VfGH vom 14.12.1987, g114/87
Sammlungsnummer
11587
Leitsatz
In § 17 Abs 2 lita FinStrG idF der Novelle 1984 normierter Verfall von Gegenständen - obligatorisch zu verhängende Strafe ohne angemessenes Verhältnis zum Grad des Verschuldens und zur Höhe des Schadens; Möglichkeit des gnadenweisen Strafnachlasses nicht geeignet, die gebotene Flexibilität zu gewährleisten; Gleichheitswidrigkeit des § 17 Abs 2 lita idF der Novelle 1984 aus den schon in VfSlg. 9901/1983 (betreffend die Vorgängerbestimmung) genannten Gründen
Spruch
§ 17 Abs 2 lita des BG vom , BGBl. Nr. 129, betreffend das Finanzstrafrecht und das Finanzstrafverfahrensrecht (Finanzstrafgesetz - FinStrG), in der Fassung der Finanzstrafgesetznovelle 1984, BGBl. 532, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Beim VfGH sind zu Zlen. B449/86 und B612/87 Verfahren über Beschwerden (Art144 B-VG) anhängig, die sich jeweils gegen Bescheide einer Finanzlandesdirektion (FLD) richten. Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden vom und vom waren die Bf. des versuchten Schmuggels (§§13 und 35 Abs 1 des Finanzstrafgesetzes, BGBl. 129/1958, idF der Nov. BGBl. 532/1984 - im folgenden: FinStrG) einer Unterwasserkamera bzw. eines Nerzmantels schuldig erkannt worden. Die Behörden verhängten über die Bf. Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen. Außerdem verfügten sie nach § 35 Abs 4 iVm § 17 (Abs2 lita) FinStrG den Verfall der Unterwasserkamera bzw. des Mantels.
Aus Anlaß beider Beschwerden beschloß der VfGH, gemäß Art 140 Abs 1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit der lita im § 17 Abs 2 FinStrG von amtswegen zu prüfen (G114/87 und G213/87).
b) Beim VwGH ist das Verfahren über eine Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der FLD OÖ anhängig, mit dem im Zuge eines gegen den Bf. wegen des Finanzvergehens der Hinterziehung von Eingangsabgaben (§35 Abs 2 FinStrG) eingeleiteten Finanzstrafverfahrens unter Berufung auf § 89 Abs 1 FinStrG die Beschlagnahme eines dem Bf. gehörenden PKW zur Sicherung der Strafe des Verfalls verfügt worden war.
Weiters ist beim VwGH das Verfahren über eine Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland anhängig. Mit diesem Bescheid wurde der Bf. des Finanzvergehens der Hinterziehung von Eingangsabgaben nach dem § 35 Abs 2 FinStrG schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe von 60.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 60 Tage) verhängt; außerdem wurde gemäß § 35 Abs 4 iVm § 17 (Abs2 lita) FinStrG auf Verfall des Tatgegenstandes (einer Motorjacht) erkannt.
Der VwGH stellte mit Beschlüssen vom 3. September und , Zlen. A23/87 und A47/87, aus Anlaß dieser Beschwerdeverfahren gemäß Art 140 Abs 1 B-VG an den VfGH die Anträge, § 17 Abs 2 lita FinStrG als verfassungswidrig aufzuheben (hg. Zl. G165/87 und G227/87).
2. Die Bundesregierung erstattete zu G114/87 in der Sache eine Äußerung (s.u. II.3.a). In den weiteren Gesetzesprüfungsverfahren verwies sie auf diese Stellungnahme.
II. 1. In allen vier Gesetzesprüfungsverfahren geht es um die Verfassungsmäßigkeit des den Verfall von Gegenständen im Zuge von Finanzstrafverfahren regelnden § 17 Abs 2 lita FinStrG idF der Nov. 1984.
a) Der VfGH hat mit Erkenntnis VfSlg. 9901/1983 die Vorgängerbestimmung wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz als verfassungswidrig aufgehoben und für das Inkrafttreten der Aufhebung eine Frist bis bestimmt.
§ 17 Abs 2 lita FinStrG lautete damals:
"(2) Dem Verfall unterliegen:
a) die Sachen, hinsichtlich derer das Finanzvergehen begangen wurde, samt Umschließungen;
b) . . ."
In den Entscheidungsgründen betonte der VfGH, daß er das Institut des Verfalls an sich nicht in Frage stelle. Die Gleichheitswidrigkeit erblickte er vielmehr darin, daß der Verfall als absolute Strafdrohung unabhängig vom Grad des Verschuldens und unabhängig von der Höhe des durch das Finanzvergehen bewirkten Schadens vorgesehen war.
b) In der Folge erging die FinStrG-Nov. 1984, BGBl. 532.
Durch ArtI der Nov. 1984 erhielt § 17 Abs 2 lita FinStrG die folgende Fassung:
"(2) Dem Verfall unterliegen:
a) die Sachen, hinsichtlich derer das Finanzvergehen begangen wurde, samt Umschließungen, es sei denn, der auf die Sache entfallende strafbestimmende Wertbetrag (§53 Abs 1 litb) beträgt weniger als ein Zehntel der für seine Ermittlung maßgebenden Bemessungsgrundlage (§5 des Umsatzsteuergesetzes 1972) oder in Ermangelung einer solchen des gemeinen Wertes der Sache; ist demnach nicht auf Verfall zu erkennen, so kann das Höchstmaß der für das Finanzvergehen angedrohten Geldstrafen um die Hälfte überschritten werden;"
c) Die Regierungsvorlage (380 BlgNR, XVI. GP) zur nachmaligen FinStrG-Nov. 1984 erläutert diese Neuregelung wie folgt:
"Der Rechtsansicht des VfGH soll in der Weise entsprochen werden, daß in Fällen eines Mißverhältnisses zwischen dem Wert der verfallsbedrohten Sache und dem Schadensbetrag keine Verfallsstrafe vorgesehen ist. Wann ein solches Mißverständnis" (wohl richtig: Mißverhältnis) "vorliegt, soll im Gesetz nicht bloß in Form einer allgemeinen Unverhältnismäßigkeitsklausel, sondern ausdrücklich gesagt werden: Dem durch das Finanzvergehen verursachten Schaden wie er im sogenannten strafbestimmenden Wertbetrag zum Ausdruck kommt, soll für die bei der Einfuhr von Waren begangenen Finanzvergehen der Begriff der Bemessungsgrundlage nach § 5 des Umsatzsteuergesetzes 1972 gegenübergestellt werden. Demnach ist Bemessungsgrundlage der Zollwert bzw. das aufgewendete Entgelt einschließlich allfälliger Hinzurechnungsbeträge nach Abs 5 leg.cit. Bei den im Inland begangenen Hinterziehungen von Verbrauchsteuern und Monopoleinnahmen soll dem strafbestimmenden Wertbetrag in Ermangelung eines der Bemessungsgrundlage entsprechenden gesetzlichen Begriffes der gemeine Wert des Tatgegenstandes gegenübergestellt werden. Beträgt nun der strafbestimmende Wertbetrag weniger als ein Zehntel der Bemessungsgrundlage bzw. des gemeinen Wertes, so soll der Tatgegenstand nicht dem Verfall unterliegen. .....
Durch diese Regelung wird im Zusammenhang mit dem Umstand, daß die Verfallsstrafe ohnedies nur bei bestimmten Vorsatzdelikten vorgesehen ist, dem sich aus dem Gleichheitsgrundsatz ergebenden Sachlichkeitsgebot entsprochen.
Die in der Neufassung vorgesehene Zehntelgrenze ist darin begründet, daß beim Schmuggel, bei welchem auch der VfGH die Verfallsstrafe als zum Standard anderer europäischer Rechtsordnungen gehörend und daher als unbedenklich angesehen hat, die Tatgegenstände auch bei bloß zehnprozentiger Eingangsabgabenbelastung dem Verfall unterliegen sollen. Damit ist aber auch bei Eingangsabgabenhinterziehungen dieses Ausmaßes die Verfallsstrafe gerechtfertigt.
Um auch in den Fällen, in welchen die Tatgegenstände nicht mehr dem Verfall unterliegen, ein angemessenes Strafausmaß zu gewährleisten, soll - ähnlich der Regelung beim Rückfall (§§41 und 47 FinStrG) - das Höchstmaß der sonst angedrohten Geldstrafe um die Hälfte überschritten werden können."
2.a) Der VfGH begründete seinen Beschluß vom , B449/86 (s.o. I.1.a), § 17 Abs 2 lita FinStrG idF der Nov. 1984 zu prüfen, damit, daß diese Vorschrift anscheinend aus den gleichen Gründen wie ihre Vorgängerbestimmung dem Gleichheitsgrundsatz widerstreite. Nach wie vor schreibe das Gesetz vor, daß der Verfall zwingend auszusprechen ist, wenn die Voraussetzungen des § 17 Abs 2 FinStrG vorliegen; es dürfte keinen flexiblen Strafrahmen geben, der es erlaubt, erschwerende oder mildernde Umstände zu berücksichtigen. Zumindest unter diesen Umständen scheine auch die neue Regelung Fälle zu erfassen, in denen - ungeachtet der nun angefügten einschränkenden Bestimmungen - die Höhe der Strafe des Verfalls unverhältnismäßig strenge sei, zumal die Zehntelregelung bedeuten dürfte, daß etwa der Schmuggel auch nach neuem Recht der absoluten Verfallsstrafe unterliegt (vgl. Strigl, Verfall des Verfalls, AnwBl. 2/1985, 75 ff.).
Der letzte Halbsatz des § 17 Abs 2 lita FinStrG erlaube das Überschreiten um die Hälfte des Höchstausmaßes der für das Finanzvergehen angedrohten Geldstrafe, ohne daß auf die Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen wäre; auch dies scheine - wie der VfGH vorläufig annahm - die Möglichkeit einer unangemessen hohen Strafe zu eröffnen.
b) Im hg. Einleitungsbeschluß vom , B612/87 (s.o. I.1.a) sowie in den Gesetzesprüfungsanträgen des VwGH (s.o. I.1.b) wird lediglich auf diese Begründung Bezug genommen.
3.a) Die Bundesregierung erstattete im Gesetzesprüfungsverfahren G114/87 eine Äußerung, in der es lautet:
". . . . . . . . . .
II. Zur Berücksichtigung des Verschuldens
Wie in den Erläuterungen der Regierungsvorlage 380 BlgNR XVI. GP ausgeführt, ist 'die Verfallsstrafe ohnedies nur bei bestimmten Vorsatzdelikten vorgehen' (vgl. die §§33, 35, 37, 39, 42, 44, 46 und 52 FinStrG). Damit ist aber nach Ansicht der Bundesregierung der Grad des Verschuldens ausreichend berücksichtigt, 'dem sich aus dem Gleichheitsgrundsatz ergebenden Sachlichkeitsgebot entsprochen'. Dies vor allem deshalb, weil eine Differenzierung der Strafe des Verfalles nach bedingtem und direktem Vorsatz bzw. Wissentlichkeit durch den Gleichheitsgrundsatz nicht geboten erscheint. Dazu kommt noch, daß im Regelfall der Verfall nicht teilweise ausgesprochen werden kann, so daß diesfalls eine den unterschiedlichen Graden des Verschuldens (Vorsatzes) jeweils entsprechende bzw. angemessene Anordnung des Verfalles tatsächlich gar nicht möglich ist und die Alternative, vom Verfall in bestimmten Fällen vorsätzlichen Handelns des Täters überhaupt abzusehen, jedoch ihrerseits zu unangemessenen, im wesentlichen sogar gleichheitswidrigen Ergebnissen im Verhältnis zu den mit Verfallsstrafe bedrohten Fällen führen müßte.
III. Zur angemessenen Relation zwischen der Höhe der Verfallsstrafe und der Höhe des Verkürzungsbetrages bzw. des verursachten Schadens
Zunächst ist klarzustellen, daß aus dem Erkenntnis VfSlg. 9901/1983 nicht abgeleitet werden kann, daß es einen flexiblen Strafrahmen geben müsse, um erschwerende und mildernde Umstände berücksichtigen zu können, sondern lediglich, daß die Höhe der Strafe des Verfalles in einem angemessenen Verhältnis nicht nur zur Schuld, sondern auch zur Höhe des Verkürzungsbetrages zu stehen habe.
1. Die rechtspolitische Zielsetzung der Festsetzung einer schweren Strafe:
Die Zehntelregelung in § 17 Abs 2 lita FinStrG stellt nach Auffassung der Bundesregierung eine auch im Sinne der Rechtsprechung sehr wohl angemessene Relation dar, da der VfGH in dem erwähnten Erkenntnis ja selbst ausgesprochen hat, daß u.a. auch gerade der Schmuggel und jene Eingangs- und Ausgangsabgabendelikte, die nach dem Finanzstrafgesetz mit Verfall bedroht sind, sehr strenge Strafen rechtfertigen, da 'in derartigen Fällen in der Regel schon aus Gründen der General- und Spezialprävention sehr strenge, das Eigentum belastende Strafen vorgesehen werden, wie solche Strafen (etwa bei Schmuggel) auch zum Standard anderer europäischer Rechtsordnungen zu gehören scheinen'. Auch im Lichte des Erkenntnisses VfSlg. 9901/1983 muß diese Zehntelregelung jedenfalls als angemessen erscheinen, ging es doch in dem diesem Gesetzesprüfungsverfahren zugrundeliegenden Anlaßfall darum, daß der hinterzogene Betrag 1/1000 des Wertes der für verfallen erklärten Gegenstände ausmachte. Derartige Relationen sind durch die nunmehr geltende Regelung nämlich jedenfalls ausgeschlossen. Mit der ohne Zweifel noch immer strengen, aber in allen Fällen fixen Zehntelregelung wollte der Gesetzgeber jedoch unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß er der Begehung dieser schwer kontrollierbaren Delikte mit entsprechend schweren, angemessenen Strafen begegnen will.
Die etwa im Verhältnis zu Steuervergehen traditionell strengeren Strafdrohungen bei Zollvergehen haben ihre Ursache zum einen darin, daß bei Schmuggel und Eingangsabgabenhinterziehung der Schaden nicht nur im Entgang der Eingangsabgaben besteht, sondern auch im Entgang inländischer Abgaben, sei es, daß solche Waren überhaupt ohne steuerliche Erfassung oder mit geringeren Einstandspreisen in den inländischen Verkehr gebracht werden. Aber auch bei zollunredlicher Einbringung durch Letztverbraucher ergibt sich über den Eingangsabgabenentgang hinaus ein Schaden für die inländische Wirtschaft und in der Folge für den Abgabengläubiger, weil die entsprechenden Inlandsumsätze und damit auch die inländischen Steuerleistungen entfallen.
Zum anderen ist es zufolge der zunehmenden Durchlässigkeit der Staats- und Zollgrenzen und der daraus resultierenden erschwerten Kontrolle des internationalen Warenund Reiseverkehrs aus der Sicht der General- und Spezialprävention geboten, ab einer bestimmten Wertrelation die obligatorische Verfallsstrafe bei einschlägigen Delikten beizubehalten. Dies gilt um so mehr, als im Strafensystem des Finanzstrafgesetzes den Geld- und Vermögensstrafen - auch im internationalen Vergleich - schon immer gegenüber den Freiheitsstrafen der Vorzug gegeben wurde und auch weiterhin gegeben werden soll. Vergleicht man nämlich die Strafdrohungen des vielfach ideal konkurrierenden Betrugstatbestandes mit jenen des Schmuggels und der Eingangsabgabenhinterziehung, so wird augenscheinlich, daß es zum Zwecke einer gebotenen, vor allem aber auch rechtspolitisch wünschenswerten General- und Spezialprävention in diesem Deliktsbereich anstelle der Freiheitsstrafen schwerer Vermögensstrafen bedarf.
2. Rechtspolitische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei Festsetzung von Strafen:
Nach Auffassung der Bundesregierung wäre es ohne Zweifel zulässig, daß der Gesetzgeber für schwere Finanzvergehen eine Geldstrafe zum Beispiel derart bestimmt, daß sie zwischen dem Zehnfachen des Verkürzungsbetrages als Untergrenze bis etwa zum Zweifachen des Wertes der Ware festgesetzt werden kann. Der Gesetzgeber könnte also bei Festsetzung einer Geldstrafe einen sozusagen fixen Sockelbetrag als Untergrenze vorsehen, der zum einen verschuldensunabhängig wäre und zum anderen in der Relation 1:10 zum Verkürzungsbetrag stünde. Wenn aber eine in dieser Form vorgesehene Geldstrafe jedenfalls als verfassungsrechtlich zulässig anzusehen ist, so muß dies wohl in gleicher Weise auch für eine - vom Gesetzgeber im Rahmen seiner rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit gewählte - Konstruktion zutreffen, bei der an die Stelle des fixen Sockelbetrages in der oben erwähnten Relation von 1:10 eine Verfallsstrafe in eben derselben Relation tritt. Die bei dieser, vom Gesetzgeber auch tatsächlich gewählten Konstruktion für ein und dasselbe Delikt vorgesehene Geld- und Verfallsstrafe muß somit in Wahrheit als eine Strafe angesehen werden.
3. Der Aspekt der Vollziehbarkeit der Verfallsregelung:
Infolge der besonderen Häufigkeit der Begehung der hier in Rede stehenden Delikte ist nach Ansicht der Bundesregierung eine allgemeine Verfallsregelung der Art, daß es dem einzelnen Vollzugsorgan überlassen sein soll, das Verhältnis das Höhe der Strafe des Verfalles zum Grad des Verschuldens und zur Höhe des Verkürzungsbetrages im einzelnen zu beurteilen, allein aus Gründen der erheblich beschränkten Vollziehbarkeit einer solchen Gesetzesbestimmung abzulehnen. Eine derartige allgemeine Unverhältnismäßigkeitsklausel hätte wohl auch mit Sicherheit zur Folge, daß die Vollziehung der Verfallsregelung hinsichtlich der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Verfallsstrafe und Verkürzungsbetrag sowie eines angemessenen Verhältnisses des Verfalles zur Schuld je nach der subjektiven Bewertung durch das Vollzugsorgan zu unterschiedlichsten Ergebnissen und damit zu einer gerade im Bereich des Finanzstrafrechtes nicht vertretbaren Uneinheitlichkeit der Vollziehung führen müßte. Dazu kommt noch, daß - wie bereits unter Pkt. II. erwähnt - der Gegenstand des Verfalles im Regelfall nicht teilbar ist, daher also eine Berücksichtigung des Grades des Verschuldens (Vorsatzes) und der Höhe der Abgabenverkürzung in der Form, daß nur ein teilweiser Verfall ausgesprochen wird, im Regelfall nicht möglich ist. Aus all diesen Gründen erscheint es daher nach Ansicht der Bundesregierung jedenfalls geboten, im Rahmen der gesetzlichen Regelung des Verfalles eine konkrete Wertrelation zu bestimmen.
4. Zur Höhe des Schadens:
Nach Meinung des VfGH hat auch die Höhe von Strafen des Verfalles in einem angemessenen Verhältnis zur Höhe des Verkürzungsbetrages, also zu dem durch das Delikt verursachten Schaden zu stehen. Der Schaden, der jedenfalls durch ein Zollvergehen entsteht, ist zunächst der Entgang der Eingangsabgaben. Von diesem Schaden geht auch die in Prüfung gezogene Regelung aus, da die Eingangsabgaben im günstigsten Fall - nämlich bei zollfreien EG- und EFTA-Waren, die nur der 10 %igen Einfuhrumsatzsteuer unterliegen - 10 % des Warenwertes beträgt. Der Schaden, der durch diese Delikte letztlich für den österreichischen Staat entsteht, ist aber häufig viel größer, da es - wie bereits unter Pkt. III.1. ausführlich dargelegt - meist im Gefolge auch zum Entgang inländischer Abgaben kommt, sei es, daß solche Waren überhaupt ohne steuerliche Erfassung oder mit geringeren Einstandspreisen in den inländischen Verkehr gebracht werden. Aber auch bei zollunredlicher Einbringung durch Letztverbraucher ergibt sich über den Eingangsabgabenentgang hinaus ein Schaden für die inländische Wirtschaft und in der Folge für den Abgabengläubiger, weil die entsprechenden Inlandsumsätze und damit auch die inländischen Steuerleistungen entfallen. Aus der Sicht des Gesetzgebers muß aber wiederum eine gesetzliche Regelung unvollziehbar erscheinen, die allein dem Vollzugsorgan die Verpflichtung auferlegt, diesen gesamten, u.U. endgültig noch gar nicht absehbaren Schaden, den ein mit Verfall bedrohtes Delikt tatsächlich oder auch nur möglicherweise verursacht, festzustellen und zur Grundlage der zu treffenden Entscheidung zu machen. Der Gesetzgeber konnte und mußte daher im Sinne der gebotenen Durchschnittsbetrachtung davon ausgehen, daß im Regelfall der durch die Verkürzung der Einfuhrumsatzsteuer verursachte Schaden nur die untere Grenze des durch diese Abgabendelikte üblicherweise verursachten Schadens ist.
5. Auswirkung der Verfallsregelung auf den Schmuggel:
Wie auch in den unter Pkt. II. zitierten Erläuterungen zum Ausdruck kommt, beabsichtigte der Gesetzgeber, den Schmuggel der Strafe des Verfalles zur Gänze zu unterwerfen. Die Abgabenverkürzung, die durch Schmuggel entsteht, macht im günstigsten Fall - nämlich jene Waren betreffend, die dem begünstigten Umsatzsteuersatz unterliegen - 10 % aus. Die sich daraus ergebende Relation von 1:10 zwischen dem verkürzten Abgabenbetrag und der Höhe der Strafe des Verfalles hielt der Gesetzgeber - wie bereits unter Pkt. III.1. ausgeführt - vor allem im Lichte der beanstandeten Relation im Anlaßfall zu VfSlg. 9901/1983 und im Hinblick auf die vom VfGH in diesem Erkenntnis getroffene ausdrückliche Feststellung, es entspreche dem europäischen Standard, für diese mit Verfall bedrohten Delikte sehr strenge, das Eigentum belastende Strafen vorzusehen, für gerechtfertigt.
IV. Zu den Bedenken gegen den letzten Halbsatz des § 17 Abs 2 lita FinStrG:
Die im letzten Halbsatz der in Prüfung gezogenen Bestimmung enthaltene Regelung stellt eine Ermächtigung zur Erhöhung der an sich bei diesen Delikten vorgesehenen Geldstrafe dar. Diese gesetzliche Ermächtigung, eine Geldstrafe in der Höhe des Dreifachen des verkürzten Abgabenbetrages für den Fall festzusetzen, daß die Voraussetzungen des Verfalles nicht vorliegen, liegt aber nach Auffassung der Bundesregierung im rechtspolitischen Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers. Im übrigen unterliegt diese gesetzlich festgelegte Möglichkeit einer Erhöhung der Geldstrafe auch uneingeschränkt den bei der Bemessung der Geldstrafe anzuwendenden Grundsätzen der Strafbemessung (§23 FinStrG). Es ist also bei der Verhängung einer solchen Geldstrafe sehr wohl auf die Schuld des Täters, die erschwerenden und mildernden Umstände sowie auf die persönlichen Verhältnisse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Rücksicht zu nehmen. Es ist daher nach Ansicht der Bundesregierung auch nicht zutreffend, wenn der VfGH vorläufig annimmt, daß infolge dieser Ermächtigung das Höchstausmaß der angedrohten Geldstrafe um die Hälfte überschritten werden dürfe, 'ohne daß auf die Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen wäre'.
V.
Die Bundesregierung stellt somit den
Antrag,
der VfGH wolle aussprechen, daß § 17 Abs 2 lita des BG vom , BGBl. Nr. 129, betreffend das Finanzstrafrecht und das Finanzstrafverfahrensrecht (Finanzstrafgesetz - FinStrG), in der Fassung des BG BGBl. Nr. 532/1984 nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist.
Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den
Antrag,
der VfGH wolle gemäß Art 140 Abs 5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen."
b) In den drei weiteren Gesetzesprüfungsverfahren verwies die Bundesregierung auf diese Äußerung.
III. Der VfGH hat erwogen:
A. Zu den Prozeßvoraussetzungen
1. Gegenstand der beiden Bescheide, die mit den Anlaßbeschwerden B449/86 und B612/87 angefochten wurden (s.o.I.1.a), ist u.a. die gemäß § 17 Abs 2 lita FinStrG idF der Nov. 1984 ausgesprochene Strafe des Verfalls.
Die vorläufigen Annahmen in den beiden hg. Einleitungsbeschlüssen, daß diese bundesgesetzliche Bestimmung in beiden Beschwerdefällen präjudiziell sei, haben sich als zutreffend herausgestellt.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die beiden von amtswegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2. Es spricht nichts gegen die Annahme des VwGH, daß er § 17 Abs 2 lita FinStrG in den bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahren (s.o. I.1.b) anzuwenden hätte.
Da außer der Präjudizialität auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, sind die Gesetzesprüfungsanträge des VwGH zulässig.
B. Zur Sache selbst
1. Der VfGH bekräftigt seine im Erkenntnis VfSlg. 9901/1983 (mit dem die Vorgängerbestimmung der nun in Prüfung gezogenen Vorschrift aufgehoben wurde) geäußerte Ansicht, daß der Verfall nach § 17 FinStrG als - obligatorisch zu verhängende Strafe zu qualifizieren ist, wobei allerdings nicht übersehen werden darf, daß der Verfall vielfach auch sichernden Charakter hat. Der Gerichtshof hat im zitierten Erkenntnis weiters dargetan, daß gegen das Institut des Verfalls an sich verfassungsrechtlich nichts einzuwenden und daß zwar einzusehen ist, wenn etwa beim Schmuggel in der Regel (schon aus Gründen der General- und Spezialprävention) sehr strenge, das Eigentum belastende Strafen vorgesehen werden, wie solche Strafen auch zum Standard anderer europäischer Rechtsordnungen gehören, daß aber auch in diesen Fällen die Strafe des Verfalls in einem angemessenen Verhältnis zum Grad des Verschuldens und zur Höhe des durch das Finanzvergehen bewirkten Schadens (etwa der Abgabenverkürzung) stehen muß. Schließlich bleibt der VfGH bei seiner ständigen Judikatur, daß es dem Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz nicht verwehrt ist, seine politischen Zielvorstellungen - und zwar auch auf dem Gebiet des Finanzstrafrechtes - auf die ihm geeignet scheinende Art zu verfolgen, sofern die angeordneten Mittel sachlich zu rechtfertigen sind.
Die Bundesregierung stellt diese Judikatur nicht in Frage. Ihr ist beizupflichten, daß dem § 17 Abs 1 FinStrG zufolge die Strafe des Verfalls nur in den im II. Hauptstück des ersten Abschnittes vorgesehenen Fällen, also nur bei den hier aufgezählten Finanzvergehen, sofern bei ihnen ein Verfall überhaupt in Betracht kommt, verhängt werden darf, sodaß der Verfall nur bei Vorsatzdelikten vorgesehen ist.
Hingegen ist das Vorbringen der Bundesregierung, daß der dem Staat gerade beim Schmuggel und der Hinterziehung von Eingangsabgaben (dem Hauptanwendungsfall des § 17 FinStrG) erwachsende Schaden groß sein kann, zwar zutreffend, übersieht aber, daß ein ähnlich großer Schaden auch bei anderen Finanzvergehen eintreten kann, bei denen aber ein Verfall nicht vorgesehen ist.
All dies räumt nicht das eigentliche Bedenken des VfGH und des VwGH aus, daß nämlich zumindest schwere Strafen (auch jene des Verfalls) in angemessenem Verhältnis zu den Umständen des Einzelfalles stehen müssen. Bei dem in Prüfung gezogenen (neuen) § 17 Abs 2 lita FinStrG sind - schon im Hinblick darauf, daß die Zehntelregelung (wie auch die Bundesregierung zugesteht) bei den derzeitigen Steuersätzen den Schmuggel und die Eingangsabgabenhinterziehung stets erfaßt - Fälle denkbar, in denen die obligatorisch vorgesehene Verfallsstrafe unverhältnismäßig streng ist; es kann nicht davon ausgegangen werden, daß es sich dabei um (allenfalls vernachlässigbare) atypische Einzelfälle handelt. Auch die geltende Verfallsregelung des § 17 Abs 2 lita FinStrG läßt also jede Flexibilität vermissen.
Daß die Möglichkeit, die Strafe des Verfalls gnadenweise nachzulassen (§187 FinStrG) nicht geeignet ist, die gebotene Flexibilität zu gewährleisten, bedarf keiner weiteren Erörterung (siehe VfSlg. 9901/1983, S 597).
Zum Einwand der Bundesregierung, daß eine andere als die getroffene Regelung für die Vollzugsorgane unpraktikabel wäre, ist beispielsweise auf die in der Bundesrepublik Deutschland geltende Regelung hinzuweisen. In den dem § 17 FinStrG ähnlichen Fällen sieht § 375 Abs 2 der deutschen Abgabenordnung die "Nebenfolge der Einziehung" vor. Nach Rechtsprechung und Lehre (vgl. zB Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., Anm. 32 zu § 375 AO) gilt das im § 74b des deutschen StGB verankerte Verhältnismäßigkeitsprinzip über dessen (engeren) Anwendungsbereich hinaus im Einziehungsrecht schlechthin. Demgemäß unterbleibt jedwede Einziehung, wenn sie außer Verhältnis zur Bedeutung der begangenen Tat und zum Vorwurf gegen die Einziehungsbeteiligten steht, sei sie vom Gesetz zwingend vorgeschrieben oder nur zugelassen. Es muß ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Wert des einzuziehenden Gutes und der Schwere der Straftat im Einzelfall gegeben sein (s. Plath, Abgabenordnung (AO 1977), Anm. 6 zu § 375 AO).
Die gegen den ersten Halbsatz des § 17 Abs 2 lita FinStrG geäußerten Bedenken treffen mithin zu. Diese Bestimmung war daher wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz aufzuheben.
Die gegen den zweiten Halbsatz dieser Gesetzesbestimmung dargelegten Bedenken wurden zwar durch die - in dieser Hinsicht voll zutreffende - Äußerung der Bundesregierung zerstreut. Dennoch war auch diese Vorschrift aufzuheben, weil sie in derart untrennbaren Zusammenhang mit dem ersten Halbsatz steht, daß sie ohne sie sinnlos würde.
2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art 140 Abs 5 dritter und vierter Satz B-VG. Im Hinblick darauf, daß die Problematik bereits im hg. Erkenntnis VfSlg. 9901/1983 deutlich gemacht wurde, reicht es hin, den Ablauf dieser Frist mit zu bemessen.
Der Ausspruch, daß frührere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art 140 Abs 6 erster Satz B-VG.
Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art 140 Abs 5 erster Satz B-VG und § 64 Abs 2 VerfGG.