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VfGH vom 03.03.1999, g132/98

VfGH vom 03.03.1999, g132/98

Sammlungsnummer

15441

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Regelungen der Nö BauO betreffend Amnestie für Schwarzbauten infolge gleichheitswidriger Privilegierung des rechtswidrig handelnden Personenkreises; Ausdehnung der Anlaßfallwirkung

Spruch

I. 1. § 113 Abs 2a und 2b der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. für das Land Niederösterreich 8200-13, war verfassungswidrig.

2. § 77 Abs 1 zweiter Satz der NÖ Bauordnung 1996, LGBl. für das Land Niederösterreich 8200-0, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

3. Dem zu G219/98 protokollierten Antrag des Verwaltungsgerichtshofes wird im Umfang des Spruchteiles I.1. und I.2. stattgegeben. Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

4. Die verfassungswidrigen Bestimmungen sind auch in den beim Verwaltungsgerichtshof zu Z 98/05/0111 und Z 98/05/0190 anhängigen Verfahren nicht mehr anzuwenden.

5. Der Landeshauptmann von Niederösterreich ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

II. Im übrigen wird das Verfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B787/98 eine Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

Mit Eingabe vom teilten die Miteigentümer des Grundstückes 647 KG Breitenstein dem Bürgermeister der Gemeinde Breitenstein mit, daß sie im Mai 1995 (ohne rechtskräftige Baubewilligung) mit der Errichtung eines Pferdestalles im Grünland begonnen hätten und stellten den Antrag, bescheidmäßig festzustellen, 'daß für das (...) Bauvorhaben die Voraussetzungen des § 113 Abs 2a NÖ Bauordnung 1976 zutreffen'.

Mit Bescheid vom untersagte der Bürgermeister der Gemeinde Breitenstein gemäß § 109 der NÖ Bauordnung 1976 die Fortführung der Bauarbeiten mit sofortiger Wirkung.

Mit Bescheid vom stellte der Bürgermeister der Gemeinde Breitenstein fest, 'daß hinsichtlich des Pferdestalles auf dem Grundstück 647, EZ 844, KG Breitenstein (...), die Voraussetzungen des § 113 Abs 2a NÖ Bauordnung 1976 vorliegen'.

Die gegen diesen Bescheid vom Nachbarn, dem nunmehrigen Beschwerdeführer, erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Gemeinderates vom mangels Parteistellung als unzulässig zurückgewiesen.

Mit Bescheid vom gab die Niederösterreichische Landesregierung der Vorstellung des Beschwerdeführers Folge, hob den angefochtenen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der Gemeinde Breitenstein.

In der Begründung führte die Vorstellungsbehörde aus, die Nachbarn hätten auch im Feststellungsverfahren im Sinne des § 113 Abs 2a bis 2c ein Mitspracherecht und zwar eingeschränkt auf die Geltendmachung jener subjektiv-öffentlichen Rechte, die die Bauordnung dem Nachbarn einräumt.

Mit Bescheid vom gab der Gemeinderat der Gemeinde Breitenstein der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die Niederösterreichische Landesregierung die vom Beschwerdeführer erhobene Vorstellung ab.

2. § 113 Abs 2a und 2b NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-13, lauten:

"(2a) Die Anordnung des Abbruches eines wegen Widerspruches zum Flächenwidmungsplan nicht genehmigungsfähigen Gebäudes hat zu entfallen, wenn

o das Gebäude vor dem soweit

fertiggestellt wurde, daß der Grundriß und der beabsichtigte Verwendungszweck erkennbar war;

o die Ausführung gemäß dem beabsichtigten Verwendungszweck

den im Zeitpunkt des Baubeginns geltenden bautechnischen Vorschriften entspricht oder

o das Gebäude innerhalb angemessener Frist jedoch

längstens innerhalb eines Jahres fertiggestellt bzw. den bautechnischen Vorschriften ohne Durchführung eines Zubaues angepaßt wird;

o für das Grundstück kein Bauverbot gemäß § 20 Abs 2

Z 3 besteht und

o bis zum ein Antrag gemäß Abs 2b

gestellt wird.

(2b) Das Zutreffen dieser Voraussetzungen ist von der Baubehörde mittels Feststellungsbescheid über Antrag festzustellen. Diesem Antrag sind die erforderlichen Antragsbeilagen (§§96 und 97) anzuschließen.

Der Zeitpunkt des Baubeginns ist der Baubehörde nachzuweisen. Dem Feststellungsbescheid hat die Durchführung eines Ortsaugenscheines unter Beiziehung von Sachverständigen und Anrainern voranzugehen. Anrainer haben Parteistellung im Rahmen des § 118 Abs 8 und 9.

Dieser Bescheid berechtigt zur Benützung des Gebäudes und gilt nicht als baubehördliche Bewilligung. Eine zukünftige Instandsetzung solcher Gebäude ist nur im Rahmen des § 92 Abs 1 Z 4, sonstige Veränderungen sind nur im Rahmen des § 95 zulässig."

Die Übergangsbestimmung des § 77 Abs 1 NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0, lautet (der aufgehobene Teil ist hervorgehoben):

"(1) Die am Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes anhängigen Verfahren sind nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen.

Anträge nach § 113 Abs 2b der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-14, dürfen bis zum gestellt werden und sind nach der bisherigen Rechtslage zu behandeln.

Sämtliche baubehördliche Bescheide bleiben bestehen."

Aus Anlaß der zu B787/98 protokollierten Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit des § 113 Abs 2a und 2b der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. für das Land Niederösterreich 8200-13 sowie des § 77 Abs 1 der NÖ Bauordnung 1996, LGBl. für das Land Niederösterreich 8200-0, von Amts wegen zu prüfen.

In seinem Prüfungsbeschluß ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß die Beschwerde zulässig sei und er bei ihrer Behandlung die zitierten Gesetzesbestimmungen anzuwenden hätte. Der Gerichtshof ging davon aus, daß bei Aufhebung der ersten fünf Sätze des § 113 Abs 2b der NÖ Bauordnung 1976 sowie bei Aufhebung des ersten Satzes des § 77 Abs 1 der NÖ Bauordnung 1996 der sechste Satz des § 113 Abs 2b der NÖ Bauordnung 1976 und der zweite und dritte Satz des § 77 Abs 1 der NÖ Bauordnung 1996 entweder sinnwidrig würden, oder diesen Vorschriften eine vom Gesetzgeber nicht intendierte Bedeutung zuzumessen sei, weshalb der gesamte Abs 2b des § 113 der NÖ Bauordnung 1976 und der gesamte § 77 Abs 1 der NÖ Bauordnung 1996 präjudiziell sein dürften.

Der Verfassungsgerichtshof ging weiters davon aus, daß die Abs 2a und 2b des § 113 der NÖ Bauordnung keine, lediglich für strafbare Handlungen bundesverfassungsgesetzlich (vgl. Art 93 sowie Art 65 Abs 2 litc B-VG) vorgesehene, Amnestie oder Abolition verfügen.

Gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 113 Abs 2a und 2b der NÖ Bauordnung 1976 hegte der Gerichtshof die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken, die ihn zur Aufhebung des § 3 des Tiroler Freilandbautengesetzes durch das Erkenntnis VfSlg. 14681/1996 und des ArtII der Novelle zum Burgenländischen Raumplanungsgesetz durch das Erkenntnis VfSlg. 14763/1997 veranlaßten.

Der Verfassungsgerichtshof hatte die Bedenken, daß es dem Gleichheitssatz zu widersprechen scheine, daß Personen, die sich rechtswidrig verhielten, indem sie nicht nur ohne die gesetzlich erforderliche Baubewilligung, sondern möglicherweise auch unter Mißachtung der rechtskräftigen Verweigerung einer Baubewilligung entgegen der rechtsverbindlichen Flächenwidmung ein Bauwerk errichteten, vom Gesetzgeber schlechthin und jedenfalls besser gestellt würden als jene Personen, die in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung auf eine konsenslose Bauführung entgegen der bestehenden Flächenwidmung verzichteten. § 113 Abs 2a der NÖ Bauordnung 1976 ordne aber an, daß schlechthin jedes wegen Widerspruches zum Flächenwidmungsplan nicht genehmigte Gebäude nicht abgebrochen werden müsse und entgegen den mit der Festlegung der Flächenwidmung verbundenen Beschränkungen der Bebaubarkeit gemäß Abs 2b benützt werden dürfe, wenn das Gebäude nur vor dem soweit "fertiggestellt wurde", daß der Grundriß und der beabsichtigte Verwendungszweck erkennbar wäre, und die übrigen Voraussetzungen des Abs 2a erfüllt seien.

Diese gesetzliche Regelung scheine zu bewirken, daß rechtswidrig handelnde Personen schlechthin - und nur unter den Voraussetzungen des Abs 2a - in den Genuß der geschilderten Rechtswohltat gelangten, während Personen, die auf Grund einer negativen Erledigung ihres seinerzeitigen Baubewilligungsverfahrens in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung von einer Bauführung Abstand genommen oder die bereits von vornherein infolge der aus rechtlicher Sicht gegebenen Aussichtslosigkeit einer positiven Erledigung eines Baubewilligungsverfahrens darauf verzichtet haben, einen entsprechenden Antrag zu stellen, vergleichsweise dadurch benachteiligt würden, daß ihr Grundstück nicht der Flächenwidmung widersprechend bebaut werden dürfe. Diese Privilegierung des rechtswidrig handelnden Personenkreises scheine dem Gleichheitssatz zu widersprechen.

Schließlich hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß die Regelung des § 113 Abs 2a und 2b der NÖ Bauordnung dem in rechtsstaatlichem Geist auszulegenden und zu verstehenden Art 18 Abs 1 B-VG widerspreche.

3. Die Niederösterreichische Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den verfassungsrechtlichen Bedenken entgegentritt:

Zum Prüfungsumfang weist die Niederösterreichische Landesregierung darauf hin, daß im Falle der Aufhebung des gesamten § 77 (Abs1) der NÖ Bauordnung 1996 sämtliche derzeit noch nach der NÖ Bauordnung 1976 anhängigen Verfahren nicht mehr nach der alten Rechtslage zu Ende geführt werden könnten.

In der Sache bringt die Niederösterreichische Landesregierung vor, daß sie nicht verkenne, daß der Verfassungsgerichtshof durch das Erkenntnis VfSlg. 14681/1996 § 3 des Tiroler Freilandbautengesetzes sowie durch das Erkenntnis VfSlg. 14763/1997, ArtII der Novelle zum Burgenländischen Raumplanungsgesetz aufgehoben habe und daß diese aufgehobenen Bestimmungen gewisse inhaltliche Parallelitäten zu den verfahrensgegenständlichen Bestimmungen der NÖ Bauordnung aufweisen. Weiters werde seitens der Niederösterreichischen Landesregierung der Ansicht des Verfassungsgerichtshofes beigepflichtet, daß es durch die Bestimmung des § 113 Abs 2a und 2b der NÖ Bauordnung 1976 nicht beabsichtigt gewesen sei, eine Amnestie oder Abolition im strafrechtlichen Sinn zu verfügen.

Dennoch weise die Niederösterreichische Landesregierung auf nachfolgende wesentliche Unterschiede hin:

§ 3 Abs 1 des Tiroler Gesetzes vom über die ausnahmsweise Zulässigkeit von Gebäuden im Freiland, LGBl. für Tirol 11/1994 in der Fassung des Gesetzes vom , LGBl. für Tirol 82/1994, habe vorgesehen, daß für konsenslose, bis dahin wegen Widerspruchs zur Flächenwidmung nicht bewilligungsfähige Gebäude, die Baubewilligung - mit allen daraus resultierenden Rechten - nachträglich erteilt werden konnte.

Darüber hinaus habe diese Bestimmung die Möglichkeit, von der Einhaltung einer Reihe bautechnischer Bestimmungen abzusehen, und somit eine weitere Privilegierung enthalten.

Ebenso habe sich aus ArtII der Novelle zum Burgenländischen Raumplanungsgesetz, Bgld. LGBl. Nr. 12/1994 ergeben, daß für Bauten in Grünflächen, die vor dem errichtet worden seien und für die bis zum um die erforderlichen behördlichen Bewilligungen angesucht worden sei, eine Baubewilligung erteilt werden dürfe, ohne daß die Übereinstimmung mit dem Flächenwidmungsplan zu prüfen gewesen sei.

Demgegenüber sehe die niederösterreichische Bestimmung lediglich ein Feststellungsverfahren vor. Durch den Feststellungsbescheid werde lediglich ein Abbruchauftrag hinsichtlich des betroffenen Gebäudes unzulässig, und es werde - ausnahmsweise - dessen Benützung erlaubt. Das Gebäude bleibe aber konsenslos, dem Adressaten des Feststellungsbescheids erwüchsen keinerlei weitergehende Rechte, insbesondere sei jegliche Veränderung des Gebäudes unzulässig.

Darüber hinaus werde die Einhaltung der bautechnischen Vorschriften (zumindest jener, die zum Zeitpunkt der Errichtung gegolten hätten) ausdrücklich verlangt.

Hervorzuheben sei weiters, daß Gebäude, für die ein derartiger Feststellungsbescheid erlassen worden sei, nicht zu einem späteren Zeitpunkt als "erhaltenswerte Bauten im Grünland" gewidmet werden könnten, da diese Widmung aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 19 Abs 2 Z 4 lita Niederösterreichisches Raumordnungsgesetz 1976, LGBl. 8000-12, nur für baubehördlich bewilligte Gebäude in Betracht komme.

Die Niederösterreichische Landesregierung beantragte daher auszusprechen, daß § 113 Abs 2a und 2b der NÖ Bauordnung 1976 nicht verfassungswidrig war, und § 77 Abs 1 der NÖ Bauordnung 1996 nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

4. Der Beschwerdeführer des zu B787/98 protokollierten Verfahrens erstattete eine Äußerung, in der er sich den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes anschloß und die Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen beantragte.

Die als Bauwerber im Verfahren B787/98 mitbeteiligten Parteien erstatteten ebenfalls eine Äußerung, in der sie die Präjudizialität des § 113 Abs 2a und 2b der NÖ Bauordnung 1976 bestreiten und in der Folge darlegen, weshalb sie die in Prüfung gezogenen Bestimmungen doch für verfassungskonform erachten.

5. Weiters hat der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich aus Anlaß eines bei ihm anhängigen Verfahrens beim Verfassungsgerichtshof folgenden Antrag gestellt:

"1. der Verfassungsgerichtshof möge § 77 Abs 1 zweiter Satz der NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0, als verfassungswidrig aufheben.

2. In eventu wird der Antrag gestellt, § 77 Abs 1 zweiter Satz der NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0, und § 113 Abs 2b der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-14, in der Fassung der 11. Novelle LGBl. 8200-13, als verfassungswidrig aufzuheben.

3. in eventu wird der Antrag gestellt, § 77 Abs 1 zweiter Satz der NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0, und § 113 Abs 2a bis 2c der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-14, in der Fassung der 11. Novelle LGBl. 8200-13, als verfassungswidrig aufzuheben.

4. in eventu wird der Antrag gestellt, § 77 Abs 1 zweiter Satz der NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0, als verfassungswidrig aufzuheben und festzustellen, daß § 113 Abs 2b der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-14, in der Fassung der 11. Novelle LGBl. 8200-13, verfassungswidrig war.

5. in eventu wird der Antrag gestellt, § 77 Abs 1 zweiter Satz der NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0, als verfassungswidrig aufzuheben und festzustellen, daß § 113 Abs 2a bis 2c der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-14, in der Fassung der 11. Novelle LGBl. 8200-13, verfassungswidrig war".

In diesem Verfahren erstattete die Niederösterreichische Landesregierung eine Äußerung, in der sie die angefochtenen Bestimmungen verteidigt und die Zurückweisung, in eventu die Abweisung des Antrages begehrt. Der antragstellende UVS erstattete eine Replik und hielt an seinem Antrag fest.

6. Der Verwaltungsgerichtshof hat aufgrund dreier bei ihm anhängiger Verfahren ebenfalls drei Anträge auf Aufhebung der mit Einleitungsbeschluß der Verfassungsgerichtshofes zu B787/98 in Prüfung gezogenen Bestimmungen gestellt.

In dem zu G219/98 protokollierten Verfahren erstatteten die Niederösterreichische Landesregierung sowie die Beschwerdeführer des Anlaßverfahrens eine Äußerung.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat in den - in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm § 35 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Verfahren erwogen:

1.1. Die zu B787/98 protokollierte Beschwerde ist gemäß Art 144 B-VG zulässig. Der in diesem Verfahren angefochtene Bescheid stützt sich auf § 113 Abs 2a und 2b der NÖ Bauordnung 1976. Die Annahme des Verfassungsgerichtshofes, daß die drei Sätze der Übergangsbestimmung des § 77 Abs 1 der NÖ Bauordnung 1996 in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, hat sich nicht als zutreffend erwiesen.

Für die Anwendbarkeit des § 113 Abs 2a und 2b der NÖ Bauordnung 1976 nach Inkrafttreten der NÖ Bauordnung 1996 am ist ausschließlich der zweite Satz des § 77 Abs 1 der NÖ Bauordnung 1996 entscheidend.

Die Beseitigung dieses, vom übrigen Inhalt des Abs 1 des § 77 der NÖ Bauordnung 1996 trennbaren Satzes läßt den verbleibenden Teil dieser Bestimmung unberührt. Dieser bleibt weiterhin anwendbar und behält seine Bedeutung. Es war daher das Gesetzesprüfungsverfahren, soweit es über die schließlich aufgehobenen Bestimmungen bzw. Sätze hinaus eingeleitet worden war, einzustellen.

1.2. Der auf den hg. Einleitungsbeschluß gestützte Antrag des Verwaltungsgerichtshofes (G219/98) war daher im Umfang der Einstellung des amtswegig eingeleiteten Verfahrens zurückzuweisen.

1.3. Im Hinblick auf die Anwendung des § 113 Abs 2b leg. cit. in dem beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich angefochtenen Bescheid, geht der Verfassungsgerichtshof von der Denkmöglichkeit der Annahme aus, der Unabhängige Verwaltungssenat habe bei seiner Entscheidung § 113 Abs 2b leg. cit. anzuwenden. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich jedoch im Hinblick auf die Begründung des Antrages des Unabhängigen Verwaltungssenats zur Feststellung veranlaßt, daß eine Aufhebung des § 113 Abs 2b leg. cit. durch den Verfassungsgerichtshof - im Hinblick auf Art 7 EMRK - für den Berufungswerber im Verwaltungsstrafverfahren keine nachteiligen Auswirkungen hat.

Der Eventualantrag des Unabhängigen Verwaltungssenats für das Land Niederösterreich ist daher zulässig.

2. Die im Prüfungsbeschluß formulierten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit haben sich im übrigen als zutreffend erwiesen:

3. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß die Abs 2a und 2b des § 113 der NÖ Bauordnung 1976 keine - lediglich für strafbare Handlungen bundesverfassungsgesetzlich (vgl. Art 93 sowie Art 65 Abs 2 litc B-VG) vorgesehene - Amnestie oder Abolition verfügen.

Im vorliegenden Fall treffen die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken zu, die den Verfassungsgerichtshof zur Aufhebung des § 3 des Tiroler Freilandbautengesetzes (VfSlg. 14681/1996) und des ArtII der Novelle zum Burgenländischen Raumplanungsgesetz (VfSlg. 14763/1997) veranlaßten.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt auch bei seiner im Prüfungsbeschluß vom , B787/98-7, geäußerten Auffassung, daß es dem Gleichheitssatz widerspricht, daß Personen, die sich rechtswidrig verhielten, indem sie nicht nur ohne die gesetzlich erforderliche Baubewilligung, sondern möglicherweise auch unter Mißachtung der rechtskräftigen Verweigerung einer Baubewilligung entgegen der rechtsverbindlichen Flächenwidmung ein Bauwerk errichteten, vom Gesetzgeber schlechthin und jedenfalls besser gestellt werden als jene Personen, die in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung auf eine konsenslose Bauführung entgegen der bestehenden Flächenwidmung verzichteten. § 113 Abs 2a der NÖ Bauordnung 1976 ordnet aber an, daß schlechthin jedes wegen Widerspruches zum Flächenwidmungsplan nicht genehmigte Gebäude nicht abgebrochen werden muß und entgegen den mit der Festlegung der Flächenwidmung verbundenen Beschränkungen der Bebaubarkeit gemäß Abs 2b benützt werden darf, wenn das Gebäude nur vor dem soweit "fertiggestellt wurde", daß der Grundriß und der beabsichtigte Verwendungszweck erkennbar waren, und die übrigen Voraussetzungen des Abs 2a erfüllt sind.

Diese gesetzliche Regelung bewirkt, daß rechtswidrig handelnde Personen schlechthin - und nur unter den Voraussetzungen des Abs 2a - in den Genuß der geschilderten Rechtswohltat gelangen, während Personen, die auf Grund einer negativen Erledigung ihrer seinerzeitigen Baubewilligungsverfahren in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung von einer Bauführung Abstand nahmen oder die bereits von vornherein infolge der aus rechtlicher Sicht gegebenen Aussichtslosigkeit einer positiven Erledigung eines Baubewilligungsverfahrens darauf verzichteten, einen entsprechenden Antrag zu stellen, vergleichsweise dadurch benachteiligt werden, daß ihr Grundstück nicht der Flächenwidmung widersprechend bebaut werden darf. Diese Privilegierung des rechtswidrig handelnden Personenkreises widerspricht dem Gleichheitssatz.

4.1. Der Verfassungsgerichtshof ist ferner in seiner bisherigen Judikatur zu Raumordnungsplänen (speziell zu Bebauungsplänen, vgl. etwa VfSlg. 12171/1989, 14378/1995) davon ausgegangen, daß eine Planänderung, die lediglich deshalb vorgenommen wird, um für ein auf einem Grundstück im Widerspruch zu einem geltenden Raumplan errichtetes Bauwerk im nachhinein eine gehörige Rechtsgrundlage zu schaffen, gleichheitswidrig ist.

Ausdrücklich vertrat er die Auffassung: "Es widerspricht dem Gleichheitssatz, wenn die Änderung eines Bebauungsplanes nicht durch sachliche Erwägungen begründet, sondern ausschließlich dazu bestimmt ist, entgegen der Aufgabe des Bebauungsplanes, Bauvorhaben in die durch öffentliche Rücksichten gebotenen Bahnen zu lenken, durch Anpassung des Bebauungsplanes den Bauführer zu begünstigen."

Der die geschilderte Judikatur tragende Grundgedanke läßt eine Gleichheitsverletzung auch annehmen, wenn nicht einzelne Flächenwidmungen oder Bebauungsvorschriften ausschließlich zur Anpassung an bestehende rechtswidrige Bauführungen geändert werden, sondern wenn derartige flächenwidmungsplanwidrige Bauführungen, die vor einem bestimmten Zeitpunkt stattfanden, im nachhinein schlechthin - und im Widerspruch zu jenen Flächenwidmungen - vom Gesetzgeber als konsensfähig erklärt werden (vgl. VfSlg. 14681/1996).

In der Begründung des Antrages der Abgeordneten DI Toms ua. vom , der zur Einfügung der Abs 2a bis 2c in § 113 der NÖ Bauordnung 1976 führte, wurde darauf hingewiesen, daß in der Vergangenheit die Errichtung von Bauwerken entgegen dem Flächenwidmungsplan in vielen Fällen zumindest geduldet worden sei. Weiters ist ausgeführt:

"... Ein Negieren dieses Zustandes bzw. einfach die weitere Duldung des Ist-Zustandes, ohne entsprechende Maßnahmen zu treffen, würde aber die auf Grund der im März 1995 erfolgten allgemeinen Gemeinderatswahlen neugewählten Bürgermeister in eine Situation bringen, die sie zwar zu einem Tätigwerden verh(ält), dieses Tätigwerden jedoch nur schwer umgesetzt werden kann. Ein Nichttätigwerden ist jedoch für die Bürgermeister deswegen problematisch, da dieses Nichttätigwerden unter einer möglichen Strafsanktion steht und auch - wie dies in der Vergangenheit bereits mehrfach erfolgt ist - zu Verurteilungen wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt geführt hat.

Aus diesen Gründen scheint der Gesetzgeber gefordert, durch eine Regelung sicherzustellen, daß die neugewählten Bürgermeister nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden können. Dies kann nur dadurch erfolgen, daß für sie die Verpflichtung entfällt, gegen derartige Bauten, die entgegen einer bestehenden Widmung errichtet wurden, vorzugehen. ..."

4.2. Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß die Absicht des Gesetzgebers, Gemeindemandatare von der strafrechtlichen Verantwortung für die Unterlassung rechtlich gebotener baupolizeilicher Maßnahmen zu befreien, keine sachliche Rechtfertigung für die oben dargestellte Differenzierung bedeutet. Es ist für den Verfassungsgerichtshof nicht einsichtig, weshalb die neugewählten Bürgermeister zu einem Tätigwerden verpflichtet sind, das von ihnen "jedoch nur schwer umgesetzt werden kann".

4.3. Sollte der aus dem Gleichheitsgrundsatz abzuleitende Vertrauensschutzgedanke Motivation für den Landesgesetzgeber gewesen sein, so wäre dem entgegenzuhalten, daß ein rechtswidriges Verhalten keinen Vertrauensschutz genießen kann.

4.4. Das Argument der Niederösterreichischen Landesregierung, daß die niederösterreichische Bestimmung lediglich ein Feststellungsverfahren vorsehe, während ArtII der Novelle zum Burgenländischen Raumplanungsgesetz, LGBl. 12/1994, eine Baubewilligung vorgesehen habe, vermag nicht zu überzeugen. Selbst wenn das betroffene Gebäude (formell) konsenslos bleibt, entsteht eine Privilegierung durch die mit dem Feststellungsbescheid (der insoweit einem Benützungsbewilligungsbescheid gleicht) verbundene Berechtigung zur Benützung des Gebäudes, die dem Gleichheitssatz widerspricht.

5. Es war daher auszusprechen, daß § 113 Abs 2a und 2b der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-13, wegen Widerspruchs zum Gleichheitssatz verfassungswidrig war, und daß § 77 Abs 1 zweiter Satz der NÖ Bauordnung 1996, LGBl. 8200-0, als verfassungswidrig aufgehoben wird, ohne daß der Verfassungsgerichtshof auf seine sonstigen aus rechtsstaatlicher Sicht im Prüfungsbeschluß aufgeworfenen Bedenken gegen diese Bestimmungen einzugehen hatte.

6. Da eine förmliche Einbeziehung der erst am zu G17/99 und am zu G31/99 eingelangten Anträge des Verwaltungsgerichtshofes (Z A1/99, Z A11/99) in das vorliegende Gesetzesprüfungsverfahren im Hinblick auf das fortgeschrittene Prozeßgeschehen nicht mehr möglich war, hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, von der ihm gemäß Art 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen und die Anlaßfallwirkung auch auf die beim Verwaltungsgerichtshof zu Z 98/05/0111 und zu Z 98/05/0190 anhängigen Rechtssachen auszudehnen (vgl. VfSlg. 11455/1987, 12948/1991, 14801/1997).

7. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Niederösterreich zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche stützt sich auf Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.