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VfGH vom 04.12.1995, G1358/95

VfGH vom 04.12.1995, G1358/95

Sammlungsnummer

14382

Leitsatz

Kein Verstoß der Regelung des Absehens vom Erfordernis des zehnjährigen Aufenthalts im Inland für die Verleihung der Staatsbürgerschaft aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gegen das Legalitätsprinzip; Ermittlung der Bedeutung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffs aus dem Regelungszusammenhang des ganzen Gesetzes möglich

Spruch

Den Anträgen wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Beim Verwaltungsgerichtshof sind zu den Zlen. 94/01/0758, 95/01/0020, 95/01/0015, 94/01/0800, 95/01/0049, 95/01/0032 und 95/01/0166 sieben Verfahren über Beschwerden anhängig, die sich gegen Bescheide von Landesregierungen wenden, mit denen die Anträge der jeweiligen Beschwerdeführer (von volljährigen Fremden, die noch nicht zehn, wohl aber mindestens vier Jahre in Österreich gelebt haben) auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft abgewiesen wurden; die Landesregierungen hatten ihre negativen Entscheidungen im wesentlichen damit begründet, daß keine "berücksichtigungswürdigen Gründe" iS des § 10 Abs 3 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 vorgelegen seien.

b) Der Verwaltungsgerichtshof stellt - mit näherer Begründung (s.u. II.A.1 und II.B.1) - aus Anlaß dieser Beschwerden mit Beschlüssen Zlen. A11/95, A31/95, A32/95, A33/95, A34/95, A67/95 und A133/95 gemäß Art 140 Abs 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof die Anträge,

"§10 Abs 3 des Bundesgesetzes über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 - StbG), Anlage 1 der Kundmachung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Inneres vom , mit der das Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 wiederverlautbart wird, BGBl. Nr. 311/1985, in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1993, BGBl. Nr. 521, zur Gänze,

in eventu die Worte 'oder wenn der Fremde seit mindestens vier Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik hat und ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt' in § 10 Abs 3 dieses Gesetzes als verfassungswidrig aufzuheben."

2. Die Bundesregierung erstattete Äußerungen, in denen sie - mit näherer Begründung (s.u. II.A.2 und II.B.2) - begehrt, § 10 Abs 3 StbG nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

3.a) Gemäß § 10 Abs 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 - StbG, BGBl. 311, idF vor dem Inkrafttreten des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. 505/1994 (s. hiezu die folgende litb) konnte einem Fremden die Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn "er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik hat" (Z1), sofern nicht bestimmte, in den folgenden Z 2 bis 8 aufgezählte Gründe vorliegen.

§ 10 Abs 3 dieses Gesetzes lautete:

"Von der Voraussetzung des Abs 1 Z 1 kann abgesehen werden, wenn es sich um einen Minderjährigen handelt oder wenn der Fremde seit mindestens vier Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik hat und ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt."

b) Am ist das Hauptwohnsitzgesetz, BGBl. 505/1994 in Kraft getreten (ArtVIII Z 5 leg.cit.).

Mit dessen ArtVII Z 2 und 3 wurde das StbG wie folgt geändert:

"2. Der Begriff 'ordentlicher Wohnsitz' wird, soweit im folgenden nicht anderes bestimmt ist, durch den Begriff 'Hauptwohnsitz' in der jeweils grammatikalisch richtigen Form ersetzt.

3. Für Zeiten vor Inkrafttreten des Hauptwohnsitzgesetzes gilt als Hauptwohnsitz der ordentliche Wohnsitz."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zur Zulässigkeit

1. Der Verwaltungsgerichtshof führt zur Frage der Zulässigkeit der Anträge, insbesondere zu jener des Prüfungsumfanges aus:

"Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung - wie bereits ausgeführt - auf § 10 Abs 3 StbG gestützt, wobei sich der Beschwerdeführer gegen die dabei vertretene, zur Abweisung seines Antrages führende Ansicht, es liege kein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft im Sinne dieser Gesetzesstelle vor, wendet. Diese Bestimmung ist daher insoweit bei Überprüfung des angefochtenen Bescheides auf seine Rechtmäßigkeit auch für den Verwaltungsgerichtshof präjudiziell.

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom , Slg. 6674, vom , Slg. 7376, und vom , G239/93) ist der Umfang der zu prüfenden und im Fall ihrer Rechtswidrigkeit aufzuhebenden gesetzlichen Bestimmung derart abzugrenzen, daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlaßfall ist, daß aber andererseits der verbleibende Text keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt. Diese Judikatur beruht auf dem Grundgedanken, daß ein Gesetzesprüfungsverfahren dazu führen soll, die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit - wenn sie tatsächlich vorliegt - zu beseitigen, daß aber an dem nach der Aufhebung verbleibenden Teil des Gesetzes möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist, daß also keine oder möglichst wenige Regelungen aufgehoben werden sollen, gegen die sich die vorgebrachten Bedenken nicht richten (vgl. das zitierte dg. Erkenntnis G239/93). Im Hinblick auf die durch eine Aufhebung von Teilen einer Bestimmung mögliche Veränderung einer Gesetzesstelle ist es aber auch zulässig, daß mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in einem untrennbaren Zusammenhang stehende Bestimmungen von der Aufhebung miterfaßt werden (vgl. u. a. die bereits zitierten dg. Erkenntnisse Slg. 6674 und Slg. 7376), auch wenn diese Teile nicht für den Anlaßfall präjudiziell sind.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bezieht sich der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens primär auf alle Teile des § 10 Abs 3 StbG. Diese Bestimmung kennt zwei Tatbestände, wobei nach dem Wortlaut jedenfalls kein Zweifel darüber bestehen kann, daß bei dem zweitgenannten Tatbestand, dessen Vorliegen im gegenständlichen Beschwerdefall zu prüfen ist, die Tatbestandsvoraussetzung 'wenn der Fremde seit mindestens vier Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik hat' nach dem (zufolge Aufhebung dieses Teiles bewirkten) Wegfall der weiteren, kumulativen Tatbestandsvoraussetzung 'und ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt', ohne wesentliche Veränderung der gesetzlichen Regelung für sich allein nicht bestehen bleiben kann, andernfalls das im § 10 Abs 1 Z. 1 StbG grundsätzlich statuierte Verleihungserfordernis eines ununterbrochenen ordentlichen Wohnsitzes im Gebiet der Republik Österreich seit mindestens zehn Jahren dazu in unlösbarem Widerspruch stünde. Was den erstgenannten Tatbestand anlangt, so vermag sich der Verwaltungsgerichtshof einer allfälligen Auslegung, es würde für dessen Erfüllung bloß genügen, 'wenn es sich um einen Minderjährigen handelt', - im Sinne der herrschenden Lehre (siehe Heinl, Das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht, Lfg. 4/1989, zu § 10 Abs 3 StbG, und Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft, Bd. II, S. 208 f., mit weiteren Hinweisen) - nicht anzuschließen, wobei dem Verwaltungsgerichtshof insbesondere das Argument, es könnte andernfalls jederzeit ein von Ausländern abstammendes Kind, das zu Österreich - ebenso wie seine Eltern, die aber diesbezüglich rechtlich anders zu behandeln wären - keinerlei Beziehungen hat, eingebürgert werden, überzeugend erscheint. Das bedeutet, daß nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes auch in diesem Falle der Umstand, daß ein 'besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt', als Tatbestandsvoraussetzung hinzukommen muß, weshalb auch ein untrennbarer Zusammenhang zwischen diesen beiden Voraussetzungen gegeben ist, woraus sich zwangsläufig ergibt, daß § 10 Abs 3 StbG von der Aufhebung zur Gänze betroffen sein muß. Nur für den Fall, daß die vom Verwaltungsgerichtshof dargelegte Rechtsansicht hinsichtlich der Auslegung des erstgenannten Tatbestandes, betreffend Minderjährige, bei denen (anders als beim zweitgenannten Tatbestand) nicht einmal ein ununterbrochener ordentlicher Wohnsitz im Gebiet der Republik seit mindestens vier Jahren erforderlich ist, vom Verfassungsgerichtshof nicht geteilt werden sollte, wird der aus dem Spruch ersichtliche Eventualantrag gestellt."

2. Die Bundesregierung äußerte sich zur Zulässigkeit nicht, insbesondere auch nicht zur Präjudizialitätsfrage.

3. Die Primäranträge sind zulässig:

a) Mit den beim Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheiden wurden Anträge volljähriger Fremder auf Verleihung der Staatsbürgerschaft, vornehmlich gestützt auf § 10 Abs 3 StbG, abgewiesen. Auch der Verwaltungsgerichtshof hätte - wie er annimmt - diese Bestimmung anzuwenden.

Der Verwaltungsgerichtshof schildert zutreffend die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Präjudizialität, vor allem zum Prüfungsumfang.

Ausgehend von dieser Vorjudikatur - von der abzurücken kein Anlaß besteht - ist seines untrennbaren Zusammenhanges wegen der ganze § 10 Abs 3 StbG präjudiziell.

Eine Prüfung und eine - für den Fall des Zutreffens der vom Verwaltungsgerichtshof vorgebrachten Bedenken gedachte - Aufhebung bloß der in den Eventualanträgen genannten Wendung (s.o. I.1.b) wäre angesichts der möglichen Auslegungsvarianten (zu klären, welche davon die richtige ist, muß dem Verwaltungsgerichtshof überlassen bleiben) unzulässig.

b) Der Verwaltungsgerichtshof beantragt in allen Fällen § 10 Abs 3 StbG idF der Novelle 1993 als verfassungswidrig aufzuheben, das ist jene Fassung, die bis zum Ablauf des galt. Diese Fassung war für alle bis zu diesem Zeitpunkt erlassenen angefochtenen Bescheide maßgebend, das sind alle Fälle mit Ausnahme der beim Verfassungsgerichtshof zu G1247/95 und G 1358/95 geführten Verfahren. Der Verwaltungsgerichtshof stellte zu diesen Zahlen seine Anträge aus Anlaß von Beschwerden, die sich gegen Bescheide von Landesregierungen vom und vom richten. Die Behörden hatten bei Erlassung dieser Bescheide § 10 Abs 3 StbG 1985 idF des ArtVII Z 2 und 3 des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. 505/1994 (s.o. I.3.b) anzuwenden, sodaß auch für den Verwaltungsgerichtshof bei Entscheidung über die beiden zuletzt genannten Beschwerden das StbG 1985 in der erwähnten Fassung maßgebend wäre. Der Umstand, daß der Verwaltungsgerichtshof auch in diesen beiden Fällen die Aufhebung des § 10 Abs 3 StbG 1985 idF der Novelle 1993 (und nicht idF des HauptwohnsitzG) beantragt hat, würde sich - falls seine Bedenken zutreffen sollten - angesichts der im HauptwohnsitzG gewählten Novellierungstechnik auf das Ergebnis nicht auswirken.

c) Da außer der Präjudizialität auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, sind alle Anträge zulässig.

B. In der Sache selbst

1. Der Verwaltungsgerichtshof begründet seine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs 3 StbG 1985 wie folgt:

"Gemäß dem in Art 18 Abs 1 B-VG verankerten Legalitätsprinzip muß das Verwaltungshandeln im Gesetz ausreichend bestimmt determiniert werden. Demnach haben Gesetze das verwaltungsbehördliche Verhalten in einem solchen Maße zu determinieren, daß die Übereinstimmung der individuellen Verwaltungsakte mit dem Gesetz vom Verwaltungsgerichtshof überprüft werden kann. Der Inhalt individuellen Verwaltungshandelns ist dann hinreichend bestimmt, wenn aus dem Gesetz selbst alle wesentlichen Merkmale des Verwaltungshandelns ersehen werden können (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , Slg. 11859, und die dort zitierte Vorjudikatur). § 10 Abs 3 StbG entspricht, in dem vorgesehen ist, daß von der Voraussetzung des Abs 1 Z. 1 abgesehen werden kann, wenn u.a. 'ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt', diesem aus Art 18 Abs 1 B-VG abgeleiteten Gebot der ausreichenden Bestimmtheit von Gesetzen nicht.

Es ergibt sich nämlich daraus nicht näher, welche inhaltlichen Kriterien einen 'besonders berücksichtigungswürdigen Grund' im Sinne dieser Gesetzesstelle darstellen, damit vom Vorliegen dieser zwingenden Verleihungsvoraussetzung, die in Verbindung mit der weiteren in dieser Bestimmung genannten Voraussetzung (der Minderjährigkeit oder des ununterbrochenen ordentlichen Wohnsitzes im Gebiet der Republik seit mindestens vier Jahren) gleichwertig an die Stelle jener des § 10 Abs 1 Z. 1 StbG (ununterbrochener ordentlicher Wohnsitz im Gebiet der Republik seit mindestens zehn Jahren) tritt, ausgegangen werden kann. Es handelt sich hiebei um keine Ermessensentscheidung, sondern kommt eine solche unter Berücksichtigung der im § 11 StbG angeführten Umstände vielmehr erst bei Vorliegen der Verleihungsvoraussetzungen des § 10 leg.cit. - und demnach, wenn jene des Abs 1 Z. 1 fehlt, bei Vorliegen auch derjenigen nach Abs 3, daß 'ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt' - in Betracht (vgl. u. a. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 87/01/0002, und vom , Zl. 93/01/1255). Die erforderliche Vorausbestimmung des Verwaltungshandelns ist aber hinsichtlich dieser Verleihungsvoraussetzung nicht gewährleistet, kann doch dem Gesetz überhaupt nicht entnommen werden, woran sich die Behörde diesbezüglich bei ihrer Entscheidung zu orientieren hat. Es kann daher auch der Rechtsunterworfene, der die Erlangung der Staatsbürgerschaft anstrebt und der zur Begründung seines Antrages entsprechende Behauptungen aufzustellen hat, aus denen auf das Vorliegen eines 'besonders berücksichtigungswürdigen Grundes für die Verleihung der Staatsbürgerschaft' geschlossen werden kann, sein Verhalten nicht danach einrichten (vgl. auch die von Thienel, a.a.O., S. 207 f., in dieser Richtung geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken). Der Umstand, daß in dem das Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 betreffenden Bericht des Verfassungsausschusses (875 Blg NR X. GP, S. 4) eine Reihe von teils sehr unterschiedlichen Gründen, die 'vor allem' als 'besonders berücksichtigungswürdig' angesehen werden könnten, aufgezählt ist, vermag daran nichts zu ändern, daß im Gesetz, dem allein normative Bedeutung zukommt, nicht zum Ausdruck kommt, was darunter zu verstehen ist.

Die dargelegte mangelhafte Determinierung führt aber auch zu gleichheitsrechtlichen Bedenken (Art7 B-VG, Art 2 StGG), weil eine solche Bestimmung eine gegenüber dem einzelnen Normadressaten völlig willkürliche Vollziehung ermöglicht (siehe in diesem Sinne u.a. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G87/91)."

2. Die Bundesregierung hält diesen Ausführungen in ihrer Äußerung vom folgendes entgegen:

"1. Der Gesetzgeber verwendet in zahlreichen Bestimmungen die Kriterien des Vorliegens berücksichtigungswürdiger (wobei teilweise in demselben Sinn der Ausdruck 'rücksichtswürdig' verwendet wird) Gründe (vgl. § 11 Abs 3 des Polizeibefugnis-Entschädigungsgesetzes, § 30 Abs 3 StAG, §§48 und 59 KartG, § 35 Abs 3 MRG, § 7 Abs 1 StPO, § 96a StVG, § 245 Abs 3 BAO, § 50 Abs 3 HGG 1992, §§87 Abs 4 und 79a Abs 1 VAG, §§72 Abs 2, 102 Abs 4, 115 Abs 2 und 147 Abs 2 PatG 1970,§ 21 Abs 2 HlSchG, §§11 Abs 6, 12, 75 Abs 3 und 175 Abs 3 BDG 1979,

§4 Abs 7, § 12 Abs 5 und § 22 Abs 3 des Gehaltsgesetzes 1956,

§60 Abs 2 HVG, § 55 Abs 2 KOVG, § 11b Abs 2 des Opferfürsorgegesetzes, §§13, 29 Abs 1, 39 Abs 5, 45 Abs 1, 50 Abs 2 und 51 Abs 3 PG, § 31 Abs 1 RGV, §§20 und 75 Abs 3 RDG,

§16 Abs 1 UPG, §§26 Abs 5, 29b Abs 3 und 75 Abs 2 Z 2 VBG, § 18 Abs 6 KHStG, § 63 Abs 5 des Tierärztegesetzes, § 128 Abs 2 KFG 1967 und § 50 Abs 3 des Schiffahrtsgesetzes 1990), besonders berücksichtigungswürdiger Gründe (vgl. z.B. außer § 10 Abs 3 auch § 28 Z 1 StbG, § 13 Abs 1 Z 2 ZDG, § 28 Z 2 und § 23a Abs 1 Z 2 WG, § 79 Abs 3 VAG,§ 25 Abs 3 VBG und § 28 Abs 4 UOG), eines berücksichtigungswürdigen Falles (vgl. § 4 Abs 2 AußStrG, § 20 Abs 3 des Mediengesetzes, § 186 Abs 5 StPO, § 98 Abs 2 letzter Satz StVG, §§4 und 54 WTBO, § 4 IESG, § 12 Abs 3 des Opferfürsorgegesetzes und § 28 Abs 3 WBFG; vgl. auch § 10 Abs 2 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes), berücksichtigungswürdiger Umstände (vgl. § 51 Abs 4 VStG, § 482 StPO sowie §§85 Abs 4 und 86 Abs 3 BörseG), besonders berücksichtigungswürdiger Umstände (vgl. § 70 BDG 1979, § 36 Abs 4 BBG, § 71 Abs 2 RDG, § 25 Abs 3 und § 27f VBG) oder Verhältnisse (vgl. § 9 Abs 2 des Schieß- und Sprengmittelgesetzes, § 50 Abs 2 HDG) oder berücksichtigungswürdiger Interessen (vgl. § 6 Abs 2 des Arbeitszeitgesetzes, § 22 Abs 2 des Tabaksteuergesetzes 1995, § 44 Abs 2 des Alkoholsteuer- und -monopolgesetzes 1995, § 21 Abs 2 des Biersteuergesetzes 1995, § 36 Abs 2 des Mineralölsteuergesetzes 1995 und § 18 Abs 2 des Schaumweinsteuergesetzes 1995), ohne (in den bisher zitierten gesetzlichen Bestimmungen) durch Nennung von Beispielen oder durch eine abstrakte Begriffsbestimmung konkrete Hinweise für die Auslegung zu geben.

2. In Anbetracht der großen Zahl und der teils erheblichen praktischen Bedeutung der Gesetzesbestimmungen, in denen (ohne nähere Konkretisierung) auf das Kriterium der Berücksichtigungswürdigkeit abgestellt wird, verwundert es nicht, daß der Verwaltungsgerichtshof derartige Bestimmungen in zahlreichen Beschwerdesachen anzuwenden hatte. Soweit ersichtlich, hatte er bisher in keinem Fall verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anwendung der jeweiligen Bestimmung.

Insbesondere hat sich der Verwaltungsgerichtshof in einer Anzahl von Erkenntnissen (z.B. VwSlg. 3250A/1953, 8436A/1973, 12409A/1987; , 83/01/0383, ZfVB 1984/1610; , 87/01/0002, ZfVB 1987/2159; , 86/01/0191, ZfVB 1989/519; , 93/01/1255; , 93/01/0397) mit der Frage des Vorliegens eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes im Sinne des § 10 Abs 3 StbG befaßt, ohne die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung in Zweifel zu ziehen.

In anderen Erkenntnissen (VwSlg. 13320A/1990; , 84/09/0202, ZfVB 1986/1093) konkretisierte er den Begriff der 'besonders berücksichtigungswürdigen Gründe' im Sinne des § 10 Abs 1 des Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetzes 1957.

Nach einem weiteren Erkenntnis (, 84/16/0193, ÖStZB 1985, 174) bietet das Abstellen auf 'berücksichtigungswürdige Umstände' in § 187 FinStrG die Möglichkeit, etwaige Fehler bei der Entscheidung zu beseitigen, Härten zu mildern und den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falles gerecht zu werden.

Der Begriff 'berücksichtigungswürdige Gründe' in § 12 Abs 5 des Gehaltsgesetzes sei (VwSlg. 11319A/1984) im Einzelfall im Sinne des Gesetzes nach sachlichen Erwägungen auszulegen; der Sinn dieser Bestimmung könne darin erblickt werden, daß der Gesetzgeber durch ihn im Vergleich zu ähnlich gelagerten Fällen für den einzelnen (Beamten) auftretende Härten hintanhalten wollte.

Dem Begriff 'berücksichtigungswürdig' in § 10 Abs 1 des oö Abfallgesetzes kann nach dem Erkenntnis VwSlg. 13087A/1989 'trotz seiner verhältnismäßigen Unbestimmtheit gleichwohl entnommen

werden, daß nicht jeder Wunsch ... einen Anspruch auf Ausnahme

... zu begründen vermag. Hat demnach jemand nicht mehr an Gründen

geltendzumachen, als in einer sehr großen Zahl von Fällen vorgebracht werden könnte, werden also keine vom Regelfall wesentlich abweichenden Gründe vorgebracht,' so ist nach diesem Erkenntnis das Tatbestandsmerkmal der berücksichtigungswürdigen Interessen nicht erfüllt.

Mit diesen (noch vermehrbaren) Beispielen soll veranschaulicht werden, daß es sich (für den Verwaltungsgerichtshof) in vergleichbaren Fällen durchaus als möglich erwiesen hat, den Inhalt von Bestimmungen, die ohne Konkretisierung auf das Kriterium der (besonderen) Berücksichtigungswürdigkeit von Gründen, Fällen, Umständen usw. abstellen, durch Auslegung zu ermitteln.

3. Es ist freilich einzuräumen, daß das, was berücksichtigungswürdig ist, mangels ausdrücklicher Aussagen des Gesetzgebers aus dem jeweiligen Regelungszusammenhang zu ermitteln ist, und das Ergebnis daher je nach dem Regelungszusammenhang unterschiedlich ausfallen wird. Im folgenden soll jedoch dargestellt werden, daß sich aus dem Regelungszusammenhang des Staatsbürgerschaftsgesetzes genügende Hinweise für die Auslegung der vom antragstellenden Gerichtshof beanstandeten Formulierung ergeben.

§ 10 Abs 1 des Bundesgesetzes über die österreichische Staatsbürgerschaft (StbG) räumt der entscheidenden Behörde ein Ermessen bei Verleihung der Staatsbürgerschaft ein, wenn die Bedingungen der Z 1 bis 8 erfüllt werden. Die nähere Bestimmung, an welche Kriterien sich die Behörde bei ihrer Ermessensübung halten soll, erfolgt in § 11 StbG.

Nach § 10 Abs 3 StbG wird der Behörde ein zusätzliches Ermessen (arg.: 'kann abgesehen werden') eingeräumt: Dieses Ermessen betrifft das Absehen von der Bedingung des mindestens zehnjährigen ununterbrochenen ordentlichen Wohnsitzes eines Fremden im Gebiet der Republik nach § 10 Abs 1 Z 1 StbG. Voraussetzung für eine Ermessensentscheidung nach § 10 Abs 3 StbG ist die Erfüllung von Bedingungen, nämlich das Vorliegen der Minderjährigkeit oder des mindestens vierjährigen ununterbrochenen ordentlichen Wohnsitzes im Gebiet der Republik. Neben einer der soeben genannten Voraussetzungen muß überdies 'ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund' für das Absehen vom Erfordernis nach § 10 Abs 1 Z 1 StbG vorliegen. Bei dieser letzten Anforderung handelt es sich um einen unbestimmten Gesetzesbegriff, der der Auslegung bedarf:

Jedenfalls genügt schon das Vorliegen eines solchen Grundes für die Erfüllung der Bedingung (VwSlg. 3250A/1953, 8436A/1973). Weiters ergibt die Verwendung des Wortes 'besonders', daß Gründe gemeint sind, die sich von einem objektiven Durchschnitt abheben. Die Gründe selbst können verschiedenster Art sein und sind deshalb nicht leicht einzugrenzen. Die Verwendung des Ausdruckes 'berücksichtigungswürdig' verdeutlicht, daß es sich um Gründe handeln muß, die sich aus den Grundsätzen des Staatsbürgerschaftsrechtes ergeben.

Wenngleich die Ermessensrichtlinien des § 11 StbG nicht unmittelbar zur Interpretation der fraglichen Bestimmung herangezogen werden können, so ergibt sich doch als staatsbürgerschaftsrechtliches Prinzip, daß einerseits die Interessen und Bedürfnisse der Partei und andererseits öffentliche Interessen in Frage kommen. Hinsichtlich der öffentlichen Interessen gibt jedenfalls § 10 Abs 4 StbG ausreichende Anhaltspunkte für die Handhabung der Bestimmung. Aus verschiedenen Normen des Staatsbürgerschaftsgesetzes ist überdies abzuleiten, daß für den Betroffenen jedenfalls familiäre und andere persönliche Gründe, insbesondere der Fall seiner Schutzbedürftigkeit als Flüchtling, in Frage kommen (vgl. etwa § 10 Abs 2 lita, § 11, § 11a, § 12 lita, § 13, § 14, § 16, § 17 leg. cit.). Die Beurteilung von Gründen als (besonders) berücksichtigungswürdig im Sinne der angefochtenen Bestimmung hat sich auch daran auszurichten, daß es Fälle geben wird, die zwar keinen Anspruch auf die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft im Sinne der §§11a, 12, 13 und 14 geben, aber diesen gleichzuhalten sind.

4. Im Sinne der obigen Ausführungen wurde im Rahmen der Beratungen des Verfassungsausschusses (875 BlgNR X. GP., 4) eine Reihe von Umständen angeführt, die als solche Gründe angesehen werden können: 'Anerkennung als Konventionsflüchtling, sonstiges Fehlen des Schutzes des Heimatstaates oder Unzumutbarkeit, diesen in Anspruch zu nehmen, besondere Bindung an Österreich, Ehe eines Fremden mit einer Staatsbürgerin, Geburt im Inland, längerer Voraufenthalt in Österreich, Versäumung einer Frist für die Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft, Mangelberuf, völlige Anpassung an die österreichischen Verhältnisse in Sprache und Lebensart'.

Wenn der antragstellende Senat in der Begründung seines Beschlusses vom (S. 6) sinngemäß meint, daß die den Materialien zu entnehmende Absicht des historischen Gesetzgebers für die Auslegung der Wendung 'ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund' nicht heranzuziehen sei, da diese Absicht im Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck komme, so kann ihr die Bundesregierung nicht folgen. Die Heranziehung der historischen Interpretation vermag im gegebenen Zusammenhang die systematische Interpretation zu stützen und zu vertiefen. Die Bundesregierung schließt sich der von demselben Senat im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 93/01/1255, niedergelegten Auffassung an, wonach der im zitierten Bericht des Verfassungsausschusses enthaltenen Aufzählung berücksichtigungswürdiger Gründe 'grundsätzlich nicht die Eignung abgesprochen werden kann, eine brauchbare Auslegungshilfe darzustellen' (soweit dem nicht der eindeutige Gesetzeswortlaut entgegenstehe; vgl. auch das Erkenntnis VwSlg. 8979A/1976, in dem zur Auslegung des § 10 Abs 3 StbG die Debatte über das Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 im Nationalrat (StenProtNR 13. GP S. 7629) herangezogen wurde, in der die Bedeutung des § 10 Abs 3 StbG für ausländische Adoptivkinder hervorgehoben worden war).

5. Zum - dem Begriff 'berücksichtigungswürdig' vergleichbaren - Begriff der 'Billigkeit' hat der Verfassungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen (Slg. 4293/1962, 5337/1966) ausgesprochen, daß dieser im Sinne des Art 18 Abs 1 B-VG ausreichend determiniert ist. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung und der obigen Ausführungen über die Auslegung des Begriffs des besonders berücksichtigungswürdigen Grundes ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die angefochtene Bestimmung nicht gegen das aus Art 18 Abs 1 B-VG abzuleitende Determinierungsgebot verstößt und daher auch keine Willkür ermöglicht, die sie mit dem Vorwurf des Verstoßes gegen den Gleichheitssatz der Bundesverfassung belasten würde."

3.a) Dem Art 18 Abs 1 B-VG zufolge darf die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden. Eine bloß formalgesetzliche Delegation (VfSlg. 4644/1964), die der Verwaltungsbehörde eine den Gesetzgeber supplierende Aufgabe zuweist, stünde mit Art 18 Abs 1 B-VG in Widerspruch (s. z.B. VfSlg. 4072/1961, 4300/1962, 11859/1988, 12947/1991).

Zur Ermittlung des Inhalts des Gesetzes sind alle zur Verfügung stehenden Auslegungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Nur wenn sich nach Heranziehung aller Interpretationsmethoden immer noch nicht beurteilen läßt, was im konkreten Fall rechtens ist, verletzt die Norm die in Art 18 B-VG statuierten rechtsstaatlichen Erfordernisse (vgl. u.a. VfSlg. 8395/1978, 10296/1984).

b) Schon allein die jahrzehntelange, reichhaltige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 10 Abs 3 StbG 1985 (früher § 10 Abs 3 StbG 1965) belegt, daß diese Bestimmung durchaus einer Auslegung zugänglich ist.

Zur Ermittlung der Bedeutung eines sogenannten unbestimmten Rechtsbegriffes (wie etwa der Wendung "ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund") ist nicht bloß diese Bestimmung isoliert zu betrachten, sondern das ganze Gesetz in seinem Regelungszusammenhang mit einzubeziehen. So bieten § 10 Abs 1 Z 2 bis 8 Anhaltspunkte dafür, welche Umstände gegen die Verleihung der Staatsbürgerschaft, der im Verfassungsrang stehende § 10 Abs 4 hingegen Anhaltspunkte dafür, welche Umstände für eine solche Maßnahme sprechen und daher "besonders berücksichtigungswürdig" sind. Dies gilt insofern auch für die §§11a, 12, 13 und 14 StbG 1985, die zwar einen Anspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft einräumen, die aber erkennen lassen, was der Gesetzgeber als positive Aspekte für eine positive Antragserledigung ansieht; liegen also ähnliche oder vergleichbare Voraussetzungen vor, wie sie durch § 10 Abs 4 StbG 1985 verfassungsgesetzlich vorgegeben oder wie sie in den zuletzt erwähnten Bestimmungen umschrieben sind, so legt dies für die Auslegung nahe, daß "besonders berücksichtigungswürdige Gründe" gegeben sind.

Wenngleich § 11 eine Regelung zum Inhalt hat, in welchem Sinn das der Behörde eingeräumte freie Ermessen zu handhaben ist (Art130 Abs 2 B-VG), läßt sich doch auch aus dieser Bestimmung entnehmen, auf welche Momente es (u.a.) bei Ermittlung des Begriffsinhaltes "besonders berücksichtigungswürdiger Grund" i.S. des § 10 Abs 3 StbG 1985 ankommt.

c) Die vom Verwaltungsgerichtshof geäußerten Bedenken treffen also nicht zu.

Den Anträgen war sohin nicht Folge zu geben.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.