VfGH vom 11.12.1986, g119/86

VfGH vom 11.12.1986, g119/86

Sammlungsnummer

11196

Leitsatz

BAO; zum Begriff des rechtsstaatlichen Prinzips; Interessenabwägung zwischen dem Interesse der Gebietskörperschaften an regelmäßig fließenden Einnahmen und der Interessenposition des Abgabenschuldners; zu einseitige Belastung des Abgabeschuldners in Fällen, in denen Tatsachen- oder Rechtsfragen echt strittig sind; § 212 Abs 1 (betr. Zahlungserleichterungen in Härtefällen) genügt nicht, die extremen Auswirkungen des § 254 auszugleichen; Widerspruch des § 254 zum rechtsstaatlichen Prinzip

Spruch

§254 der Bundesabgabenordnung, BGBl. 194/1961, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im BGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bf. des Anlaßfalles B518/83 begehrte mit einer Eingabe an das Finanzamt Lienz vom unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den von ihm als verfassungswidrig kritisierten § 254 BAO, seiner Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide 1979, 1980 und 1981 aufschiebende Wirkung zuzuerkennen; hilfsweise beantragte er, die ziffernmäßig angegebene Zahllast bis zur rechtskräftigen Erledigung seines Rechtsmittels zu stunden oder (im Fall der Abweisung dieses Eventualbegehrens) Stundung auf die Dauer eines halben Jahres zu gewähren. Das Finanzamt entschied über das Ansuchen mit Bescheid vom , dessen Spruch (eingangs) folgendermaßen lautet: "Ihr Ansuchen vom 1983 03 14, eingelangt am 1983 03 15, um Bewilligung einer Zahlungserleichterung bei der Entrichtung Ihrer Abgabenschuldigkeit(en) in Höhe von S 31239,50 und um Zuerkennung aufschiebender Wirkung wird abgewiesen." Begründend führte das Finanzamt aus, daß der Berufung gegen die Umsatzsteuervorschreibung aller Voraussicht nach kein Erfolg beschieden sein werde, das Stundungsansuchen sei daher abzuweisen gewesen. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sei ebenfalls abzuweisen gewesen, weil gemäß § 254 BAO die Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung im Abgabenverfahren grundsätzlich nicht vorgesehen sei.

Die Finanzlandesdirektion für Tir. wies die vom Beteiligten sodann ergriffene Berufung gegen diese Entscheidung (welche sie als "Bescheid des Finanzamtes Lienz vom betr. Abgabenstundung bzw. Antrag auf aufschiebende Wirkung" bezeichnete) mit Bescheid vom als unbegründet ab. In der Begründung führte die Berufungsbehörde (ua.) unter Bezugnahme auf § 212 Abs 1 BAO aus, daß ein Antrag, Berufungen aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nur als Stundungsansuchen gewertet und behandelt werden könne, und gelangte zum Ergebnis, daß eine erhebliche Härte iS dieser Gesetzesstelle nicht vorliege. Sie bemerkte in diesem Zusammenhang, daß nicht schon die bloße Einbringung eines Rechtsmittels gegen die betreffenden Abgabenbescheide die Voraussetzungen für einen Zahlungsaufschub erfüllten, weil § 254 BAO ausdrücklich bestimme, daß durch die Einbringung einer Berufung die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht gehemmt, insbesondere die Einhebung und zwangsweise Einbringung der betreffenden Abgaben nicht aufgehalten werde. Wenn der Beteiligte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 254 BAO äußere, so sei darauf hinzuweisen, daß die Abgabenbehörde die Beurteilung des Parteibegehrens auf die in Geltung stehenden gesetzlichen Bestimmungen auszurichten habe, es ihr aber keineswegs zukomme, deren Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.

2. Gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion richtet sich die unter B518/83 protokollierte Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher insbesondere die Verfassungswidrigkeit des § 254 BAO behauptet wird.

II. Der VfGH leitete aus Anlaß dieser Beschwerdesache gemäß Art 140 Abs 1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 254 BAO ein und begründete dies folgendermaßen:

"1. Zunächst geht der Gerichtshof davon aus, daß er bei seiner Beschwerdeentscheidung den (in der Stammfassung der Bundesabgabenordnung, BGBl. 194/1961, geltenden) § 254 BAO anzuwenden hätte, der folgenden Wortlaut hat:

'§254. Durch Einbringung einer Berufung wird die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht gehemmt, insbesondere die Einhebung und zwangsweise Einbringung einer Abgabe nicht aufgehalten.'

Die bel. Beh. bestritt zwar in der mündlichen Verhandlung die Präjudizialität der wiedergegebenen Vorschrift, doch vermag der VfGH - zumindest vorläufig - ihrem Standpunkt nicht beizutreten. Das wesentliche Argument der Finanzlandesdirektion, das Begehren des Bf. sei im Berufungsbescheid als Stundungsansuchen nach § 212 BAO behandelt worden, greift anscheinend nicht durch, weil es sich hiebei nur um ein Begründungselement ohne eine korrespondierende Aussage im Spruch der Rechtsmittelentscheidung handelt; der Spruch des Berufungsbescheides, demzufolge die Berufung als unbegründet abgewiesen wird, bringt aber wohl zum Ausdruck, daß der erstinstanzliche Bescheid inhaltlich übernommen, also (und zwar jeweils negativ) sowohl über das Stundungsansuchen als auch über das Verlangen auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung abgesprochen wird. Der bei dieser Lage unternommene weitere Versuch der bel. Beh., den zwei verschiedene Entscheidungen umfassenden normativen Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides in einen ausschließlichen Abspruch über ein Stundungsbegehren umzudeuten, dürfte am eindeutigen Wortlaut des vom Finanzamt erlassenen Bescheides scheitern.

2. Der VfGH hegt das Bedenken, daß § 254 BAO mit dem der österreichischen Bundesverfassung innewohnenden rechtsstaatlichen Prinzip nicht vereinbar ist.

Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung betont hat (VfSlg. 8279/1978 mit Bezugnahme auf VfSlg. 2929/1955; s. auch VfSlg. 2455/1952), gipfelt der Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips darin, daß alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet, daß nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz als dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen wurden. Der VfGH neigt zur Meinung, daß die hier unabdingbar geforderten Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen. Von dieser Annahme her scheint es nicht anzugehen, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung solange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist. Widerspricht es aber anscheinend dem Rechtsstaatsprinzip, unter Berufung auf eine behördliche Entscheidung vor Eintritt ihrer Rechtskraft, also trotz Inanspruchnahme von Rechtsschutzeinrichtungen, vollendete und irreversible Tatsachen ohne sachliche Notwendigkeit zu schaffen, so müßte es zumindest möglich sein, die Notwendigkeit der sofortigen Wirksamkeit und Vollziehbarkeit selbst in einem gehörigen Verfahren überprüfen zu lassen. Dem rechtsstaatlichen Prinzip dürfte die vom Gesetzgeber angeordnete sofortige Wirksamkeit und Vollziehbarkeit einer behördlichen Entscheidung vor Eintritt ihrer Rechtskraft sohin dann widersprechen, wenn nicht zusätzlich zum Hauptverfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung geht, ein zweites Verfahren vorgesehen wird, in dem geprüft wird, ob ohne besondere, im öffentlichen Interesse oder im Interesse dritter Personen gelegene Notwendigkeit der sofortigen Vollstreckung der behördlichen Entscheidung diese einen unwiederbringlichen Rechtsnachteil für ihren Adressaten bedeutet.

Der Gerichtshof nimmt in diesem Zusammenhang auch an, daß der Gesetzgeber in besonderen Fällen die sofortige Wirksamkeit und Vollziehbarkeit behördlicher Entscheidungen (s. derartige gesetzliche Bestimmungen in Mannlicher - Quell, das Verwaltungsverfahren, S. 354) im Hinblick auf Zweck und Inhalt der Regelung vorsehen darf. Von der dargelegten Ausgangsposition her erscheint es auch nicht als zweifelhaft, daß dem Gesetzgeber gewiß ein breiter Gestaltungsbereich zwischen dem Grundsatz, daß einem Rechtsmittel im allgemeinen oder sogar ausnahmslos aufschiebende Wirkung zukommt, und dem Prinzip zusteht, daß ein Rechtsmittel nur auf besonderes Verlangen und unter bestimmten mehr oder weniger einschränkenden Voraussetzungen diese Wirkung haben soll.

Sieht man § 254 BAO, der seinem normativen Gehalt nach die Zuerkennung aufschiebender Rechtsmittelwirkung ausschließt, unter diesem Blickwinkel, so genügt er den rechtsstaatlichen Anforderungen anscheinend nicht, weil er den Berufungswerber völlig einseitig mit im Einzelfall sogar sehr schwerwiegenden Rechtsfolgen nicht endgültiger behördlicher Entscheidungen belastet. Diese Belastung wird - wie der Gerichtshof weiters vorläufig annimmt - auch nicht durch § 212 Abs 1 BAO zureichend ausgeglichen, demzufolge auf Ansuchen bestimmte Zahlungserleichterungen, insbesondere eine Stundung, bewilligt werden können, 'wenn die sofortige oder die sofortige volle Entrichtung der Abgaben für den Abgabepflichtigen mit erheblichen Härten verbunden wäre und die Einbringlichkeit der Abgaben durch den Aufschub nicht gefährdet wird'. Wie nämlich der VwGH in ständiger Rechtsprechung (zB /0067 mit Bezugnahme auf Z 739, 740/76 und die dort enthaltenen Judikaturhinweise) zum Ausdruck gebracht hat, kann die zwangsweise Einbringung einer noch nicht in Rechtskraft erwachsenen Abgabenschuld unter dem Gesichtspunkt eines unerledigten Rechtsmittels nur dann eine erhebliche Härte bedeuten, wenn der erstinstanzliche Bescheid offenkundig (Hervorhebung in der zitierten Entscheidung) klare Fehler enthält, deren Beseitigung im Berufungsverfahren zu gewärtigen ist. Im Hinblick auf diese Auslegung des § 212 Abs 1 BAO (von welcher der VfGH vorläufig ausgeht) treffen den Rechtsmittelwerber die Nachteile einer rechtswidrigen Entscheidung wohl regelmäßig voll, weil selbstredend anzunehmen ist, daß die vom VwGH beschriebenen qualifizierten Fehler Ausnahmsfälle bilden. Wollte man hingegen annehmen, daß das in § 212 Abs 1 BAO festgelegte Tatbestandsmerkmal der erheblichen Härte - etwa zufolge des Gebotes verfassungskonformer Gesetzesauslegung - bei anhängigen Berufungen in einer für den Zahlungserleichterungen suchenden Rechtsmittelwerber günstigeren Weise zu handhaben wäre, so stünde einer solchen Gesetzesanwendung - und zwar gerade in besonderen Härtefällen - das Erfordernis entgegen, die Einbringlichkeit der Abgabe durch die Gewährung einer Zahlungserleichterung nicht zu gefährden."

III. Die Bundesregierung erstattete eine (in der Folge ergänzte) Äußerung, in welcher sie begehrte, die in Prüfung gezogene Vorschrift nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Sie führte im einzelnen aus:

"Zu den Bedenken des VfGH im einzelnen

1. Besonderheiten des Abgabenverfahrens, insbesondere im Rechtsmittelverfahren:

Wenn - abweichend von der Regelung des § 64 Abs 1 AVG, wonach rechtzeitig eingebrachten Berufungen aufschiebende Wirkung zukommt - im § 254 BAO vorgesehen ist, daß durch die Einbringung einer Berufung die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht gehemmt wird, so ist zunächst allgemein darauf hinzuweisen, daß schon der Gesetzgeber des Jahres 1925 den Bereich der Abgaben des Bundes, der Länder und Gemeinden - mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben iS des § 78 AVG - von der Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze ausgenommen hat. Den Grund für die genannten Ausnahmen bilden die nicht zu übersehenden, spezifischen Eigenheiten des Abgabenverfahrens an sich sowie die einem Massenverfahren eigenen, zusätzlichen Besonderheiten. Die Regelungen der Vollstreckung und Einbringung sind dabei insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, daß sich der Staatshaushalt im wesentlichen aus den entrichteten oder eingebrachten Abgaben zusammensetzt, hinter diesen Regelungen also auch das eminente öffentliche Interesse an der Sicherung des Staatshaushaltes steht. Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß allein im Rahmen der Abgabenverwaltung des Bundes jährlich - ohne Bedachtnahme auf allfällige Sonderaktionen, wie zB eine Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes - etwa 15 Millionen Bescheide erlassen werden. Die Besonderheiten des Abgabenverfahrens bedingen daher eine von den Verwaltungsverfahrensgesetzen teilweise verschiedene Ausprägung der Rechtsschutzinstrumente, wobei aber das Ausmaß des Rechtsschutzes doch insgesamt größer ist als in anderen Verwaltungsverfahren (vgl. Stoll, Der Rechtsschutz im Abgabenverfahren nach der BAO-Nov 1980, JBl. 1982, 1 ff., der dazu weiter ausführt: 'Mag die Weite des Parteibegriffes auch aus dem besonderen Regelungsgegenstand folgen, so läßt sich doch daraus und speziell aus den Vorschriften über den Rechtsschutz in Abgabenverfahren der Eindruck gewinnen, daß in diesem Bereich des verwaltungsbehördlichen Verfahrens - gemessen an anderen vergleichbaren Verfahrensordnungen - den Parteiinteressen weitestmöglich Rechnung getragen wird; so sind insbesondere die Durchsetzungs- und Abwehrmechanismen ausgereift und wirksam ausgestaltet. Es gibt in der Tat kein Verwaltungsverfahrensrecht, in dem formelle Schranken in dem Ausmaß zurückgedrängt sind, um den Weg zu einer Sachentscheidung nicht unnötig zu erschweren, wie im Recht der BAO.').

Dazu ist im einzelnen folgendes festzuhalten:

Nahezu alle gesetzlich vorgesehenen Fristen zur Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten sind - auch wiederholt - verlängerbar, womit die Möglichkeit einer Entlastung von gehäuft unmittelbar anstehenden Obliegenheiten geschaffen wird. Der Begriff der Partei umfaßt nicht nur Träger ganz bestimmter Rechte und Pflichten, sondern schlechthin alle Personen insoweit, als sie die Tätigkeit einer Abgabenbehörde in Anspruch nehmen oder sich die Tätigkeit einer Abgabenbehörde auf sie bezieht (§78 BAO).

Das Abgabenverfahren kennt auch keinerlei Neuerungsverbot: Alle bis zur abschließenden Entscheidung - einschließlich des Rechtsmittelverfahrens (§280 BAO) - bekannt gewordenen Umstände sind zu berücksichtigen, dies auch dann, wenn diese Umstände erstmals in einer Berufung oder gar nach Ablauf der Berufungsfrist in einem gesonderten Schriftsatz vorgebracht werden. Dabei ist das Recht der Erhebung einer Berufung gemäß § 243 BAO keineswegs an die Voraussetzung geknüpft, daß die Abgabenbehörde etwa zum Nachteil des Abgabepflichtigen von der Steuererklärung abweicht, vielmehr steht es den Parteien auch dann zu, wenn die Abgabenbehörde etwa erklärungsgemäß veranlagt und der Abgabepflichtige es verabsäumt hat, eine Begünstigung im Rahmen der Abgabenerklärung geltend zu machen. Dabei beträgt die Berufungsfrist in jedem Fall einen Monat und ist auch darüber hinaus verlängerbar.

Dem Rechtsschutzinteresse des Abgabepflichtigen entspricht auch die Möglichkeit der Vollanfechtbarkeit abändernder Bescheide. § 251 BAO sieht vor, daß Bescheide, die an die Stelle eines früheren Bescheides treten, in vollem Umfang anfechtbar sind. Das gleiche gilt für endgültige Bescheide, die an die Stelle eines vorläufigen Bescheides (§200 BAO) treten und für Bescheide, die einen vorläufigen Bescheid zum endgültigen Bescheid erklären. Werden durch die §§192, 195, 196 und 197 BAO verknüpfte, in der Stufenfolge vorangehende Bescheide geändert oder aufgehoben, so müssen von Amts wegen die abgeleiteten Bescheide entsprechend durch andere (der Änderung in den vorherigen Stufen Rechnung tragende) Bescheide ersetzt (allenfalls aufgehoben) werden. Durch diese Folgeänderung tritt der bisherige abgeleitete Bescheid zur Gänze außer Kraft, und der neue Folgebescheid gilt als neuer selbständiger Bescheid. Er ist daher auch wiederum zur Gänze anfechtbar und nicht nur insoweit, als der Änderungsgrund reicht. Dabei kann es zur Aufrollung aller den Bescheid beeinflussenden Belange tatsächlicher oder rechtlicher Art kommen, auch wenn die nunmehr relevante Frage im Erstverfahren nicht verfolgt wurde, oder sogar dann, wenn diese im Erstverfahren bereits geprüft und hierüber abschlägig entschieden wurde. Die hier angeführten Grundsätze gelten des weiteren auch für im Anschluß an eine bewilligte oder verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens zu erlassende neue Sachbescheide.

Gerade im Bereich des Rechtsmittelverfahrens ist also der Rechtsschutz im Abgabenverfahren wesentlich umfassender als in sonstigen Verwaltungsverfahren. Schon allein als Ausgleich dafür scheint es gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber eine strengere Regelung betreffend die aufschiebende Wirkung von Steuerbescheiden trifft, wobei man sich in diesem Zusammenhang noch zusätzlich vor Augen halten muß, daß das Abgabenverfahren und die Abgabenvollstreckung dem nicht als gering zu veranschlagenden öffentlichen Interesse der Sicherung des Staatshaushaltes zu dienen hat. Für die wesentlich erweiterte Möglichkeit einer Bekämpfung von Steuerbescheiden wird dem Steuerpflichtigen die gewissermaßen ausgleichende Verpflichtung auferlegt, die Abgabenschuld grundsätzlich vor Rechtskraft des Bescheides entrichten zu müssen.

2. Zur Auslegung des § 212 Abs 1 BAO:

Nach Auffassung des VfGH ist eine vom Gesetzgeber angeordnete, sofortige Wirksamkeit und Vollziehbarkeit einer behördlichen Entscheidung offensichtlich dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn zusätzlich ein zweites Verfahren vorgesehen wird, in dem geprüft wird, 'ob ohne besondere, im öffentlichen Interesse oder im Interesse dritter Personen gelegene Notwendigkeit der sofortigen Vollstreckung der behördlichen Entscheidung diese einen unwiederbringlichen Rechtsnachteil für ihren Adressaten bedeutet'. Es liegt nahe, daß der VfGH dabei die einschlägigen Regelungen des VerfGG 1953 und des VwGG als Vorbild vor Augen hat. Der Auffassung des Gerichtshofes, daß der § 212 BAO kein in diesem Sinne ausreichendes Nebenverfahren vorsehe, ist nach Ansicht der Bundesregierung folgendes entgegenzuhalten:

Gemäß § 212 BAO kann dem Abgabepflichtigen Stundung oder Ratenzahlung gewährt werden, wenn 'die sofortige oder die sofortige volle Entrichtung der Abgaben für den Abgabepflichtigen mit erheblichen Härten verbunden wäre und die Einbringlichkeit der Abgaben durch den Aufschub nicht gefährdet wird'. Der VfGH vertritt hiebei die Auffassung, daß die der Judikatur des VwGH entsprechende Berücksichtigung nur einer offenkundigen Rechtswidrigkeit des Bescheides unter dem Tatbestandselement 'erhebliche Härte' dazu führe, daß kein in dem von ihm geforderten Sinne ausreichendes Nebenverfahren durch § 212 BAO gesichert sei. Außerdem legt er das in dieser Bestimmung normierte zweite Tatbestandselement in die Richtung aus, daß immer dann, wenn ein Härtefall gegeben sei, wohl eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgabe vorliegen werde.

Der Kritik des VfGH an der Judikatur des VwGH, daß nur Fälle der offenkundigen Rechtswidrigkeit unter das Tatbestandselement 'erhebliche Härte' fallen, ist zum einen entgegenzuhalten, daß - wie es der VfGH selbst andeutet - mittels verfassungskonformer Auslegung eine uU. verfassungsrechtlich gebotene, weitere Auslegung möglich scheint, und zum anderen, daß in Zweifel zu ziehen ist, ob die Rechtswidrigkeit der Entscheidung ein Kriterium bei der Entscheidung über die aufschiebende Wirkung zu sein hat. Gerade die Judikatur des VfGH selbst, aber auch die des ), bestätigt, daß die Frage der Rechtmäßigkeit der Entscheidung gerade kein Argument bei der Entscheidung über die aufschiebende Wirkung darstellt. Dagegen spricht auch, daß die Frage der Rechtmäßigkeit des Bescheides im Hauptverfahren geklärt werden soll. Eine Vorbeurteilung dieser Frage im Nebenverfahren erschiene im Hinblick auf das Hauptverfahren äußerst problematisch.

Untersucht man nun, ob die Regelung der Stundung den vom VfGH geforderten Kriterien - öffentliches Interesse und unwiederbringlicher Rechtsnachteil für den Adressaten - entspricht, ergibt sich folgendes:

Mit dem Kriterium der 'erheblichen Härte' kann jedenfalls das Tatbestandselement des durch die sofortige Vollstreckung der behördlichen Entscheidung eintretenden unwiederbringlichen Rechtsnachteiles für ihren Adressaten erfaßt werden. Diesem Kriterium kann gemäß § 212 BAO nur dann keine Bedeutung zukommen, wenn das besondere öffentliche Interesse hinsichtlich einer konkreten Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgabe gegeben ist. Die Bundesregierung teilt nun nicht die Auffassung, daß gerade in den typischen Härtefällen eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgabe vorliegen wird, da die Einbringlichkeit der Abgabe nicht schon allein dadurch gefährdet erscheinen muß, daß der Betreffende etwa wenig Geld besitzt oder wenig Geld verdient. Vielmehr wird eine konkrete Gefährdung immer erst dann gegeben sein, wenn spezifische besondere Umstände hinzutreten, wie zB mangelnde Vorsorge für die Abdeckung des Rückstandes, kein Zahlungsplan, hohe Entnahmen und hoher persönlicher Verbrauch, Befürchtung künftiger Unsicherheiten durch bevorstehende Transaktionen, vorhersehbare Änderungen der wirtschaftlichen Lage usw. (vgl. dazu auch Reeger-Stoll, Die Bundesabgabenordnung, 5. Auflage, 330). Soweit nun die Judikatur bisher davon ausgegangen ist, daß dem § 212 BAO der Grundgedanke zugrundeliegt, daß der Sicherheit der Abgabeneinbringung der Vorrang gegenüber allfälligen, den Abgabenschuldigen treffenden Härten zukommt, mag im Lichte der Ausführungen des VfGH im vorliegenden Unterbrechungsbeschluß wohl eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung des § 212 Abs 1 BAO geboten sein. Diese erscheint jedoch in dem durch den Wortlaut des § 212 Abs 1 BAO vorgegebenen Rahmen jedenfalls möglich. Daß es sich bei dem Kriterium der Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgabe um ein besonderes öffentliches Interesse handelt, bestätigt vor allem auch die Judikatur beider Gerichtshöfe öffentlichen Rechts, nach der bei Abgabenvorschreibungen die Vermeidung der Gefährdung der Abgabeneinbringung ein zwingendes öffentliches Interesse darstellt, das der Gewährung der aufschiebenden Wirkung entgegensteht (vgl. Puck, Die aufschiebende Wirkung bei Beschwerden vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, ZfV 1982, 464, insbesondere 465, FN 5; mit Beschluß vom , Z 84/17/0115, ist der VwGH von der in dieser Fußnote auch erwähnten, bisherigen Judikatur seit dem Jahre 1981 abgegangen, wonach der Gerichtshof im Abgabenrecht sozusagen in Fortsetzung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung in der Bundesabgabenordnung einer Beschwerde grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung zuerkannt hat). Die Stundungsregelung des § 212 BAO scheint daher sogar günstiger als jene Regelung, die der VfGH für ein ausreichendes Nebenverfahren fordert, da § 212 BAO als einziges öffentliches Interesse die Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgabe kennt, während andere Regelungen der gleichen Art - etwa im VerfGG 1953 und im VwGG - von zwingenden öffentlichen Interessen sprechen, die der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegenstehen dürfen.

Anzumerken ist auch, daß es nach der Bestimmung des § 212 BAO genügt, wenn die Entrichtung der Abgabe eine erhebliche Härte für den Abgabepflichtigen darstellt, während diesbezüglich im Verfahren vor den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts zusätzlich von Gesetzes wegen gefordert ist, daß der Nachteil unverhältnismäßig sein muß (vgl. das Erkenntnis des /0133).

§212 Abs 1 BAO sichert somit nach Auffassung der Bundesregierung durchaus ein im geforderten Sinne ausreichendes Nebenverfahren, in dem geprüft werden kann, 'ob ohne besondere, im öffentlichen Interesse oder im Interesse dritter Personen gelegene Notwendigkeit der sofortigen Vollstreckung der behördlichen Entscheidung diese einen unwiederbringlichen Rechtsnachteil für ihren Adressaten bedeutet'. Die geltende Stundungsregelung der BAO garantiert somit der Berufung im Abgabenverfahren gerade jenes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber, das der VfGH in diesem Zusammenhang ausdrücklich unter Berufung auf das rechtsstaatliche Prinzip fordert.

Im Hinblick darauf, daß die Stundung insofern hinter der aufschiebenden Wirkung zurückbleibt, als sie die Vollstreckung nicht generell bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft aufschiebt, weist die Bundesregierung darauf hin, daß es der Unterbrechungsbeschluß des VfGH völlig offen läßt, wann jenes Mindestmaß an faktischer Effizienz einer Rechtsschutzeinrichtung, das aus dem Rechtsstaatsprinzip erfließt, als erfüllt anzusehen ist. Aber selbst wenn der VfGH der Auffassung sein sollte, daß jenes Mindestmaß nur dann erfüllt wäre, wenn die Vollstreckung aufgrund eines Nebenverfahrens bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft aufgeschoben werden kann, müßte für die dieser Auffassung nicht zur Gänze entsprechende Regelung der Stundung in § 212 BAO die Besonderheit des Abgabenverfahrens als Rechtfertigung dienen. Diese Besonderheit ist vor allem auch darin begründet, daß das Abgabenverfahren in erster Linie die Liquidität des Staatshaushaltes zu garantieren hat. Im übrigen ist in diesem Zusammenhang auch noch darauf zu verweisen, daß auch Stundungen jederzeit verlängert werden können und in der Praxis auch tatsächlich sehr häufig verlängert werden.

Für den Fall, daß der VfGH die Auffassung, § 212 Abs 1 BAO stelle ein ausreichendes Nebenverfahren dar, nicht teilen sollte, erhebt sich doch wohl die Frage, ob der Sitz der im Unterbrechungsbeschluß vorläufig angenommenen Verfassungswidrigkeit nicht tatsächlich in § 212 Abs 1 BAO anzunehmen wäre und daher die - von der Bundesregierung nicht geteilten - verfassungsrechtlichen Bedenken des VfGH bereits durch die Aufhebung der in dieser Bestimmung enthaltenen Worte 'und die Einbringlichkeit der Abgaben durch den Aufschub nicht gefährdet wird' beseitigt werden könnten. Dabei dürfte vor allem nicht übersehen werden, daß der durch diese Aufhebung bewirkte Eingriff in das System der Bundesabgabenordnung jedenfalls geringer wäre als im Falle einer Aufhebung des § 254 BAO.

3. § 212 ergänzende Bestimmungen der BAO:

Die Prüfung, ob der Regelungsinhalt des § 254 BAO mit dem der österreichischen Bundesverfassung innewohnenden rechtsstaatlichen Prinzip vereinbar ist, erfordert aber neben der Einbeziehung des § 212 BAO in die Betrachtung auch die Bedachtnahme auf andere, im Umfeld des § 254 BAO stehende - und somit dem Rechtsschutzsystem der BAO immanente - Bestimmungen.

In diesem Zusammenhang ist etwa die Vorschrift des § 230 Abs 3 BAO bedeutsam, wonach dann, wenn ein Ansuchen um Zahlungserleichterung spätestens 1 Woche vor dem Ablauf der für die Entrichtung einer Abgabe zur Verfügung stehenden Frist eingebracht wurde, Einbringungsmaßnahmen bis zur Erledigung des Ansuchens - abgesehen von den seltenen Fällen des Vorliegens eines Vollstreckungsbescheides gemäß § 230 Abs 7 BAO - nicht eingeleitet werden dürfen. Wurde somit ein Abgabenbescheid erlassen, so genügt zunächst allein die fristgerechte Einreichung eines Zahlungserleichterungsansuchens, um einen Aufschub des Vollzugs des Bescheides zu erwirken. Dies gilt auch dann, wenn dem Ansuchen mangels Vorliegen der in § 212 BAO normierten Voraussetzungen keinerlei Erfolgsaussicht zukommt. § 230 Abs 4 BAO sieht darüber hinaus noch vor, daß die Abgabenbehörde auch dann, wenn das Ansuchen verspätet eingebracht wurde, einem Zahlungserleichterungsansuchen aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Maßnahmen zur Einbringung der Abgabe zuerkennen kann."

"Ausgehend von einer weiten Auslegung des Begriffes der aufschiebenden Wirkung iS der Judikatur des VwGH - wonach nicht nur jene Bescheide einer aufschiebenden Wirkung fähig sind, die unmittelbar zwangsvollstreckt werden können, sondern auch alle jene Bescheide, die Grundlage eines anderen vollstreckbaren Bescheides im gleichen Vollzugsbereich sind (vgl. in diesem Sinne VwSlg. 8719 A/1974) - und ausgehend davon, daß im Unterbrechungsbeschluß des , nichts gegen eine solche weite Auslegung des Begriffes der aufschiebenden Wirkung spricht, ist im besonderen nochmals darauf hinzuweisen, daß im Abgabenbereich nicht nur Abgabenbescheide iS der §§198 ff. der Bundesabgabenordnung (BAO), die ein Leistungsgebot enthalten, sondern - neben Bescheiden anderer Art - vor allem auch in großer Zahl Feststellungsbescheide erlassen werden, denen - als den erstgenannten Abgabenbescheiden vorgeschaltete Bescheide - im Abgabenbereich als Grundlage für die Festsetzung der Abgaben eine besondere Bedeutung zukommt. In jenen Fällen, in denen Elemente eines Bescheides materiell-rechtlich auch für andere Bescheide von Bedeutung sind, wird somit das Prinzip der Hintereinanderschaltung und des Aufeinanderaufbauens verfahrensrechtlich abgesichert und damit eine zumindest mehrgliedrige Stufenordnung von Grundlagenbescheiden und abgeleiteten Bescheiden erreicht. Dem System von Grundlagenbescheiden und abgeleiteten Bescheiden zufolge erscheint also in bestimmten Fällen, in denen dies gesetzlich angeordnet ist (vgl. die §§185 ff. BAO), der Spruch eines Bescheides, der ansonsten als Einheit aufzufassen ist, aufgespaltct: Bestimmte Spruchelemente werden von bestimmten Bescheidkategorien erfaßt, wobei die prozeßökonomisch sinnvolle Bedeutung dieser Technik nicht nur in der Hintereinanderschaltung von Entscheidungen, sondern vor allem darin liegt, daß bestimmte Entscheidungen eine allgemeine Basis für mehrere nachfolgende Entscheidungen bilden.

Wenn auch einzuräumen ist, daß die Anwendung des § 212 BAO - bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen - nur iZm. Abgabenbescheiden iS der §§198 ff. BAO unmittelbar in Betracht kommt, so ist doch darauf hinzuweisen, daß für die Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung im Bereich der Grundlagenbescheide unter dem Gesichtspunkt eines wirksamen Rechtsschutzes tatsächlich auch kein Bedürfnis besteht: Ergeht nämlich auf der Grundlage eines Feststellungsbescheides ein von diesem abgeleiteter Abgabenbescheid, so gewährleistet § 212 BAO bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen, daß im Wege dieser Bestimmung eine Suspensivwirkung für jene Phase zuerkannt wird, in der eine unmittelbare steuerliche Auswirkung, nämlich die Verpflichtung zur Erfüllung eines Leistungsgebotes, eintritt.

Im Rahmen des Abgabenverfahrens ist somit nach Auffassung der Bundesregierung der große Bereich der Grundlagenbescheide im Hinblick auf den generellen Ausschluß der aufschiebenden Wirkung und die Überlegungen des VfGH in bezug auf einen wirksamen Rechtsschutz jedenfalls anders zu beurteilen als der Bereich der abgeleiteten Abgabenbescheide, aufgrund derer sich konkrete Geldleistungsverpflichtungen für die Steuerpflichtigen ergeben.

Letzteres war ohne Zweifel mit ein Grund für den Bundesgesetzgeber, in der Bundesabgabenordnung keine generelle Ausnahme von der aufschiebenden Wirkung vorzusehen, sondern die Regelung des § 212 BAO zu treffen, die die Möglichkeit des Aufschubs der Vollstreckung gerade für die ein unmittelbares Leistungsgebot normierenden Bescheide eröffnet. Bei der Beurteilung des im Hinblick auf § 212 BAO somit nur scheinbaren generellen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung durch § 254 BAO darf der Aspekt nicht außer Acht gelassen werden, daß im Abgabenverfahren neben typischen Leistungsbescheiden auch eine Vielzahl von Grundlagenbescheiden erlassen wird. Hinsichtlich dieser würde aber allein die Möglichkeit der Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung die Vollziehbarkeit des gesamten Abgabenrechtes im besonderen in Frage stellen. Im übrigen liefert nach Ansicht der Bundesregierung der oz. Unterbrechungsbeschluß vom einen Hinweis darauf, daß auch der VfGH selbst nur jene abgabenrechtlichen Bescheide, die unmittelbar Leistungsgebote enthalten, im Auge hat, in dem darauf hingewiesen wird, daß es nicht anzugehen scheine, 'den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung solange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist'. Es erscheint der Bundesregierung nämlich zumindest fraglich, ob mit dem Wort 'belasten' auch die Wirkung eines Grundlagenbescheides, aufgrund dessen erst ein abgeleiteter Bescheid, unter Umständen ein Leistungsbescheid, erlassen wird, gemeint sein kann.

Der Ausschluß des Aufschubs dieser Wirkung von Grundlagenbescheiden, daß nämlich auf ihnen beruhende, weitere Bescheide ergehen können, erscheint aber für die Vollziehbarkeit des Abgabenrechtes in weiten Teilen als unabdingbare Voraussetzung. Für den Bereich der Grundlagenbescheide würde selbst die Schaffung des vom VfGH angesprochenen 'zweiten Verfahrens zusätzlich zum Hauptverfahren' das derzeitige System verfahrensrechtlicher Regelungen betreffend das Verhältnis von Grundlagenbescheiden und abgeleiteten Bescheiden und damit - wie bereits erwähnt - die Vollziehbarkeit des Abgabenrechtes im besonderen in Frage stellen.

Abschließend erachtet es die Bundesregierung für zweckmäßig, darauf hinzuweisen, daß das derzeit gemäß den §§254 und 212 BAO geltende System noch zusätzlich durch folgende Besonderheit des abgabenrechtlichen Rechtsmittelverfahrens gerechtfertigt erscheint:

In der Regel richtet sich nämlich eine Berufung im Abgabenverfahren iZm. abgabenrechtlichen Leistungsbescheiden nicht gegen das Leistungsgebot zur Gänze, sondern nur gegen einen bestimmten, oft eher geringfügigen Teil der gesamten Abgabenschuld. Dieser Besonderheit wird nun § 212 BAO gerade insofern gerecht, als er eine Stundung in Höhe des jeweils strittigen Betrages ermöglicht. Dasselbe gilt selbst dann, wenn sich die Berufung nicht gegen den ein Leistungsgebot normierenden abgeleiteten Bescheid, sondern gegen den diesem vorgelagerten Grundlagen-, insbesondere auch Feststellungsbescheid richtet."

IV. Der VfGH stellte es auch den Landesregierungen frei, Äußerungen zu erstatten. Hievon machten die Burgenländische Landesregierung, die Ktn. Landesregierung, die Oberösterreichische Landesregierung, die Sbg. Landesregierung, die Tir. Landesregierung sowie die Wr. Landesregierung Gebrauch. Während die Ktn. Landesregierung die in Prüfung genommene Bestimmung für verfassungswidrig hält, vertreten die übrigen Landesregierungen im Ergebnis die gleiche Meinung wie die Bundesregierung.

V. 1. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig.

Der VfGH hält insbesondere an der vorläufigen Annahme des Einleitungsbeschlusses über die Präjudizialität des § 254 BAO fest, die weder von der Bundesregierung noch von einer Landesregierung in Zweifel gezogen wurde. In diesem Zusammenhang ist bloß noch auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, derzufolge im Hinblick auf § 289 BAO der Ausspruch, daß eine Berufung abgewiesen wird, die Erlassung einer dem erstinstanzlichen Bescheid inhaltlich entsprechenden Berufungsentscheidung zum Ausdruck bringt (s. VfSlg. 5368/1966, 5718/1968 und 9155/1981).

Außer der Präjudizialität liegen auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen des eingeleiteten Prüfungsverfahrens vor.

2. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Gerichtshofs erweisen sich im Ergebnis ebenfalls als gerechtfertigt.

Der VfGH kann von seiner im Prüfungsbeschluß bezogenen ständigen Judikatur zum rechtsstaatlichen Prinzip ausgehen, die nicht bestritten wurde. Ihr zufolge gipfelt der Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips darin, daß alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet, daß nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz als dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen wurden. Der Gerichtshof bleibt auch bei der im Einleitungsbeschluß an diese Umschreibung geknüpften Annahme, daß die hier unabdingbar geforderten Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen. Zunächst ist hiezu die Klarstellung geboten, daß von faktischer Effizienz deshalb die Rede ist, weil unter Effizienz allein unter Umständen bloß das letzten Endes bewirkte Erreichen einer Entscheidung rechtsrichtigen Inhalts durch das Ergreifen von Rechtsbehelfen verstanden werden könnte, nicht aber auch die mitgemeinte Umsetzung einer solchen Entscheidung in den Tatsachenbereich. "Schutz" als Teilaspekt des Ausdrucks "Rechtsschutz" ist auf den Rechtsunterworfenen bezogen und meint nicht zuletzt die - rechtzeitige - Wahrung und Gewährleistung einer faktischen Position, weshalb Rechtsschutzeinrichtungen diesen Zweck notwendig in sich schließen. Der VfGH hält im Hinblick auf diesen Inhalt des Begriffes Rechtsschutzeinrichtung, mithin insbesondere des Begriffes Rechtsbehelf, auch an der Ansicht fest, daß es nicht angeht, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung solange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang allerdings nicht nur seine Position, sondern auch - Zweck und Inhalt der Regelung, ferner die Interessen Dritter sowie schließlich das öffentliche Interesse. Der Gesetzgeber hat unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei aber dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfs der Vorrang zukommt und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig ist. Auf welche Weise dieser Ausgleich vom Gesetzgeber vorgenommen wird, läßt sich - wie aus den vorstehenden Ausführungen folgt - nicht allgemein sagen.

Im vorliegenden Gesetzesprüfungsfall geht es um die Erlassung abgabenbehördlicher Bescheide, mithin auch um die Erlassung von Abgabenbescheiden im rechtstechnischen Sinn. Dem Gesetzgeber ist es bei einer solchen Lage aufgegeben, das Interesse der Gebietskörperschaften an regelmäßig fließenden Einnahmen gebührend zu berücksichtigen, gegenüber dem die Interessenposition des Abgabenschuldners Einschränkungen auf sich nehmen muß. Die vom Gesetzgeber vorzunehmende Interessensabwägung erlaubt es ihm, ein System zu schaffen, das den regelmäßigen Zufluß der Abgaben sicherstellt, die Abgabenschuldner aber nicht einseitig in Fällen belastet, in denen - trotz Bedachtnahme auf gesicherte Erfahrungstatsachen, eine längerwährend unbeanstandet geübte Verwaltungspraxis oder die Klärung von Rechtsfragen durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts - Tatsachen- oder Rechtsfragen echt strittig sind. In solchen Fällen (- und dies ist bei Betrachtung eines konkreten Abgabenbescheides auch in der Weise denkbar, daß nur ein Teilbereich betroffen ist -) geht es nicht an, das Rechtsschutzrisiko im echt fraglichen Bereich dem Rechtsunterworfenen vorbehaltlos aufzulasten. Wie nun ein System, das einen solchen Zustand bis zur endgültigen Rechtsschutzgewährung vermeidet, im einzelnen beschaffen sein soll, liegt im rechtspolitischen Ermessen des Gesetzgebers; es kommt nicht darauf an, wie er es rechtstechnisch ausgestaltet (zB festlegt, daß und in welchem Umfang auf Parteiverlangen einem Rechtsmittel durch die Abgabenbehörde erster oder zweiter Rechtsstufe aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist), sondern ob das System den Rechtsschutz im umschriebenen Sinn gewährleistet.

Legt man diesen Maßstab an den § 212 Abs 1 BAO (demzufolge auf Ansuchen bestimmte Zahlungserleichterungen, insbesondere eine Stundung, bewilligt werden können, "wenn die sofortige oder die sofortige volle Entrichtung der Abgaben für den Abgabepflichtigen mit erheblichen Härten verbunden wäre und die Einbringlichkeit der Abgaben durch den Aufschub nicht gefährdet wird"), so ist es evident, daß diese Vorschrift nicht genügt, die extremen Auswirkungen des § 254 BAO auszugleichen. Aus der Sicht der Rechtsschutzgestaltung kann es nämlich nicht (bloß) darum gehen, ob die durch den Abgabenbescheid für den Abgabepflichtigen geschaffene Zahlungsverpflichtung eine "erhebliche Härte" bedeutet, wobei in diesem Zusammenhang angemerkt sei, daß § 212 Abs 1 BAO wegen des spezifischen Begriffsinhalts der Wendung "erhebliche Härte" auch nicht iS der von der Wr. Landesregierung abgegebenen Äußerung ausgelegt werden kann, welche folgendes meinte:

"Die Wr. Landesregierung ist der Ansicht, daß eine Stundung auch bei zweifelhaftem Ausgang des Rechtsmittelverfahrens gewährt werden kann, wenn die Zweifel nur einigermaßen begründet sind. Als Paradebeispiel für so eine Möglichkeit mag man sich einen Fall vorstellen, in dem eine Rechtsfrage erstmals gelöst werden soll. Die Wr. Landesregierung vermag hier keinen Verstoß gegen das Gesetz zu erkennen, wenn in so einem Fall es als erhebliche Härte angesehen würde, den Steuerpflichtigen sofort die Steuer bezahlen zu lassen, ohne vorerst die Klärung der Rechtsfrage abzuwarten."

Im gegebenen Zusammenhang kommt es vielmehr entscheidend darauf an, ob es im Hinblick auf die Prämissen der von der Abgabenbehörde angenommenen Abgabepflicht (etwa unter Bedachtnahme auf die oben genannten Kriterien: gesicherte Erfahrungstatsachen, längerwährend unbeanstandet geübte Verwaltungspraxis, Klärung von Rechtsfragen durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) überhaupt als begründbar angesehen werden kann, die alsbaldige Bezahlung der streitverfangenen Geldleistung zu verlangen. Dazu kommt noch einerseits, daß eine erwirkte Stundung nach Maßgabe des § 212 Abs 2 BAO zu einer Zinsenbelastung führt, sowie andererseits, daß das in § 212 Abs 1 BAO kumulativ festgelegte Tatbestandsmerkmal der Einbringlichkeitsgefährdung mit den vorhin dargelegten Anforderungen schlechthin unvereinbar ist.

3. § 254 BAO war aus den angeführten Erwägungen als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz

B-VG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.