VfGH vom 05.03.1991, G319/90

VfGH vom 05.03.1991, G319/90

Sammlungsnummer

12666

Leitsatz

Aufhebung verschiedener Bestimmungen über die Unpfändbarkeit verschiedener Sozialleistungen in § 98a ASVG; keine sachliche Rechtfertigung für die Unpfändbarkeit von Krankengeld

Spruch

I. Die Anträge G157/90 und G289/90 werden zurückgewiesen.

II. § 98a Abs 1 bis 3 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung der 34. Novelle, BGBl. Nr. 530/1979, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Die aufgehobene Bestimmung ist auch auf jene Sachverhalte nicht mehr anzuwenden, die den Gesetzesprüfungsanträgen G157/90 und G289/90 zugrundeliegen.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Soweit er den Abs 4 des § 98a ASVG betrifft wird auch der Antrag G319/90 zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Das Landesgericht Feldkirch stellt Anträge auf teilweise oder gänzliche Aufhebung des § 98a ASVG als verfassungswidrig.

Die Bestimmung lautet:

"Pfändung von Leistungsansprüchen

§98a. (1) Von den dem Anspruchsberechtigten zustehenden Geldleistungen können, unbeschadet der Bestimmungen der Abs 2 bis 4, nur die nachstehend angeführten Bezüge mit der Maßgabe gepfändet werden, daß die Bestimmungen der §§5 bis 9 des Lohnpfändungsgesetzes, BGBl. Nr. 51/1955, entsprechend anzuwenden sind:


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1.
Wochengeld aus der Krankenversicherung;
2.
Renten aus der Unfallversicherung sowie das Übergangsgeld (§199);
3.
Pensionen aus der Pensionsversicherung einschließlich der Ausgleichszulagen;
4.
Übergangsgeld aus der Pensionsversicherung (§306).

(2) Die im Abs 1 Z 2 und 4 angeführten Bezüge können nur dann gepfändet werden, wenn nach den Umständen des Falles, insbesondere nach der Art der vollstreckbaren Forderung und der Höhe der zu pfändenden Geldleistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht.

§4 Abs 3 des Lohnpfändungsgesetzes, BGBl. Nr. 51/1955, gilt entsprechend.

(3) Der Hilflosenzuschuß, die nicht im Abs 1 angeführten Geldleistungen, die nicht auf Geldleistungen gerichteten Ansprüche sowie die Anwartschaften nach diesem Bundesgesetz können nicht gepfändet werden. Kinderzuschüsse sind nur zur Deckung von gesetzlichen Unterhaltsansprüchen der Kinder pfändbar, für die der Kinderzuschuß gebührt.

(4) Die Renten(Pensions)sonderzahlung (§105), die zu im Monat Mai bezogenen Renten aus der Unfallversicherung und Pensionen aus der Pensionsversicherung gebührt, ist unpfändbar. Die Renten(Pensions)sonderzahlung, die zu im Monat Oktober bezogenen Renten (Pensionen) gebührt, ist bis zu ihrem halben Ausmaß, höchstens aber bis zu dem im § 5 Abs 1 Z 1 des Lohnpfändungsgesetzes, BGBl. Nr. 51/1955, in der jeweils geltenden Fassung festgesetzten Betrag unpfändbar."

1. Das antragstellende Gericht hat zu 1 b R 101/90 über einen Rekurs gegen einen Beschluß des Bezirksgerichtes Dornbirn zu entscheiden, mit dem ein Antrag des betreibenden Kraftfahrzeughandels- und Werkstattunternehmens auf Pfändung und Überweisung von Ansprüchen auf Leistungen aus der Krankenversicherung ("insbesondere Krankengeld") zur Hereinbringung einer Forderung von 9.282,39 S samt Anhang unter Berufung auf diese Gesetzesstelle abgewiesen wird.

Aus Anlaß dieses Verfahrens ficht das antragstellende Gericht § 98a Abs 3 ASVG an (G 157/90). Es formuliert seine Bedenken folgendermaßen:

"Die Unpfändbarkeit des Krankengeldes ist sachlich nicht gerechtfertigt. Das Krankengeld soll den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltsverlust (zumindest teilweise) ersetzen und den Unterhalt des Versicherten während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit sicherstellen. Es hat daher eine Lohnfunktion. Allerdings wird das Krankengeld aus sozialpolitischen Erwägungen gewährt. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß eine grundsätzliche Gleichbehandlung des Krankengeldes mit dem 'Arbeitseinkommen' im Sinne des § 1 LPfG gerechtfertigt ist.

Die Rekurswerberin weist auch zutreffend darauf hin, daß nicht nur verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Gleichheitsgrundsatzes, sondern auch hinsichtlich des Eigentumsschutzes bestehen. Das Recht des Gläubigers, durch exekutive Maßnahmen auf das Vermögen seines Schuldners zu greifen, ist als eine typische Eigentümerbefugnis zu verstehen. Der außerhalb des geschützten Bereiches der §§5 - 9 LPfG liegende Teil des Einkommens soll dem Zugriff des Gläubigers zur Verfügung stehen. Da jedoch durch § 98 a Abs 3 ASVG das Einkommen in Form des Krankengeldes dem Zugriff des Gläubigers entzogen wird, wird dadurch auch der Wesensgehalt des Eigentumsrechtes (Art5 StGG) verletzt.

Im übrigen darf auf die zutreffenden Ausführungen im Rekurs und auch auf die Tatsache verwiesen werden, daß nach dem Regierungsentwurf für ein Forderungsexekutionsänderungsgesetz (FEÄG) das Krankengeld gemäß § 290 a Abs 1 Z g beschränkt pfändbar sein soll, wobei allerdings ein erhöhter Pfändungsschutz nach § 292 a Abs 2 EO vorgesehen ist. Bei dieser Novellierung wird darauf Bedacht genommen, daß alle Leistungen mit Einkommens(Ersatz)funktion dem Arbeitseinkommen im weiteren Sinne gleichgestellt werden sollen."

Die Bundesregierung stellt in ihrer Äußerung die Zulässigkeit des Antrages in Zweifel:

"Die Bedenken des antragstellenden Gerichtes im Hinblick auf den Gleichheitssatz (Art7 B-VG) beschränken sich nämlich auf die Behauptung, daß das Krankengeld eine Lohnfunktion (wohl: Lohnersatzfunktion) habe und daher eine grundsätzliche Gleichbehandlung mit dem Arbeitseinkommen im Sinne des § 1 des Lohnpfändungsgesetzes gerechtfertigt sei. Auch die Bedenken im Hinblick auf das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums (Art5 StGG) erschöpfen sich im wesentlichen in der Behauptung, daß durch die Pfändungsbeschränkung des § 98 a Abs 3 ASVG der Wesensgehalt des Eigentumsrechtes verletzt werde. Diese bloßen Behauptungen stellen nach Ansicht der Bundesregierung keine hinreichende Darlegung der Bedenken im Sinne des § 62 Abs 1 VerfGG 1953 dar (wobei nach Ansicht der Bundesregierung an einen Antrag eines Gerichtes sowohl hinsichtlich der Formalvoraussetzungen als auch des Begründungsaufwandes strengere Anforderungen als an einen Individualantrag gestellt werden können), da eine 'Darlegung' wohl zweifellos auch eine Begründung für eine Behauptung umfassen muß."

Jedenfalls sei nur die das Krankengeld mit einschließende Wendung "die nicht in Abs 1 angeführten Geldleistungen," präjudiziell.

In der Sache nimmt die Bundesregierung zunächst auf die Neuregelung der Pfändbarkeit von Leistungsansprüchen in § 98a ASVG durch die 17. Novelle bezug, die durch das Erkenntnis VfSlg. 4860/1964 ausgelöst worden sei, worin der Verfassungsgerichtshof nicht nur anerkannt habe, daß unterschiedliche Pfändungsregelungen im Hinblick auf die Natur des Pfändungsobjektes zulässig seien, sondern das Krankengeld ausdrücklich unter jenen Geldleistungen erwähnt habe, "die den unpfändbaren Bezügen nach § 3 des Lohnpfändungsgesetzes rechtsähnlich sind". Sodann tut die Bundesregierung unter Hinweis auf die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage dieser Novelle (898 BlgNR 10.GP) dar, daß der Gesetzgeber bei der Neuregelung auf eine Übereinstimmung mit dem LohnpfändungsG bedacht genommen habe. Maßgeblich sei demnach die Vergleichbarkeit der Leistung mit dem weggefallenen Arbeitseinkommen, die wohl sowohl in quantitativer als auch in zeitlicher Hinsicht, also nach Höhe und Dauer gegeben sein müsse. Davon ausgehend sei dem Antrag folgendes entgegenzuhalten:

"Das Krankengeld nach § 138 ASVG soll - wie auch das antragstellende Gericht richtig ausführt - den Lohnausfall, den der Versicherte durch seine Krankheit und die dadurch erzwungene Arbeitsunfähigkeit erleidet, wenigstens zum Teil ausgleichen und beitragen, dem Erkrankten und seinen Familienangehörigen den Lebensunterhalt zu sichern. In diesem Zusammenhang ist auf das Wesen der Sozialversicherung hinzuweisen, das darin besteht, in einer bestimmten - von anderen Maßnahmen der Sozialpolitik unterschiedlichen - Form die mannigfaltigen Gefahren, die die wirtschaftliche Existenz des Versicherten bedrohen, auszuschalten oder doch zu mildern (VfSlg. 3670/1960, 3721/1960, 3846/1960, 4072/1961 u.a.). Das Argument, dem Krankengeld komme eine Lohnersatzfunktion zu, verkennt daher den eigentlichen Charakter dieses Leistungsanspruches.

Das Krankengeld bietet darüber hinaus aber auch nur einen teilweisen Ersatz des entfallenden Arbeitsentgelts. Es hat in diesem Sinne keine echte Einkommensersatzfunktion, sondern verfolgt vor allem das soziale Ziel, zum Lebensunterhalt des Erkrankten und seiner Familienangehörigen während einer bestimmten Zeit der Erkrankung beizusteuern. So beträgt die Höhe des Krankengeldes pro Kalendertag vom 4. bis zum 42. Tag lediglich 50%, ab dem 43. Tag 60% der Bemessungsgrundlage; Bemessungsgrundlage ist dabei der sogenannte Tageswert der Lohnstufe, in die der Versicherte im zuletzt vorangegangenen Beitragszeitraum eingereiht war (§125 ASVG). Die Satzung kann eine Erhöhung des Krankengeldes um 10% der Bemessungsgrundlage bei Vorhandensein eines Ehegatten und um weitere 5% für jeden weiteren Angehörigen (Maximum insgesamt 75%) vorsehen. Es ist daher davon auszugehen, daß sich das Krankengeld nach der Höhe der Leistung signifikant vom nicht exekutionsbegünstigten Arbeitseinkommen unterscheidet und in der Regel bloß etwa 50 bis maximal 75% des zuvor bezogenen (Netto-)Arbeitsverdienstes beträgt.

Die Unpfändbarkeit des Krankengeldes ist aber nach Ansicht der Bundesregierung auch aus einem weiteren Grund sachlich gerechtfertigt: Nach der Intention des Gesetzgebers sollen nämlich grundsätzlich nur jene Leistungen (unbedingt) pfändbar sein, die auf weitere Sicht dazu bestimmt sind, das Arbeitseinkommen abzulösen, und die daher am ehesten mit den laufenden Bezügen eines Dienstnehmers verglichen werden können. Nun wird aber das Krankengeld ungeachtet der Dauer der Krankheit pro Versicherungsfall nur bis zu einem Höchstausmaß von 26 Wochen (welches durch Satzung auf 78 Wochen verlängerbar ist) gewährt. Auch daraus ergibt sich, daß der Krankengeldanspruch eben keinesfalls eine solche Leistung darstellt, welche auf Dauer das weggefallene Arbeitseinkommen ersetzen soll."

Was die Eigentumsverletzung betrifft, bleibe die Forderung des Gläubigers unberührt und die Möglichkeit aufrecht, auf das (übrige) Vermögen des Schuldners zu greifen. Aus dem Entwurf eines (neuen) Forderungsexekutionsgesetzes könne für eine Verfassungswidrigkeit nichts abgeleitet werden; zudem zeige der vorgesehene erhöhte Pfändungsschutz, daß das Krankengeld keineswegs mit dem Arbeitseinkommen gleichgestellt werden könne.

2. Aus Anlaß eines ähnlichen, bei ihm zu 1 a R 501/90 anhängigen Verfahrens wiederholt das antragstellende Gericht den Antrag auf Aufhebung des § 98a Abs 3 ASVG mit gleicher Begründung (G289/90).

Hingegen stellt dasselbe Gericht aus Anlaß des zu 1 c R 207/90 anhängigen Verfahrens schlechthin einen Antrag auf Aufhebung des § 98a ASVG (G319/90). In diesem Fall begehrt der betreibende Gläubiger die Pfändung und Überweisung von Ansprüchen auf "insbesondere Krankengeld, Familiengeld und Taggeld". Bedenken werden gleichwohl auch hier nur in bezug auf das Krankengeld vorgetragen. Der Antrag enthält auch keine Begründung für den weiteren Umfang.

In beiden Fällen hat die Bundesregierung ihre Äußerung zu G157/90 wiederholt.

Die Rekurswerber sämtlicher Anlaßverfahren haben eine Gegenschrift erstattet.

II. Teilweise zulässig ist nur der letzte, § 98a ASVG zur Gänze

erfassende Antrag. Der im ersten und zweiten Antrag allein

angefochtene Abs 3 steht nämlich mit Abs 1 und 2 in untrennbarem

Zusammenhang. Eine bloße Aufhebung des Abs 3 oder - wie die

Bundesregierung meint - nur der Wendung "die nicht in Abs 1

angeführten Geldleistungen" würde die behauptete

Verfassungswidrigkeit nicht beseitigen. Es bliebe dann die in

Abs1 enthaltene Wendung "von den ... Geldleistungen können ...

nur die nachstehend angeführten Bezüge ... gepfändet werden ..."

mit gleichem Inhalt bestehen. Machen die vorgetragenen Bedenken aber auch die Prüfung des § 98a Abs 1 ASVG nötig, muß der sonst unverständlich bleibende Abs 2 mit einbezogen werden. Nur Abs 4, gegen den auch der dritte Antrag nichts vorbringt, kann selbständig bestehen bleiben und darf daher nicht mit in Prüfung gezogen werden.

Die Anträge zu G157/90 und G289/90 sind daher als zu eng zur Gänze, der Antrag zu G319/90 als zu weit hinsichtlich des Abs 4 zurückzuweisen.

III. Der zulässige Antrag ist aber auch begründet. Die Unpfändbarkeit des Krankengeldes widerspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung.

1. Die Zulässigkeit von Pfändungsbeschränkungen, die über die in §§5ff LohnpfändungsG vorgesehenen hinausgehen, waren in bezug auf das Krankengeld nach dem ASVG bisher noch nicht Gegenstand verfassungsrechtlicher Prüfung. Wohl hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 4860/1964 nach Darstellung des Inhaltes der §§1 und 3 LohnpfändungsG ausgeführt:

"Unter den Begriff von Ansprüchen auf Geldleistungen fallen Geldleistungen nach dem ASVG, die den unpfändbaren Bezügen nach § 3 des Lohnpfändungsgesetzes rechtsähnlich sind, wie Krankengeld, Wochengeld, Stillgeld, Sterbegeld u.a., aber auch Pensionen aus der Pensionsversicherung, die den Ruhe- und Versorgungsgenüssen der Beamten und den Ruhegeldern und ähnlichen nach dem einstweiligen oder dauernden Ausscheiden aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis gewährten fortlaufenden Einkünften entsprechen."

Doch hatte er in diesem Erkenntnis nur über die unterschiedliche Behandlung von Ruhe- und Versorgungsgenüssen der Beamten und sonstigen Ruhegeldern auf der einen und Pensionen nach dem ASVG (Alterspensionen) auf der anderen Seite zu befinden. Die von der Bundesregierung angezogene Formulierung sollte also nur jene Geldleistungen aus der damaligen Betrachtung ausscheiden, mit denen der Gerichtshof sich unter dem Blickwinkel der geltend gemachten Bedenken nicht zu befassen hatte, nicht aber die Möglichkeit der Gleichbehandlung jener sozialversicherungsrechtlichen Leistungen mit den in § 3 LohnpfändungsG genannten Bezügen oder auch nur die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Sonderbehandlung dieser Bezüge im Verhältnis zu Arbeitseinkommen bejahen. Daß über die Behandlung von Krankengeld und Wochengeld in diesem Erkenntnis nichts ausgesagt ist, war offenbar auch die Auffassung des Gesetzgebers der 17. Novelle, wenn er das Wochengeld ausdrücklich für pfändbar erklärt hat, zugleich aber das Krankengeld von jeder Pfändung ausnahm.

Im übrigen gibt auch der vorliegende Antrag keinen Anlaß, die Behandlung des Krankengeldes mit der Behandlung der in § 3 LohnpfändungsG genannten Bezüge zu vergleichen. Die Bedenken des antragstellenden Gerichtes gehen ausschließlich dahin, daß das Krankengeld - wie immer die in § 3 LohnpfändungsG genannten Bezüge behandelt werden - einen stärkeren Pfändungsschutz genießt, als in den §§5ff LohnpfändungsG vorgesehen ist. Der Verfassungsgerichshof hat sich daher auf diese Bedenken zu beschränken.

2. Die von der Bundesregierung ins Treffen geführten Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage der 17. Novelle führen im wesentlichen folgendes aus:

"Die Regelung des § 98a über die Pfändung von Leistungsansprüchen lehnt sich im Sinne der Rechtsmeinung des Verfassungsgerichtshofes weitestgehend an die Bestimmungen des Lohnpfändungsgesetzes an. Sie geht von dem Gedanken aus, daß grundsätzlich nur jene Sozialversicherungsleistungen pfändbar sein sollen, die ausdrücklich im Gesetz genannt sind. Hiebei wurden jene Leistungen als pfändbar erklärt, die dazu bestimmt sind, auf längere Sicht an die Stelle eines weggefallenen Arbeitseinkommens zu treten, und die daher am ehesten mit den laufenden Bezügen eines Dienstnehmers beziehungsweise mit den Ruhegenüssen eines in den Ruhestand versetzten öffentlich-rechtlichen Bediensteten verglichen werden können. Im Bereich der Krankenversicherung trifft diese Erwägung nur beim Wochengeld zu, in der Unfall- und Pensionsversicherung dagegen grundsätzlich bei allen Renten und Pensionen. Um eine unterschiedliche Behandlung von Pensionisten, die zwar verschieden hohe Ausgleichszulagen, aber gleichhohe Pensionen beziehen, zu verhindern, muß auch die Ausgleichszulage als pfändbar anerkannt werden.

Zur Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes werden die Bestimmungen der §§5 bis 9 des Lohnpfändungsgesetzes als entsprechend anwendbar erklärt; damit wird den Beziehern der erwähnten Geldleistungen der Pfändungsschutz des Lohnpfändungsgesetzes gewährleistet. Ferner wird durch Abs 2 des § 98 a sichergestellt, daß die pfändbaren Leistungsansprüche aus der Sozialversicherung mit Ausnahme der Pensionen aus den Versicherungsfällen des Alters den bedingt pfändbaren Bezügen des Lohnpfändungsgesetzes gleichzuhalten sind. Da das Lohnpfändungsgesetz im § 4 Abs 1 Renten, die wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind (Z1), Unterhaltsrenten, die auf gesetzlicher Vorschrift beruhen (Z2), sowie fortlaufende Bezüge aus Witwen-, Waisen-, Sterbe-, Hilfs- und Krankenkassen, die ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt werden (Z4), nur bedingt pfändbar erklärt, ist es gerechtfertigt, die pfändbaren Bezüge aus der Sozialversicherung mit Ausnahme der erwähnten Alterspensionen diesen im Lohnpfändungsgesetz angeführten Renten gleichzustellen. Diese bedingte Pfändbarkeit bedeutet, daß Exekution auf diese Bezüge nur dann geführt werden kann, wenn die Exekution in das sonstige bewegliche Vermögen des Verpflichteten zu einer vollständigen Befriedigung des betreibenden Gläubigers nicht führt oder die Pfändung nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht (vgl. § 4 Abs 2 des Lohnpfändungsgesetzes). Die Pensionen aus den Versicherungsfällen des Alters, die keinem der im § 4 Abs 1 Lohnpfändungsgesetz aufgezählten bedingt pfändbaren Bezügen gleichgestellt werden können, werden hingegen nach Maßgabe der §§5 bis 9 Lohnpfändungsgesetz pfändbar sein.

Der Hilflosenzuschuß, die nicht in § 98 a Abs 1 angeführten Geldleistungen, die nicht auf Geldleistungen gerichteten Ansprüche sowie die Anwartschaften auf Sozialversicherungsleistungen werden im Abs 3 ausdrücklich als unpfändbar erklärt. Die Anführung des Hilflosenzuschusses schien deswegen notwendig, weil der Hilflosenzuschuß als ein Teil der zugrunde liegenden Renten- oder Pensionsleistung angesehen werden kann. Da letztere gemäß § 98 a Abs 1 als bedingt pfändbar erklärt wird, ist es erforderlich, den dazu gewährten Hilflosenzuschuß ausdrücklich als absolut unpfändbar anzuführen. Für die Kinderzuschüsse ist in Anbetracht der Zweckbestimmung dieser Leistungsteile eine Sonderregelung erforderlich, derzufolge nur zugunsten der Kinder, für die der Kinderzuschuß gebührt, eine Pfändung zulässig sein soll. Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wird in Abs 3 des § 98 a auch ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, daß die nicht im Abs 1 angeführten Geldleistungen gleichfalls absolut unpfändbar sind."

Für das Krankengeld trägt die Regierungsvorlage also nichts besonderes vor. Sie meint aber jedenfalls im Ergebnis, es könne nicht mit den laufenden Bezügen eines Dienstnehmers bzw. mit den Ruhegenüssen eines in den Ruhestand versetzten öffentlich-rechtlichen Bediensteten verglichen werden.

Die gegenteilige These des Antrages ist nun, daß das Krankengeld dieselbe Funktion habe wie der Lohn und die sozialpolitische Wurzel des Anspruchs daran nichts ändere. Diese These wird durch einschlägige Äußerungen der Lehre gestützt. Demnach soll das Krankengeld "den durch die Arbeitsunfähigkeit bewirkten Einkommensausfall zumindest teilweise ausgleichen" (Tomandl, Grundriß des Österreichischen Sozialrechts, Rz 119), und das Wochengeld habe "- ähnlich wie das Krankengeld, nur in vollkommenerer Weise - die Funktion, den durch die Mutterschaft erlittenen Entgeltverlust zu ersetzen" (M. Binder in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, Stand 1989, 2.2.6.4.1).

In der Tat besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem entfallenden Arbeitseinkommen und dem Krankengeld. Als gesetzliche Mindestleistung wird das Krankengeld im Ausmaß von 50 v.H. der Bemessungsgrundlage und ab dem 43. Tag einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung mit 60 v.H. bemessen (§141 ASVG). Nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG ruht der Krankengeldanspruch aber, solange der Versicherte aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Weiterleistung von mehr als 50 v.H. der vollen Geld- und Sachbezüge vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hat; besteht ein Anspruch auf Weiterleistung von 50 v.H. der Bezüge (wie bei Angestellten nach Ende des Vollzahlungszeitraumes durch weitere 4 Wochen), ruht das Krankengeld zur Hälfte. Solange das Arbeitseinkommen also nicht auf 50 v.H. der vollen Bezüge oder darunter fällt, sieht der Gesetzgeber keinen Anlaß zur Gewährung von Krankengeld. Anders ausgedrückt: Die Funktion des Krankengeldes wird schon durch ein Arbeitseinkommen, das nur geringfügig höher ist als das Krankengeld, voll erfüllt.

Wenn aber ein erkrankter Arbeitnehmer mit einem Arbeitseinkommen in der Höhe von auch nur knapp über 50% seiner vollen Bezüge der Pfändung nach Maßgabe der §§5ff LohnpfändungsG ausgesetzt ist, kann der Bezieher des mit 50% oder 60% der Bemessungsgrundlage bemessenen Krankengeldes nicht in einer grundsätzlich anderen Lage sein. Damit steht fest, daß weder die geringe Höhe des Krankengeldes noch der vorübergehende Charakter des Krankengeldanspruchs eine pfändungsrechtliche Verschiedenbehandlung rechtfertigt. Es wird dadurch aber auch offenkundig, daß das Krankengeld nicht mit die Aufgabe hat, krankheitsbedingte Mehrbelastungen abzugelten. Dieser mögliche Rechtfertigungsgrund scheidet also gleichfalls aus. Im Ergebnis erweist sich mithin die Annahme der Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der 17. Novelle und die daraus abgeleitete Meinung der Bundesregierung, daß nur ein "auf längere Sicht" oder gar "auf Dauer" an die Stelle des Arbeitseinkommens tretender Anspruch diesem gleich behandelt werden muß, als unrichtig. Die einer kurzzeitigen Verringerung des Arbeitseinkommens durch vorübergehenden Arbeitsplatzwechsel entsprechende kurzfristige Sozialversicherungsleistung darf unter diesen Umständen mangels maßgeblicher Unterschiede nicht anders behandelt werden als das geringere Arbeitseinkommen selbst.

Unter diesen Umständen ist es auch nicht mehr von Bedeutung, daß das Krankengeld immerhin bis zur Dauer von 26 Wochen gebührt (und durch die Satzung bis auf 78 Wochen erhöht werden kann; § 139 ASVG), während das vom Gesetzgeber der Pfändung ausgelieferte Wochengeld demgegenüber bloß 16 Wochen und nur ganz ausnahmsweise länger gezahlt wird.

Daß schließlich weder der öffentlich-rechtliche Charakter der Sozialversicherungsleistungen noch der Umstand, daß sie von einer Riskengemeinschaft finanziert werden, eine unterschiedliche Behandlung des Verpflichteten im Verhältnis zu seinem Gläubiger rechtfertigt, ergibt schon die bisherige Rechtsprechung (vgl. auch G77/90 u.a. vom heutigen Tag).

Es ist daher dem Antrag im zulässigen Umfang Folge zu geben und § 98a Abs 1 bis 3 als verfassungswidrig aufzuheben.

Der schon im Hinblick auf den Umfang der Aufhebung gebotene Ausspruch über die Frist für das Außerkrafttreten und der Ausspruch über die Kundmachung stützen sich auf Art 140 Abs 5 B-VG, jener über die Folgen des Außerkrafttretens auf dessen Abs 6. Die Erstreckung der Anlaßfallwirkung hält der Verfassungsgerichtshof für erforderlich, weil die einschlägigen Anträge des Rekursgerichts nur an dem zu engen Anfechtungsgegenstand gescheitert sind und eine neuerliche Antragstellung nicht mehr in Betracht käme.