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VfGH vom 10.03.1992, g299/91

VfGH vom 10.03.1992, g299/91

Sammlungsnummer

13028

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung des BSVG über die Haftungserweiterung für Beitragsschuldigkeiten im Falle der Überlassung von Wirtschaftsgütern auf Angehörige; Haftungsbegründung allein durch das Angehörigenverhältnis sachlich nicht gerechtfertigt

Spruch

§ 38 Abs 7 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 559/1978 in der Fassung der 9. Novelle, BGBl. Nr. 113/1986, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Unter der Rubrik "Sicherung der Beiträge. Haftung für die Beitragsschuldigkeiten" enthält § 38 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes (BSVG), BGBl. 559/1978 (idF der 9. Novelle, BGBl. 113/1986), unter anderem Vorschriften über die Haftung des Erwerbers eines Betriebes (Abs2ff), wobei bestimmte in Abs 4 genannte Personen, darunter Angehörige, insbesondere auch die Verwandten in gerader Linie und bis zum dritten Grad der Seitenlinie eine erweiterte Haftung trifft, solange sie nicht nachweisen, daß sie die Beitragsschulden nicht kannten bzw. trotz ihrer Stellung im Betrieb des Vorgängers nicht kennen konnten. Sodann bestimmt Abs 7:

"(7) Stehen Wirtschaftsgüter, die einem Betrieb dienen, nicht im Eigentum des Betriebsinhabers, sondern im Eigentum einer der im Abs 4 genannten Personen, so haftet der Eigentümer der Wirtschaftsgüter mit diesen Gütern für die Beiträge, solange er nicht nachweist, daß er die Beitragsschulden nicht kannte bzw. trotz seiner Stellung im Betrieb nicht kennen konnte."

1. Mit Pachtvertrag vom hat die Beschwerdeführerin zu B1254/90 ihrem Sohn 2,7932 ha land- und forstwirtschaftlicher Grundfläche verpachtet, die dieser zusammen mit Eigenflächen im Ausmaß von 0,4902 ha bewirtschaftet. Mit dem angefochtenen Einspruchsbescheid des Landeshauptmannes wird sie nach § 38 Abs 7 BSVG für Beitragsschuldigkeiten ihres Sohnes samt Nebengebühren und Zuschlägen in der Höhe von zusammen 60.842,50 S aus der Zeit vom bis in Anspruch genommen. Sie wohne bei ihrem Sohn und habe von seinen Schulden nichts gewußt.

Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof rügt die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz, allenfalls durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes. Die Haftung entstehe schon durch Mitteilung der Beitragsschulden, auch wenn dem Angehörigen kein Verschuldensvorwurf gemacht werden könne. Das Erfordernis des Wissens oder Wissenkönnens verdecke daher bloß eine verschuldensunabhängige Haftung. Haftungsgrund sei in Wahrheit allein das Verwandtschaftsverhältnis, und das sei unsachlich.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens von Amts wegen die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes beschlossen. Er ist davon ausgegangen, daß er bei Erledigung der Beschwerde unter anderem § 38 Abs 7 BSVG anzuwenden hätte. Diese Gesetzesstelle ist offenkundig § 16 der Bundesabgabenordnung (BAO) nachgebildet. Im ersten Satz des § 16 BAO hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis 10157/1984 die Worte "eines seiner Angehörigen (§25) oder" als verfassungswidrig aufgehoben. Die im Verfahren bestätigten Bedenken gegen diese Vorschrift wegen Verletzung des Gleichheitsgebotes hatte der Verfassungsgerichtshof damals wie folgt formuliert (Hervorhebung im Original):

"Sie begründet - in ihrem hier relevanten Teil - eine Haftung des Eigentümers von Wirtschaftsgütern des Unternehmens ohne Rücksicht auf die zivilrechtliche Beziehung zum Unternehmer allein aus dem Gesichtswinkel seiner persönlichen Stellung als Angehöriger.

... In der Literatur ... wird die rechtspolitische

Rechtfertigung der ... Vorschrift im wesentlichen darin erblickt,

daß zwischen Angehörigen Übereinstimmung in wirtschaftlichen Belangen gegeben sei sowie daß leicht Eigentum von Angehörigen vorgetäuscht werden könne, um der Inanspruchnahme durch die Abgabenbehörde zu entgehen. Beide Umstände erscheinen dem VfGH jedoch nicht tauglich, die allein auf der Angehörigeneigenschaft beruhende Haftung bei der Überlassung von Wirtschaftsgütern sachlich zu begründen.

Der Gerichtshof verweist auf seine ständige Rechtsprechung sowohl im Bereich des Abgabenrechts als auch des Sozialversicherungsrechts, wonach das Angehörigenverhältnis für sich allein nicht ausreicht, eine steuerliche oder sozialversicherungsrechtliche Schlechterstellung sachlich zu begründen ... (wird näher ausgeführt). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung findet der VfGH auch unter Berücksichtigung der vorhin angeführten rechtspolitischen Gründe keine sachliche Rechtfertigung für die Regelung. ..."

Die Erläuterungen zum Entwurf der 41. Novelle zum ASVG, 774 BlgNR 16.GP, auf welche die Erläuterungen zum Entwurf der 9. Novelle zum BSVG, 776 BlgNR 16.GP verweisen, motivieren die gleichartige Vorschrift des § 67 Abs 9 ASVG (die bezüglich des Angehörigenbegriffes auf Abs 6 verweist) folgendermaßen:

"Der neue Abs 6 soll die mißbräuchliche Umgehung der Erwerberhaftung nach Abs 4 verhindern. Das Naheverhältnis der in Abs 6 aufgezählten Personen zum Betriebsvorgänger erleichtert nämlich den Abschluß von anderen Rechtsgeschäften als Veräußerungsgeschäften (z.B. Pacht), die die Erwerberhaftung nach Abs 4 nicht eintreten lassen. In manchen Fällen könnten derartige Rechtsgeschäfte auch nur zum Schein abgeschlossen werden, um ein tatsächlich vorliegendes Veräußerungsgeschäft zu verdecken.

Die in Abs 6 aufgezählten Personen sollen aber die Möglichkeit haben, sich durch den Nachweis, daß sie die Beitragsschulden nicht kannten bzw. trotz ihrer Stellung im Betrieb des Vorgängers nicht kennen konnten, von der Haftung zu befreien.

Im Zuge des Begutachtungsverfahrens wurde in diesem Zusammenhang insbesondere auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G130/84-8, verwiesen, demzufolge das Angehörigenverhältnis allein kein sachlich gerechtfertigtes Kriterium für eine abgabenrechtliche Schlechterstellung darstellt, und ausgeführt, daß im Abs 6 des § 67 ASVG in der Fassung des versendeten Entwurfes ebenfalls die Angehörigeneigenschaft zum Anlaß genommen wird, eine strengere Haftung für Beitragsschuldigkeiten des Erwerbers des Betriebes zu normieren. Dazu ist zu sagen, daß die Rechtslage, wie sie in Aussicht genommen ist, mit der aufgehobenen Bestimmung im ersten Satz des § 16 BAO insofern nicht übereinstimmt, als § 67 Abs 6 bzw. 9 ASVG ausdrücklich vorsieht, daß die strengere Haftung die Angehörigen nur trifft, solange sie nicht nachweisen, daß sie die Beitragsschulden nicht kannten bzw. kennen konnten (vgl. auch § 1409 Abs 1 ABGB in der Fassung des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 1982, BGBl. Nr. 370).

...

Abs 9 sieht eine Haftung bestimmter (dem Betriebsinhaber nahestehender) Eigentümer von Wirtschaftsgütern, die dem Betrieb dienen, vor. Der betroffene Personenkreis ist der gleiche wie im Abs 6."

Der Verfassungsgerichtshof konnte vorläufig nicht erkennen, warum die Einschränkung der Haftung auf Beitragsschulden, betreffs derer dem Angehörigen der Nachweis mißlingt, er habe sie nicht gekannt bzw. trotz seiner Stellung im Betrieb nicht kennen können, die gegen eine reine Angehörigenhaftung bestehenden, bereits im Erkenntnis VfSlg. 10157/1984 dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken zerstreut haben könnte. Diese Bedenken richteten sich nämlich nicht gegen eine etwa fehlende Begrenzung der Haftung. Bedenken dieser Art hege der Verfassungsgerichtshof jedenfalls im vorliegenden Fall schon deshalb nicht, weil einerseits die Höhe künftig fällig werdender Beträge zur BauernSozialversicherung überschaubar ist und jemand, der einem Versicherungspflichtigen Wirtschaftsgüter überläßt, Vorkehrungen gegen eine Säumnis bei der Beitragsentrichtung treffen kann, wenn er die Beitragspflicht gekannt hat bzw. kennen mußte, und andrerseits die Haftung für frühere Beitragsschulden gleichfalls deren Kenntnis bzw. Kennenmüssen voraussetzt. Vielmehr gingen die Bedenken nach wie vor ausschließlich dahin, daß die Haftung allein Angehörige trifft.

Es scheine, daß für die auf Angehörige beschränkte Haftung deren Naheverhältnis nicht ausreicht. Dieses Naheverhältnis dürfte allenfalls für die Verschärfung einer allgemeinen Haftung sprechen und eine Umkehr der Beweislast rechtfertigen. Eine bloße Umkehr der Beweislast sei aber in § 38 Abs 7 BSVG nicht angeordnet. Die Haftung des Eigentümers von Wirtschaftsgütern treffe von vornherein nur Angehörige. Dritte, die dem Versicherungspflichtigen Wirtschaftsgüter überlassen, hafteten selbst dann nicht, wenn sie den Bestand oder das Entstehen von Beitragsschulden kannten oder kennen mußten. Es sei also anscheinend auch in diesem Fall nicht die Überlassung des Wirtschaftsgutes, welche die Haftung begründet, sondern das Angehörigenverhältnis.

Es bestünden daher auch hier die Bedenken, daß der Gesetzgeber gegen das Gebot der Gleichbehandlung gleicher Sachverhalte verstoßen hat.

3. Die Bundesregierung verteidigt die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes mit dem Hinweis, die Haftung sei nicht nur für Angehörige des Betriebsinhabers vorgesehen:

"§38 Abs 7 BSVG verweist auf jene Personen, die in Abs 4 leg.cit. genannt sind. Die in der angefochtenen Bestimmung vorgesehene Haftung gilt deshalb auch für die am Betrieb des Betriebsinhabers wesentlich beteiligten Personen und für Personen mit wesentlichem Einfluß auf die Geschäftsführung des Betriebsinhabers. Unter dem Betriebsvorgänger in Abs 4 leg.cit. ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im Zusammenhalt mit Abs 7 leg.cit. jeweils der Betriebsinhaber zu verstehen (Erk. vom , Zl. 88/08/209).

Mit der angefochtenen Regelung sollte die mißbräuchliche Umgehung der Erwerberhaftung gemäß Abs 2 durch alle im Abs 4 genannten Personen (das sind die Angehörigen gemäß Abs 5, am Betrieb wesentlich beteiligte Personen und Personen mit wesentlichem Einfluß auf die Geschäftsführung) verhindert werden. Das Naheverhältnis all dieser Personen zum Betriebsinhaber erleichtert nämlich den Abschluß von anderen Rechtsgeschäften als Veräußerungsgeschäften (z.B. Pacht), aufgrund derer die Erwerberhaftung nach Abs 2 nicht eintritt. Bei all diesen Personen vermutet der Gesetzgeber, daß sie, falls sie dem Betrieb Wirtschaftsgüter überlassen, an der Betriebsführung beteiligt sind, was besonders bei Angehörigen oft schwer nachweisbar ist. Im Rahmen des Kriteriums, ob die in Abs 4 genannten Personen die Beitragsschulden nicht kannten oder trotz ihrer Stellung im Betrieb nicht kennen konnten, steht diesen Personen aber jederzeit der Gegenbeweis offen, daß sie an der Betriebsführung nicht beteiligt sind und daher die Beitragsschulden nicht kannten. Insofern unterscheidet sich diese Regelung wesentlich von der mit Erk. VfSlg. 10157/1984 aufgehobenen Bestimmung. Sie kommt einer vom Verfassungsgerichtshof für zulässig erachteten Beweislastumkehr u.a. in Bezug auf Angehörige gleich."

II. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Es ist nichts hervorgekommen, was gegen die Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde oder die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen sprechen würde. Auch sonst sind die Prozeßvoraussetzungen gegeben.

III. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sind auch begründet. § 38 Abs 7 BSVG verstößt gegen den Gleichheitssatz.

Der Prüfungsbeschluß sieht die Unsachlichkeit der Bestimmung darin, daß sie ausschließlich an das Angehörigenverhältnis anknüpft. Sie ordne nicht etwa nur für Angehörige die Beweislast für einen die Haftung begründenden Umstand an, sondern sehe die Haftung von vornherein nur für Angehörige vor.

Wenn die Bundesregierung dagegen einwendet, daß die Haftung des § 38 Abs 7 nicht nur Angehörige (Abs4 Z 1), sondern auch am Betrieb wesentlich beteiligte Personen (Abs4 Z 2) und Personen mit wesentlichem Einfluß auf die Geschäftsführung (Abs4 Z 3) treffe, so ist sie zwar damit im Recht, daß eine Haftung für die Überlassung von Wirtschaftsgütern nicht nur für Angehörige, sondern auch noch für andere Personengruppen verfügt wird. Daß aber aus anderen, hier nicht in Betracht kommenden Gründen eine gleichartige Haftung angeordnet wird (deren Rechtfertigung hier nicht zu prüfen ist), kann die allein auf die Angehörigeneigenschaft gestützte Haftung nicht rechtfertigen. Der Gerichtshof hat im Prüfungsbeschluß nur in Betracht gezogen, daß eine - jedermann treffende - allgemeine Haftung für die Überlassung von Wirtschaftsgütern für Angehörige vielleicht durch Umkehr der Beweislast verstärkt werden könnte. Entscheidend ist daher der im Prüfungsbeschluß hervorgehobene Umstand, daß Dritte, die dem Versicherungspflichtigen Wirtschaftsgüter überlassen, ohne besonderen - weiteren - Grund nicht zur Haftung herangezogen werden, und zwar auch dann nicht, wenn sie den Bestand oder das Entstehen von Beitragsschulden kannten oder kennen mußten. Anders als in den von der Bundesregierung angezogenen Fällen der wesentlichen Beteiligung (Z2) oder des wesentlichen Einflusses auf die Geschäftsführung (Z3) begründet in den hier interessierenden Fällen der Angehörigen (Z1) eben das Angehörigenverhältnis allein die Haftung.

Der Versuch der Bundesregierung, die Z 1 des § 38 Abs 4 als Vermutung einer Beteiligung zu deuten, muß schon daran scheitern, daß den Angehörigen nicht etwa der Beweis der Nichtbeteiligung, sondern nur der Beweis mangelnder Kenntnis der Beitragsschulden offensteht. Daß dem Mangel an Kenntnis durch die Sozialversicherungsanstalt durch laufende Mitteilungen verläßlich begegnet und damit die Haftung der Angehörigen jederzeit gesichert werden kann, zeigt das Geschehen im Anlaßfall. Es handelt sich also um eine reine Angehörigenhaftung.

Darum verstößt § 38 Abs 7 BSVG unter dem Blickwinkel der Angehörigenhaftung ebenso gegen den Gleichheitssatz wie § 16 BAO dagegen verstoßen hatte (VfSlg. 10157/1984). Die Bestimmung ist daher aufzuheben.

Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Abs 4, 5 und 6 des Art 140 B-VG.

Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Verfassungsgerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs 4 VerfGG).