VfGH vom 14.06.1985, g17/85
Sammlungsnummer
10452
Leitsatz
Ktn. NaturschutzG; Präjudizialität des gesamten § 22 wegen inhaltlicher Einheit; in § 22 vorgesehene Überprüfung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über Entschädigungsbegehren durch ein Gericht - Verstoß gegen den Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung iS des Art 94 B-VG
Spruch
§22 des Ktn. Naturschutzgesetzes, LGBl. 2/1953, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Landeshauptmann von Ktn. ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im LGBl. verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim VfGH ist zu B497/80 eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Ktn. Landesregierung anhängig, mit dem einem Antrag des Bf., der Eigentümer von Grundflächen ist, die zu dem mit V der Ktn. Landesregierung LGBl. 102/1979 erklärten Naturschutzgebiet (Vollnaturschutzgebiet) "Salblatnigmoor bei Eberndorf" gehören, auf Gewährung einer Entschädigung nach § 22 Ktn. NaturschutzG, LGBl. 2/1953 (auf diese Bestimmung bezieht sich im folgenden die Bezeichnung "§22"), keine Folge gegeben wurde.
Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der VfGH beschlossen, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 22 einzuleiten (Beschl. vom B497/80).
2. § 22 Ktn. NaturschutzG lautet:
"Wird durch die Erklärung zu einem Naturschutzgebiet, zu einem geschützten Landschaftsgebiet oder zu einem Naturdenkmal die Wirtschaftsführung des durch die Schutzmaßnahmen Betroffenen wesentlich erschwert oder unmöglich gemacht oder der Ertrag erheblich vermindert, ist dem Geschädigten eine angemessene Entschädigung, sofern diese nicht aus anderen Mitteln gezahlt wird oder einem aus der getroffenen Anordnung Nutzen Ziehenden zumutbar ist, aus Landesmitteln zu gewähren. Das Ansuchen um Entschädigung ist binnen 3 Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung oder Rechtskraft des Bescheides bei der Landesregierung einzubringen. Über die Höhe der in Geld zu leistenden Entschädigung entscheidet die Landesregierung nach Anhörung von Sachverständigen. Bei der Bemessung der Entschädigung wird der Wert der besonderen Vorliebe nicht berücksichtigt. Binnen zwei Monaten nach Zustellung des Bescheides über die festgesetzte Entschädigung kann der durch die Schutzmaßnahme Betroffene die gerichtliche Festsetzung der Entschädigung bei jenem Bezirksgericht im außerstreitigen Verfahren begehren, in dessen Sprengel das Grundstück liegt."
II. Der VfGH hat erwogen:
1. a) Der der Anlaßbeschwerde zugrunde liegende Bescheid ist auf § 22 gestützt. Der VfGH ist im Einleitungsbeschl. davon ausgegangen, daß die im § 22 enthaltene Regelung als inhaltliche Einheit anzusehen ist.
b) Dem gegenüber vertritt die Ktn. Landesregierung in ihrer Äußerung die Auffassung, daß sich § 22 inhaltlich klar als aus zwei Teilen zusammengesetzt erkennen lasse. Einerseits enthalte er eine Bestimmung über den Anspruch einer Entschädigung und darüber, wer über einen derartigen Anspruch abzusprechen habe. Der zweite Teil des § 22 handle über die Höhe der zu leistenden Entschädigung für den Fall, daß ein Anspruch darauf festgestellt worden sei und die Zuständigkeit, darüber abzusprechen. Erst in diesem zweiten Punkt sehe der § 22 eine sogenannte "sukzessive Zuständigkeit" vor. Im vorliegenden Beschwerdefall habe die Landesregierung jedoch bereits die Frage des Anspruches auf eine Entschädigung negativ beurteilt und den diesbezüglichen Antrag des Bf. bescheidmäßig abgewiesen. Die Frage nach der Höhe einer allfälligen Entschädigung habe sich demnach erübrigt, sodaß der zweite Teil des § 22 im gegenständlichen Verfahren gar nicht zur Anwendung gekommen sei. Dieser Umstand sei auch vom Bf. richtig erkannt worden. Er habe nämlich nicht, wie ihm § 22 zweiter Teil eröffnen würde, die Feststellung durch das Gericht beantragt, sondern die dem VfGH zur Entscheidung vorliegende Beschwerde eingebracht.
Der zweite Teil des § 22 sei demnach vom VfGH bei der Entscheidung über die Beschwerde gar nicht anzuwenden, weshalb die Zulässigkeit einer amtswegigen Prüfung dieses Teiles des § 22 mangels Präjudizialität in Frage zu stellen sei. Vor allem die Regelung der sukzessiven Gerichtszuständigkeit im letzten Satz des § 22 habe der VfGH im gegenständlichen Beschwerdefall überhaupt nicht anzuwenden.
c) In ihren Ausführungen übersieht die Ktn. Landesregierung, daß die Festsetzung einer Entschädigung die Klärung der Fragen erfordert, ob die Voraussetzungen für die Gewährung (wesentliche Erschwerung oder bewirkte Unmöglichkeit einer Wirtschaftsführung oder erhebliche Verminderung des Ertrages) vorliegen und damit dem Grunde nach ein Anspruch auf Entschädigung besteht sowie ob eine zwar dem Grunde nach gebührende Entschädigung einem Geschädigten aus Landesmitteln insofern nicht zu gewähren ist, als diese aus anderen Mitteln gezahlt wird oder einem aus der getroffenen Anordnung Nutzen Ziehenden zumutbar ist. Schließlich können diese Umstände (Bezahlung der Entschädigung aus anderen Mitteln, Zumutbarkeit der Bezahlung der Entschädigung durch einen aus der getroffenen Anordnung Nutzen Ziehenden) für die Festsetzung der Höhe der aus Landesmitteln zu gewährenden Entschädigung maßgeblich sein. Die Frage, ob eine Feststellung über die Höhe der Entschädigung nötig ist, läßt sich also nicht ohne vorhergehende Erörterung der möglichen Höhe der Entschädigung beantworten.
Alle diese Umstände hat auch der VfGH bei der Prüfung, ob eine Beschwerde gegen einen Bescheid, mit dem einem Antrag auf Gewährung einer Entschädigung nicht Folge gegeben wird, zulässig ist, zu berücksichtigen. Dabei hat er den § 22 in seinem Zusammenhang anzuwenden. Diese Bestimmung stellt sich demnach inhaltlich betrachtet - wie im Einleitungsbeschl. angenommen - als inhaltliche Einheit dar.
In Anwendung der Bestimmung des § 22 kommt der VfGH zum Ergebnis, daß die Anlaßbeschwerde zulässig ist. Daraus folgt, daß die als Einheit anzusehende Regelung des § 22 für das Gesetzesprüfungsverfahren zur Gänze präjudiziell ist.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2. a) Gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 22 besteht nach dem Einleitungsbeschl. das Bedenken, daß diese Regelung mit dem im Art 94 B-VG ausgesprochenen Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung in Widerspruch steht. Das Bedenken war damit begründet, im Gesetz sei nicht vorgesehen, daß durch die Anrufung des Gerichtes der Bescheid der Landesregierung über die Festsetzung der Höhe der Entschädigung außer Kraft trete; damit werde das Gericht zur Überprüfung der Entscheidung der Landesregierung über die Höhe der festgesetzten Entschädigung berufen und mit der Befugnis einer Kontrollinstanz zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung einer Verwaltungsbehörde betraut.
b) Wie der VfGH in mehreren Erk. dargelegt hat (vgl. VfSlg. 2778/1954, 3236/1957, 3424/1958, 5630/1967, 6537/1971, 7273/1974), gestattet es Art 94 B-VG nicht, die ordentlichen Gerichte durch einfaches (Bundes- oder Landes-)Gesetz als Kontrollinstanzen zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Bescheide der Verwaltungsbehörde zu berufen. Durch eine instanzenmäßige Zusammenfassung von Gerichten und Verwaltungsbehörden in einem und demselben Rechtsmittelzug werden die beiden Behördentypen, die voneinander in allen Instanzen getrennt sein sollen, verfassungswidrigerweise zu einer organisatorischen Einheit verbunden. Wenn ein Gesetz anordnet, daß die ordentlichen Gerichte anrufen kann, wer von der Verwaltungsbehörde in Anspruch genommen wurde, und daß das ordentliche Gericht nach dem Ergebnis seiner eigenen Prüfung den Bescheid der Verwaltungsbehörde allenfalls aufheben oder abändern kann, so wird damit ein Verhältnis der Überordnung der Gerichte über die Verwaltungsbehörden geschaffen, das mit dem Grundsatz des Art 94 B-VG über die Trennung von Justiz und Verwaltung und der daraus abzuleitenden Selbständigkeit der Behörden beider Ordnungen nicht im Einklang steht und darum verfassungswidrig ist. Der Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung bedeutet demnach auch, daß nicht über ein und dieselbe Frage sowohl Gerichte als auch Verwaltungsbehörden, sei es im gemeinsamen Zusammenwirken, sei es im instanzenmäßig gegliederten Nacheinander entscheiden dürfen.
Hingegen wird die Schaffung sukzessiver Zuständigkeiten von Verwaltungsbehörden und Gerichten, wobei diese Vollziehungsbehörden nicht durch eine instanzenmäßige Gliederung verbunden sind, durch Art 94 B-VG nicht verwehrt. Von einer verfassungsrechtlich zulässigen sukzessiven Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden und Gerichten kann iS der angeführten Rechtsprechung des VfGH nur dann gesprochen werden, wenn in einer Angelegenheit, in der nach einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung die Anrufung eines Gerichtes ermöglicht wird, durch die Anrufung des Gerichtes die vorausgegangene verwaltungsbehördliche Entscheidung ihre Wirksamkeit verliert, sodaß es ausgeschlossen wird, daß durch die gerichtliche Entscheidung eine Aufhebung oder Abänderung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung herbeigeführt werden kann.
Nach der im § 22 vorgesehenen Regelung besteht weder eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung, daß mit der Anrufung des Gerichtes die Entscheidung der Landesregierung über die Höhe der Entschädigung außer Kraft tritt, noch ist eine sonstige Maßnahme erkennbar, durch die der Inhalt eines Bescheides der Landesregierung über die Festsetzung der Entschädigung (einschließlich der dieser Festsetzung allenfalls zugrunde liegenden Feststellungen hinsichtlich der Bezahlung der Entschädigung aus anderen Mitteln oder hinsichtlich des Umstandes, daß sie einem aus der getroffenen Anordnung Nutzen Ziehenden zumutbar ist) unwirksam würde. Demnach kann es sich bei der gerichtlichen Festsetzung der Entschädigung nur um eine Überprüfung der mit der Entscheidung der Landesregierung vorgesehenen Festsetzung der Entschädigung handeln. Beim gegebenen Wortlaut des § 22 ist es ausgeschlossen, iS des Gebotes der verfassungskonformen Auslegung von Rechtsvorschriften der Regelung den Inhalt zu unterstellen, daß durch die Anrufung des Gerichtes die Entscheidung der Landesregierung über die Festsetzung der Entschädigung außer Kraft tritt, wie es von der Ktn. Landesregierung in ihrer Äußerung verlangt wird.
Da im § 22 nicht eine sukzessive Zuständigkeit des Gerichtes zu einer Entscheidung nach einer außer Kraft getretenen verwaltungsbehördlichen Entscheidung geschaffen, sondern vielmehr die Überprüfung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung durch ein Gericht vorgesehen wurde, steht die Regelung mit dem in Art 94 B-VG niedergelegten Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung in Widerspruch. Demnach war auszusprechen, daß § 22 als verfassungswidrig aufgehoben wird.
Die übrigen Aussprüche gründen sich auf Art 140 Abs 5 und 6 B-VG.