VfGH vom 30.06.2012, g14/12

VfGH vom 30.06.2012, g14/12

Sammlungsnummer

19666

Leitsatz

Aufhebung von Bestimmungen des Gerichtsgebührengesetzes betreffend die Verpflichtung zur Entrichtung der vollen Pauschalgebühr im Rechtsmittelverfahren über die Erlassung einstweiliger Verfügungen; gleichheitswidrige Ausgestaltung des Systems der Gerichtsgebühren im Provisorialverfahren

Spruch

I. Anmerkung 1a zu Tarifpost 2 sowie Anmerkung 1a zu Tarifpost 3 des Bundesgesetzes vom über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren (Gerichtsgebührengesetz - GGG), BGBl. Nr. 501 in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2010 werden als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit in Kraft.

III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Prüfungsbeschluss, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine auf Art 144 B-VG gestützte, zu B1621/10 protokollierte Beschwerde anhängig, der zusammengefasst folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:

1.1. Zur Sicherung eines Anspruches, der im Rahmen eines Schiedsverfahrens in Spanien geltend gemacht wird, brachte die Beschwerdeführerin am beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien einen Antrag auf einstweilige Verfügung ein. Diesem wurde am zunächst ohne Anhörung der Gegnerin stattgegeben. Dem dagegen erhobenen Widerspruch der Gegnerin wurde am stattgegeben und die einstweilige Verfügung aufgehoben. Gegen diese Aufhebung erhob die Beschwerdeführerin - erfolglos - Rekurs und Revisionsrekurs. Für die Erhebung dieser - gegen die Aufhebung der von der Beschwerdeführerin beantragten einstweiligen Verfügung gerichteten - Rechtsmittel wurden der Beschwerdeführerin basierend auf dem Streitwert von € 3.951.000,- Pauschalgebühren in der Höhe von € 73.706,- bzw. € 98.273,- vorgeschrieben. Die gegen diese Zahlungsaufträge gestellten Berichtigungsanträge der Beschwerdeführerin wurden mit Bescheid der Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom abgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin eine unter B1621/10 protokollierte, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

1.2. Aus Anlass der Behandlung dieser Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Anmerkung 1a zu Tarifpost 2 sowie der Anmerkung 1a zu Tarifpost 3 des Bundesgesetzes vom über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren (Gerichtsgebührengesetz - GGG), BGBl. Nr. 501 in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2010, entstanden. Diese haben ihn veranlasst, die genannten Bestimmungen mit Beschluss vom von Amts wegen in Prüfung zu ziehen.

1.3. Der Verfassungsgerichtshof ging vorläufig davon aus, dass die Beschwerde zulässig sei und dass er bei der Behandlung der Beschwerde die - auch von der belangten Behörde herangezogene - Anmerkung 1a zu Tarifpost 2 sowie die Anmerkung 1a zu Tarifpost 3 GGG idF BGBl. I 29/2010 anzuwenden hätte.

1.4. Die bei ihm entstandenen Bedenken, die Einführung der genannten Bestimmungen hätten zur Unsachlichkeit des Systems der Gebührenregelung im Rechtsmittelverfahren über einstweilige Verfügungen geführt, formuliert der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt:

"Zwar ist bei Gerichtsgebühren eine strenge

Äquivalenz im Einzelfall in dem Sinn, dass die Gebühr dem bei Gericht verursachten Aufwand entspricht, nicht erforderlich (vgl. etwa VfSlg. 11.751/1988, 18.070/2007; ; , 2000/16/0086; , 2003/16/0040 ua.).

4.2. Trotz des weiten Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers scheint jedoch dem Verfassungsgerichtshof vorläufig die Vorschreibung der vollen Höhe der Pauschalgebühr nach TP2 und TP3 GGG im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens im Provisorialverfahren über einstweilige Verfügungen insofern unsachlich und daher mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar, als es damit zur Verdoppelung der für die Rechtsdurchsetzung ein und desselben Anspruches zu entrichtenden Gerichtsgebühr gerade in jenen Fällen kommt, in denen dem Betroffenen die Vereitelung oder erhebliche Erschwerung der Durchsetzung seiner Ansprüche droht.

4.3. Der Verfassungsgerichtshof kann vorläufig nicht finden, dass Gebühren in gleicher Höhe wie für das Hauptverfahren für das bloß summarische Verfahren der Provisorialentscheidung durch den Verfahrensaufwand gerechtfertigt werden könnten, ebenso wenig scheint dies durch einen entsprechenden zusätzlichen Nutzen gerechtfertigt zu sein (vgl. etwa VfSlg. 17.783/2006 zu Gebühren nach dem Bundesvergabegesetz).

4.4. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass es in den verschiedensten Rechtsbereichen durchaus üblich ist, Rechtsfragen allein im Provisorialverfahren zu klären, ohne später ein Hauptverfahren einzuleiten. Die bloß für Wettbewerbs- und Immaterialgüterrechtssachen geschaffene Anrechnungsmöglichkeit der halben Pauschalgebühr des Sicherungsverfahrens in zweiter und dritter Instanz, für den Fall, dass ein Hauptverfahren geführt wird, erscheint - auch wenn diese im zugrundeliegenden Beschwerdeverfahren nicht konkret anzuwenden ist - vorläufig unsachlich, da auch in anderen Rechtsbereichen der Streitgegenstand des Hauptverfahrens mit dem des Provisiorialverfahrens weitgehend übereinstimmen kann.

4.5. Für den Verfassungsgerichtshof ist vorderhand nicht erkennbar, was es rechtfertigen könnte, dass zwar im erstinstanzlichen Verfahren, in dem auch im Provisorialverfahren die Tatsachenfeststellungen zu treffen und der Sachverhalt im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens besonders rasch zu erfassen und rechtlich zu würdigen sind, bei vom Hauptverfahren losgelöster Beantragung einer einstweiligen Verfügung eine Reduzierung auf die Hälfte der im Zivilprozess vorgesehenen Pauschalgebühr erfolgt (bei Beantragung in der Klage fällt gar keine Gebühr an), aber in zweiter und dritter Instanz trotz eingeschränkten Prüfungsgegenstandes und mangelnder Tatsachenkompetenz die volle Gebühr zu bezahlen ist.

4.6. Im Rechtsmittelverfahren über eine einstweilige Verfügung ist - entgegen den Ausführungen in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage - nach der verfestigten Judikatur des Obersten Gerichtshofes eine Überprüfung der Beweiswürdigung des Erstgerichtes ausgeschlossen (s. ). Eine mündliche Verhandlung kommt gemäß § 526 Abs 1 ZPO nicht in Betracht und ein eingeschränkter Prüfungsgegenstand ist zu beurteilen, sodass vorläufig für den Verfassungsgerichtshof kein die volle Gerichtsgebühr rechtfertigender Aufwand erkennbar ist.

Dem Verfassungsgerichtshof ist vorläufig daher keine sachliche Begründung dafür erkennbar, im Verfahren über einstweilige Verfügungen in zweiter und dritter Instanz - anders als in erster Instanz - keine Reduzierung der Gebühren vorzunehmen."

1.5. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die in Prüfung gezogenen Bestimmungen verteidigt und beantragt, "der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, dass Anmerkung 1a zur Tarifpost 2 sowie Anmerkung 1a zur Tarifpost 3 des Gerichtsgebührengesetzes (GGG), BGBl. Nr. 501/1984 idF BGBl. I Nr. 29/2010, nicht als verfassungswidrig aufgehoben werden." Für den Fall der Aufhebung der in Prüfung gezogenen Regelungen wird die Bestimmung einer Frist von einem Jahr für deren Außerkrafttreten beantragt.

1.5.1. Nach einer Gegenüberstellung der einschlägigen Rechtslage vor bzw. nach dem Inkrafttreten des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 52/2009, und der Wiedergabe der die in Prüfung gezogenen Bestimmungen betreffenden Erläuterungen zur Regierungsvorlage führt die Bundesregierung zunächst aus, welche relevanten Unterschiede ihrer Ansicht nach zwischen Provisorial- und Hauptverfahren bestehen:

"2.1. Das Verfahren in der Hauptsache und das Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung haben unterschiedliche 'Streitgegenstände'. Während es in der Hauptsache um den Anspruch selbst geht, hat das Verfahren über die einstweilige Verfügung dessen prozessuale Sicherung, Regelung oder einstweilige Durchsetzung zum Gegenstand, wobei die Gerichte aller Instanzen im Provisorialverfahren unter erhöhtem Zeitdruck oftmals weitreichende Entscheidungen treffen müssen. Die Entscheidung im Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist daher für das Hauptverfahren nicht bindend (vgl. König, Einstweilige Verfügungen3 [2007], Rz 6/67).

2.2. Aufgrund der unterschiedlichen Zielrichtung und der erforderlichen Raschheit des Verfahrens bestehen Unterschiede in der Ermittlung des Sachverhalts, die zu einer gewissen Erleichterung auf der Tatsachenebene führen (können). Das Provisorialverfahren ist auf den Grundsatz der Beschleunigung ausgerichtet, sodass ein umfangreiches Beweisverfahren nicht durchzuführen ist (vgl. Kodek, in Angst2, § 389 Rz 9). Im Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung genügt die Bescheinigung der Verfahrensgrundlagen, es sind auch nur parate Bescheinigungsmittel zulässig. So ist beispielsweise, wenn eine Auskunftsperson nicht zur Vernehmung erscheint, auf dieses Beweismittel mangels sofortiger Ausführbarkeit nicht Bedacht zu nehmen. Auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht oder die amtswegige Beischaffung von Urkunden oder Auskünften ist grundsätzlich ausgeschlossen (siehe zu diesen und weiteren Beispielen Kodek in Angst2, § 389 Rz 11 ff).

Das Provisorialverfahren ist als summarisches

Eilverfahren grundsätzlich einseitig. Dem Gegner der gefährdeten Partei muss daher keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, vielmehr ist über das Begehren allein auf Grund des Antrags und der beigebrachten Bescheinigungsmittel zu entscheiden (vgl. Kodek in Angst2, § 389 Rz 18).

Bei der rechtlichen Beurteilung und der Gerichtsbesetzung bestehen hingegen keine nennenswerten Unterschiede zwischen Provisorialverfahren und Hauptverfahren.

2.3. Die aufgezeigten Unterschiede betreffen jedoch im Wesentlichen nur das Verfahren erster Instanz [...]."

1.5.2. Der verfassungsrechtliche Rahmen, innerhalb dessen sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Systems der Gerichtsgebühren nach Ansicht der Bundesregierung bewegen muss bzw. kann, wird in der Äußerung wie folgt dargestellt:

"2.1. Gerichtsgebühren sind Abgaben, die für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der Gerichte zu entrichten sind (vgl. § 1 GGG). Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt dem Gesetzgeber bei der Festsetzung und Bemessung von Gerichtsgebühren ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. So hat der Verfassungsgerichtshof betont, dass es dem Gesetzgeber freisteht, im Hinblick auf Kostenwahrheit und das Verursacherprinzip Gebühren für die Inanspruchnahme der Gerichte vorzusehen ( G85,86/11, Rz 49). Allgemein darf der Gesetzgeber, auch bei der Regelung von Gerichtsgebühren, von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen. Dabei ist die Anknüpfung der Gerichtsgebühren an leicht feststellbare äußere Merkmale sachgerecht

(VfSlg. 11.751/1988). Dem Gesetzgeber steht es auch frei, bei der Bemessung von Gerichtsgebühren Gesichtspunkte der Verwaltungsökonomie zu berücksichtigen ( G34,35/11, Rz 34). Hinsichtlich der Höhe der Gerichtsgebühren geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass eine Äquivalenz im Einzelfall in dem Sinn, dass die Gebühr dem bei Gericht verursachten Aufwand entspricht, nicht erforderlich [ist] (VfSlg. 11.751/1988, 18.070/2007). Dass in Einzelfällen - auf Grund einer Durchschnittsbetrachtung - durch die Vorschreibung von Gebühren Härten entstehen, macht eine gesetzliche Gebührenregelung noch nicht verfassungswidrig (vgl. VfSlg. 17.092/2003; vgl. zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit von Härtefällen allgemein

VfSlg. 19.031/2010). Aus sozial- und wirtschaftspolitischen Erwägungen können Gebührenbefreiungen und andere Begünstigungen für bestimmte Personengruppen, Verfahrensarten oder Verfahrensgegenstände vorgesehen werden (vgl. G34,35/11, Rz 30).

2.2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung geht die Bundesregierung davon aus, dass es grundsätzlich im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgeber[s] liegt, ob er für bestimmte gerichtliche Verfahren überhaupt eine Gebühr, bloß eine reduzierte Gebühr oder überhaupt keine Gebühr vorsieht. Der Gesetzgeber kann eine Gebühr nur im erstinstanzlichen Verfahren, nicht aber im Rechtsmittelverfahren vorsehen oder umgekehrt, oder die Gebühren in unterschiedlichen Verfahrensstadien unterschiedlich hoch festsetzen. Er kann auch das Verhältnis verschiedener Verfahren zueinander berücksichtigen und entweder die Anrechnung einer bereits entrichteten Gebühr in einem anderen Verfahren vorsehen oder für jedes einzelne Verfahren eine eigene Gebühr festsetzen.

Bei der Entscheidung zwischen diesen Regelungsalternativen hat sich der Gesetzgeber im Rahmen der zuvor dargelegten verfassungsrechtlichen Vorgaben - Zulässigkeit einer Durchschnittsbetrachtung, Berücksichtigung von Gesichtspunkten der Verwaltungsökonomie und von sozial- oder wirtschaftspolitischen Erwägungen, keine Äquivalenz im Einzelfall - insbesondere an dem bei Gericht verursachten Aufwand (Prinzip der Kostenwahrheit) und dem Nutzen der Parteien zu orientieren.

Angemerkt wird, dass sich der bei Gericht entstandene Aufwand, der durch die Gerichtsgebühren abgegolten werden soll, aus (dem Ausmaß) der gerichtlichen Sachverhaltsfeststellung, der Beweiswürdigung oder der rechtlichen Beurteilung durch das Gericht, aber auch aus der Inanspruchnahme gerichtlicher Infrastruktur durch die Parteien (dazu G85,86/11) ergeben kann. Jedes dieser Elemente stellt für sich eine Inanspruchnahme der Gerichte dar (§1 GGG), das die Erhebung einer Gebühr dem Grunde nach rechtfertigt."

1.5.3. Das im Prüfungsbeschluss vom Verfassungsgerichtshof geäußerte Bedenken, es sei weder durch den bei Gericht entstehenden Verfahrensaufwand, noch durch den Nutzen der Parteien gerechtfertigt, im Provisorialverfahren für Rechtsmittel Gebühren in derselben Höhe vorzusehen wie im Hauptverfahren, teilt die Bundesregierung nicht. Sie begründet dies wie folgt:

"Im Unterschied zum erstinstanzlichen Verfahren

entspricht in den Rechtsmittelverfahren der Verfahrensaufwand im Provisorialverfahren im Wesentlichen jenem im Hauptverfahren:

3.3.1. Der Prüfgegenstand des Provisorialverfahrens in zweiter und dritter Instanz ist nicht weiter eingeschränkt als jener im Hauptverfahren; hier wie dort können dieselben Rechtsmittelgründe gegen die erstinstanzliche Entscheidung geltend gemacht werden. Sowohl im Provisorialverfahren als auch im Hauptverfahren ist das Gericht zweiter Instanz Rechts- und Tatsacheninstanz, während der Oberste Gerichtshof hinsichtlich beider Verfahrensarten eine reine Rechtsinstanz ist. ln der vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss [...] zitierten Entscheidung , heißt es, dass 'auch im Sicherungsverfahren die Anfechtung der Beweiswürdigung im Revisionsrekursverfahren unzulässig [...] und der Oberste Gerichtshof an den von den Tatsacheninstanzen als bescheinigt angenommenen Sachverhalt gebunden ist' [...]. Die Anfechtung der Beweiswürdigung im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof ist also sowohl im Provisorialverfahren als auch im Hauptverfahren unzulässig.

3.3.2. Nach der Rechtsprechung des Obersten

Gerichtshofs ist im Provisorialverfahren eine Überprüfung der Beweiswürdigung des erkennenden Richters bereits durch das Gericht zweiter Instanz (Rekursgericht) ausgeschlossen. Diese Rechtsprechung bezieht sich allerdings nur auf jene Fälle, in denen der erkennende Richter den Sachverhalt aufgrund vor ihm abgelegter Zeugen- oder Parteienaussagen als bescheinigt angenommen hat (Kodek in Angst2, § 389 Rz 25). Dem Rekursgericht ist es in diesem Fall infolge des Entfalls der mündlichen Verhandlung nicht möglich, die in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweis- bzw. Bescheinigungsmittel umzuwürdigen (OGH 6 Ob 650/93). ln Fällen, in welchen eine mündliche Verhandlung für die Beweiswürdigung nicht erforderlich ist, insbesondere wenn das Erstgericht seine Feststellungen nur auf Grund von Urkunden getroffen hat, ist die Überprüfung der Beweiswürdigung durch das Rekursgericht hingegen sehr wohl zulässig (OGH 16 Ok 20/97, 4 Ob 15/99f, Ob 18/00a). Dem Rekursgericht kommt daher auch im Provisorialverfahren eine - wenn auch aufgrund des Entfalls der mündlichen Verhandlung eingeschränkte - Tatsachenkompetenz zu, die sich aber in der Praxis nicht wesentlich von den Möglichkeiten des Berufungsgerichts im ordentlichen Verfahren unterscheidet.

Hinzuweisen ist auch darauf, dass bei einem Streitgegenstand, der an Geld oder Geldeswert 2 700 Euro nicht übersteigt, im Hauptverfahren das Urteil des Erstgerichtes nur wegen Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten werden kann (§501 Abs 1 ZPO), sodass in diesen Fällen - im Unterschied zum Provisorialverfahren - eine Bekämpfung der Beweiswürdigung gänzlich ausgeschlossen ist. ln Bagatellsachen ist daher im Hauptverfahren sogar von einem geringeren Aufwand für das Rechtsmittelgericht als im Provisorialverfahren auszugehen.

3.3.3. Was den vom Verfassungsgerichtshof erwähnten Entfall der mündlichen Verhandlung im Rechtsmittelverfahren des Provisorialverfahrens betrifft (§526 Abs 1 ZPO) ist darauf hinzuweisen, dass auch im Rechtsmittelverfahren des Hauptverfahrens eine mündliche Berufungsverhandlung nur dann stattfindet, wenn dies der Berufungssenat im Einzelfall, so etwa wegen der Komplexität der zu entscheidenden Rechtssache, für erforderlich hält oder dies infolge von Bedenken gegen die Würdigung unmittelbar aufgenommener Beweise von Gesetzes wegen notwendig ist(§§481, 488 Abs 4 ZPO). ln den weit überwiegenden Fällen erfolgt die Entscheidung über die Berufung in nicht öffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung (§480 Abs 1 ZPO), eine Wiederholung der in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweise in der Berufungsverhandlung stellt einen seltenen Ausnahmefall dar. [...]

3.3.4. Zusammenfassend ergibt sich, dass bei einer Durchschnittsbetrachtung der Rechtsmittelverfahren der Verfahrensaufwand im Provisorialverfahren im Wesentlichen jenem im Hauptverfahren entspricht. Die Bundesregierung geht daher davon aus, dass schon unter dem Gesichtspunkt des bei Gericht entstandenen Aufwandes, der durch die Gerichtsgebühren abgegolten werden soll, eine Gebühr für das Provisorialverfahren in gleicher Höhe wie für das Hauptverfahren sachlich gerechtfertigt ist.

3.4. Aber auch unter dem Gesichtspunkt des Nutzens der Parteien ist die gleiche Höhe der Gebühr für das Provisorialverfahren wie für das Hauptverfahren sachlich gerechtfertigt:

3.4.1. Im Hinblick auf die unterschiedlichen 'Streitgegenstände' und Zwecke des Provisorialverfahrens einerseits und des Hauptverfahrens andererseits lässt sich für die Partei nämlich ein eigenständiger, zusätzlicher Nutzen aus dem Provisorialverfahren ziehen. Während der Nutzen des Hauptverfahrens in der endgültigen Entscheidung über den Anspruch besteht, liegt der Nutzen des Provisorialverfahrens in der raschen - wenn auch vorläufigen - Sicherung oder Regelung des Anspruchs. Dies kann soweit gehen, dass - etwa in Verfahren über vorläufigen Unterhalt - der Anspruch in voller Höhe bis zum Abschluss des Hauptverfahrens (vorläufig) zugesprochen wird. ln der Praxis zeigt sich, dass sich Rechtssuchende, insbesondere wenn der Sachverhalt unstreitig ist und die Befassung des Obersten Gerichtshofes im Verfahren zur Erlassung der einstweiligen Verfügung möglich war, mitunter mit der provisorischen Entscheidung durch die Entscheidung über die einstweilige Verfügung zufrieden geben und vom ordentlichen Verfahren gänzlich Abstand nehmen (vgl. König, aaO, Rz 1/12). ln diesen Fällen besteht ein [...] zusätzlicher Nutzen des Provisorialverfahrens (neben der Sicherung des Anspruchs) in der Ersparnis des Hauptverfahrens.

[...]

3.4.3. Die Bundesregierung geht daher davon aus, dass auch unter dem Gesichtspunkt des Nutzens für die Partei im Rechtsmittelverfahren die gleiche Höhe der Gerichtsgebühr für das Provisorialverfahren wie für das Hauptverfahren sachgerecht ist."

1.5.4. Zu der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss vorläufig angenommenen Unsachlichkeit des Umstandes, dass im Provisorialverfahren in erster Instanz lediglich die halbe (oder gar keine) Gebühr anfällt, während im Rechtsmittelverfahren die volle Gebühr zu entrichten ist, führt die Bundesregierung aus:

"das Rechtsmittelverfahren im Provisorialverfahren [entspricht] hinsichtlich von Tatsachen- und Rechtskognition im Wesentlichen jenem des Hauptverfahrens. [...]. Es handelt sich also im Provisorialverfahren - untechnisch gesprochen - um ein 'volles' Rechtsmittelverfahren. Daher ist es sachgerecht, wenn in diesem Verfahren - wie im Hauptverfahren - die ganze Pauschalgebühr zu entrichten ist, während im erstinstanzlichen Provisorialverfahren aufgrund der dargelegten Besonderheiten bei der Sachverhaltsfeststellung lediglich die halbe (oder gar keine) Gebühr anfällt [...].

Die Bundesregierung geht überdies davon aus, dass

nicht jede Beschränkung des Prozessgegenstandes eines Rechtsmittelverfahrens, wie sie im Provisorialverfahren durch die bloß beschränkte Bekämpfbarkeit der Feststellungen oder der Beweiswürdigung gegeben ist [...], von Verfassung wegen eine Reduzierung einer - dem Grunde nach sachlichen - Gebührenpflicht verlangt. So ist etwa im Hauptverfahren in den erwähnten Bagatellfällen eine Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils nur wegen Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung möglich (§501 Abs 1 ZPO); dennoch ist - in verfassungsrechtlich zulässiger Weise - für solche Rechtssachen dieselbe (ganze) Pauschalgebühr zu entrichten wie für alle anderen Rechtssachen mit höheren Streitwerten."

1.5.5. Die lediglich für Wettbewerbs- und Immaterialgüterrechtssachen bestehende Möglichkeit, die Hälfte der im Sicherungsverfahren bezahlten Pauschalgebühr auf die im Hauptverfahren anfallende Gerichtsgebühr anzurechnen, erachtet die Bundesregierung mit folgender Begründung als gerechtfertigt:

"3.6.1. Die Bundesregierung weist zunächst darauf

hin, dass es durch die im zweiten Satz der Anmerkungen 1a zu TP2 und 3 vorgesehene Anrechnung nicht zu einer Reduzierung der Gebühren des Provisorialverfahrens, sondern jener eines allfälligen Hauptverfahrens kommt. Diese Einrechnung bewirkt, dass in Wettbewerbs- und Immaterialgüterrechtssachen im Hauptverfahren lediglich die halbe Pauschalgebühr zu entrichten ist. Im Provisorialverfahren ist in diesen Rechtssachen die Pauschalgebühr hingegen in allen Fällen dieselbe.

3.6.2. ln Wettbewerbs- und Immaterialgüterrechtssachen besteht der Entscheidungsgegenstand eines vorangehenden Verfahrens zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung geradezu typischer Weise in Rechtsfragen, die allein auch den Gegenstand des Hauptverfahrens im Zivilprozess bilden. Daher wird in diesen Rechtssachen in aller Regel das Hauptverfahren nach der (rechtskräftigen) Entscheidung im Provisorialverfahren nicht weitergeführt. Wird jedoch ausnahmsweise das Hauptverfahren weitergeführt, ist ein großer Teil des Aufwands des Gerichtes bereits erbracht. Um dieser Arbeitsersparnis Rechnung zu tragen, ist im Hauptverfahren auf Verlangen des Rechtsmittelwerbers die Hälfte der im Verfahren zur Erlassung der einstweiligen Verfügung entrichteten Rechtsmittelgebühr einzurechnen.

3.6.3. Auch in anderen Rechtsbereichen mag es Fälle gegeben, in denen der Streitgegenstand des Hauptverfahrens mit dem des Provisorialverfahrens weitgehend übereinstimmt. Geradezu typisch ist das jedoch nur in Wettbewerbs- und lmmaterialgüterrechtssachen, wovon auch die [...] Materialien zum Budgetbegleitgesetz 2009 ausgehen. Auch der Verfassungsgerichtshof nennt keine anderen Rechtsbereiche, in denen mit gleicher Häufigkeit von einer solchen Übereinstimmung ausgegangen werden könnte. Nach Ansicht der Bundesregierung kann dem Gesetzgeber daher nicht entgegen getreten werden, wenn er - im Rahmen einer Durchschnittsbetrachtung - lediglich in Wettbewerbs- und Immaterialgüterrechtssachen eine Einrechnung der halben Pauschalgebühr des Provisorialverfahrens im Hauptverfahren vorsieht."

1.6. Die Beschwerdeführerin des Anlassverfahrens erstattete eine Äußerung, in der sie dartut, dass und warum sie die im Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofs geäußerten Bedenken teilt. Darüber hinaus führt die Beschwerdeführerin als weitere Umstände, die ihrer Ansicht nach für die Unsachlichkeit der vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogenen Bestimmungen sprechen, die - nach Auffassung der Beschwerdeführerin - zu hohe Gesamtbelastung der Rechtschutzsuchenden durch Gerichtsgebühren und einen - nach dem Vorbringen der Äußerung bestehenden - systematischen Widerspruch zwischen den Regelungen der Gerichtsgebühren und jenen des Kostenersatzes an.

1.6.1. Die ihrer Ansicht nach zu hohe Belastung der Rechtschutzsuchenden durch Gerichtsgebühren illustriert die Beschwerdeführerin des Anlassverfahrens in ihrer Äußerung wie folgt:

"die Gerichtsgebühren betragen (im Bereich über EUR 350.000) in erster Instanz 1,2% des Streitwertes plus EUR 2.525, in zweiter Instanz 1,8% plus EUR 3.620 und in dritter Instanz 2,4% plus EUR 4.827; somit für ein Verfahren bis zur dritten Instanz 5,4% des Streitwertes (plus EUR 10.972). Bei einem selbständigen Verfahren über eine einstweilige Verfügung betragen die Gerichtsgebühren (nach der Einführung der zusätzlichen Belastung durch das BBG 2009) zusätzlich in erster Instanz 0,6% des Streitwertes plus EUR 1.262,50, in zweiter Instanz 1,8% plus EUR 3.620 und in dritter Instanz 2,4% plus EUR 4.827; somit für ein Verfahren bis zur dritten Instanz 4,8% des Streitwertes (plus EUR 9.709,50). Aufgrund der durch das BBG 2009 eingeführten Regelungen müssen daher Rechtsschutzsuchende in Zivilprozessen, in denen auch einstweiliger Rechtsschutz beantragt wird, mit einer Gesamtbelastung von (bis zu) 10,2% des Streitwertes plus EUR 20.681,50 rechnen.

Bei einem Beispielsstreitwert von EUR 1 Mio betragen die Gerichtsgebühren EUR 122.681,50, also über 12 % des Streitwertes. Eine derartige Belastung ist jedenfalls unsachlich. Die Frage der Höhe von Gerichtsgebühren wird vom EGMR unter anderem nach dem Gesichtspunkt geprüft, ob die tatsächlich auferlegten Gerichtsgebühren Betroffene von einer Klageerhebung abhalten (Urbanek gg Österreich, Urteil vom , 35.123/05 ua). Dies liegt bei den hier betroffenen Provisorialverfahren vor. Die Gebühren sind bereits für sich selbst unverhältnismäßig, vor allem im Rechtsmittelverfahren, weil aufgrund der fehlenden Deckelung der Gebühr bei hohen Streitwerten Gebühren von vielen Millionen Euro anfallen können, während die tatsächlichen Kosten eines Rechtsmittelverfahrens selbst unter Einbeziehung aller nur denkbaren indirekten Kosten denkmöglich nur einen kleinen Bruchteil dieser Gebühren ausmachen können."

1.6.2. Einen - auch zur Unsachlichkeit des Regelungssystems betreffend die Gerichtsgebühren im Provisorialverfahren führenden - systematischen Widerspruch zwischen Gebühren- und Kostentragungsregelung nimmt die Beschwerdeführerin des Anlassverfahrens mit folgender Begründung an:

"Die Verlagerung von Gebühren durch Einführung von Gebührenpflicht im Rechtsmittelverfahren von Provisorialverfahren und (teilweise) Anrechnung ist auch für sich problematisch. Wie der Österreichische Rechtsanwaltskammertag in seiner Stellungnahme (5/SN-28/ME) zum Ministerialentwurf hingewiesen hat, wird gemäß § 393 EO eine einstweilige Verfügung stets auf Kosten des Antragstellers getroffen. Der erfolgreiche Antragsteller erhält die Kosten der einstweiligen Verfügung nicht sofort zugesprochen, vielmehr erfolgt der Zuspruch auch dieser Kosten erst im Rahmen der Kostenentscheidung in einem Hauptverfahren. Auch deshalb ist der Antragsteller unter Umständen gezwungen, sowohl das Provisorialverfahren als auch das Hauptverfahren durch drei Instanzen zu verfolgen.

Ist hingegen der Antragsgegner erfolgreich, gelingt ihm also die Abwehr der einstweiligen Verfügung, werden ihm die geltend gemachten Kosten unmittelbar zugesprochen. Der Antragsteller ist also mit den Kosten einer erfolglosen einstweiligen Verfügung endgültig belastet, und zwar auch dann, wenn er im Hauptprozess obsiegt. Begründet wird dies mit dem Charakter einer einstweiligen Verfügung als Zwischenstreit. Die Vorverlagerung der halben Pauschalgebühr nach TP2 bzw TP3 in diesen Zwischenstreit führt zu kostenrechtlichen Problemen, insbesondere für welche Höhe der Pauschalgebühr der Gegner im Hauptverfahren kostenersatzpflichtig wird (es fällt ja volle Pauschalgebühr an, die nur in bestimmten Fällen teilweise angerechnet wird).

Bringen sowohl Kläger als auch Beklagter bzw. bei Personenmehrheit auf Klags- oder Beklagtenseite mehrere Parteien unabhängig voneinander Rechtsmittel ein, so stellt sich die Frage, auf welche Pauschalgebühr eine bereits im Verfahren über eine einstweilige Verfügung entrichtete Pauschalgebühr anzurechnen ist. Es kann durchaus sein, dass der Entrichter der halben Pauschalgebühr im Verfahren über eine einstweilige Verfügung nicht ident ist mit dem (späteren) Rechtsmittelwerber im Hauptverfahren (auch weil die Rechtfertigungsklage zwar den Anspruch nach dem Sinn, nicht aber wörtlich erfassen muss und nach dem Wortlaut mehrerer Entscheidungen des OGH eine Nebenintervention im Provisorialverfahren nicht zulässig ist (5 Ob 75/59; 3 Ob 251/04i ua, dies trotz Bedenken in der Literatur), somit verschiedene Prozessparteien erfasst sein können. Auch dies illustriert, dass die Gleichsetzung des Rechtsmittelverfahrens eines Provisorialverfahrens mit einem solchen im Erkenntnisverfahren unsachlich ist."

2. Aus Anlass einer durch ihn als Revisionsgericht zu treffenden Kostenentscheidung in einem Provisorialverfahren stellte der Oberste Gerichtshof den auf Art 89 Abs 2 iVm Art 140 Abs 1 B-VG gestützten Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge "Anmerkung 1a zu Tarifpost 2 sowie Anmerkung 1a zu Tarifpost 3 GGG idF BGBl I Nr. 29/2010 als verfassungswidrig" aufheben.

2.1. In diesem zu G30/12 protokollierten Antrag gibt der Oberste Gerichtshof zunächst die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss geäußerten vorläufigen Bedenken ob der Verfassungskonformität der genannten Bestimmungen wieder und schließt sich diesen Bedenken vollinhaltlich an.

2.2. Darüber hinausgehend hegt der Oberste

Gerichtshof auch folgendes Bedenken ob der Sachlichkeit der vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogenen Bestimmungen:

"Wird eine beantragte einstweilige Verfügung im selbständigen Sicherungsverfahren, wie im vorliegenden Verfahren, ohne Anhörung des Antraggegners erlassen, hat er vor dieser Entscheidung in erster Instanz keine Möglichkeit der Rechtsverteidigung. Zwar steht in diesem Fall nach § 397 EO der befristete Rechtsbehelf des Widerspruchs zur Verfügung, über den in erster Instanz mündlich zu verhandeln und zu entscheiden ist, durch dessen Erhebung aber die Vollziehung der getroffenen Verfügung nicht gehemmt wird. Die Erhebung eines Rekurses ist daher (parallel zum Widerspruch) das erste überhaupt mögliche Verteidigungsmittel des im Sicherungsverfahren nicht angehörten Antragsgegners.

Der Umstand, dass der Antragsteller in erster Instanz für seinen Sicherungsantrag nur eine auf die Hälfte ermäßigte Pauschalgebühr zu entrichten hat, hingegen der Antragsgegner, der erstmals im Rekursverfahren rechtliches Gehör findet, dafür jedenfalls die volle Gebühr der überdies um die Hälfte (TP2) bzw ein Drittel (TP3) höher angesetzten Tarifpost zu entrichten hat, bewirkt nach Auffassung des erkennenden Senats eine eklatante Ungleichbehandlung der Verfahrensparteien, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht zu erkennen ist."

2.3. Die gefährdete Partei des Verfahrens, anlässlich dessen der Oberste Gerichtshof den vorliegenden Antrag gestellt hatte, erstattete am eine Äußerung, in der sie sich den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes vollinhaltlich anschloss.

2.4. Die Bundesregierung erstattete am eine Äußerung, die im Wesentlichen mit jener ident ist, die sie bereits zum Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofs erstattet hatte. Ergänzend führt die Bundesregierung im Hinblick auf das vom Obersten Gerichtshof geäußerte Bedenken, die Verfahrensparteien würden im Provisorialverfahren ungleich behandelt, was ein weiterer Aspekt der Unsachlichkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmungen sei, Folgendes aus:

"3.7.1. Diesem Bedenken ist zunächst entgegen zu

halten, dass nach dem Grundkonzept des Gerichtsgebührenrechts in zivilgerichtlichen Verfahren und Exekutionsverfahren die Gerichtsgebühren zunächst vom Antragsteller, also der die jeweilige Instanz anrufenden Partei zu entrichten sind (§2 Z 1 lita bis d iVm. § 7 Abs 1 Z 1 GGG). Zahlungspflichtig ist in erster Instanz somit der Kläger oder Antragsteller, in zweiter und dritter Instanz der Rechtsmittelwerber, wobei es vom Ausgang des Verfahrens erster Instanz abhängt, welche Partei sich durch die Entscheidung beschwert sieht und daher ein Rechtsmittel zur Durchsetzung ihres Standpunkts erheben muss; dies kann auch bei beiden Parteien der Fall sein. Nach Auffassung der Bundesregierung ist es nicht unsachlich, die Zahlungspflicht nach dem Veranlassungsprinzip zu regeln.

Von der Zahlungspflicht zu unterscheiden ist die Frage, wer die Gebührenlast endgültig zu tragen hat. Das hängt vom Ausgang des Verfahrens ab. Die im Verfahren in letzter Instanz unterlegene Partei hat nach den maßgeblichen Verfahrensbestimmungen (in aller Regel) die Kosten der obsiegenden Partei zu ersetzen. Auch im Anlassverfahren des Obersten Gerichtshofs werden die angefallenen Gerichtsgebühren der obsiegenden Partei zu ersetzen sein. Zwar wird nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes eine sachlich nicht gerechtfertigte Gebühr nicht dadurch verfassungskonform, dass sie im Falle des Obsiegens von der gegnerischen Partei zu tragen ist (VfSlg. 17.783/2006; G85,86/11, Rz 53). Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, dass die vom Obersten Gerichtshof behauptete unsachliche Ungleichbehandlung nicht besteht:

3.7.2. Der Antragsgegner kann für den Fall, dass er vor Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht gehört wurde, Widerspruch gemäß § 397 EO erheben. Auf Grund eines solchen Widerspruches ist über die Statthaftigkeit und Angemessenheit der einstweiligen Verfügung mündlich zu verhandeln und durch Beschluss zu entscheiden (§398 Abs 1 EO). Für die Erhebung des Widerspruchs fallen keine Gebühren an. Dem Antragsteller kann gemäß § 390 EO zur Sicherung gegen die dem Antragsgegner aus der einstweiligen Verfügung drohenden Nachteile der Erlag einer Sicherheitsleistung aufgetragen werden, was zu einer zusätzlichen Absicherung des Antragsgegners führt (insbesondere dann, wenn ihm zuvor kein rechtliches Gehör gewährt wird). ln diesen Fällen darf mit dem Vollzug der einstweiligen Verfügung nicht vor Nachweis des gerichtlichen Erlages der zu leistenden Sicherheit begonnen werden.

Während der Erlag der Sicherheitsleistung den Antragsgegner vor finanziellen Nachteilen schützt, verschafft ihm der Widerspruch das rechtliche Gehör und tritt insoweit funktionell an die Stelle einer vor Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht eingeholten Äußerung. Mit der Entscheidung über seinen Widerspruch wird er so gestellt, wie er gestellt wäre, wenn die einstweilige Verfügung nach Einholung seiner Äußerung erlassen worden wäre.

Widerspruchsgrund kann sein, dass der behauptete Anspruch nicht bescheinigt ist oder der bescheinigte Anspruch nicht besteht. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung können auch Rekursgründe mit Widerspruch geltend gemacht werden. Dem Antragsgegner steht auch die Möglichkeit offen, die einstweilige Verfügung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit Widerspruch anzufechten (vgl. Kodek in Angst2, § 398 Rz 4). Zwar wird die Vollziehung der einstweiligen Verfügung durch die Erhebung eines Widerspruches nicht gehemmt (§397 Abs 3 EO). Jedoch kommt auch dem Rekurs gegen eine einstweilige Verfügung gemäß § 524 Abs 1 ZPO keine die Vollstreckbarkeit hemmende Wirkung zu. Diese kann zwar bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 524 Abs 2 ZPO vom Gericht verfügt werden (vgl. Kodek in Angst2, § 402 Rz 6), was jedoch in der Praxis die Ausnahme darstellt. Desgleichen kann aber das Gericht im Verfahren über den Widerspruch dem Antragsteller eine Sicherheitsleistung zum Ausgleich drohender Nachteile des Antragsgegners auferlegen(§398 Abs 2 EO).

Die Bundesregierung teilt daher die Ansicht des Obersten Gerichtshofes, dass die Erhebung eines Rekurses 'das erste überhaupt mögliche Verteidigungsmittel des im Sicherungsverfahren nicht angehörten Antragsgegners' und dieser 'erstmals im Rekursverfahren rechtliches Gehör findet', nicht. Vielmehr steht dem Antragsgegner mit dem Widerspruch ein - jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des rechtlichen Gehörs - dem Rekurs funktionell gleichwertiges Verteidigungsmittel im Verfahren erster Instanz zu, ohne dass er dafür Gerichtsgebühren zu entrichten hat.

Im Übrigen sind auch im ordentlichen Verfahren erster Instanz Konstellationen denkbar, in denen der Beklagte zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs ein Rechtsmittel ergreifen und damit die Gerichtsgebühren für das Rechtsmittelverfahren entrichten muss. Als Beispiel kann das Versäumungsurteil genannt werden, gegen das der Beklagte, falls ihm beispielsweise die Klage nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde, unter anderem eine Nichtigkeitsberufung erheben kann bzw. muss, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Auch in diesem Fall muss der Beklagte als Rechtsmittelwerber zunächst die Gebühren nach TP2 GGG entrichten und erhält diese erst im Fall des Obsiegens vom Kläger ersetzt. Der Antragsgegner ist daher hinsichtlich der Entrichtung von Gerichtsgebühren grundsätzlich nicht schlechter gestellt als der Beklagte im ordentlichen Verfahren.

3.7.3. Die Bundesregierung versteht die Ausführungen des Obersten Gerichtshofes im Übrigen so, dass dieser nicht die im Vergleich zur TP1 höheren Gebühren der TP2 und 3 für das Provisorialverfahren in Zweifel zieht, zumal die Gebührenansätze auch gar nicht angefochten sind."

3. Mit dem zu G42/12 protokollierten, auf Art 140 Abs 1 B-VG gestützten Antrag begehrt der Verwaltungsgerichtshof, der Verfassungsgerichtshof möge die bereits vom Verfassungsgerichtshof amtswegig in Prüfung gezogene Anmerkung 1a zu Tarifpost 2 als verfassungswidrig aufheben.

3.1. Der Beschwerde, anlässlich deren Behandlung der Verwaltungsgerichtshof diesen Antrag stellte, liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Gegen die vor dem Verwaltungsgerichtshof beschwerdeführende Gesellschaft war auf - im selben Schriftsatz mit einer gegen die Beschwerdeführerin gerichteten Klage eingebrachten - Antrag zweier Privatstiftungen eine einstweilige Verfügung erlassen worden, mit der ihr untersagt wurde, ihren Geschäftsanteil an einer Gesellschaft unentgeltlich zu veräußern oder zu belasten oder auf andere Weise zu verringern. Für die Erhebung des gegen diese einstweilige Verfügung gerichteten Rekurses wurden der Beschwerdeführerin Gerichtsgebühren gemäß TP2 GGG vorgeschrieben. Gegen den den Berichtigungsauftrag abweisenden Bescheid des Präsidenten des Landesgerichts Wiener Neustadt ist die an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde gerichtet, anlässlich deren Behandlung der Verwaltungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung der Anmerkung 1a TP2 GGG stellte.

3.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Antrag ausführt, teilt er die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes ob der Gleichheitskonformität der Anmerkung 1a zu TP2 GGG. Zur Begründung verweist der Verwaltungsgerichtshof auf den Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofs und betont zwei Aspekte:

"Einerseits hegt auch der Verwaltungsgerichtshof

Bedenken dagegen, dass die Vorschreibung der vollen Höhe der Pauschalgebühr nach TP2 GGG im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens über eine einstweilige Verfügung sachlich wäre, weil es damit zu einer Verdoppelung der für die Rechtsdurchsetzung ein und desselben Anspruches zu entrichtenden Gerichtsgebühr kommen kann.

Andererseits richten sich die Bedenken dahin, dass die bloß für Wettbewerbs- und Immaterialgüterrechtssachen geschaffene Anrechnungsmöglichkeit der halben Pauschalgebühr des Sicherungsverfahrens in zweiter Instanz, für den Fall, dass ein Berufungsverfahren in der Hauptsache geführt wird, - auch wenn dieser im zugrunde liegenden Beschwerdeverfahren (noch) nicht konkret anzuwenden ist - insoweit unsachlich ist, als auch in andern Rechtsbereichen der Streitgegenstand des Hauptverfahrens mit dem des Provisorialverfahrens weitgehend übereinstimmen kann."

3.3. Die Bundesregierung verwies am auf ihre zu G30/12 vorgelegte Äußerung.

3.4. In ihrer Äußerung vom schloss

sich die Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof den Bedenken des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofes an.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gerichtsgebührengesetzes, BGBl. 501/1984 idF BGBl. I 29/2010 lauten wie folgt (die in Prüfung gezogenen bzw. angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

1.1. Anmerkungen zu Tarifpost 1:

"1. Der Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 unterliegen alle mittels Klage einzuleitenden gerichtlichen Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, Verfahren über Nichtigkeitsbeschwerden gegen Erkenntnisse der Börsenschiedsgerichte, Bestandverfahren, Verfahren über Anträge auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls und Verfahren über Beweissicherungsanträge. Die Pauschalgebühr ist ohne Rücksicht darauf zu entrichten, ob das Verfahren bis zum Ende durchgeführt wird.

2. Die Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 ist auch für prätorische Vergleiche (§433 ZPO) sowie für Verfahren zur Erlassung einstweiliger Verfügungen außerhalb eines Zivilprozesses zu entrichten; in diesen Fällen ermäßigt sich die Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 auf die Hälfte."

1.2. Anmerkungen zu Tarifpost 2:

"1. Der Pauschalgebühr nach Tarifpost 2 unterliegen folgende Rechtsmittelverfahren: Berufungsverfahren, Verfahren über Rekurse gegen Endbeschlüsse in Besitzstörungsverfahren (§459 ZPO), über Rekurse in Beweissicherungsverfahren und über Rekurse gegen Beschlüsse, mit denen über Nichtigkeitsbeschwerden gegen Erkenntnisse der Börsenschiedsgerichte (Artikel XXIII EGZPO) entschieden wird.

1a. Die Pauschalgebühr nach Tarifpost 2 ist auch für Verfahren zweiter Instanz über die Erlassung einstweiliger Verfügungen anzuwenden. Kommt es in Wettbewerbs- und Immaterialgüterrechtssachen (§24 UWG,§ 56 Abs 3 Markenschutzgesetz,§ 87c Urheberrechtsgesetz,§ 151b Patentgesetz,§ 41 GMG,§ 34 Musterschutzgesetz, § 9 ZuKG), auf die sich das Verfahren über die einstweilige Verfügung bezieht, zu einem Berufungsverfahren, so ist die vom Rechtsmittelwerber entrichtete Gebühr für das Verfahren zweiter Instanz über die Erlassung der einstweiligen Verfügung auf sein Verlangen zur Hälfte in die von ihm zu entrichtende Pauschalgebühr für das Berufungsverfahren einzurechnen."

1.3. Anmerkungen zu Tarifpost 3:

"1. Der Pauschalgebühr nach Tarifpost 3 unterliegen Revisionsverfahren und Verfahren über Rekurse nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO.

1a. Die Pauschalgebühr nach Tarifpost 3 ist auch für Verfahren dritter Instanz über die Erlassung einstweiliger Verfügungen anzuwenden. Kommt es in Wettbewerbs- und Immaterialgüterrechtssachen (§24 UWG,§ 56 Abs 3 Markenschutzgesetz,§ 87c Urheberrechtsgesetz,§ 151b Patentgesetz,§ 41 GMG,§ 34 Musterschutzgesetz, § 9 ZuKG), auf die sich das Verfahren über die einstweilige Verfügung bezieht, zu einem Revisionsverfahren oder zu einem Verfahren über einen Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO, so ist die vom Rechtsmittelwerber entrichtete Gebühr für das Verfahren dritter Instanz über die Erlassung der einstweiligen Verfügung auf sein Verlangen zur Hälfte in die Pauschalgebühr für das Revisionsverfahren oder für das Verfahren über einen Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO einzurechnen."

2. Vor Inkrafttreten der Änderungen des BBG 2009

lauteten die einschlägigen Bestimmungen des GGG, BGBl. 501/1984 idF BGBl. I 30/2009, wie folgt:

2.1. Anmerkungen zu Tarifpost 1:

"1. Der Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 unterliegen alle mittels Klage einzuleitenden gerichtlichen Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, Verfahren über Nichtigkeitsbeschwerden gegen Erkenntnisse der Börsenschiedsgerichte, Bestandverfahren, Verfahren über Anträge auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls und Verfahren über Beweissicherungsanträge. Die Pauschalgebühr ist ohne Rücksicht darauf zu entrichten, ob das Verfahren bis zum Ende durchgeführt wird.

2. Die Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 ist auch für prätorische Vergleiche (§433 ZPO) sowie für Verfahren zur Erlassung einstweiliger Verfügungen außerhalb eines Zivilprozesses zu entrichten; in diesen Fällen ermäßigt sich die Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 auf die Hälfte."

2.2. Anmerkungen zu Tarifpost 2:

"1. Der Pauschalgebühr nach Tarifpost 2 unterliegen folgende Rechtsmittelverfahren: Berufungsverfahren, Verfahren über Rekurse gegen Endbeschlüsse in Besitzstörungsverfahren (§459 ZPO) und gegen Beschlüsse, mit denen über Nichtigkeitsbeschwerden gegen Erkenntnisse der Börsenschiedsgerichte (Artikel XXIII EGZPO) entschieden wird."

2.3. Anmerkungen zu Tarifpost 3:

"1. Der Pauschalgebühr nach Tarifpost 3 unterliegen Revisionsverfahren und Verfahren über Rekurse nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat die unter Punkt I

genannten Verfahren in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und erwogen:

1. Prozessvoraussetzungen

1.1. In dem von Amts wegen eingeleiteten, zu G14/12 protokollierten Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, was gegen die vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss angenommene Präjudizialität der Anmerkung 1a zu Tarifpost 2 sowie der Anmerkung 1a zu Tarifpost 3 GGG sprechen würde. Auch die Bundesregierung ist dieser Ansicht nicht entgegengetreten. Da auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist das von Amts wegen eingeleitete, zu G14/12 protokollierte amtswegige Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

1.2. Auch die Anträge des Obersten Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes sind zulässig:

Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt,

durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art 140 B-VG bzw. des Art 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.3. Da es nicht denkunmöglich ist, dass der Oberste Gerichtshof im Zuge seiner im Anlassverfahren zu treffenden Kostenentscheidung die von ihm angefochtenen Bestimmungen anzuwenden hat, ist von deren Präjudizialität auszugehen. Auch die Bundesregierung hat die Zulässigkeit des zu G30/12 protokollierten Antrages des Obersten Gerichtshofes nicht in Zweifel gezogen.

1.4. Auch im Hinblick auf den zu G42/12

protokollierten Antrag des Verwaltungsgerichtshofes bestehen keine Zweifel an dessen Zulässigkeit, zumal es nicht denkunmöglich ist, dass dieser die Anmerkung 1a zu Tarifpost 2 GGG - deren Aufhebung er mit dem zu G42/12 protokollierten Antrag begehrt - bei der Entscheidung über die bei ihm anhängige Beschwerde anzuwenden hätte. Auch an der Zulässigkeit dieses Gesetzesprüfungsantrages hat die Bundesregierung keine Zweifel geäußert.

2. In der Sache

2.1. Die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken, wonach durch die Einführung der Anmerkung 1a zu Tarifpost 2 sowie der Anmerkung 1a zu Tarifpost 3 GGG das System der Gerichtsgebühren im Provisorialverfahren gleichheitswidrig ausgestaltet wurde, konnten nicht zerstreut werden.

2.2. Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s. etwa VfSlg. 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSlg. 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassung wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s. etwa VfSlg. 16.176/2001, 16.504/2002). Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (zB VfSlg. 14.301/1995, 15.980/2000 und 16.814/2003).

2.3. Der Verfassungsgerichtshof hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach dem Gesetzgeber bei der Festsetzung und Bemessung von Gerichtsgebühren ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zusteht und es dem Gesetzgeber freisteht, im Hinblick auf Kostenwahrheit und das Verursacherprinzip Gebühren für die Inanspruchnahme der Gerichte vorzusehen ( G85,86/11). Auch darf der Gesetzgeber bei der Regelung von Gerichtsgebühren von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und an leicht feststellbaren äußeren Merkmalen sachgerecht anknüpfen (VfSlg. 11.751/1988). Dem Gesetzgeber steht es auch frei, bei der Bemessung von Gerichtsgebühren Gesichtspunkte der Verwaltungsökonomie zu berücksichtigen ( G34,35/11, Rz 34).

Der Verfassungsgerichtshof bleibt auch bei seiner Rechtsprechung, wonach bei Gerichtsgebühren eine strenge Äquivalenz im Einzelfall in dem Sinn, dass die Gebühren dem bei Gericht verursachten Aufwand entsprechen müssten, nicht erforderlich ist (vgl. etwa VfSlg. 11.751/1988, 18.070/2007).

2.4. Dieser an sich relativ weite Gestaltungsspielraum, der dem Gesetzgeber bei der Frage zukommt, welchem der genannten Prinzipien er bei der Ausgestaltung des Gerichtsgebührensystems welches Gewicht beimisst, ändert nichts daran, dass das System in sich konsistent ausgestaltet sein muss. Dieser Vorgabe entspricht die in Prüfung gezogene bzw. angefochtene gesetzliche Regelung der Gerichtsgebühren im Provisorialverfahren schon aus folgenden Gründen nicht:

2.5. Gemäß Anmerkung 1a zu TP2 und Anmerkung 1a zu TP3 sind im Provisorialverfahren in erster Instanz entweder gar keine Gerichtsgebühren (bei Verbindung des Antrages auf einstweilige Verfügung mit einer Klage) oder nur Gerichtsgebühren im Ausmaß der Hälfte des für ein Hauptverfahren anfallenden Pauschalsatzes zu entrichten, wogegen keine Bedenken bestehen. Demgegenüber differenziert der Gesetzgeber bei der Regelung der Höhe der Gerichtsgebühren für Rechtsmittel nicht danach, ob diese im Provisorial- oder im Hauptverfahren ergriffen werden, sondern sieht vor, dass für Rechtsmittel im Provisorialverfahren (Rekurse) Gerichtsgebühren im Ausmaß des jeweils vollen, für ein Rechtsmittel im Hauptverfahren (Berufung) vorgesehenen Pauschalsatzes zu entrichten sind.

2.5.1. Das Provisorialverfahren unterscheidet sich in mehrfacher Weise vom Hauptverfahren. Während es im Hauptverfahren um die tatsächliche Durchsetzung eines strittigen Anspruches geht, dient das Provisorialverfahren nur der prozessualen Sicherung, Regelung oder einstweiligen Durchsetzung dieses Anspruches. Auch handelt es sich beim Provisorialverfahren nur um ein summarisches Eilverfahren, bei dem ein umfangreiches Beweisverfahren nicht durchzuführen und ein eingeschränkter Prozessgegenstand zu beurteilen ist. Ungeachtet dessen ist bei Fortführung bzw. Einleitung des Hauptverfahrens in vielen Fällen ein großer Teil des Aufwandes des Gerichtes bereits durch das Provisorialverfahren erbracht. Auf diese grundsätzlichen Unterschiede bzw. Zusammenhänge zwischen dem Provisorialverfahren und dem Hauptverfahren weist auch die Bundesregierung in ihrer Äußerung hin (vgl. die unter Pkt. 1.5.1. wiedergegebenen Ausführungen). Entgegen der Ansicht der Bundesregierung treffen diese Unterschiede bzw. Zusammenhänge nicht nur für das erstinstanzliche Verfahren, sondern im Wesentlichen auch auf das Provisorialverfahren in zweiter und dritter Instanz zu.

2.5.2. Hinsichtlich der Frage, auf welche Weise den Besonderheiten des Provisorialverfahrens bei der Festsetzung der Gerichtsgebühren Rechnung getragen wird - etwa durch Reduktion der Gebühren im Provisorialverfahren oder durch deren Anrechnung im Hauptverfahren -, kommt dem Gesetzgeber ein relativ weiter Gestaltungsspielraum zu. Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Differenzierung zwischen der Gebührenhöhe für Provisorialverfahren und Hauptverfahren in erster Instanz, so ist ein Abgehen von dieser Differenzierung innerhalb des Systems der Pauschalierung in zweiter und dritter Instanz nur dann zulässig, wenn es sachliche Gründe gibt. Da derartige Gründe im Verfahren nicht hervorgekommen sind, ist die Vorschreibung der vollen Rechtsmittelgebühren im Provisorialverfahren zweiter und dritter Instanz unsachlich.

2.6. Auch auf Grund der bloß für Wettbewerbs- und Immaterialgüterrechtssachen geschaffenen Anrechnungsmöglichkeit der halben Pauschalgebühr des Sicherungsverfahrens in zweiter und dritter Instanz für den Fall, dass ein Hauptverfahren geführt wird, erweist sich die in Prüfung gezogene bzw. angefochtene Regelung der Gerichtsgebühren für Rechtsmittel im Provisorialverfahren als gleichheitswidrig: Die Bundesregierung begründet die für das Wettbewerbs- und das Immaterialgüterrecht geschaffene Anrechnungsmöglichkeit damit, dass es Konstellationen geben kann, in welchen ein großer Teil des Aufwandes des Gerichtes bei Fortführung des Hauptverfahrens durch das Provisorialverfahren bereits erbracht sei. Wie schon das von der Bundesregierung angeführte Beispiel des Unterhaltsrechts zeigt, kann es auch in anderen Rechtsbereichen als im Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht Konstellationen geben, in denen der Streitgegenstand des Hauptverfahrens mit jenem des Provisorialverfahrens weitgehend übereinstimmt oder aus anderen Gründen ein großer Teil des Verfahrensaufwandes des Hauptverfahrens durch das Provisorialverfahren bereits erbracht wurde. Sachliche Gründe, die es rechtfertigen würden, nur im Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht eine Anrechnungsmöglichkeit vorzusehen, während in allen anderen Rechtsbereichen die für Rechtsmittel im Provisorialverfahren bezahlten Gerichtsgebühren keinesfalls auf die Gebühren des Hauptverfahrens angerechnet werden können, sind für den Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar.

2.9. Die in Prüfung gezogene bzw. angefochtene

Regelung erweist sich sohin schon deshalb als gleichheitswidrig, weil im Provisorialverfahren in erster Instanz, nicht jedoch im Rechtsmittelverfahren im Vergleich zum Hauptverfahren eine Reduzierung der Pauschalgebühr vorgesehen ist, und weil nur im Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht die Möglichkeit einer Anrechnung der Pauschalgebühr im Hauptverfahren besteht.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich somit als zutreffend erwiesen, weshalb die in Prüfung gezogenen bzw. angefochtenen Bestimmungen der Anmerkung 1a zu TP2 sowie Anmerkung 1a zu TP3 GGG als verfassungswidrig aufzuheben sind.

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstellen gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG.

3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche

Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur

unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VfGG iVm § 3 Z 3 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.