Ausgleich der Verrechnung für einen Abgang zwischen Umsatzsteuer- und Vorsteuerabzug schafft, sondern den Rechnungsleger, der bei der Anschaffung der weiterveräußerten Ware für sie bereits Umsatzsteuer entrichtet hat, mit derselben ein zweites Mal belastet. Es scheint sachlich nicht gerechtfertigt zu sein, daß die Regelung auf diesen Effekt nicht Bedacht nimmt. Eine sachliche Rechtfertigung dürfte sich auch daraus nicht ergeben, daß der Rechnungsleger zu einer Berichtigung der Rechnung iS des § 16 Abs 1 UStG berechtigt ist.

§11 Abs 12 erster Satz UStG scheint daher gegen das Gleichheitsgebot zu verstoßen.

c) Wegen des Zusammenhanges, in dem § 11 Abs 12 erster Satz,§ 12 Abs 3 Z 1 und § 6 Z 10 UStG stehen, erstrecken sich die aufgeworfenen Bedenken aber auch auf § 6 Z 10 UStG.

Von Bedeutung ist zusätzlich, daß es dem VfGH fraglich erscheint, ob § 6 Z 10 UStG Blinden eine steuerliche Gestaltungsmöglichkeit dermaßen offenläßt, daß es ihnen freisteht, durch Nichtvorlage von Bescheinigungsmitteln eine Steuerbefreiung nicht in Anspruch zu nehmen. Selbst wenn dies rechtlich zulässig wäre, scheint es dem VfGH fraglich, ob der Steuerpflichtige eine solche Gestaltung jährlich in Anspruch nehmen kann, weil das Gesetz Blinden nicht die Möglichkeit zu eröffnen scheint, von einer vorgenommenen Inanspruchnahme der Steuerbefreiung wieder Abstand zu nehmen. Auch hiefür scheint sich keine Rechtfertigung zu finden. Ein weiteres Bedenken aus der Sicht des Gleichheitssatzes ergibt sich daraus, daß gemäß § 106 EStG 1972 Körperbehinderten auf Antrag ein Freibetrag zur Abgeltung etwaiger außergewöhnlicher Belastungen zu gewähren ist. Für Blinde scheint dies zu bewirken, daß sie dann, wenn sie einen solchen Antrag stellen, auf eine Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach dem UStG nicht mehr verzichten können. Ebenso scheint ein Verzicht auf die Steuerbefreiung nach dem UStG, auch wenn er rechtlich zulässig sein sollte, nach sich zu ziehen, daß auch auf einen Antrag gemäß § 106 EStG 1972 von Blinden verzichtet werden müßte.

Auch hieraus ergibt sich das Bedenken, daß § 6 Z 10 und die hiemit im Zusammenhang in Prüfung gezogenen Bestimmungen des UStG mit dem Gleichheitsgebot nicht vereinbar sein dürften."

Zur Klärung der Bedenken hat der VfGH beschlossen, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG und § 65 VerfGG die Verfassungsmäßigkeit der genannten Gesetzesstellen von Amts wegen zu prüfen.

4. Die Bundesregierung hat im Gesetzesprüfungsverfahren eine Äußerung erstattet, in der sie den Antrag stellt, der VfGH wolle die in Prüfung gezogenen Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufheben, in eventu für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen eine Frist von einem Jahr bestimmen.

In dieser Äußerung bringt die Bundesregierung vorerst zum Ausdruck, daß sie den in Prüfung gezogenen ersten Satz des § 11 Abs 12 UStG für unbedenklich halte, da der Vorwurf der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nur die Normen treffen könnte, die den Ausschluß vom Vorsteuerabzug bewirken. Die eigentliche Ursache dafür, weshalb, wie der VfGH ausgeführt habe, ein "Rechnungsleger, der bei der Anschaffung der weiterveräußerten Ware für sie bereits Umsatzsteuer entrichtet hat, mit derselben ein zweites Mal belastet" werde, sei im Ausschluß vom Vorsteuerabzug zu sehen. Zu § 12 Abs 3 UStG sei zu bemerken, daß entsprechend dessen letztem Satz nur in den Fällen der sogenannten echt befreiten Umsätze des § 6 Z 1 bis 6 UStG kein Ausschluß vom Vorsteuerabzug eintrete. Im Rahmen des Mehrwertsteuersystems sei es ansonsten schon aus ordnungspolitischen Gründen ausgeschlossen und sachlich nicht vertretbar, Personen, die selbst keine Steuerleistung erbringen, die ständige Erstattung der auf den früheren Wirtschaftsstufen von anderen Unternehmern gezahlten Umsatzsteuerbeträge im Wege des Vorsteuerabzuges zu gewähren. Es sei hervorzuheben, daß dieser Ausschluß vom Vorsteuerabzug in den Umsatzsteuergesetzen aller Staaten, die auf das Mehrwertsteuersystem übergegangen seien, aufscheine. Die in Prüfung gezogene Bestimmung bewirke, daß sich der Steuerausfall bei Zuerkennung einer Steuerbefreiung in vertretbaren Grenzen halte. Der Wegfall der Bestimmung hätte zur Folge, daß alle unecht befreiten Umsätze zu befreiten Umsätzen würden, was eine völlige Entlastung dieser Unternehmer von den auf den Vorstufen anfallenden Umsatzsteuerbeträgen bedeuten würde.

Eine allfällige Gleichheitswidrigkeit dieser Bestimmung könne wohl nur im Zusammenhang mit der die Umsatzsteuerfreiheit von Blinden anordnenden Bestimmung des § 6 Z 10 UStG untersucht werden, wobei schon ein erster Blick zeige, daß einerseits § 6 Z 10 einen wirtschaftlichen Vorteil für Blinde, § 12 Abs 3 Z 1 einen wirtschaftlichen Nachteil bedeute. Die Bundesregierung sei der Auffassung, daß der genannte Vorteil in der überwiegenden Zahl der Fälle den genannten Nachteil überwiege und daß also die Verbindung von § 6 Z 10 mit § 12 Abs 3 Z 1 im Endergebnis für Blinde im Durchschnitt noch immer wirtschaftlich vorteilhafter sei als die Rechtslage, wie sie für andere Unternehmer gelte.

Richtig sei, daß überall dort, wo der blinde Unternehmer an vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer für deren Unternehmen leiste, durch den mit der unechten Befreiung verbundenen Ausschluß vom Vorsteuerabzug in der nachfolgenden Wirtschaftsstufe eine Kumulativwirkung eintrete, wobei für den Blinden in diesen Fällen zweifellos ein gewisser Wettbewerbsnachteil gegeben sei. Diese Fälle seien allerdings selten. Im übrigen entspreche es durchaus der Rechtsprechung des VfGH, daß bei der Wahl eines bestimmten Systems vereinzelte Härtefälle in Kauf genommen werden müßten.

Daß blinde Unternehmer iS des § 6 Z 10 UStG (wie zB Trafikanten) in aller Regel zum weitaus überwiegenden Teil Letztverbraucherkunden haben, werde schon daraus deutlich, daß es sich um kleine Untenehmer handle, da schon die Beschäftigung von mehr als drei sehenden Arbeitnehmern die Begünstigung ausschließe. Dadurch könne im Regelfall der genannte Nachteil von vornherein nicht in Betracht kommen.

Die Möglichkeit, auf die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung zu verzichten, sei im UStG nicht vorgesehen. Eine Optionsmöglichkeit zur Regelbesteuerung für sämtliche Umsätze des blinden Unternehmers würde aber höchstens in seltenen Einzelfällen Vorteile bringen, da für den Optierenden ja nicht nur Nachteile wegfielen, sondern auch die Begünstigung bei Letztverbraucherumsätzen verloren gehe. Der Gesetzgeber habe sich aber nicht an seltenen Einzelfällen, sondern am Regelfall zu orientieren. Eine Optionsmöglichkeit in verfeinerter Form für jeden einzelnen Umsatz würde hingegen - wie die in der BRD gemachten Erfahrungen zeigten - angesichts der geringen zahlenmäßigen Bedeutung der in Betracht kommenden Fälle zu verhältnismäßig großen administrativen Schwierigkeiten führen.

Die Bundesregierung erachtet daher alle in Prüfung gezogenen Bestimmungen als verfassungsrechtlich unbedenklich.

II. Der VfGH hat zur Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens erwogen:

Die angefochtenen Bescheide stützen sich auf § 11 Abs 12 erster Satz, sowie § 6 Z 10 und § 12 Abs 3 Z 1 UStG. Der VfGH hat sie auch bei der Entscheidung über die Beschwerdefälle anzuwenden. Dies gilt hinsichtlich § 12 Abs 3 Z 1 jedoch nur für die Worte "die Lieferungen und", da Einfuhren von Gegenständen den Beschwerdefällen nicht zu Grunde lagen.

Das Verfahren war daher einzustellen, soweit § 12 Abs 3 Z 1 hinsichtlich der Worte "die Steuer für die Einfuhr von Gegenständen, soweit der Unternehmer diese Gegenstände zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet" in das Gesetzesprüfungsverfahren einbezogen wurde.

Hinsichtlich § 6 Z 10, den ersten Satz des § 11 Abs 12 und der Worte "die Lieferungen und" in § 12 Abs 3 Z 1 UStG ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind.

III. Der VfGH hat in der Sache selbst erwogen:

1. Die Bundesregierung vermeint im wesentlichen, daß die Wettbewerbsnachteile, die für Blinde durch die in Prüfung gezogenen Normen bewirkt werden, keinen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot nach sich zögen, weil den Wettbewerbsnachteilen auf Grund der durch § 6 Z 10 UStG gewährten Umsatzsteuerbefreiung Vorteile gegenüber stehen, was in der überwiegenden Zahl der Fälle zu einer Begünstigung führe. Im Durchschnitt sei die Regelung von Vorteil, da die Geschäftsbeziehungen der Blinden im Regelfall an Letztverbraucherkunden orientiert seien. Dies werde daraus deutlich, daß es sich nur um kleine Unternehmer handle, da schon die Beschäftigung von mehr als drei sehenden Arbeitnehmern die Begünstigung nach § 6 Z 10 UStG ausschließe. Daß Fälle vorkämen, in denen sich die Regelung nachteilig auswirke, führe zu keiner Verfassungswidrigkeit, da vereinzelte systembedingte Härtefälle in Kauf genommen werden müßten.

Die Bedenken des VfGH werden durch dieses Vorbringen jedoch nicht entkräftet.

Aus der Zahl der Beschäftigten sind keine Rückschlüsse darauf möglich, ob ein Unternehmer Letztverbraucher oder Wiederverkäufer beliefert. Ebensowenig weist eine Durchschnittsbetrachtung nach, daß die Nachteile der in Prüfung stehenden Regelung zu keiner Gleichheitsverletzung führen, weil die Vorteile überwiegen. Daß in Branchen, in denen Blinde tätig sind, im Regelfall nur Letztverbraucher als Kunden in Betracht kämen oder umsatzmäßig doch so bedeutsam seien, daß die Vorteile der Umsatzsteuerbefreiung die Wettbewerbsnachteile der Regelung überwiegen würden, kann der VfGH nicht finden; kann doch schon ein Wiederverkäufer als Kunde für ein Unternehmen so bedeutsam sein, daß die Lieferungen an diesen die Lieferungen an alle Letztverbraucherkunden zusammen wesentlich übersteigen. Auch nach allgemeinen Lebenserfahrungen besteht nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, daß sich Wiederverkäufer aufgrund anderer Umstände als denen, die sich aus der in Prüfung gezogenen Regelung ergeben, bei ihren Geschäftskontakten ausschließlich oder doch zumindest eher an Sehende wenden, Letztverbraucher demgegenüber an Blinde. Demnach handelt es sich aber bei den Nachteilen, die sich für Blinde aus der (unechten) Steuerbefreiung ergeben, nicht nur um ausnahmsweise vorkommende Härten, die die Sachlichkeit der Regelung nicht berühren (VfSlg. 6471/1971, 8073/1977, 8087/1977 und die dort zitierte Vorjudikatur).

2. Dennoch erweisen sich die im Einleitungsbeschluß dargelegten Bedenken als unbegründet.

Der VfGH ist nämlich im Unterbrechungsbeschluß davon ausgegangen, daß ein Blinder, wenn der Nachweis seines Gebrechens der Behörde vorliegt, der in Prüfung stehenden Regelung zwingend unterliege und daß auch ein Verzicht auf die (unechte) Steuerbefreiung nicht möglich sei. Er nahm weiters an, daß auch dann, wenn der Nachweis der Blindheit nur zur Erzielung eines Freibetrages zur Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen gemäß § 106 EStG 1972 erfolgt, der blinde Unternehmer der (unechten) Steuerbefreiung unterliege. Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung nach dem UStG schien dem VfGH somit für einen Blinden nur möglich, wenn er auch keinen Antrag gemäß § 106 EStG 1972 stellt. Von dieser Rechtsansicht ausgehend, hat der VfGH die in Prüfung gezogenen Bestimmungen als verfassungsrechtlich bedenklich erachtet. Anders wäre es, wenn es Blinden frei stünde, sich je nach der Art ihres Betriebes für oder gegen eine Inanspruchnahme der (unechten) Steuerbefreiung zu entscheiden.

Es spricht nun wohl der Wortlaut des § 6 Z 10 UStG für die Annahme des Einleitungsbeschlusses, eine solche Auslegung ist jedoch nicht zwingend. Jedenfalls wird durch den Wortlaut nicht ausgeschlossen, daß der § 6 Z 10 UStG dahin verstanden wird, daß die (unechte) Steuerbefreiung nur eintritt, wenn außer dem Nachweis des Gebrechens der Blindheit auch eine Willenserklärung vorliegt, sie in Anspruch nehmen zu wollen, wenn also ein Antrag gestellt wird, der auch darin bestehen kann, daß die Steuerbefreiung in der Umsatzsteuererklärung in Anspruch genommen wird. Gemäß § 20 UStG ist Veranlagungszeitraum für die Umsatzsteuer das Kalenderjahr. Steuerpflichtige haben gemäß § 21 Abs 4 UStG für das jeweils abgelaufene Kalenderjahr die Umsatzsteuererklärung abzugeben. Damit steht blinden Steuerpflichtigen jedenfalls jährlich bei Abgabe der Umsatzsteuererklärung die Möglichkeit offen, zu wählen, ob sie die Steuerbefreiung iS des § 6 Z 10 UStG in Anspruch nehmen wollen oder nicht. So gesehen kommt auch einem Nachweis der Blindheit zur Erzielung steuerlicher Freibeträge gemäß § 106 EStG 1972 für den Bereich des UStG keine rechtliche Bedeutung zu, die der Wahlmöglichkeit des Blinden, die (unechte) Steuerbefreiung in Anspruch zu nehmen oder darauf zu verzichten, entgegenstehen würde; ebensowenig wie dem Nachweis der Blindheit zur Erzielung der (unechten) Steuerbefreiung, bzw. einer Abstandnahme hievon, für sich allein einkommensteuerrechtliche Wirkung zukommt.

Eine solche Auslegung des § 6 Z 10 UStG ist jedenfalls möglich. Sie ist nach dem Gebot einer verfassungskonformen Interpretation der ursprünglich angenommenen Auslegung vorzuziehen.

Bei diesem Inhalt der in Prüfung gezogenen Normen treffen die geltend gemachten Bedenken von vornherein nicht zu.

3. Es ist daher auszusprechen, daß § 6 Z 10, der erste Satz des § 11 Abs 12 und die Worte "die Lieferungen und" in § 12 Abs 3 Z 1 UStG nicht als verfassungswidrig aufgehoben werden.