VfGH vom 11.03.1998, g262/97
Sammlungsnummer
15128
Leitsatz
Kein Verstoß der Bestimmung über die Anstandsverletzung im Stmk LG betreffend die Anstandsverletzung, Lärmerregung und Ehrenkränkung gegen das Doppelbestrafungsverbot; verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung bei drohender Doppelbestrafung geboten
Spruch
Die Anträge werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark (im folgenden: UVS) stellte aus Anlaß zweier bei ihm anhängiger Berufungsverfahren zwei gleichlautende, zu G262/97 und G328/97 protokollierte Anträge,
"gemäß Art 129a Abs 3 in Verbindung mit Art 89 und 140 Abs 1 B-VG die Worte 'den öffentlichen Anstand verletzt oder' in § 1 Stmk. LGBl. Nr. 158/1975, in eventu den ersten Absatz des § 3 Stmk. LGBl. Nr. 158/1975 als verfassungswidrig aufzuheben".
In dem dem zu G262/97 protokollierten Antrag zugrundeliegenden Verfahren bekämpft die Berufungswerberin vor dem UVS den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft, mit dem sie wegen einer Übertretung des § 1, erster Fall, des Gesetzes vom , betreffend die Anstandsverletzung, Lärmerregung und Ehrenkränkung, LGBl. für das Land Steiermark 158/1975 (im folgenden: Stmk. LG), gemäß § 21 Abs 1, zweiter Satz, VStG ermahnt wurde, da sie am um 21.30 Uhr vor einem näher bezeichneten Haus in Graz an einer wörtlichen und tätlichen Auseinandersetzung teilgenommen und dadurch den öffentlichen Anstand verletzt habe. In einem diese Auseinandersetzung betreffenden gerichtlichen Verfahren wurde die Berufungswerberin vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung (§83 Abs 1 StGB) gemäß § 259 Z 3 StPO mangels Strafwürdigkeit der Tat im Sinne des § 42 StGB freigesprochen.
Dem zu G328/97 protokollierten Antrag liegt ein Berufungsverfahren vor dem UVS gegen die Verhängung einer Geldstrafe von S 800,-- (im Uneinbringlichkeitsfall 24 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) wegen einer Übertretung des § 1, erster Fall, des Stmk. LG gemäß § 3 Abs 1 leg.cit. zugrunde. Der Berufungswerber habe am um ca. 22.40 Uhr vor einem näher bezeichneten Haus in Graz den öffentlichen Anstand verletzt, indem er dort einer namentlich genannten Person mit der rechten Faust ins Gesicht schlug. In einem gerichtlichen Verfahren (Urteil des Bezirksgerichtes vom ) wurde der Berufungswerber deshalb für schuldig erkannt, eine Körperverletzung im Sinne des § 83 Abs 1 StGB begangen zu haben.
2. Die angefochtenen Bestimmungen des genannten Stmk. LG lauten:
"§1
Wer den öffentlichen Anstand verletzt oder ungebührlicherweise störenden Lärm erregt, begeht eine Verwaltungsübertretung.
...
§3
(1) Verwaltungsübertretungen nach § 1 sind von der Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde von dieser, mit Geldstrafe bis zu 3000 S oder mit Arrest bis zu zwei Wochen zu bestrafen.
(2) ..."
3. Nach Ansicht des UVS sei in Anbetracht der Verfahrensvorschriften des § 22 Abs 2 und § 30 Abs 1 VStG die Tat sowohl als Verwaltungsübertretung als auch vom Gericht zu ahnden. Das Vorliegen eines Gerichtsdeliktes ergebe sich sowohl aus der Begründung des Freispruches wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat (§42 StGB) als auch aus dem oben angeführten Urteil. Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellten eine wörtliche und tätliche Auseinandersetzung (; , 1923/54; , 85/10/0142, 0143 u.a.) und ein Fausthieb an einem öffentlichen Ort (; VwSlg. 3549 A/1954; , 89/10/0050) eine Verletzung des öffentlichen Anstandes dar und seien nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften - in concreto nach § 1, erster Fall, Stmk. LG - als Verwaltungsübertretung zu qualifizieren und nach § 3 Abs 1 leg.cit. zu bestrafen. Im Bescheid der Bezirkshauptmannschaft sei die Berufungswerberin ermahnt worden, wobei der Ausspruch einer Ermahnung ein Verschulden des Täters voraussetze () und eine Ermahnung nur bei Vorliegen einer Verwaltungsübertretung zulässig sei (; , 92/09/0381). Der Gesetzgeber habe die bescheidmäßige Ermahnung nur für jene Fälle vorgesehen, in welchen an sich die Voraussetzungen für die Verhängung einer Strafe gegeben seien (; , 92/09/0383). Im angefochtenen Bescheid der Bundespolizeidirektion sei das Verhalten des Berufungswerbers im Verfahren vor dem UVS als Verwaltungsübertretung nach § 1, erster Fall, Stmk. LG gewertet und über ihn eine Geldstrafe gemäß § 3 Abs 1 leg.cit. verhängt worden.
Der § 1, erster Fall, Stmk. LG, sei insofern präjudiziell, als damit die Verletzung des öffentlichen Anstandes als Verwaltungsübertretung erklärt werde (§44a Z 2 VStG); § 3 Abs 1 leg.cit. stelle die angewendete Gesetzesbestimmung einschließlich der zu verhängenden Strafe dar (§44a Z 3 VStG). Eine Subsidiaritätsklausel im Sinne des § 85 Sicherheitspolizeigesetz bzw. anderer Polizeistrafgesetze der Länder (zB: § 13 Abs 1 Burgenländisches Landes-Polizeistrafgesetz, LGBl. 35/1986; § 1 Abs 1 Oberösterreichisches Polizeistrafgesetz LGBl. 36/1979 in der Fassung des LG LGBl. 30/1995) sei dem Stmk. LG fremd.
Gegen die Verfassungsmäßigkeit der im Antrag genannten Vorschriften hege der UVS insofern Bedenken, als sie jeweils gegen Art 4 des im Verfassungsrang stehenden 7. Zusatzprotokolles zur EMRK verstießen:
Sowohl aus dem Urteil des EGMR vom , Nr. 33/1994/480/562, im Fall "Gradinger gegen Österreich" als auch aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G9/96 ua. Zlen. gehe hervor, daß eine Bestrafung des damaligen Beschwerdeführers für das "gleiche Verhalten" sowohl durch das Gericht als auch durch die Verwaltungsbehörde eine Verletzung des Art 4 des 7. ZPEMRK nach sich gezogen habe. Dieselben Überlegungen seien nach Art 4 des 7. ZPEMRK auch auf einen rechtskräftigen Freispruch anzuwenden. In concreto sei zum einen die Berufungswerberin vom Bezirksgericht rechtskräftig wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung im Zuge einer tätlichen Auseinandersetzung freigesprochen worden; die Ermahnung wegen der tätlichen Auseinandersetzung nach § 1, erster Fall, Stmk. LG hätte eine verpönte kumulative Verantwortlichkeit der Berufungswerberin zur Folge. Zum anderen sei der Berufungswerber vom Bezirksgericht rechtskräftig gemäß § 83 StGB verurteilt worden; die Bestrafung wegen des Faustschlages in das Gesicht nach § 1, erster Fall, Stmk. LG hätte auch eine verpönte kumulative Verantwortlichkeit des Berufungswerbers zur Folge.
4. Die Steiermärkische Landesregierung hat in dem zu G262/97 protokollierten Verfahren eine Äußerung erstattet, in der sie beantragt, den Antrag des UVS abzuweisen und begründend ausführt:
"I. Eine gesetzliche Anordnung miteinander konkurrierender und daher nebeneinander zu ahndender Straftatbestände, das heißt eine echte Konkurrenz von Delikten in der Form, daß durch eine Tat mehrere Delikte verwirklicht werden (Idealkonkurrenz), widerspricht an sich noch nicht dem Doppelbestrafungsverbot des Art 4 Abs 1 des 7. ZP EMRK. Der Standard aller europäischen Strafrechtssysteme zeigt, daß auch bei eintätigem Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen mehrere Delikte anzunehmen sind, also davon auszugehen ist, daß ein Täter durch ein und dieselbe Handlung oder Unterlassung mehrere Delikte verwirklichen kann, ohne daß gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoßen wird. Art 4 Abs 1 des 7. ZP EMRK gebietet in diesem Fall auch nicht, daß lediglich ein einziges Rechtsschutzorgan für die Ahndung aller in Tateinheit zu verfolgender Delikte zuständig ist.
Die verfassungsrechtliche Grenze, die Art 4 Abs 1 des 7. ZP EMRK einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung zieht, kann daher nur darin liegen, daß eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, so daß ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfaßt. Auch der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, daß eine weitere Bestrafung nur dann nicht möglich ist, wenn die wertabwägende Auslegung der formal erfüllten zwei Tatbestände zeigt, daß durch die Unterstellung der Tat(en) unter den einen der deliktische Gesamtunwert des zu beurteilenden Sachverhaltes bereits für sich alleine abgegolten ist. Es ist daher notwendig, daß durch die Bestrafung wegen des einen Delikts tatsächlich der gesamte Unrechtsgehalt des Täterverhaltens erfaßt wird. Es darf zur Bekräftigung dieser Ausführungen ausdrücklich auf die Seiten 23 und 24 des Erkenntnisses vom , Zl. G9/96-12 u. a., verwiesen werden.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies folgendes: Kein Zweifel besteht darüber, daß die gesetzlichen Regelungen betreffend 'vorsätzliche Körperverletzung' und 'Verletzung des öffentlichen Anstandes' völlig unterschiedlichen Zielsetzungen und damit auch unterschiedlichen Schutzzwecken dienen. Durch die eine Regelung soll eine Person davor bewahrt werden, daß sie durch eine andere in ihrer körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt wird, durch die andere sollen die Formen des äußeren Verhaltens gewahrt werden, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittliche Persönlichkeit bei jedem Heraustreten aus dem engeren Privatleben in die Öffentlichkeit entsprechen. Schon auf Grund dieser unterschiedlichen Zielsetzungen ist der Unrechtsgehalt des einen Delikts keinesfalls im jeweils anderen mitumfaßt. Der Unwert des einen Deliktes wird von der Strafdrohung gegen das andere Delikt insbesondere dann nicht mitumfaßt, wenn es sich um die Verletzung verschiedener Rechtsgüter handelt und die Delikte in keinem typischen Zusammenhang stehen, mit anderen Worten, wenn das eine Delikt nicht notwendig oder nicht in der Regel mit dem anderen verbunden ist ().
Die Steiermärkische Landesregierung geht davon aus, daß durch die Verwirklichung des Delikts 'vorsätzliche Körperverletzung' der Unrechtsgehalt des Delikts 'Verletzung des öffentlichen Anstands' nicht mitumfaßt ist. Auf Grund der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des vorzitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes ist in diesem Fall eine Bestrafung nach dem Steiermärkischen Landesgesetz LGBl. Nr. 158/1975 zulässig. Eine Verfassungswidrigkeit des Landesgesetzes kann nicht erblickt werden.
II. Zudem ist nicht erkenntlich, aus welchen Gründen die Gesetzesstellen, deren Prüfung der UVS beantragt hat, schlechthin gesetzliche Grundlage für eine 'Doppelbestrafung' sein sollten. Würde dem Antrag des UVS stattgegeben, so fiele jegliche gesetzliche Grundlage für eine Bestrafung eines Verhaltens, das 'den öffentlichen Anstand verletzt', fort. Anstandsverletzungen sind aber keineswegs überwiegend oder auch nur typischerweise Begleiterscheinungen von Verhaltensweisen, die den Tatbestand eines gerichtlich strafbaren Deliktes verwirklichen. Der UVS begründet seinen Antrag aber ausdrücklich damit, die in Rede stehenden Bestimmungen verstießen gegen Art 4 des 7. ZP zur EMRK."
In dem zu G328/97 protokollierten Verfahren verwies die Steiermärkische Landesregierung auf ihre Äußerung zu G262/97 und beantragte wiederum den Antrag des UVS abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
A. Zur Zulässigkeit:
1. Der Verfassungsgerichtshof ist nach seiner ständigen Judikatur (VfSlg. 9811/1983, 11565/1987, 12189/1989, 13236/1992, 13704/1994, ua. Zlen.) nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung ein Gericht oder einen unabhängigen Verwaltungssenat, der einen Gesetzesprüfungsantrag gemäß Art 140 Abs 1 B-VG stellt, an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt deren Entscheidung in der Hauptsache vorgreifen würde. Ein Antrag eines dieser Rechtsschutzorgane gemäß Art 140 Abs 1 B-VG darf daher vom Verfassungsgerichtshof nur dann zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig, also gleichsam denkunmöglich ist, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung eines Gerichts bzw. eines unabhängigen Verwaltungssenates im Anlaßfall bildet.
Solches ist hier offenkundig nicht der Fall. Der Verfassungsgerichtshof kann demnach der Annahme des antragstellenden UVS nicht entgegentreten, daß die Worte 'den öffentlichen Anstand verletzt oder' in § 1 des Stmk. LG präjudiziell sind.
Da neben der Präjudizialität der angefochtenen Gesetzesvorschrift auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die eingangs geschilderten Gesetzesprüfungsanträge des UVS zulässig.
B. In der Sache:
1. Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK, dessen Verletzung durch die angefochtenen Gesetzesbestimmungen der antragstellende UVS behauptet, lautet (in seiner deutschen Übersetzung):
"Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden."
Die Republik Österreich hat zwar dazu die als Vorbehalt gemäß Art 64 EMRK zu verstehende "Erklärung" abgegeben, daß sich Art 4 "nur auf Strafverfahren im Sinne der österreichischen Strafprozeßordnung" bezieht. Bereits in seinem Erkenntnis vom , G9/96 ua. Zlen. sah sich der Verfassungsgerichtshof jedoch veranlaßt, dem EGMR (Urteil vom , Z 33/1994/480/562, Serie A/328, deutsche Übersetzung abgedruckt in ÖJZ 1995, 954ff. = ZVR 1996, 12ff. = JBl 1997, 577ff.) in dessen Bewertung der "Erklärung" Österreichs zu Art 4 des 7. ZPEMRK zu folgen, wonach diese "Erklärung" nicht den Anforderungen des Art 64 Abs 2 EMRK entspreche, weil es an einer erschöpfenden Beschreibung der Gesetze fehle, von denen gesagt werden solle, daß sie mit Art 4 des 7. ZPEMRK nicht im Einklang stünden. Die vom UVS angegriffene Wortfolge kann daher nicht als Gesetzesbestimmung angesehen werden, deren innerstaatliche Weitergeltung gemäß Art 64 Abs 1 EMRK völker- und verfassungsrechtlich vorbehalten wäre, sollte sie mit Art 4 des
7. ZPEMRK nicht übereinstimmen.
2. Dennoch liegt hier ein Widerspruch der angefochtenen Wortfolge zu Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK nicht vor:
2.1. Nach dem bereits erwähnten Erkenntnis vom , G9/96 ua. Zlen. widerspricht eine Regelung, wonach durch eine Tat mehrere Delikte verwirklicht werden (Idealkonkurrenz), noch nicht dem Doppelbestrafungsverbot des Art 4 Abs 1 des
7. ZPEMRK. Die verfassungsrechtliche Grenze, die Art 4 Abs 1 con.cit. einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung zieht, sieht der Gerichtshof im genannten Erkenntnis darin,
"daß eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodaß ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfaßt (Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechts, 6. Aufl., 1996, 245). ... Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, die auf Straftatbeständen fußen, die einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion jedenfalls bei eintätigem Zusammentreffen ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein- und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird. (Vgl. zur Annahme bloßer Scheinkonkurrenzen, um dem Vorwurf der Doppelbestrafung zu entgehen, OGH - verst. Senat - , 14 Os 127/90 = RZ 1993/47, unter Berufung auf Burgstaller, Die Scheinkonkurrenz im Strafrecht, JBl 1978, S 393 ff., 459 ff.)."
In diesem Erkenntnis wird weiters ausgeführt, daß die Fälle der Scheinkonkurrenz von Delikten wegen Spezialität, Konsumtion oder stillschweigender Subsidiarität zweier oder mehrerer Tatbestände im wesentlichen im Wege der Auslegung und Anwendung der verschiedenen Straftatbestände festzustellen sind und dabei auch das verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK im Wege verfassungskonformer Auslegung der einzelnen gesetzlichen Straftatbestände zum Tragen kommen muß. Die §§22 und 30 Abs 1 VStG stehen nach dem genannten Erkenntnis einer solchen Auslegung nicht entgegen, weil sie vielmehr die gesetzliche Anordnung miteinander konkurrierender und daher nebeneinander zu ahndender Straftatbestände schon voraussetzen und als Konsequenz die kumulative Verfolgung (in § 30 Abs 1 VStG) sowie die kumulative Bestrafung (in § 22 VStG) der mehreren Straftaten anordnen. Demgegenüber ist den gesetzlichen Regelungen der materiellen Strafbestimmungen aber zu entnehmen, ob mehrere Delikte bei eintätigem Zusammentreffen insgesamt zu verfolgen sind oder die Bestrafung nach einem Straftatbestand die Bestrafung nach einem anderen ausschließt (- weil dieser in bezug auf jenen nur subsidiär anzuwenden ist, der eine den anderen konsumiert oder der eine Tatbestand einen jenen anderen ausschließenden speziellen Charakter besitzt).
2.2. Nach § 1, erster Fall, des Stmk. LG begeht derjenige, der den öffentlichen Anstand verletzt, eine Verwaltungsübertretung. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird der Tatbestand der Verletzung des öffentlichen Anstandes durch ein Verhalten in der Öffentlichkeit erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen die in der Öffentlichkeit zu beachtenden Pflichten darstellt (vgl. VwSlg. 11.077A/1983, , , 94/10/0166; s. auch VfSlg. 10700/1985).
Eine Körperverletzung gemäß § 83 Abs 1 StGB begeht, wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt.
Nach dem bereits zitierten Urteil des EGMR vom widerspricht eine gesetzliche Strafdrohung dann dem Art 4 des 7. ZPEMRK, wenn sie den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") eines Straftatbestandes, der bereits Teil eines von den Strafgerichten zu ahndenden Straftatbestandes ist, neuerlich einer Beurteilung und Bestrafung durch die Verwaltungsbehörden unterwirft (vgl. auch den Bericht der EKMR vom , Beschwerde 22541/93, Bernhard Marte und Walter Achberger gegen Österreich, Newsletter 1997, 211 f., wonach eine Verletzung von Art 4 des 7. ZPEMRK bejaht wurde, weil "(d)en strafrechtlichen und verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilungen ... ein weitgehend identer Sachverhalt zugrundelag, sodaß die Bf. - in bezug auf das Verwaltungsstrafverfahren - wegen einer strafbaren Handlung, wegen der sie bereits rechtskräftig verurteilt worden waren, erneut bestraft wurden.").
Ob der Deliktstypus "Körperverletzung gemäß § 83 Abs 1 StGB" den Unrechts- und Schuldgehalt des Deliktstypus der "Verletzung des öffentlichen Anstandes" gemäß dem § 1, erster Fall, des Stmk. LG vollständig erschöpft, bedarf aber hier keiner abschließenden Beurteilung. Denn auch dann, wenn man mit dem antragstellenden UVS diese Frage bejaht, ergibt sich daraus keineswegs automatisch die Verfassungswidrigkeit der bekämpften Landesregelung. Denn das im Stmk. LG verankerte Tatbild verpönt zahlreiche Verhaltensweisen, die in keinerlei Zusammenhang mit § 83 Abs 1 StGB (aber auch mit anderen Straftatbeständen des StGB) stehen.
Trifft aber die Annahme des antragstellenden UVS zu, steht der drohenden Doppelbestrafung das verfassungsrechtliche Verbot gemäß Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK entgegen. In diesem Fall schließt die Bestrafung nach § 83 StGB eine Bestrafung nach § 1, erster Satz, des Stmk. LG aus.
Auch der Umstand, daß § 2 des Stmk. LG, der Fälle der "Ehrenkränkung" behandelt, eine ausdrückliche Subsidiarität im Falle des Vorliegens einer gemäß §§111 ff. StGB gerichtlich zu ahndenden strafbaren Handlung vorsieht, ändert an diesem Ergebnis nichts. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn der übrigen Bestimmungen des LG insgesamt noch aus den Materialien geht die Absicht des Gesetzgebers hervor, daß bei der Ahndung der Delikte gemäß § 1 des Stmk. LG die Annahme einer Scheinkonkurrenz nicht zulässig sei; diese scheint vielmehr gegebenenfalls aus dem Erfordernis, eine Gesetzesbestimmung einer - soweit möglich - verfassungskonformen Auslegung zuzuführen, geboten (vgl. VfSlg. 12469/1990, 13336/1993, 13805/1994, ). Im Vergleich zu dem als verfassungswidrig erkannten § 99 StVO, hinsichtlich dessen der Wille des Bundesgesetzgebers eindeutig aus den Materialien hervorgegangen war (vgl. AB 479 12. GP, 3:
"Künftig wird die Doppelbestrafung auf die Fälle des § 99 Abs 1 beschränkt, ..."), kann dem Steiermärkischen Landesgesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er in den Fällen des § 1 des Stmk. LG eine mögliche Doppelbestrafung vor Augen gehabt oder gar gewollt hätte.
3. § 1 des Stmk. LG ist daher - für den Fall einer drohenden Doppelbestrafung - einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich. Die vom antragstellenden UVS vorgetragenen Bedenken treffen sohin nicht zu. Den Anträgen war daher nicht Folge zu geben.
Auf die Eventualanträge war nicht gesondert einzugehen, weil diese lediglich den Sitz der behaupteten Verfassungswidrigkeit - ohne zusätzliche Begründung - in einer anderen Bestimmung sahen.
III. Diese Entscheidung konnte
gemäß § 19 Abs 4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.