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VfGH vom 05.03.1988, g248/87

VfGH vom 05.03.1988, g248/87

Sammlungsnummer

11636

Leitsatz

Ausschluß des Verlustvortrages im Falle des Übergangs eines Gewerbebetriebes im Wege der Gesamtheitsnachfolge - Behandlung der Betriebsübernahme durch den Erben wie eine Betriebsneugründung

Spruch

§ 4 Abs 2 Gewerbesteuergesetz 1953, BGBl. Nr. 2/1954, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim VfGH ist ein Verfahren über eine Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Der Bf. betreibt eine Buchdruckerei, die er nach dem Tod seines Vaters am als Erbe erworben hat. In der Einkommen- und Gewerbesteuererklärung für 1984 beantragte er, die seinem Vater in den Jahren 1979 bis 1983 erwachsenen Verluste aus dem Betrieb des Unternehmens als Sonderausgaben bzw. als Fehlbeträge zu berücksichtigen.

Das Finanzamt verweigerte die Anerkennung des Verlustabzugs sowohl bei der Vorschreibung der Einkommensteuer als auch bei der Vorschreibung der Gewerbesteuer; die bekämpfte Berufungsentscheidung der Finanzlandesdirektion bestätigt diesen Bescheid.

2.a) Nachdem der Bf. eine auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH erhoben hatte, behob der Bundesminister für Finanzen mit Bescheid vom den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Einkommensteuer 1984 gemäß § 299 Abs 2 BAO wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts. Eine Klaglosstellung im Hinblick auf den Gewerbesteuerbescheid sei jedoch angesichts des § 4 Abs 2 GewStG nicht möglich, da nach dieser Bestimmung bei Übergang eines Gewerbebetriebs auf einen anderen Unternehmer der Gewerbebetrieb als durch den bisherigen Unternehmer eingestellt und durch einen anderen Unternehmer neu begründet gelte. Die Annahme der Einstellung mit gleichzeitiger Neugründung bewirke, daß der Betrieb nach dem Übergang nicht mit jenem vor dem Übergang identisch sei, weshalb Verluste aus der Zeit vor dem Übergang vom Erwerber des Betriebs nicht als Fehlbeträge geltend gemacht werden könnten.

b) Der Bf. erklärte sich daraufhin deshalb durch den Bescheid des Bundesministers soweit er die Gewerbesteuer betrifft nicht als klaglos gestellt. Er hält § 4 Abs 2 GewStG in der Interpretation, die ihm die bel. Beh. gegeben hat, für gleichheitswidrig: Die wirtschaftliche Identität des Betriebs, der die Buchwerte fortführe, und die Tatsache, daß der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger umfassend in die wirtschaftliche und damit auch steuerliche Stellung des Erblassers eintrete, sämtliche Vermögenswerte des Erblassers übernehme, aber auch für Verbindlichkeiten des Erblassers einzustehen habe, lasse es als nicht sachgerecht und daher gleichheitswidrig erscheinen, die Betriebsübernahme durch einen solchen Erben ausgerechnet bei der Gewerbesteuer nicht als Betriebsübernahme, sondern als Betriebsneugründung zu behandeln.

II. 1. Bei der Beratung über die Beschwerde entstanden beim VfGH Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs 2 des Gewerbesteuergesetzes 1953, BGBl. 2/1954. Der VfGH beschloß daher, diese Bestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Er nahm an, daß die Beschwerde zulässig ist und daß sich der bekämpfte Bescheid auf die in Prüfung gezogene Bestimmung stützt.

2. Die in Prüfung gezogene Bestimmung steht in folgendem Zusammenhang:

Die Gewerbeertragsteuer bemißt sich gemäß § 6 Abs 1 GewStG nach dem Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der nach den Vorschriften des EStG oder KStG zu ermitteln ist, vermehrt um bestimmte Hinzurechnungsposten und vermindert um bestimmte Kürzungsposten.

Hat ein (bilanzierender) Steuerpflichtiger in Vorjahren einen Verlust erlitten, so kann er diesen gemäß § 18 Abs 1 Z 4 EStG vom Gesamtbetrag der Einkünfte abziehen. Da der Verlustabzug einkommensteuerrechtlich als Sonderausgabe konstruiert ist, wirkt er sich gewerbesteuerrechtlich nicht unmittelbar aus. § 6 Abs 3 GewStG sieht aber Vorschriften über die Verlustberücksichtigung vor. Dieser Bestimmung zufolge wird der Gewerbeertrag der Gewerbetreibenden, die den Gewinn durch Bestandsvergleich auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln, um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für vorangegangene Wirtschaftsjahre ergeben haben (soweit die Fehlbeträge nicht in vorangegangenen Wirtschaftsjahren berücksichtigt wurden).

Im Falle des Übergangs eines Gewerbebetriebs im Weg der Gesamtrechtsnachfolge schließt jedoch § 4 Abs 2 GewStG den Verlustvortrag aus. Diese Bestimmung lautet:

"Ein Gewerbebetrieb, der im ganzen auf einen anderen Unternehmer übergeht, gilt in jedem Fall als durch den bisherigen Unternehmer eingestellt. Er ist als durch den anderen Unternehmer neu gegründet anzusehen, wenn er nicht mit einem bereits bestehenden Gewerbebetrieb vereinigt wird. Zeitpunkt der Einstellung und Zeitpunkt der Neugründung ist der Zeitpunkt des Unternehmerwechsels."

3. Seine Bedenken legte der Gerichtshof im Einleitungsbeschluß wie folgt dar:

"a) Die Finanzverwaltung stand früher - in Übereinstimmung mit der verwaltungsgerichtlichen Judikatur - auf dem Standpunkt, daß die Möglichkeit zur gewinnmindernden Geltendmachung eines in den Vorjahren entstandenen Verlustes gemäß § 18 Abs 1 Z 4 EStG infolge seiner systematischen Qualifikation im EinkommensteuerG als 'Sonderausgabe' ein höchstpersönliches Recht sei; demzufolge sei der Erbe nicht befugt, die in Vorjahren beim Erblasser entstandenen Verluste, soweit sie nicht bereits ausgeglichen oder abgezogen worden sind, gewinnmindernd geltend zu machen.

b) Diese Auffassung wurde - nachdem sie für die Bundesrepublik Deutschland durch ein Urteil des BFH vom (BStBl. III 1962, 346) schon 1962 verlassen wurde zunehmend kritisiert (vgl. Werner Doralt, Verlustvortrag und Verlustausgleich nicht vererblich, RdW 1986, 125). Gegen sie wandte sich auch der Bf. des Anlaßverfahrens: Da der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtstellung des Erblassers eintrete, denselben Betrieb weiterführe und seine Buchführung an die des Erblassers anknüpfe, sei ein sachlicher Grund nicht erkennbar, Verluste desselben Betriebs nur deshalb nicht zum Abzug zuzulassen, weil sie beim Gesamtrechtsvorgänger entstanden seien.

c) Mit Erlaß vom , AÖFV 183/1987, hat sich der Bundesminister für Finanzen inhaltlich der an der früheren Rechtsauffassung geübten Kritik angeschlossen und folgendes verfügt:

'Bei natürlichen Personen stellt das Recht auf Vornahme des Verlustabzuges nach ständiger Rechtsprechung ein höchstpersönliches Recht dar (VwGH 1087/65 v. ). Der Verlustabzug kann demnach nur von jenem Steuerpflichtigen geltend gemacht werden, der den Verlust erlitten hat. Ein Übergang des Verlustabzuges ist nach Ansicht des VwGH auch in den Fällen der Gesamtrechtsnachfolge ausgeschlossen (siehe Erk. v. , 84/13/59, bereits zur Rechtslage nach Ergänzung des § 19 Abs 1 BAO durch die BAO-Nov. 1980, ergangen).

Diese Rechtsansicht muß . . . neu überdacht werden. Ausgangspunkt hiefür ist der Umstand, daß sowohl das Körperschaftssteuer- als auch das Einkommensteuerrecht grundsätzlich an wirtschaftliche Gegebenheiten anknüpfen. Trotz dieses Anknüpfungspunktes hält es der VwGH für gerechtfertigt, daß bei Kapitalgesellschaften der Verlustabzug selbst im Falle des Unterganges ihrer wirtschaftlichen Identität erhalten bleibt. Umsomehr scheint es gerechtfertigt, den Verlustabzug weiterhin zu gewähren, wenn der Steuerpflichtige stirbt und die wirtschaftliche Identität im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den (die) Erben übergeht. Der Übergang der wirtschaftlichen Identität auf den (die) Erben zeigt sich daran, daß diese(r) als Gesamtrechtsnachfolger umfassend in die wirtschaftliche (und damit auch steuerliche) Stellung des Erblassers eintritt (eintreten). So übernimmt (übernehmen) der (die) Erbe(n) sämtliche Vermögenswerte des Erblassers. Sie können einerseits die übernommenen Aktiva auf eigene Rechnung verwerten, müssen aber andererseits grundsätzlich für Verbindlichkeiten des Erblassers - insbesondere bei Fortführung eines Handelsgewerbes (siehe § 25 HGB) - einstehen. Ist ein Betrieb Bestandteil des Nachlaßvermögens, sind gemäß § 6 Z 9 EStG die Buchwerte weiterzuführen. Die Fortführung der Buchwerte bewirkt, daß sämtliche damit im Zusammenhang stehende Lasten (z.B. spätere Versteuerung stiller Reserven, Auflösung steuerfreier Rücklagen) in der Person des (der) Erben fortbestehen.

Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen scheint es daher gerechtfertigt, bei Ermittlung des Einkommens des Erblassers nicht aufgebrauchte Verlustvorträge auf seine(n) Erben übergehen zu lassen. Abschn. 65 Abs 3 der EStR 1984, AÖFV Nr. 193/1985, ist nicht mehr anzuwenden.'

. . .

d) Der VfGH nimmt vorläufig den Standpunkt ein, daß die vom Bundesminister für Finanzen nunmehr vertretene Rechtsansicht auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist und die dem Einkommensteuerbescheid zugrunde gelegte Auffassung, derzufolge ein Verlustabzug durch den Erben nur deshalb nicht als zulässig angesehen wurde, weil der Verlust nicht bei ihm, sondern bei seinem Gesamtrechtsvorgänger, dem Erblasser, entstanden sei, gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt.

Gleiches scheint auch für den Bereich der Gewerbesteuer zu gelten:

Es ist dem VfGH zumindest vorläufig kein Grund ersichtlich, der es sachlich rechtfertigen würde, die Betriebsübernahme durch einen Erben hinsichtlich der Geltendmachung von in Vorjahren erlittenen Verlusten gewerbesteuerrechtlich nicht als Betriebsübernahme, sondern wie eine Betriebsneugründung zu behandeln. Bedenkt man nämlich die wirtschaftliche Identität des Betriebs, dessen Vermögensrechnung ungeachtet des Erbgangs fortgeführt wird, und bedenkt man weiters, daß der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger umfassend in die wirtschaftliche und steuerliche Stellung des Erblassers eintritt, sämtliche Vermögenswerte des Erblassers übernimmt und auch für Verbindlichkeiten des Erblassers einzustehen hat, so scheint kein sachlicher Grund dafür erkennbar zu sein, daß der Erbe hinsichtlich des Verlustvortrags anders behandelt wird, als der Betriebsinhaber behandelt würde, wenn kein Erbgang erfolgt wäre. Auch die Konstruktion der Gewerbesteuer als Objektsteuer scheint das nicht zu rechtfertigen. Vielmehr dürfte es gleichheitswidrig sein, die Betriebsübernahme durch den Erben bei der Gewerbesteuer wie eine Betriebsneugründung zu behandeln. Solches aber scheint § 4 Abs 2 GewStG anzuordnen. Deshalb sah sich der VfGH veranlaßt, diese Bestimmung unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes in Prüfung zu ziehen."

4. Die Bundesregierung teilte dem VfGH mit, daß sie beschlossen hat, von einer meritorischen Äußerung abzusehen; für den Fall der Aufhebung stellte die Bundesregierung den Antrag, der VfGH wolle für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

5.a) Im Verfahren ist weder vorgebracht worden noch hervorgekommen, daß die Annahmen des VfGH über die Prozeßvoraussetzungen verfehlt oder die gegen die Verfassungsmäßigkeit der geprüften Regelung sprechenden Bedenken unzutreffend wären. § 4 Abs 2 GewStG war daher aufzuheben.

b) Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.

c) Dieser Beschluß konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.