VfGH vom 22.09.2003, g37/03
Sammlungsnummer
16947
Leitsatz
Gleichheitswidrigkeit einer Schwellenwertregelung für nicht prioritäre Dienstleistungen im Stmk VergabeG 1998 mangels sachlicher Rechtfertigung des Ausschlusses des vergabespezifischen Rechtsschutzes im Unterschwellenbereich; Verpflichtung sowohl des Bundeskanzlers als auch des Landeshauptmannes von Steiermark zur Kundmachung
Spruch
§ 2 Abs 2 zweiter Satz und die Wortfolge "- und Dienstleistungs" in § 3 Abs 1 Z 2 lita des Steiermärkischen Vergabegesetzes 1998 - StVergG, LGBl. für die Steiermark Nr. 74, idF LGBl. Nr. 66/2000 sowie die Wortfolge "Anhang IV und" in § 3 Abs 2 des Steiermärkischen Vergabegesetzes 1998, LGBl. für die Steiermark Nr. 74, waren verfassungswidrig.
Der Bundeskanzler und der Landeshauptmann von Steiermark sind zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches - der Bundeskanzler mit Ausnahme des § 3 Abs 1 Z 2 lita StVergG betreffenden Teiles - im Bundesgesetzblatt I bzw. im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1401/02 ein Verfahren über eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Vergabekontrollsenates des Landes Steiermark (im Folgenden: StVKS) anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Mit Eingabe vom richtete die nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof beschwerdeführende Partei an den StVKS einen Antrag auf Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens vor Zuschlagserteilung und auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend die Vergabe der Bewirtschaftung einer Landwirtschaft durch die Stadt Graz.
Mit Bescheid vom wies der StVKS diesen Antrag - gestützt auf § 3 Abs 2 des Steiermärkischen Vergabegesetzes 1998 (StVergG), LGBl. für die Steiermark Nr. 74 idF LGBl. 41/2002 - mangels Anwendbarkeit des StVergG zurück, weil der antragsgegenständliche Dienstleistungsauftrag ein solcher gemäß Anhang IV sei, dessen Auftragswert € 200.000,-- nicht erreiche.
b) In der gegen diesen Bescheid erhobenen, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof begehrt.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Bescheides die Abweisung der Beschwerde begehrt.
2. Bei der Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes des § 2 Abs 2 und der Wortfolge "- und Dienstleistungs" in § 3 Abs 1 Z 2 lita StVergG idF LGBl. 66/2000 sowie der Wortfolge "Anhang IV und" in § 3 Abs 2 StVergG (idStF) entstanden, durch die insgesamt die Anwendbarkeit des StVergG bei im Anhang IV genannten Dienstleistungen ausgeschlossen bzw. auf Aufträge beschränkt wird, deren geschätztes Auftragsvolumen einen bestimmten Betrag übersteigt. Er hat daher beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen zu prüfen.
a) Das mittlerweile außer Kraft getretene StVergG (vgl. Art 151 Abs 27 B-VG und § 20 des Stmk. Vergabe-Nachprüfungsgesetzes, LBGl. 43/2003) regelte die Vergabe von Lieferaufträgen, Bauaufträgen, Baukonzessionsaufträgen und Dienstleistungsaufträgen durch öffentliche Auftraggeber (§1). Nach Abs 1 des unter der Überschrift "Anwendungsbereich bei der Vergabe von Aufträgen oberhalb der Schwellenwerte" stehenden § 2 (idF LGBl. 66/2000) war
"[d]ieses Gesetz ... - mit Ausnahme des 3. Teiles - anzuwenden, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer
1. bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen mindestens 200.000 Euro und
2. bei der Vergabe von Bau- und Baukonzessionsaufträgen mindestens 5 Millionen Euro
beträgt".
§ 2 Abs 2 StVergG (idF LGBl. 66/2000) bestimmte sodann (der in Prüfung gezogene Satz ist hervorgehoben):
"(2) Bei der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen gemäß Anhang IV dieses Gesetzes sind ausschließlich die Bestimmungen des
1. und 5. Teiles sowie die §§63, 65, 66 und 71 anzuwenden. Diese Bestimmungen sind überdies nur dann anzuwenden, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 200.000 Euro beträgt."
Anhang IV nannte folgende Dienstleistungen: Gaststätten und Beherbergungsgewerbe, Eisenbahnen, Schifffahrt, Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs, Rechtsberatung, Arbeits- und Arbeitskräftevermittlung, Auskunfts- und Schutzdienste (ohne Geldtransporte), Unterrichtswesen und Berufsausbildung, Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen, Erholung, Kultur und Sport sowie sonstige Dienstleistungen.
Hinsichtlich des "Anwendungsbereich[es] bei der Vergabe von Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte" ordneten § 3 Abs 1 (idF LGBl. 66/2000) und Abs 2 (idStF) an (auch hier sind die in Prüfung genommenen Gesetzesstellen hervorgehoben):
"(1) Für die Vergabe von Aufträgen, deren geschätzter Auftragswert die im § 2 festgelegten Schwellenwerte nicht erreicht, gilt dieses Gesetz mit der Maßgabe, daß
1. die Bestimmungen des 4. Teiles und des 3. Hauptstückes des 5. Teiles nicht anzuwenden sind und
2. die übrigen Bestimmungen des 5. Teiles nur anzuwenden sind, wenn der Auftragswert ohne Umsatzsteuer
a) bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen mindestens 75.000 Euro und
b) bei der Vergabe von Bau- und Baukonzessionsaufträgen mindestens 500.000 Euro beträgt.
(2) Bei der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen gemäß Anhang IV und der Kategorie Nr. 6 des Anhanges III sowie bei der Vergabe von Aufträgen im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor ist dieses Gesetz, sofern der jeweilige Auftragswert die im § 2 festgelegten Schwellenwerte nicht erreicht, nicht anzuwenden."
§ 3 Abs 1 erhielt durch die Novelle LGBl. 94/2002 mit Wirkung folgenden Wortlaut:
"(1) Für die Vergabe von Aufträgen, deren geschätzter Auftragswert die im § 2 festgelegten Schwellenwerte nicht erreicht, gilt dieses Gesetz mit der Maßgabe, dass die Bestimmungen des 4. Teiles und des 3. Hauptstückes des 5. Teiles nicht anzuwenden sind."
b) Im Zusammenhang mit der am in Kraft getretenen neuen Kompetenzverteilung in Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens (vgl. Art 14b B-VG) ordnet(e) Art 151 Abs 27 B-VG in Ansehung allfälliger zu diesem Zeitpunkt noch in Kraft stehender Landes(vergabe)gesetze - darunter das StVergG - die sinngemäße Geltung der §§2, 4 Abs 1, 5 und 6 Abs 1 und 2 Übergangsgesetz 1920 an. Ein gemäß dieser Anordnung zu einem (partiellen) Bundesgesetz gewordenes Landesgesetz trat nach Art 151 Abs 27 dritter Satz B-VG mit dem In-Kraft-Treten eines auf Grund des Art 14b Abs 3 B-VG ergehenden Landesgesetzes, spätestens jedoch mit Ablauf des außer Kraft; gleichzeitig traten die entsprechenden Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2002, BGBl. I 99/2002, insoweit in Kraft.
Der Steiermärkische Landesgesetzgeber hat - gestützt auf Art 14b Abs 3 B-VG - mit Wirksamkeit das Steiermärkische Vergabe-Nachprüfungsgesetz, LBGl. 43/2003, erlassen, dessen § 20 das Außer-Kraft-Treten des StVergG am selben Tag verfügt.
c) Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Einleitungsbeschluss vorläufig davon aus, dass die Beschwerde zulässig ist und er bei Überprüfung des angefochtenen Bescheides die in Prüfung genommenen Wortfolgen bzw. Bestimmungen bei der Beurteilung, ob der StVKS seine Zuständigkeit zu Recht verneint hat, anzuwenden hätte.
In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die "Schwellenwertregelung", wie sie im StVergG für nicht prioritäre Dienstleistungen (Anhang IV) enthalten ist, zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen den Rechtspositionen von Bewerbern und Bietern im Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge führt, und führte dazu aus:
"Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt dargetan hat (zB VfSlg. 16.027/2000 und 16.073/2001 sowie , betreffend das Bundesvergabegesetz, sowie jeweils , G349/01; G350/01; G363/01; und , G184/02), widerspricht es dem Gleichheitsgrundsatz, bei der Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber im Unterschwellenbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich zu verzichten und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz auszuschließen.
Der Verfassungsgerichtshof sieht auch aus Anlass dieses Falles vorläufig keinen Grund, von seiner Ansicht abzugehen, dass der gänzliche Verzicht auf ein Minimum an Regelungen und auf einen vergabespezifischen Rechtsschutz angesichts des Mangels geeigneter zivilverfahrensrechtlicher Vorschriften, die den besonderen Bedürfnissen einer raschen - vielfach keinen Aufschub duldenden - vergaberechtlichen Rechtskontrolle Rechnung tragen, zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führt. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die oben zitierten Erkenntnisse verwiesen."
3. Die Bundesregierung hat mitgeteilt, von einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen; die unter Bedachtnahme auf Art 151 Abs 27 B-VG ebenfalls zur Äußerung aufgeforderte Steiermärkische Landesregierung ließ die Frist indes ungenützt verstreichen.
II. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich auch als begründet.
1. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Beschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen im Anlassverfahren zweifeln ließe, und auch sonst sind die Prozessvoraussetzungen gegeben.
2. In der Sache bleibt der Verfassungsgerichtshof bei seiner schon mehrfach vertretenen Auffassung (zB VfSlg. 16.027/2000, 16.073/2001 und 16.315/2001; vgl. auch VfSlg. 15.106/1998 und 15.204/1998), dass es dem Gleichheitssatz widerspricht, bei der Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber im Unterschwellenwertbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich zu verzichten und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz generell auszuschließen. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf diese Erkenntnisse verwiesen.
Da sich sohin die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes als zutreffend erwiesen haben, die in Prüfung gezogenen Bestimmungen aber nicht mehr in Geltung stehen, war auszusprechen, dass sie wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz verfassungswidrig waren.
Die Verpflichtung zur Kundmachung dieses Ausspruches sowohl des Bundeskanzlers (in Ansehung des § 2 Abs 2 Satz 2 und der Wortfolge "Anhang IV und" in § 3 Abs 2 StVergG) als auch des Landeshauptmannes (hinsichtlich aller drei Gesetzesstellen) gründet auf Art 140 Abs 5 zweiter Satz B-VG und erklärt sich daraus, dass die den Geltungsbereich des StVergG festlegenden Bestimmungen des § 2 Abs 2 zweiter Satz und des § 3 Abs 2 (angesichts ihrer Bedeutung sowohl für das Vergabeverfahren als auch für die Nachprüfung) auf Grund des Art 151 Abs 27 zweiter Satz B-VG im Zeitpunkt ihres Außer-Kraft-Tretens sowohl als partielles, für das Land Steiermark geltendes Bundesrecht als auch als Landesrecht in Geltung standen, während die alleine die Nachprüfung betreffende Bestimmung des § 3 Abs 1 Z 2 lita zu keinem Zeitpunkt (auch) Bundesrecht war.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.