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VfGH vom 01.12.1995, G1306/95

VfGH vom 01.12.1995, G1306/95

Sammlungsnummer

14374

Leitsatz

Verstoß des ausnahmslosen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung einer Berufung gegen die Ausweisung eines Fremden gegen das Rechtsstaatsprinzip aufgrund der generell einseitigen Belastung des Rechtsschutzsuchenden mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung

Spruch

§ 17 Abs 3 und der zweite Satz des § 27 Abs 3 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B367/95 ein Beschwerdeverfahren anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrundeliegt: Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 17 Abs 2 Z 4 und 6 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 - die Novellen BGBl. 314/1994 und 505/1994 können hier außer Betracht bleiben; zur Novelle BGBl. 110/1994 s. weiter unten - (im folgenden: FrG), ausgewiesen. Zugleich wurde gemäß § 17 Abs 3 FrG ausgesprochen, daß die Beschwerdeführerin "mit der Erlassung (Zustellung) dieses Bescheides unverzüglich auszureisen" habe.

Binnen offener Berufungsfrist richtete die Beschwerdeführerin an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich folgende Eingabe:

"Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung

Gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden ... vom lege ich hiermit das Rechtsmittel der Berufung ein und begründe dies wie folgt:

Ich bin am in Österreich eingereist und stellte am einen Antrag auf Gewährung von Asyl, welcher mit Bescheid ... vom des Bundesasylamtes Traiskirchen negativ beschieden wurde. Dagegen habe ich fristgerecht Berufung erhoben.

Weiters kann ich sowohl einen ordentlichen Wohnsitz als auch einen gesicherten Lebensunterhalt, der von den Verwandten meines Mannes bestritten wird, nachweisen. Mein Mann hat ebenfalls Aussicht auf eine geregelte Beschäftigung. Für meinen weiteren Aufenthalt müssen daher keine öffentlichen Mittel aufgewendet werden bzw. ist der Schluß nicht zulässig, daß ich durch Begehung strafbarer Handlungen meinen Unterhalt friste.

Ich beantrage daher, mir die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen."

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich ging davon aus, die Beschwerdeführerin habe ausschließlich einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt und wies den Antrag mit Bescheid vom zurück.

Begründend wird dazu ausgeführt:

"Von der Erstbehörde wurde die Ausweisung gemäß § 17 Abs 2 Z 4 und 6 erlassen. Diese Umstände wurden von Ihnen nicht dezidiert bekämpft und ist der Bescheid in der Sache in Rechtskraft erwachsen. Sie haben ausschließlich einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eingebracht. § 17 Abs 3 räumt der Behörde keinen Ermessensbereich ein. Entgegen der gesetzlichen Bestimmung kann Ihnen sohin die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt werden. Eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist auch im Berufungswege nicht möglich. Ihr Antrag war sohin mangels Statthaftigkeit zurückzuweisen."

Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

2. Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit der §§17 Abs 3 und 27 Abs 3, zweiter Satz, FrG von Amts wegen zu prüfen.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in welcher sie - ohne die Zulässigkeit der Prüfung des § 27 Abs 3, zweiter Satz, FrG in Frage zu stellen - die Verfassungsmäßigkeit der zu prüfenden Bestimmungen verteidigt, für den Fall der Aufhebung jedoch den Antrag stellt, für das Außerkrafttreten eine Frist von sechs Monaten zu bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 17 und § 27 FrG - § 17 Abs 4 wurde durch die Novelle zum FrG BGBl. 110/1994 eingefügt - lauten (die in Prüfung genommenen Teile sind hervorgehoben):

"Ausweisung

§17. (1) Fremde sind mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 Bedacht zu nehmen.

(2) Fremde können im Interesse der öffentlichen Ordnung mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie

1. von einem Strafgericht wegen einer innerhalb eines Monates nach der Einreise begangenen Vorsatztat, wenn auch nicht rechtskräftig, verurteilt wurden oder

2. innerhalb eines Monates nach der Einreise bei der Begehung einer Vorsatztat auf frischer Tat betreten oder unmittelbar nach Begehung der Vorsatztat glaubwürdig der Täterschaft beschuldigt wurden, wenn überdies die strafbare Handlung mit beträchtlicher Strafe bedroht ist und eine Erklärung des zuständigen Staatsanwaltes vorliegt, dem Bundesminister für Justiz gemäß § 74 ARHG berichten zu wollen, oder

3. innerhalb eines Monates nach der Einreise gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, verstoßen oder

4. innerhalb eines Monates nach der Einreise den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermögen oder

5. innerhalb eines Monates nach der Einreise von einem Organ der Arbeitsinspektorate, der regionalen Geschäftsstellen oder der Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice bei einer Beschäftigung betreten werden, die sie nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätten dürfen oder

6. unter Mißachtung der Bestimmungen des 2. Teiles oder unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und binnen einem Monat betreten werden.

(3) Die Ausweisung gemäß Abs 2 wird mit ihrer - wenn auch nicht rechtskräftigen - Erlassung durchsetzbar; der Fremde hat dann unverzüglich auszureisen.

(4) Wird der Behörde im Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung auf ihr Befragen bekannt, daß der Fremde rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz (§6 Abs 3) gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde, so ist über die Ausweisung erst nach Erledigung dieses Antrages zu entscheiden.

...

Besondere Verfahrensbestimmungen

§27. (1) Die Behörden des Bundes, der Länder und Gemeinden sowie die Träger der Sozialversicherung sind ermächtigt und auf Anfrage verpflichtet, der Behörde personenbezogene Daten Fremder zu übermitteln, die für den Entzug ihrer Aufenthaltsberechtigung oder dafür von Bedeutung sein können, den Fremden die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen. Eine Verweigerung der Auskunft ist nicht zulässig.

(2) In einem Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes hat der Fremde auf Verlangen der Behörde persönlich vor dieser zu erscheinen.

(3) Der Berufung gegen eine Ausweisung gemäß § 17 Abs 1 ist die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. Der Berufung gegen eine Ausweisung gemäß § 17 Abs 2 kommt aufschiebende Wirkung nicht zu.

(4) Bei Fremden, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen ein Aufenthaltsverbot nur ausgeschlossen werden, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erforderlich ist.

(5) Durchsetzbare Ausweisungen oder Aufenthaltsverbote können im Reisedokument der Fremden ersichtlich gemacht werden."

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Beschluß auf Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens vorläufig angenommen, der angefochtene Bescheid stütze sich sowohl auf § 17 Abs 3 FrG als auch auf den zweiten Satz des § 27 Abs 3 leg.cit., sodaß auch der Gerichtshof selbst bei seiner Entscheidung über diese Beschwerde die genannten Gesetzesstellen anzuwenden haben werde.

Hinsichtlich der zuletzt genannten Regelung führte er aus:

"Nach dieser Bestimmung kommt der Berufung gegen eine Ausweisung gemäß § 17 Abs 2 FrG aufschiebende Wirkung nicht zu. Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung dürfte allerdings sein, daß eine Berufung überhaupt erhoben wurde. Der Verfassungsgerichtshof neigt vorläufig dazu, diese - zwischen den Parteien des vorliegenden Beschwerdeverfahrens strittige - Frage zu bejahen:

Zwar brachte der Verfassungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Ausdruck, daß einer Eingabe, die zwar als 'Berufung' bezeichnet ist, aber keinen begründeten Berufungsantrag aufweist, ein wesentlicher (Berufungs-)Bestandteil und damit der Charakter einer Berufung iS des AVG fehle (vgl. VfSlg. 8738/1980, 9051/1981, 9626/1983, 11597/1988, 13339/1993). Die beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts vertraten jedoch wiederholt die Auffassung, daß § 63 Abs 3 AVG nicht formalistisch ausgelegt werden darf: Es genügt, daß die Berufungsschrift erkennen läßt, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt zu stützen können glaubt (s. dazu die oben zitierten Judikaturnachweise). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Erfüllung der Voraussetzung eines begründeten Berufungsantrages dem entsprechend erforderlich (aber auch ausreichend), daß aus einer als Berufung zu wertenden Eingabe einerseits - unter dem Gesichtspunkt des Berufungsantrages - erkennbar ist, was der Berufungswerber mit seinem Rechtsmittel anstrebt, d.h. ob er eine gänzliche oder nur teilweise (und diesfalls welche) Abänderung oder Behebung des bekämpften Bescheides bezweckt, und daß die Berufung andererseits - unter dem Gesichtspunkt der Begründung des Berufungsantrages - erkennen läßt, womit (d.h. mit welchen - wenn auch vielleicht nicht stichhältigen - Gründen) der Berufungswerber seinen Standpunkt vertreten zu können glaubt ( mwH; vgl. auch ).

Im vorliegenden Fall ist nach der vorläufigen Auffassung des Gerichtshofes davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin in ihrer als 'Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung' bezeichneten Eingabe mit den Worten 'lege ich hiermit das Rechtsmittel der Berufung ein' in noch ausreichender Weise deutlich machte, was sie anstrebe: Nämlich die Erhebung der Berufung gegen die über sie verhängte Ausweisung, verbunden mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Indem die Beschwerdeführerin weiters den für die Verhängung der Ausweisung als maßgeblich erachteten Gründen im einzelnen entgegentrat, dürfte sie auch in ausreichender Weise dargelegt haben, worin die Unrichtigkeit des bekämpften Bescheides gelegen sein solle (vgl. in ähnlichem Zusammenhang VfSlg. 11597/1988, 13339/1993).

Schließlich geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß die Berufungsbehörde mit der ausgesprochenen Zurückweisung des Antrages sowohl die Berufung als auch den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zurückgewiesen hat."

2.2. Die Bundesregierung ist in ihrer Äußerung dieser vorläufigen Annahme nicht entgegengetreten. Im Gesetzesprüfungsverfahren ist auch nichts hervorgekommen, was diese vorläufigen Annahmen entkräften konnte.

Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher hinsichtlich beider in Prüfung gezogenen Bestimmungen zulässig.

3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 17 Abs 3 und des zweiten Satzes des § 27 Abs 3 FrG wie folgt formuliert:

"Der Verfassungsgerichtshof ist vorläufig der Auffassung, daß die in Prüfung genommenen Regelungen mit dem rechtsstaatlichen Prinzip, namentlich mit dem Rechtsschutzsystem der österreichischen Bundesverfassung nicht in Einklang zu bringen sind. Ausgehend vom Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips vertrat der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung die Auffassung, daß es unter dem Aspekt dieses Prinzips nicht angeht, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang allerdings nicht nur seine Position, sondern auch Zweck und Inhalt der Regelung, ferner die Interessen Dritter sowie schließlich das öffentliche Interesse. Der Gesetzgeber hat - wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung weiters darlegte - unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei aber dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfs der Vorrang zukommt und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig ist. Auf welche Weise dieser Ausgleich vom Gesetzgeber vorgenommen wird, läßt sich - wie der Gerichtshof folgerte - nicht allgemein sagen (so VfSlg. 11196/1986; ferner VfSlg. 11590/1987, 12409/1990, 12683/1991, 13003/1992, 13182/1992, 13305/1992, 13493/1993; vgl. zuletzt G92,93/94; , B990/93, B1074/93).

Dem Verfassungsgerichtshof scheint, daß die in Prüfung genommenen Regelungen diesen Anforderungen nicht entsprechen, wenn sie Berufungen gegen den bescheidmäßigen Ausspruch einer Ausweisung gemäß § 17 Abs 2 FrG generell und ausnahmslos die aufschiebende Wirkung aberkennen. Gewiß ist es nicht von vornherein auszuschließen, daß für bestimmte Gruppen Auszuweisender etwa in Zusammenhang mit der Bekämpfung des Kriminaltourismus (s. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum FrG, 692 BlgNR 18. GP, 37) gegebenenfalls besondere Regelungen erforderlich sein könnten; dennoch vermag der Verfassungsgerichtshof vorläufig nicht zu erkennen, daß solche Überlegungen, soferne sie gerechtfertigt sein sollten, für alle in § 17 Abs 2 FrG genannten Fälle der Ausweisung Geltung beanspruchen könnten. Auch vermag der Verfassungsgerichtshof vorläufig nicht die Auffassung zu teilen, daß bei Ausweisungen von 'einer hohen Wahrscheinlichkeit der Rechtsrichtigkeit der Entscheidung I. Instanz' (so die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 692 BlgNR 18. GP, 37) auszugehen wäre; vielmehr dürfte jeglichem Rechtsschutzsystem und mithin auch dem österreichischen die Vorstellung zugrundeliegen, daß auch bei größtem Bemühen immer wieder fehlerhafte Entscheidungen zustandekommen können, die aber durch ein effizientes Rechtsschutzsystem soweit wie möglich auszumerzen sind.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen weiters verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art 11 Abs 2 B-VG:

Gemäß Art 11 Abs 2 B-VG werden, soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet wird, das Verwaltungsverfahren, die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes, das Verwaltungsstrafverfahren und die Verwaltungsvollstreckung auch in den Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung den Ländern zusteht, insbesondere auch in den Angelegenheiten des Abgabenwesens, durch Bundesgesetz geregelt; abweichende Regelungen können in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind. Von dieser 'Bedarfsgesetzgebungskompetenz' hat der Bund durch Erlassung der Verwaltungsverfahrensgesetze, u.a. des AVG, Gebrauch gemacht. Gemäß § 64 Abs 1 AVG haben rechtzeitig eingebrachte Berufungen aufschiebende Wirkung. Nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle kann die Behörde die aufschiebende Wirkung ausschließen, wenn die vorzeitige Vollstreckung im Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Ein solcher Ausspruch ist tunlichst schon in den über die Hauptsache ergehenden Bescheid aufzunehmen.

Die in Prüfung genommenen Rechtsvorschriften stellen iS des Art 11 Abs 2 B-VG von diesen Anordnungen des AVG "abweichende Regelungen" derart dar, daß einer Berufung gegen eine gemäß § 17 Abs 2 FrG ausgesprochene Ausweisung in jedem Fall kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt und der Bescheid, obwohl noch nicht rechtskräftig, durchsetzbar wird. IS der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 8945/1980, S 251 f.) greifen diese Regelungen also in den normativen Bereich des § 64 Abs 1 und 2 AVG ein. Der Verfassungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis auch die Auffassung vertreten, zur Auslegung des Wortes 'erforderlich' in Art 11 Abs 2 B-VG könne auf seine bisherige Rechtsprechung zu dem in dieser Hinsicht wortgleichen Art 15 Abs 9 B-VG derart zurückgegriffen werden, daß abweichende Regelungen nur dann als erforderlich anzusehen sind, wenn sie für die Regelung des Gegenstandes unerläßlich sind (vgl. VfSlg. 558/1926, 1809/1949, 6343/1970, 8945/1980, 8989/1980, 10097/1984, 13322/1992, , B1074/93).

Der Verfassungsgerichtshof ist nun vorläufig der Meinung, daß sich die in Prüfung genommenen Regelungen im Lichte dieser Rechtsprechung nicht als erforderlich erweisen (vgl. auch VfSlg. 8232/1978). Jedenfalls ist ihm vorläufig nicht erkennbar, daß es iS der dargelegten Rechtsprechung für die Regelung der Ausweisung unerläßlich wäre, die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen eine Ausweisung gemäß § 17 Abs 2 FrG schon kraft Gesetzes ausnahmslos auszuschließen. Dies zumal auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum FrG keinerlei Anhaltspunkte für eine solche Unerläßlichkeit zu entnehmen sind (vgl. 692 BlgNR 18. GP, 36 f. (hier wird nur das Problem der Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Vorschrift mit '§' - richtig: Art 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK erörtert) und 40; gleiches gilt schon für den Initiativantrag 322/A, II-9754 BlgNR 17. GP, 18 und 22).

Es dürfte auch auszuschließen sein, daß hier jene Überlegungen zutreffen, die der Verfassungsgerichtshof in dem schon zitierten Erkenntnis VfSlg. 8945/1980 (S 252 f.) aus dem Fehlen von Übergangsvorschriften zu dem durch die B-VG-Novelle 1974, BGBl. 444, neu gefaßten Art 11 Abs 2 B-VG angestellt hat, daß nämlich der Verfassungsgesetzgeber in den von ihm vorgefundenen einfachgesetzlichen Rechtsbestand bloß im geringstmöglichen Ausmaß einzugreifen beabsichtigte und daher vorher bestandenen - abweichenden - bundesgesetzlichen Rechtsvorschriften durch das Inkrafttreten der genannten B-VG-Novelle nicht derogiert wurde, diese folglich weiterhin dem Rechtsbestand angehören (vgl. in diesem Zusammenhang auch , B1089/93). Denn abgesehen davon, daß das Fremdenpolizeiwesen durch Erlassung des FrG in diesem Bereich neu geregelt wurde, enthielt das Fremdenpolizeigesetz 1954 in seiner Stammfassung keine Regelungen über die Ausweisung und somit auch keinerlei Anordnungen darüber, daß Berufungen die aufschiebende Wirkung generell aberkannt wird.

§10a Fremdenpolizeigesetz betreffend die Ausweisung, der in Abs 3 bzw. - laut Z 2 der Fremdenpolizeigesetz-Novelle BGBl. 451/1990 - Abs 4 einer Berufung gegen eine Ausweisung die aufschiebende Wirkung aberkannte, wurde erst durch die Novelle BGBl. 190/1990, also lange nach Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1974 erlassen, sodaß eine Übertragung der im Erkenntnis VfSlg. 8945/1980 dargelegten Überlegungen auf den vorliegenden Gegenstand nicht in Frage kommen dürfte."

3.2. In ihrer Äußerung hält die Bundesregierung den im Hinblick auf das rechtsstaatliche Prinzip aufgeworfenen Bedenken entgegen, daß eine im Interesse der öffentlichen Ordnung gebotene unverzügliche Außerlandesschaffung eines Fremden - wie sie § 17 Abs 2 FrG ermögliche - eben nur im Wege der Durchsetzbarkeit vor Eintritt der Rechtskraft sowie unter Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung verwirklicht werden könne. Nach dem Wortlaut des § 17 Abs 2 FrG könnten Fremde "im Interesse der öffentlichen Ordnung" ausgewiesen werden, wenn eine der in Z 1 bis 6 normierten Voraussetzungen gegeben sei. Hiezu brächten die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 692 BlgNR 18. GP, 37, zum Ausdruck, daß sämtliche in § 17 Abs 2 leg.cit. geregelten Ausweisungstatbestände solche gegen die öffentliche Ordnung gerichtete Verhaltensweisen zum Gegenstand hätten, die die unverzügliche Durchsetzung der Ausweisung erforderten.

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes dürften gesetzliche Regelungen, die sachlicher Weise dazu führen, daß ein behördliches Fehlverhalten vorläufig hingenommen werden müsse, - wenn dies irgendwie vermeidbar sei - nicht so ausgestaltet werden, daß daraus endgültige Belastungen entstünden (vgl. VfSlg. 13182/1992). Die Frage, ob eine im öffentlichen Interesse gebotene Ausweisung als eine Maßnahme zu qualifizieren sei, die dem Rechtsschutzwerber endgültige Belastungen auferlege, dürfte wohl zu verneinen sein. Das Instrument der Ausweisung impliziere nämlich ausschließlich eine Ausreiseverpflichtung, nicht jedoch ein Rückkehrverbot.

Zugunsten der Verfassungskonformität der in Prüfung genommenen gesetzlichen Regelungen, mithin also für die Durchbrechung des Grundsatzes der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfs, spreche nicht zuletzt die vom Bundesverfassungsgesetzgeber in Art 1 Abs 2 des Protokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten samt Erklärungen, BGBl. 628/1988, zum Ausdruck gebrachte Wertung. Danach dürfe ein (sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhaltender) Ausländer nur dann schon vor der Ausübung der in Art 1 Abs 1 lita bis c leg.cit. genannten Rechte ausgewiesen werden, wenn eine solche Ausweisung ("such expulsion"; "cette expulsion") im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich sei oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erfolge. In diesem Lichte wäre es wohl inkonsequent, die in Prüfung genommenen Regelungen nicht für sachlich geboten zu erachten.

Im übrigen dürfe die Behörde nach § 17 Abs 2 FrG - verfassungskonform interpretiert - nur dann von dem ihr eingeräumten Ermessen zur Erlassung einer Ausweisung Gebrauch machen, wenn die vorzeitige Vollstreckung der Ausweisung im Interesse der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art 1 Abs 2 des

7. ZP zur EMRK notwendig sei. Eine solche verfassungskonforme Interpretation des § 17 Abs 2 FrG erscheine im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes geboten.

Dem im Hinblick auf Art 11 Abs 2 B-VG geäußerten Bedenken widerspricht die Bundesregierung unter Hinweis auf die Ausführungen auf Seite 36 der Erläuterungen zur Regierungsvorlage, wonach es für die Durchsetzbarkeit einer Ausweisung vor Eintritt der Rechtskraft ihrer Erlassung ausschließlich darauf ankomme, ob die Außerlandesschaffung des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung geboten sei. In diesem Lichte erscheine eine von § 64 Abs 1 und 2 AVG abweichende Regelung im Hinblick auf Art 11 Abs 2 B-VG deshalb unbedenklich, weil sie aufgrund besonderer Umstände unerläßlich sei (vgl. VfSlg. 8583/1979, 11564/1987). Die aufschiebende Wirkung einer gegen den Ausweisungsbescheid rechtzeitig eingebrachten Berufung würde nämlich im vorliegenden Zusammenhang dem Interesse der öffentlichen Ordnung zuwiderlaufen. Obschon die Regelungsintention des § 17 Abs 3 und des zweiten Satzes des § 27 Abs 3 FrG mit der in § 67 Abs 2 AVG verwendeten Formulierung "im Interesse (...) des öffentlichen Wohles wegen Gefahr in Verzug dringend geboten" sinnverwandt erscheine, wäre es unzweckmäßig, in Fällen einer im Interesse der öffentlichen Ordnung gebotenen Außerlandesschaffung den Ausschluß der aufschiebenden Wirkung bloß vom behördlichen Ermessen abhängig zu machen.

Diese verfahrensmäßigen Besonderheiten schienen in Art 1 Abs 2 des 7. ZP zur EMRK bereits vorgezeichnet zu sein.

3.3. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, die in Prüfung genommenen Bestimmungen des FrG widersprächen dem rechtsstaatlichen Prinzip, indem sie Rechtsschutzsuchende ausnahmslos und generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange belasten, bis ihr Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist, treffen zu:

Der Bundesregierung ist zuzugestehen, daß eine im Interesse der öffentlichen Ordnung gebotene unverzügliche Außerlandesschaffung eines Fremden nur im Wege der Durchsetzbarkeit vor Eintritt der Rechtskraft sowie unter Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung verwirklicht werden könnte. Ihr Hinweis auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Fremdengesetz (692 BlgNR 18. GP, 37) jedoch, sämtliche der von § 17 Abs 2 leg.cit. erfaßten Fälle hätten solche gegen die öffentliche Ordnung gerichtete Verhaltensweisen zum Gegenstand, die stets die unverzügliche Durchsetzung der Ausweisung erforderten, ist nicht zielführend:

Sowohl die Erläuterungen als auch die darauf bezogene Stellungnahme der Bundesregierung stellen allein diese Behauptung auf, ohne sie irgendwie, geschweige denn näher, zu begründen. Jedenfalls konnten damit die im Prüfungsbeschluß dargelegten Bedenken nicht zerstreut werden. Dem Verfassungsgerichtshof scheint es offenkundig, daß nicht alle im § 17 Abs 2 FrG genannten Tatbestände in jedem Fall die unverzügliche Durchsetzung der Ausweisung erfordern. Vielmehr gibt es zahlreiche Fallkonstellationen, in denen zwar öffentliche Interessen die Verfügung einer Ausweisung rechtfertigen, ohne daß jedoch automatisch deren sofortige Vollstreckbarkeit geboten erscheint. Denn der Gesetzgeber selbst eröffnet der Fremdenpolizeibehörde in § 17 Abs 2 leg.cit. einen Ermessensspielraum dahingehend, ob überhaupt eine Ausweisung ausgesprochen werden soll. Unter dieser Voraussetzung ist nicht einzusehen, daß eine solche Ausweisung immer sofort vollzogen werden müßte. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß zahlreiche Beschwerden gegen auf die genannte Gesetzesbestimmung gestützte Ausweisungen von Fremden an den Verfassungsgerichtshof herangetragen wurden, auf Grund deren dort gestellter Anträge das Vorliegen eines zwingenden öffentlichen Interesses an deren sofortigen Vollstreckung verneint wurde und antragsgemäß der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen war.

Die Bundesregierung versucht die im Prüfungsbeschluß aufgeworfenen rechtsstaatlichen Bedenken aber auch durch den Hinweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu zerstreuen, daß gesetzliche Regelungen, die dazu führen, daß ein behördliches Fehlverhalten hingenommen werden müsse, nicht so ausgestaltet sein dürften, daß daraus endgültige Belastungen entstehen (Hinweis auf VfSlg. 13182/1992). Hier werde keine endgültige Belastung auferlegt, da die Ausweisung nur eine Ausreiseverpflichtung, nicht jedoch ein Rückkehrverbot impliziere.

Es steht außer Streit, daß der Gesetzgeber Ausweisungstatbestände umschreiben darf, hinsichtlich deren ein sofortiger Vollzug aus dringenden öffentlichen Interessen vorgesehen wird. Doch ist es nach der im Prüfungsbeschluß zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes mit dem rechtsstaatlichen Prinzip nicht vereinbar, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist. Solches liegt hier aber vor, weil die faktische Möglichkeit der Rückkehr nicht die effiziente Rechtsschutzgewähr substituieren kann.

Damit aber erweist sich die Annahme des Verfassungsgerichtshofes, daß der ausnahmslose Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung gegen eine gemäß § 17 Abs 2 FrG ausgesprochene Ausweisung mit dem der Bundesverfassung immanenten rechtsstaatlichen Prinzip, namentlich mit deren Rechtsschutzsystem nicht vereinbar erscheint, als zutreffend.

3.4. Die in Prüfung genommenen Bestimmungen waren daher aufzuheben, ohne daß auf die weiteren, im Prüfungsbeschluß aufgeworfenen Bedenken einzugehen war.

III. 1. Die Verpflichtung zur Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art 140 Abs 5 B-VG, der Ausschluß des Wiederinkrafttretens früherer Bestimmungen auf Art 140 Abs 6 B-VG.

2. Die gemäß der Anregung der Bundesregierung vorgenommene, auf Art 140 Abs 5 B-VG gestützte Fristsetzung für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen soll es dem Gesetzgeber ermöglichen, allfällige Regelungen über die sofortige Vollstreckbarkeit von gemäß § 17 Abs 2 FrG ausgesprochenen Ausweisungen verfassungskonform zu gestalten.

3. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung beschlossen werden, da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war.